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19« worden wäre, um das Maurische, das Uuchristliche in diesen Formen gleichsam zu entschuldigen und zu versöhnen. Und nun die großen Schatten-Particcn in den beiden offenen Gängen, zwischen welche doch wieder so Helles Licht fällt; sie scheinen schon von außen auf das Verhältnis zu deuten, das im 3nnern zwischen dem Gehcimniß- vollen, dem Ungewissen, dem in seinen Umrissen Schwankenden und dem Sonnenklaren, dem Bestimmten, dem Neinhistortschcn stattfindet. Das Modell zu diesem Gebäude haben die Venctiancr ohne Zweifel im Morgenlande vorgefunden; fie haben es mit sich hcimgeführt, um eine Trophäe, ein Erinnerungszeichen an jene große Zeit aufzu- richten, wo die Kreuzritter auf den Venetianischen Schnecken übers Meer setzten. O, welche Last haben nicht diese Schnecken zu tragen, denn wie viele zerrissene Herzen bluteten nicht unter dem bekreuzten Küraß! Ich sagte, eine große Zeit, ja die Kreuzzüge waren für Venedig von ungeheurer Wichtigkeit. In Rücksicht auf das übrige Europa war daS ganze Kreuzsahrcrwesen,-obgleich eine tiefe, innige, glühende religiöse Schwärmerei, doch eine politische Betise. Aber für Venedig war cs Kraft uns Nahrung, aus der cs wuchs und groß wurde. Bor den Kreuzzügen stand Venedig da, wie ein Mädchen, daS seine jungen Füße in der stillen Lagune badet, und nachdem sie beendet waren, war es bereits zu der reich;» Fülle einer hcrrschsüchtigcn Königin ausge wachsen, die mit der einen Hand nach der Kaiserkrone in Konstanti nopel griff, während dir andere nach dem Indischen Handel über Acgpptcn langte, und in ihrem Diadem hatte sie manchen Edelstein, der srühcr dein Griechischen Völkerbünde gehört hatte. Tritt man durch den Hauptcingaug in den großen Hosraum, so bemerkt man sogleich eine ganz andere Architektur. Hier sind auch Säulen und offene Gänge, aber die Säulen sind höher und schlanker und die Bogen gcrundct; Alles ist lichter, freundlicher, mehr Süd- europäisch. Zur Rechten hat man eine Treppe, cinc von jenen breiten, bequemen Marmortrcppcn, die man so oft in Italien sieht; cs ist die sogenannte Ricscntreppe. Obcn auf ihrer höchsten Stufe wurden die Dogen, sobald sie erwählt waren, dem Volke vorgcstcllt, indem man ihnen den Herzoglichen Hut aufsetztc. Alle Dogen Venedigs sind hier durch einen langen Zeitraum erwählt worden, und einer von ihnen, Marino Falicro, ist sowohl erwählt als hingerichtet worden; der arme Falicro, er batte die unverzeihliche Thorheit begangen, sich zu verhcirathcn, sich ans seine alten Tage mit einem jungen Mädchen zu verbinden. Und die Vcnetianische Aristokratie hatte freilich Grund, dieses Haupt zu fällen, cs war cin gefährliches Haupt. Falicro war der Einzige von allcn Dogen Venedigs, der es versuchte, die Aristo kratie zu Zerstören, diese Hpder zu erdrücken. Ja, es war Kraft in diesem Marino Faliero! und bisweilen stürmte das Blut wild und heiß in seinen Adern. Er war es, der die Ungarn bei Zara schlug; dcr dem Bischof von Trcviso cin Steckenpferd gab, — einem Bischof cin Kinderpscrd zu geben! Dies war ohne Zweifel Falicro's kühnste That; ich hoffe, Leser, daß Du Dich an diesem Ausdruck nicht stößt, bedenke, einem Bischof dcr damaligen Zeit. Steigt man die „Ricscntreppe" hinauf und folgt man der offe nen Gallerie auf der rechten Seite, so wird man bald links eine andere Treppe bemerken, die „goldene", so genannt von dcr vielen Vergoldung, die an dem gewölbten Dache verschwendet ist. Sic führt in dic oberen Etagen des Gebäudes. In Viesen ist ohne Zweifel das merkwürdigste der vielen Zimmer, dic man durchwandert, dcr Bibliothek-Saal, wo in dcn Zeiten dcr Republik sich der große Rath versammclte. Portraits von Venedigs Dogen befinden sich hier an allen vier Wänden, eines immer dicht neben dem anderen; manche harte, kräftige Gesichter, über deren gefurchter Stirn tiefe Pläne ruhen, und manches freundliche Grciseühaupt, das den Beschauer be wegen kann, mit Shakespeare im König Lear auszuruscn: „Und diese edlen Züge und dieses graue Haar haben sie nicht einmal rühren können!" Nein, die Venetianische Aristokratie kannte kein Mitleid. Dcr Dege mußtc dcn Fluch dcr vielen blutigen Thatcn tragen, dic im Dunkel der Nacht vollbracht wurden. Unter dcn Bildnissen hängen andere Gemälde, welche Ereignisse aus dcr Geschichte Vcücdigs darstcllen; sie sind alle von dcn ersten Meistern dcr Venctianischcn Schule auSgcsührt. Eincs von ihnen zog vorzüglich meine Aufmerksamkeit an, ein großes Gemälde von Zuccari, welches die Zusammenkunft zwischen Papst Alcrandcr III. und Friedrich Barbarossa zu Venedig verstellte. Bei diesem Zu sammentreffen war cS, wo der Papst, als dcr Kaiser seine» Pan toffel küßte, dcn Fuß auf scincn Nackcn gesetzt und mit dcr Schrift ausgeruscn habcn soll: „Auf Ottern und Löwcn sollst du treten!" Und daS ertrug Barbarossa! Dieser starke Barbarossa, zu welchem das edle Deutsche Volk noch jetzt mit der Hoffnung großer Zu kunft ausschant, vicscr Barbarossa, von welchem dic Sage geht, daß er in dem Äpffhänscrbcrge dasitzt und schläft; ein Tisch steht vor ihm, auf welchen er den Ellcnbogim stützt, der starke rothc Bart ist schon durch den Tisch gewachsen; aber cin Tag wird kommcn, an welchem dcr Schlummer weicht, und dcr Kaiser wird sich erheben, und dann wird Deutschland scincn altcn Ruhm wieder gewinnen. — Barbarossa ertrug dcn Hohn des übcrmüthigcn PapstcS, — die Zcitcn haben sich geändert; dcr Papst wiro nicht mchr dcn Versuch wagen, seinen Fuß auf dcn Nackcn eines Volkes zu setzen — und der Herr sey gelobt! Ein anderer Gegenstand erweckte hier oben im Dogen-Palast auch in hchcm Grade meine Aufmerksamkeit. Wnm man nach der goldenen Treppe hinauskommt, wird man zur Rechten in der Mauer cin kleines Loch gewahr, welches in ein Zimmer hincinführt; dies ist dcr sogenannte Lowcnmund, in welchen dic Anklagen geworfen wurden, nm dann von den StaatS-Inquisitoren untersucht zu werde». Be denkt man den erschlafften Zustand, in welchem die Venetianische Aristokratie sich vom Ansang des achtzehnten Jahrhunderts befand, und nimmt man Rücksicht darauf, wie Furcht immer mit Schwäche verbunden ist, so wird man leicht einsehen, zu welchen gräßlichen Re sultaten diese Anklagen oft führen mußten. Ein Fremder, der mit mir den Dogcn-Palast besah, erzählte eine Geschichte, welche sich we nige Jahre vorher zugetragcn habcn sollte, ehe dic Republik aufhörte, zu eristircn. ES wurde der Venetianischen Regierung von ihrem Ge- fandten in Paris gcmelvct, daß wichtige Staatsgeheimnisse von Ve nedig aus der Französischen Gcsandslyast in Konstantinopel mitge- theilt worden wären. Man ließ nachforschcn und entdeckte zuletzt den Namen der Person, von welcher die Mittheilungcn ausgcgangen scyn sollten. Ein Beamter dieses Namens arbeitete in einem Bürcau; er ward vor die Inquisition gestellt und verurthcilt; man ertränkte ihn in dein Kanal Orsano, wo sogenannte Staats-Verbrecher ost schon dasselbe Schicksal erfahre» hatte». — Dic Regierung hatte' schon früher den Befehl gegeben, daß die Ansschlämmung, die man mit dem Kanal begonnen, aufhörm sollte. Es verging einige Zeit, da wurde von Paris aufs ncne berichtet, daß dic Mittheilungcn von Venedig nach Konstantinopel fvrtführen. Man stellte wieder Unter suchungen an und fand jctzt, daß cinc andcrc Person mit demselben Namen, wie der umgcbrachte, in einer ganz untergeordneten Stellung im auslänvischcn Departement arbeitete, und von dieser waren dic Mitthcilungen ausgegangcn. Ein Ercigniß, das kciucSwcgs unwahr- scheinlich ist, denn mancher Unschuldige ist sicher von diesem schänd lichen Dreimänucr-Rath verurtheilt und über die Scuszcrbrückc ge sendet wordcn; die Scuszcrbrückc, ja Leser! denn mancher tiefe Seufzer ist über sie gegangen, um sich in dcn Blcikammcru zu vcrlicrcn und vielleicht in vcn Kanal Orsano zu senken. Mannigfaltiges. — Ein Schwedischer Theater-Abcnd. In Schweden schöpft dic tragische Muse vorzugsweise gern aus Deutscher Quelle. Unsere klassischen Trauerspiele sind auch auf der Bühne von Stock holm heimisch, ja mitunter vielleicht heimischer, als auf einigen Deutschen Theatern, die vor Oper» von Donizetti und Vaudeville» von Scribc zu einen; Trauerspiele von Schiller kaum mchr kommcn können. Herr Dahlqvist, nächst Herrn Almlöf dcr crstc Helden- spieler dcr Schwedischen Bühne, veranstaltete am ll. April cinc große scenisch-dcklamatorische Soiree im Theater von Stockholm und brachte bei dieser Gelegenheit nicht weniger als vier Deutsche Trauerspiele zur thcilweisen Aufführung. Zuerst würbe cin Akt aus des Freiherr» v. Zedlitz „Kerker und Krone" gegeben, in welchen; Herr Dahlqvist den Torquato Tasso und Herr Almlöf den Montccatino spielte. Darauf folgten dic letzten Scencn des vrittcn Aktes und der Anfang des vierte» Aktes auü Müllncr'S „Schuld", worin Herr Dahlqvist den Hugo mit großer Energie gab und besonders dic Kraftworte „Därar kalla dct schavott!" (Thoren nennen cs Schaffott!) einen mächtigen Eindruck machten. Es folgte nun der berühmte Monolog aus Hamlet: „Vara cälcr icke vara, bctärfrägan" (Scpn oder Nichicon w.) dcu; sich dic folgende Scene mit Ophclia auS dcn; vrittcn Akt anschloß, und dies war das einzige Nichideutschc, was an diesem Abend zur Aufführung kam, den» nunmehr kau; Schiller an dic Reihe, und zwar in zwei verschiedenen Dramen. Zu erst wurde dcr zweite Akt aus „Wallcnstcin's Tcd" aufgcführt, in welchem Herr Dahlqvist besonders durch dic Erzählung des Traumes vor der Lützencr Schlacht („Es gicbt in; Mcnschcnlcbcn Augen blicke" ;c.) das Schwedische Publikum zu außerordentlichem Beifall Hinriß. Den Beschluß machte dcr fünfte Akt aus dcn „Räubern" („Röfvarebandct" — dic Räuberbande — heißt das Stück ans Schwedisch), jn denen Herr Dahlqvist jedoch nicht, wie wir ans seine»; übrigen Rollenfache geschloffen hätten, dcn Karl, sondern den Franz Moor gicbt. Man sicht übrigens auS dieser Inbalts-Anzcige, wie bunt auch in Schweden ein Benefiziant seinen Theater-Abend auszustattcn weiß. Zwischen einem Akt und vem anderen wurden Ouvertüren von Gluck, C. M. v. Weber, Bernhard Romberg und Cherubini gespielt. — Ein neues Lustspiel von Alberto Nota. Herr Karl Blum »;ag nur immer dic Feder spitzen, um unserer Bühne ei» interessantes Drama zu verschaffen, das dcr Ehre dcr Ucbcrtragung allerdings würdiger scheint, als so manches Produkt, das uns von dcr Seine her kommt. „Die Kreolin, von Louisiana" (l.a (lrenln stell.« I.uiginni«) heißt das neueste Lustspiel Alberto Nota's, der be kanntlich vor kurzem vom Könige von Sardinien zum Signor Itacone erhoben worden ist. Mit großer Geschicklichkeit hat der Verfasser dic cigenthümlichen gesellschaftlich ei; Konflikte, welche das Sklaveuwesen in dcn südlichen Staaten Nord-Amcrika'S darbictct, als Hebel seines Drama's zu benutzen gewußt. Franzose», Engländer und Kreolen, Freie und Sklaven, wie sie dcr Bode» Amcrika'S i» bunter Mannigfaltigkeit trägt und charakteristisch modifizirt, werden darin naturgetreu gezcichnct: dir Heldin des Stückes ist jedoch Zclia, dic Tochter einer Sklavin und eines Franzosen, deren harter Ohcim sie, in Abwescnhcit ihrcS BatcrS, wie cinc Waarc behandelt, die er zur Deckung einer Schuld an de:; Markt bringen und verkaufen will. Die Abscheulichkeit dcr Sklaven-Gcsctzgebung Louisiana s und Süd- Karolina's wird in dicscm Drama recht überzeugen» vor Augen ge führt, während andcrcrscits auch die Forderungen der Kunst und der ästhetischen Form in keiner Weise verletzt werden. Hrrausgegcben von dcr Redaktion dcr Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Rebigirt von F. Lchmann. Gedruckt bei A. W. Hayn-