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248 Corso zubringt: man spielt Komödie und wirst sich außerdem Con- fctti.z». Diese Sitte, die ursprünglich nur eine angenehme Neckerei gewesen, ist jetzt ausgeartct und vorzüglich durch den Einfluß der Fremden zu einer wahren Qual geworden. Ursprünglich war cs nur Zuckerwerk, was man einander zuwarf, aber dieses ist jetzt zum großen Theil von Gipskugcln und durch Mehl verdrängt worden, das man Hände- und bcntelvoll auf die Vorübergehenden wirft. Vornehmlich sind es die Engländer, die sich durch große Fertigkeit in diesem Spiele auszeichnen. Wenn man sieht, wie sie dastehen, auf den Balkoncn, in den Wagen und auf den Trottoirs, und wie sie den ganzen lange» Nachmittag unermüdlich arbeiten, da sollte man nicht glauben, daß Manche unter ihnen Lords und'Alle Gcnt- lcmen sind, wie eS der Fall ist, viel eher, daß sie aus einer Bäcker- unv Müllerschaar beständen, welche die große Stadt London nach ihrer Schwcstcrstadt Rom hinübcrgesandt, um ihr zu zeigen, wie man an den Ufern der Themse sich zu belustigen versteht. Einen Theil des ersten Karnevals-Nachmittags stand ich vor einem Kaffcehause neben meinem Deutschen Freunde. Da ergriff dieser plötzlich meinen Arm und rief mir zu: „Signora Giulietta!" Ich sah in den Wagen, der uns am nächsten war, und erkannte so gleich die Signora, die eben dabei war, eine ganze Handvoll Con- fctti dem Deutschen gerade ins Gesicht zu werfen, während ein Mann, der an ihrer Seite saß, einen ganzen Sack Mehl über ihn leerte. Der Deutsche stand noch lange nachher blasend und stöhnend und fegend, doch sobald er seine Besinnung wieder erhalten, setzte er sich sogleich in Bewegung, um dem Wagen der Signora zu folgen; aber in diesem Augenblick tönte der Konmnmschuß, der den Fah renden als Zeichen dient, den Corso zn verlassen, und — der Wagen der Signora bog um eine Ecke und verschwand in der Seitenstraße. Nun beginnt daS Wettrennen. Dieses geschieht zuerst durch sreilaufcndc Pferde, die man vorher ins äußerste Feuer bringt, da mit sie, so wie sie losgelaffen werden, mit der Schnelle des Blitzes dahmsinrzcn. Und dieser lebende Blitz breitet eben so wie sein leb loser Bruder oft Zerstörung auf seinem Wege aus, denn ungeachtet das Signal gegeben und Jeder manches schreckliche Beispiel in Er innerung hat, fährt die Menge doch fort, sich in der Mitte der Siraßc zu bewegen, und weicht erst zur Seite, wenn die Pferde nicht mehr fern sind, aber dann ist es oft zu spät. O, was sind die Jtaliäner doch für eifrige Komödianten! Sie trotzen dem Tode, wie unser Schauspieler Wienecke ihm trotzen würde; ja, in Liebes- rolien würde dieser gewiß nicht vor ihm von der Stelle weichen! Und ich glaube, er würde ihm nicht allein trotzen, sondern sich gar nicht einmal unterbreche» lasse». Ich glaube, man könnte ihn todt- schlagen, und er hörte nicht auf, zu spielen. Der N'omische Karneval Nachts. Wenn die Wagen an de» Karnevalstagen schon längst den Corso verlassen und die Mcnschcnmaffcn sich vcrthcilt haben; wenn man wieder die Straße hinabwandern kann, ohne rechts und links ge stoßen und gepufft zu werden; wenn die Dunkelheit ihren sternvc- säetcn Mantel über die Stadt gebreitet und Lichter aus allen Fenstern flimmern, die Kinder schon in ihren Wiegen und die Nonnen in ihren Zellen schlafen, dann erhebt sich Nom noch einmal, »nv das nächtliche Fest beginnt. Ja, an dem Tage, wo Vas Blut der alten Stadt in Bewegung gekommen und durch die Lust des Corsers schon in Flammen gebracht worden ist, kann sic nicht zur gewöhnliche» Zeit sich ins Bett lege»; nein, sie denkt an die wollüstige» Tage der Kaiserzeit, als sie bis zur Hellen Morgenstunde schwärmte, und sie fühlt wieder Jugendlust in ihren Adern. Sie will wieder, wie da mals, die Nacht durchwachen, in Liebe und Wein sich berausche», während die Kerze» brennen und Instrumente erklingen; sie zieht sich deshalb ihren reichsten Anzug an und begiebt sich zu ihrem Fcstino. i-- Ja, das Festino! Der große Saal ist erhellt von tausend Kerzen und das Licht gebrochen und zurückgcworfen von unzähligen Diamanten, die in den Bogen und unten im Saale aus den schwarzen Locken und auf de» schwarzen Dominos schimmern, glänzender als die Sterne in raben schwarzer Nacht. Und wie das Herz klopft, wenn der Blick über dicse verhüllten Gestalten wandert! Ucberall glaubt man die zaube rischen Gesichter zu erkenne», die man vorher auf dein Corso gesehen, nnd obgleich dicse verborgen sind, deute» doch die herrlichen Forme» cs an, daß, wenn diese Blumen durch ihre Knospe» brechen, sich schönere Blüthen zeigen werden, als die lieblichsten Erzeugnisse des Frühlings. Und wie voll und schwellend sie an dem Arin ihrer Be gleiter schweben! Ja, voll und schwellend, wie der Granatapfel an seinem Zweige hängt, und sie scheinen auch wie dieser den Wanderer auszusordcrn, sic abzupflücken. O, wie gern möchte man sic brechen! Ja, wie gern, Leser! wcnn ich ein Mensch wäre, der sich darauf was cinbilvetc, seine eigene kleine Geschichte zu przählen, könnte ich auch mit einer solchen cmfwartcn, aber das ist nicht meine Schwachheit, und doch, wcnn ich zurückdenke, welche kleine, warme, weiche Hand! aber nein! ich sagte ja, das ist nicht meine Schwachheit. Und wie zärtlich diese Zaubergeschöpfe bisweilen ihren Köpft zu ihre» Beglei tern hinbeugcn, ja eben so zärtlich wie die girrende Taube ihr Köpfchen neigt. Und wcnn nun zuletzt weiterhin i» der Nacht die Masken abgcnommcn werde», ja, dann steht ei» lebendiger Noma» fast am alle» Gesichtern zu lese». Der Roman flüstert fast aus allen Tönen; ich will Dir ei» Beispiel geben. Ich saß an einem-Tische in dem einen CrfrischimgSzimmcr; ich schrieb einige Worte auf ein Billet; was ich schrieb, und an wen ich schrieb, kann gleichgültig sepn, da hörte ich ein Gespräch, das in meiner Nähe zwischen zwei maskirtcn Männern geführt wurde: „Siehe wohl zu, Beppo! daß er nicht entkommt; hundert Scudi habe ich versprochen, und ich lege noch hundert zu; und was sie betrifft, so habe genau Acht, daß Euch Niemand sicht, wcnn Ihr sie entführt!" „Aber, Signor!" fragte Beppo, „wenn sie schreit?" „Dann bindet ihr den Mund zu und bewacht sie gut, bis ich komme." Aber ich hatte mein Billet abzugcben, ich mußte darum von diesem interessanten Gespräch forteilen. Wenn das Wettrennen am letzten Karnevalstage vorbei ist, bietet sich ein schöner Anblick unten auf dem VolkSplatze dar. Die Dunkelheit ruht auf dem Corso; man hört das laute Summen der ungeheuren Volksmassc, aber die Menge selbst sieht man nicht; da wird es in einem Nu hell, als wcnn ein Blitz heruntcrgcfahrcn und in der dunklen,«Straße überall gezündet hätte: man sicht unzähl bare Lichter, die aus allen Fenster» flammen, und der Boden der Straße ist mit ihnen übersäet. Der Ursprung dieses letzten Athcmzugs des Karnevals ist nicht schwer herauszufinden. Um das Fest ausziwchncn, verfielen die Römer darauf, den Corso mit Kerzenlicht zu erleuchten; aber da kam die öffentliche Gewalt hinzu und suchte eine längere Dauer desselben durch Auslöschcn der Lichter zu verhindern, und nun haben die wohl überlegten Römcr eingesehen, daß, wcuu sie aus diesem Eingreifen der Gewalt eine Karnevals-Belustigung machten, sic ihren Zweck wirklich erreichen würde». Sobald also das Wettrennen zu Ende ist, zündet fast jeder der auf dem Corso Versammelte» ein Wachs licht a», mit dem er versehe» ist, und die Belustigung besteht darin, daß Einer sich immer bestrebt, dem Anderen das seinige auszublascn. Als ich vom VolkSplatze aus in Augenschein nahm, wie auf dem Corso die Lichter augezündct wurden, eilte ich auf denselben zurück, den» auch ich wollte meinen Theil an der beginnende» L»st haben. Ich stieg hinter einem Wagen auf, um mich an einem Lichte zu ver suchen, welches eine Dame in der Hand hielt, die allein darin saß; aber in derselben Zeit, wie ich, stieg auch eine andere Mannsperson auf; diese beugte sich in den Wagen hinein, die Dame lehnte sich zurück, warf ihre Kerze mitten i» die Volksmenge, und der Man» drückte einen langen Kuß auf ihren Mund. Ich verlor augenblicklich die Lust, mehrere Lichter anzugreifen, kehrte auf den Vvlksplatz zu rück, und als ich dort «»gekommen, warf ich wieder einen Blick nach dem Corso hin. Ich hatte einige Minuten gestanden, da wurde die lange Straße wieder völlig dunkel; die Lichter verschwanden wie eine unzählige Schaar von Irrwischen, die sich in die Erdc zurückzichcn. Mannigfaltiges. - Girolamo Miani. Der erste Stifter von Waisenhäusern in Italien und wahrscheinlich auch, in ganz Europa war Girolamo Miani, geboren zu Venedig im Jahre Ii8i. Bis dahi» hatte man ältcrnlosc Kinder, für welche die Gemeinden zu sorgen hatte», immer nur einzeln bei verschiedenen Leuten untergebracht — ein System, zu welchem man hier und da heute wieder znrückkehrt, weil es aus mancherlei pädagogischen Rücksichten für zweckmäßiger gehalten chird. In seiner Jugend'war Miani Soldat im Dienste der'Republik Ve nedig gewesen, und dicse hatte ihm zur Belohnung seiner Tapferkeit bei der Vertheidigung des Forts Castel di Quero gegen die Fran zosen auf zwanzig Jahre die gntShcrrlichcu Rechte über zfte Herr schaft des Castel di Quero verliehen. Nachdem nu Bruder von Miani gestorben war, nahm sich Letzterer der Hinterbliebenen Waisen väterlich mi, und dicS brachte ihn zuerst auf den Gedanke», die selbe Wohlthat auch auf andere verwaiste Kinder auSzudehnen. Er fand dazu uni so mehr Gelegenheit, als die Pest, die in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in OberrJjMftu wüthetc, eine Meffgc hülfloser Kinder Vater- und nmtterlos gemacht hatte. Zuerst gründete er in Venedig und alSoan» auch ft, Verona eszi Kindcr- HoSpital. Demnächsi aber errichtete cr an der Adda in SomaSca ein großes Waisenhaus, das zwei Jahrhunderte lang alle» später eeitstänocncu Instituten dieser Art zum Muster gedient hat. Mit einigen Knaben dieses WaiscnhauscS ging er später nach Mai land, wo cr den Herzog Franz Sforza kl. zu bewegen wußte, ein eigenes Orphanotrvphium zu errichten, in welchem jene Kna ben dc» ersten Unterricht crtheiltcn. SomaSca bticb indessen der Mittelpunkt, von welchem aus er wirkte und von' wo cr an der Spitze seiner Waisen oft große Umzüge mit Gesang und Gebet durch die nahen Städte und Gaue» machte, um lhcils milde Gabe» einzu- sammcln und theilS auch diejenigen Kinder, die sich dort verwaist vor- fandcn, mitzunchmcn und nach seinem Institut zu bringen. Als er im Jahre l6Z7 starb, hatten sowohl sein eigenes Institut als die vbn ihm iu mehreren großen Städte» begründen» Waisenhäuser einen hohen Grad der Blüthe und der Sicherheit für die Zukunft erlangt. Er starb an der Pest, die in jenem Jahre auch nach Somasco gekommen war und die er sich bei der treuen Pflege seiner Waise» jugczvgcn hatte. sNa-l- Neu-Nalori ma x-°er« um-n», von Des. SaeÄ t.) Herausgcgebcn von der Ncbaclion ber Allg. Preus;. Staalk-Zeilnng. Rckusin von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hahn-