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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prlnimierassvnö- PreiS 22^ Sgr. Thir.) viertcijödriich, 3 THIr. sür da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prönnmeriu ans diese» Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Ttaatt-Zeitung sFeiedricköllr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post -Aemtern. Literatur des Auslandes. L8. Berlin, Donnerstag den 14. Mai 1840. Frankreich. Die Wahrheit über die September-Morde während der Französischen Revolution.")' Alle diejenigen, welche bis jetzt über die September-Tage ge schrieben haben, nehmen cs als eine ausgemachte Sache an, daß die Register von BicLtre nicht mehr vorhanden sehen, wenn dieselben es überhaupt je gewesen. Im Uebrigen stimmen sie alle darin überein, daß dieses Gcfängniß mit Kanonen angegriffen und verthcidigt wor den, und daß es der Schauplatz der schrecklichsten Metzeleien gewesen seh. Niemand ist mit dem Leben davon gekommen, und die Zahl der Schlachtopfer wurde auf 6lM0 angeschlagen. Dies kann man wenigstens bei Thiers, in der Geschichte des Iv. August von Pelle tier, in der parlamentarischen Geschichte von Buche; und Nour und in den Annalen der Revolution von Dupon und Marrast lesen. Diese Ereignisse liegen uns ganz nahe, die Beweisstücke find vorhanden, und dennoch hat man sich nicht cntblödct, so alberne Mährchen zu verbreiten! Wenn man schon so mit der neuen Geschichte umspringt, wie muß cs dann erst in der alten Geschichte aussehen? Es ist wirk lich befremdend, daß die Geschichtschreiber, welche die September- Morde als die That weniger Verworfenen darstcllen, nicht cinge- schen haben, daß Bicötre, wenn cs sich hätte zur Wehr sctzcn wolle», nur von einer Armee erobert werden konnte. Ferner feuert man nicht auf einem viereckigen Hofe acht Tage und acht Rächte lang Kanonen ab, ohne daß die Mauern beschädigt würden. Die Mauern von Bicetrc waren aber vor kurzer Zeit noch ganz unver sehrt, und großcntheils stehen sic noch aufrecht, ohne daß irgendwo die Spur einer Kugel wahrzunehmen wäre, was freilich seine guten Gründe hat. Als Vic neue Ordnung der Dinge sich 'einigermaßen befestigt hatte, fühlte man das Bedürsniß, das Gcfängniß vom Hospital zu sondern. Dieser Gedanke kam erst IM vollständig zur Ausführung, indeß wurde schon 1789 ein Anfang gemacht. Obschon Bicbtre immer nur cinln General-Direktor hatte, so erhielt cs doch zwei Rechnungs-Vorstände, zwei besondere Verwaltungen, unv die Register des Gesängnisscs wurden von denen des Hospitals getrennt. Von 1789 au wurden die Gcfängniß-Listcn regelmäßig geführt. Dabei ist jedoch noch zu bemerken, daß die Kranken', besonders die Venerischen und Vic Krätzigen, aus dcn anderen Pariser Gefängnissen nach Bicetre gebracht wurden. Wenn also unter den Ermordeten auch einige Venerische und Krätzige erscheinen, so folgt daraus noch nicht, daß gewöhnliche Krankc gctödtct worden sepcn, sondern Gefangene, welche hier geheilt wurden. Am Morgen des 3. September be stand die Bevölkerung Bicotre's aus 4N Individuen- Diese traf folgendes LooS: Getödtct 163 Entlassen St 2m Gcfängniß verblieben 188 Unbestimmt, ob tobt oder entlassen. ... 9 - ui Die Randbemerkungen neben dcn Ramen dcr Gemordeten lauten entweder: „Gestorben am 3. September während der Ereignisse, die sich ani gedachten Tage hier im Hause zugetragen haben", oder bei der kleineren Zahl: „Gestorben vom 3. zum 4. September während dcr Ereignisse, Vie sich am gedachten Tage hier im Hause zugctragen haben." Schmerzlich berührt es gewiß Jeden, zu hören, daß in dcn Gcfangenen-Listen auch die Namen vierzehnjähriger und selbst zwölf- jähngcr Kinder mit der Bemerkung: „Ewiges Gcfängniß" vorkom- mcn. Erst Danton vcrordnctc als Justiz-Minister, daß diese Kinder am Tage ihrer Großjährigkeit sreigelaffen werden sollten. Wir sehen ferner aus den Registern, daß mehrere der Gefangenen, welche das Volk am 3. und 4. September in Freiheit gesetzt hatte, wieder cin- gczogcn wurden und ihre Strafzeit aushalten mußten. Wenn die Frage entsteht, wie diese wichtigen Urkunden den Nachforschungen derer entgehen konnten, welche über diese Vorgänge geschrieben haben, so dürfte wohl die Antwort zunächst dahin aus- fallen, daß sie gar nicht nachgcforscht haben, weil es ihnen ohne Zweifel bequemer scheinen mochte, einer dcn anderen abzuschrcibcn. Ein anderer Grund ist der, daß diese Aktenstücke sich nicht in dcn Archiven der Polizei-Präfektur vorfinden, sondern in la Roquette, ') Aus einer Geschichte dcr Pariser Gefängnisse, von B. Maurice. wo eS mir gelungen ist, sie zu entdecken. Ich verdanke die Mit- theilung derselben der Güte des Direktors Herrn Becquerel, welcher mir noch einen nützlichen Fingcrweis gab, indem er zu mir sagte: „Dies Buch ist ein todter Buchstabe, aber wenn Vater Richard noch lebt, so wird er Ihnen Alles erklären." — „Wer ist denn der Vater Richardt" — „Er war Gefängniß-Beamter, und als solcher war er Zeuge der September-Morde." — „Und glauben Sie, daß er cs mir wird erzählen wollen?" — „Er spricht von nichts Anderem, und wenn Sie es wünschen, wird er Ihnen zwei Tage und zwei Nächte davon erzählen." Die ganze Nacht träumte ich von nichts als von Mord und Todtschlag, von Bicötre und vom Vater Richard. Kaum war der Morgen angebrochen, als ich mich auch schon auf den Weg machte. Ich fand einen kleinen ganz in Grau gekleideten Greis. „Ich hoffe", sagte ich zu ihm, „daß Sie die Güte haben werden, mir zu erzäh len, was sich während der September-Tage in diesem Hause zuge tragen hat." — Er sprang auf, und seine Gestalt schien größer zu werden; ich hatte seine schwache Seite getroffen. — „Aber zu welchem Zwecke?" fragte er. — „Ich schreibe eine Geschichte der Pariser Ge fängnisse, und ich glaube, daß mir Niemand besser als Sie Aus kunft übcr diese Vorfälle wird geben können." — „Viel Ehre!" antwortete er; „ich habe viele Geschichten darüber gelesen, aber keine einzige vernünftige. Denken Sie sich nur, lieber Herr, daß Sie dcr crstc historische Mensch sind, — der gute Alte wollte wohl etwas Andcrcs sagen, — welcher sich au mich wendet. Und dennoch könnte ich sonderbare Sachen erzählen." — „DaS soll mir lieb seyn, aber saugen wir mit dem Anfänge an." — „Sehr gern; also Lud wig XIII., welcher ein Sohn Heinrich's IV. war —" — „Ich weiß das." — „Ach, richtig; ich vergaß, daß Sie ein historischer Mensch find. Also Ludwig XIV;, der Kriege gegen die Holländer geführt zu haben scheint, baute mit dem Gelbe, das er ihnen abnahm, das Jnvalidenhans, so daß Bicetrc —" — „Auch das können wir über gehen; ich wollte nicht die Geschichte Bicetrc's, sondern bloß die der Ermordungen hören. Erzählen Sie lieber von sich selbst. Sic sind schon lange hier?" — „Sehr lange; 1786 kam ich als arme Waise in das Haus; da ich einige Erziehung erhalten hatte, wurde ich bald in die Büreaus genommen. Als der jüngste und als arme Waise fiel mir die schlimmste Arbeit zu: ich mußte alle Abende die Listen abschlicßcn. Daher ließen sie mich auch kommen, um zu erfahren, wo dieser oder jcner Gefangene cinquarticrt sep." — „Welche sie? Von wem sprechen Sic?" — „Run sie, die Todtschläger." — Anvers nannte dcr Alte sie nicht im weiteren Verlause seiner Erzählung. Hier hielt Vater Richard einen Augenblick an und schrieb dann die Zahlen 166, SS und 22 auf. — „Was soll das bedeuten?" fragte ich. — „106 ist die Ecsamnit-Summe dcr Todtcn." — „Aber", cntgcgnctc ich, „die Gefangenen-Listen geben nur 103 an." — „Das ist merkwürdig; ich habe doch 166 in meinem Kopfe. Ach, nun weiß ich schon, Sie haben nur die getövteten Gefangenen ge zählt; ich habe aber noch zwei Individuen und dcn Oekonomcn des Hospitals." — „Was bedeutet aber die SS und die 22?" — „SS ist die Zabl der Kinder in dcr Corrcctions-Anstalt, von denen die Elenden 33 tödteten. Die Todtschläger sagten aus, diesen Kindern sep^dcr Garaus weit schwerer zu machen, als den Erwachsenen. Dieselben waren zu einem Hügel aufgcschichtet dort in dem Winkel, wo jetzt die Mauer abgetragen wird. Am anderen Tage, als sie begraben werden sollten, war es wirklich ein bejammernswcrthes Schauspiel; eines der Kinder schien wie ein Engel zu schlummern, abcr dic anderen waren gräßlich verstümmelt." — „Aber sagen Sic mir, Herr Richard, wie und an welchem Tage das Blutbad begon nen hat?" — „Sie kamen Montag den 3ten um I« Uhr Morgens hierher." — „Aber waren Sie nicht darauf vorbereitet? Wußten Sic nichts von dcn Ermordungen bei den Karmelitern und in der Abtei?" — „Durchaus nichts; das heißt, wir wußte» wohl, daß dort etwas vorgegange» sep, aber nicht, was. Ucberdics waren wir schon scit mchrerc» Tagen bedroht. Das Unglück, lieber Herr, war vamals, daß cs durchaus keine Regierung gab. Da war ein Hos- pitalit, welcher an: Tage vorher ausgegangen war, und welcher am Montag Morgen wieder auSgehen wollte. Er crhiclt dic Erlaubniß nicht, weil cr ein schlechter Mcnsch war. Da brach cr in Drohun- gcn gegen uns aus und sagte, man würde schon noch einen Tanz mit uns ausführe», die Rächer würden kommen und uns Alle er würgen. Wir glaubten, daß er Recht habe) aber wir dachten nicht, daß cs auf die Gefangenen abgesehen sep; wir glaubten im Gegcn- theil, daß ihre Spießgesellen sie befreien wollten. Derselbe Hospi-