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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22 Sgr. (j Tblr.) vierteljadrlich, 3 Tdlr. für da« ganje Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man »rönumenrt ans diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der KUg. Pr. StaatS-Zeitung (Zriedrichigr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Au«lande bei den Wohllöbl. Poft-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 6. Mai 1840. Frankreich. Die Camisards in ihrem Lager. Episode aus Eugene Sue's ,,Jean Cavalier" oder „der Aufruhr in den Cevcnnen". '1 Der Paß von Arzcuc, ein enger, steiler, aber unwegsamer Weg, führte zum abschüssigsten Theil der Gebirge der Geranne, der den Namen Mas-Nasbinals führt. Hier waren die Magazine und das fliegende Lazareth der Eavalicrscbcn Truppe. Doktor Claudius pflegte die verwundeten Camisards. Mehrere protestantische Frauen, unter ihnen Zsabcau, unterstützten ihn in der Ausübung dieser frommen Pflicht. Eine große Höhle, die nach den Anordnungen des Doktors vergrößert und eingerichtet worden, diente zum Hospital. Der MaS-Nasdinals bildet ein großes Felsen-Plateau, das durch die letzten Spitzen des Gebirges vor den Nordwinden geschützt wird. Ein Kastaniengebüsch, das ain Anögang des Paffes lag, warf einen ziemlich dichten Schatten; aus dem Fuße dieser alten Bäume schien ein Bach lebendigen Wassers hcrvorzusprudcln, der, nachdem er eine Zeit lang auf einem Kiescldett sortgelausen, sich an einem der Gc- birgS-Abhänge verlor. Es war gegen acht Uhr früh; die Sonne, schon brennend heiß, bedeckte mit ihren warmen Strahlen die, so weit daS Auge reichte, emporragenden Granitmaffcn. Einige verwundete Camisards schienen an der erquickenden Wärme aufzuleben; Einige, die auf einem Hausen trockener Haidckrauter halb hingcstrcckt lagen, hörten aus der Bibel vorlcscn; Andere, die im Kreise saßen, reinigten ihre Waffen, deren sie sich bald wieder bedienen zu können hofften, und hörten aufmerk sam einem ihrer Gefährten zu, der seine letzten Abenteuer erzählte; Andere endlich gingen mit Mühe umher, auf den Arm eines Freundes oder einer der genannten Frauen gestützt. Als die Verwundeten Zsabcau mit dem Doktor Claudius aus der Höhle kommen sahen, erhoben sich alle, die cs im Stande waren, und grüßten den Arzt und die Cevenncrin mit großer Ehrfurcht. Der Doktor war nicht verändert; seine ruhige Gestalt ließ nicht dcn mindesten Schmerz über das traurige Schicksal merken, zu welchem Düscrre's Treulosigkeit ihn vcrurthcilt; sein schwarzes Kleid schien eben so gut gebürstet, scmc Pcrrücke chen so geordnet, als wie cö in Genf gewesen, und immcr sah inan an ihm aus seiner täglichen Promenade auf dem Plateau oder in den Felsen seine große Zange mit dem Nabcnschnabel und seinen kleinen breiten Hut, den er ge wöhnlich unter dem Arm trug. Der Doktor hatte sich mit großer Philosophie in seine Gefan genschaft ergeben. — „Da es einmal mein Beruf ist", sagte cr, „meinen Mitmenschen beizustchcn, so ist eS ganz gleich, ob ich den selben in Genf oder im Gehirgc ausübc, um so mehr, als ich, die Wahrheit zu gestehen, hier immcr nützlicher bin, als anderswo, da ohne mich die armen Teufel umkommcn würden." Jsabeau's Züge dagegen brückten ein tiefes Leiden auS; ihre Wangen waren hohl, ihre Augen roth von Thränen; in einen langen schwarzen Mantel gehüllt, stützte sie sich auf den Arm des Doktors. „Na, na, Muth gefaßt, mein Kind", sagte der Letztere zu ihr; „nur werden Sie mir nicht krank. Was soll dann aus unseren Verwundeten, was soll aus mir in dieser Einsamkeit werben, sobalb »ch die Runde gemacht?" — „Zch werde Muth fassen", sagte Zsa- vcau. — „Beruhigen Sic sich", sagte der Doktor, „Sic werden Cavalicr Wiedersehen; er wird zurückkommeu. Vor Allem ist er ge sund; m dieser Beziehung können Sie ganz ruhig sepn; der Bote, den Sie täglich ins Lager schicken, bringt Ihnen ja Nachrichten von ihm. Wenn Cavalicr vierzehn Tage weggcblicdcn ist, ohne Sic zu sehen, so hat cr gewiß viel zu thun gehabt, war vielleicht mit neuen Kricgsplänen beschäftigt, was weiß ich? Ach, mcin armes Kind, das Handwerk, das er treibt, läßt oft wenig Raum ober vielmehr Zeit für zärtliche Gefühle. Seyen Sie vernünftig." „Wenn Cavalicr nur mich vernachlässigte", sagte Zsabcau, „so würde ich mich beruhigen; aber diese braven Leute (sie wies auf die Verwundeten), seine Kameraden, die ihn so liebten, ihm so treu sind, die sich für ihn bis auf den letzten Mann opfern würden, diese werden ganz muthlos, sie glauben sich verlassen, und ich fürchte, daß cr seinen Einfluß auf sie verlieren wird. Diejenigen seiner Leute, die nicht verwundet sind, kennen ebenfalls seine Gleichgültigkeit gegen ') Vgl. Nr. 2, r und 4 dcS lausenden Jahrgang«. die Verwundeten, und schon bczüchtigt man ihn im Lager der Kälte und Nachlässigkeit gegen die wahren Diener Gottes." „Aber Cavalicr hat Ihnen doch geschrieben; hat er Ihnen nicht die Ursache seiner langen Abwesenheit angegeben?" — „Rein, er hat mir vor acht Tagen gcschrichcn, aber welchen Brief! so kalt, so kurz! Ach, ich bin sehr unglücklich!" rief Jsabeau, die Augen mit der Hand hcdcckcnd. — „Wissen Sic nichts, was an dieser vorüber gehenden Erkaltung Schuld seyn kann?" — „Ich weiß nichts. Als ich ihn das letzte Mal sah, habe ich vielleicht zu ausrichtig ihm das gesagt, was mein Her; mir cingab. Ich habe einige seiner Ideen, die mir verderblich schienen, freimüthig bekämpft. Vielleicht habe ich' ihn gegen mich aufgebracht. Und danil ist das nicht AlleS", suhr sic nach einer kleinen Pause fort; „gestern war Ephraim hier. Er sah noch grimmiger aus, als gewöhnlich; er beklagte sich heftig üher EavaUcr'S Zaudern. Man hätte schon vor zwölf Tagen die Waffen ergreifen sollen, und Cavalicr hat den Angriff fortwährend hinaus- gefchoben, er, der sonst immcr zuerst dcn Angriff verlangte. Ephraim beklagte sich auch über die Vernachlässigung seiner verwundeten Brüder; cr hat zu ihnen gesprochen; Sie wissen, wie geachtet er in unseren Bergen ist. Als cr fort war, schicncn mir die Camisards gegen Cavalicr aufgebracht. Ach, Meister Claudius, ich weiß nicht, aber ich zittere unwillkürlich!" „DaS sind die Schrecken einer zärtlichen Seele, mein Kind! Wenn Cavalicr zögert, so wartet cr gewiß den günstigen Augenblick zum Angriff ab; Nmnand versteht vas besser als er; er ist ein treff licher Feldherr, diese Gerechtigkeit läßt ihm Freund und Feind wider fahren." — „Vielleicht haben Sic Recht, Meister Claudius; indcß bin ich sehr besorgt, und meine Ahnungen haben mich selten gc- täuschtl" — „Dieses Mal wenigstens sind Ihre Ahnungen ohne Grund, Mademoilclle", sagtc der Doktor mit triumphirendcr Miene; „schcn Sic cinmal, wcr kommt dort aus dem Destle?" — „Cava licr!" rief Zsabcau und blicb unbcwcglich, so überrascht war sie. Cavalicr kam langsam auf vaö Plateau hinauf. Als die ver wundeten Camisards ihn sahen, nahmen ihre wilden Gesichter, die sonst bei seinem Anblick vor Freude glänzten, einen finstcren Aus druck an. Cavalier, der viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt war, als daß er dies hätte bemerken können, näherte sich ihnen mit der unbefangenen Miene eines, Menschen, der sich seines Einflusses bewußt ist. Mehrere von den Znsurgcntcn waren schwer verwundet, drei ganz verstümmelt; die Bläffe dieser Glaubenskämpfer, ihr langer Barr, ihre elenden Kleider,, die Binden, die ihre Köpfe oder Glieder bedeckten, gaben ihnen ein zugleich trauriges und ehrwürdiges An sehen. Cavalier betrachtete sic einen Augenblick schweigend, indem cr Gewissensbisse darüber empfand, daß er sic so lange verlassen. — „Der Herr scy mit Euch, Brüder", sagte er mit herzlichem Ton. Erstaunt über das tiefe Schweigen, womit seine Worte ausgenommen wurden, wandte er sich an cincn Camisard, dessen Kopf ui Binden gewickelt war und der einc Muskete reinigte. — „Guten Tag, Moses; Du bist an meiner Seite verwundet worden bci dem Angriff von Vergesse; Du kämpftest sehr brav für Gottes Sache! Du siehst sehr blaß aus, Freund; leidest Du viel?" Der Hugenotte, ohne seine Beschäftigung zu unterbrechen, ohne Cavalicr eines Blicks zu würdigen, antwortete ihm mit hohler Stimme die Stelle aus Hiob: „Dem Unglücklichen ist der Freund Mitlciven schuldig; hat er dies nicht, so entsagt cr der Furcht GotteS." — „WaS meinst Du damit, Bruder?" fragte Cavalier; „Du und Ihr Alle wißt, daß ich meine Kraft aus Euch setze und auf dcn Herrn. Und Du, Aldias Morel! Du Tapferer, man hat Dir also Deinen Arm nicht erhallen können?" — Er wandte sich an einen amputirten Camisard. — „Was kümmert das meinen Bruder? Mcin Bruder hat sich von mir entfernt, wie der Strom, der reißend in das Thal hiuabflicßt", antwortete der Camisard, ohne Cavalicr anzusehcn. Cavalicr, der jetzt anfing, Vic gefährlichen Folgen zu begreifen, die seine Vcrsäumniß nach sich ziehen konnte, verdoppelte die Be weise der Thcilnahmc gegen scinc Soldaten und fuhr fort, sich nach dcm Zustand ihrer Wunden zu erkundigen; aber er bekam von ihnen weder Blick, noch Antwort. Cavalicr schmerzte dieses bedeutsame Schweigen sehr. In der Hoffnung, daß nicht alle Verwundeten dieselben Gefühle thcilen wür den, näherte cr sich ciner anderen Gruppe. — „Der Herr scy mit Dir, Zonabad!" sagtc er zu cincm riesenhaften Krieger, dessen Stirn und Wange von ciner frischen Wunde durchschnitten waren. Da er keine Antwort bekam, fuhr cr fort, seinen Verdruß verbergend: —