Volltext Seite (XML)
212 möglich scyn, die Wollust zu schildern, welche mich in diesen Stun den erfüllte. Nic hat meine Brust sich Wohler und wärmer gefühlt; es war eine Empfindung, der ähnlich, die bisweilen in mir aufgr- sticgcn, wenn ich mich in einem Kreise edler Menschen befand, welche das Band der Freundschaft und hiebe zusammenknüvfte. Und doch war das, was ich im Ärnothal an jenen Abenden suhlte, noch wohl- thuender, denn die eigenen Träumereien, die znrückgedrängt werden, wenn man mit anderen Menschen zusammen ist, wurden gerade durch die Einsamkeit, in der ich mich befand, hervorgerufen; und was ist wohl süßer, als diese eigenen wachen Träumet Und in welcher Menge stellten fie sich ein, wenn ich an dem steinernen Geländer unten am Flusse stand und diesem mit meinen Blicken folgte, wie er sich durch das Thal hinunter schlängelte! Ach, dann wogte es in meiner Seele! Diese Traumgebilde drängten sich in so dichten Massen in ihr hervor, wie Menschcnschaaren, welche die Kirche ver lassen, wenn die Predigt zu Enve ist und die Orgel noch tönt. Was für eine sonderbare Veränderung war mit meinem Wesen vvr- gcgangcn? Zeh begann plötzlich da-s zu bewundern, und dies in so hohem Grade, wofür ich bisher völlig gleichgültig geblieben. War die Ursache hiervon, daß sowohl meine physische als moralische Natur durch die reine warme Lust des Südens in eine höhere Spannung versetzt und dadurch Fädigkeiten in meiner Seele erweckt worden waren, die bisher geschlummert? oder kam cS, weil die Gegend, in der ich jetzt lebte, Alles an Schönheit übertraf, was ich bisher gesehen? Und doch ist meine Kindheit an den Usern des Rheins hingeschwnnden, die so manche reizende Stelle besitzen! Nicht, daß ich sagen wollte, die Natnrschönheitcn, die am Rhein sich meinen Blicken eiugeprägt, könnten sich mit denen messen, welche die Umgegend des Toskanischen Ct°°° auszcichnen; nein, das ist nicht meine Meinung, kenn diese Gegend finde ich unübertrefflich schön! Denkt Euch, hinter dem Schloß dehnt sich das Ärnothal noch einige Meilen in die Gebirge hinein. In dem Thalc erhebt sich hier und da ein Hügel, ocr auf seinen Schultern entweder eine kleine Stadt, oder ein Lustschloß, oder'ein Kloster trägt, welche beiden letzteren er ost in schwellendem Lanbwaldc verbirgt; fernhin ragen die höchsten Gibst! der Apenninen empor. Wenn der Tag in seinem vollen Lichte steht und jeder Gegenstand im Thalc unten erkennbar ist, scheinen diese Gipfel, weit, weit entfernt zu scpn; aber wenn der Abend kommt und ein Ihcilweiscs Dunkel das Thal cinhüllt, ist cs, als wenn sie ver traulicher würden, als wenn sie näher träten, — vielleicht ans Neu gierde, um auf die vielen kleinen Geschichten zu horchen, die dann ringsumher vor den Thürschwellcn erzählt werden. Auf dem Scheitel desselben Hügels, an dessen Fuße das jetzige Schloß liegt, erheben sich die gut erhaltenen Ruinen der alten Burg, zum Theil beschüttet und versteckt in grünen Büschen, deren Wurzel sich cinschlingcn und an ihnen nagen. Wie malerisch sicht diese düstere Burg aus mit ihren vielen Thürmen, umwogt von dem zarten Grün! und wie interessant ist cs, an den Kampf zu denken, den die friedliche Natur mit dem adlcrstolzcn Menschcnwcrke führt, diesen Kampf, den zarte Blumen und kleine Pflanzen gegen diese Mauern unternahmen, di« kein Widdcrkoxf brechen konnte, die Blumen und Pflanzen werden sie brechen! Und welche Aussicht eröffnen diese Manern dem Gedanken! Sic führen ihn in das ferne Mittelalter, eine Feit, die mich stets an- gciprochcn hat mit ihrem unaussprcchlichcu Jammer, unaussprechlich init Worten, den aber doch Mcperbccr in seinem Robert von der Normandie unS in Tonen geschildert. Ein anderer Gegenstand/der nicht minder stark zum Gedanken spricht, ist das Nonnenkloster, das schneeweiß zwischen dem Laube auf einem Hügel, St"" .gegenüber, hervorschimmert. Ja, cS vermag zum Gedanken zu reden, ein solches Nonnenkloster! Ich bin der Meinung, daß ich kcincsweges unter die Menschen gehöre, die unter dem Namen romantischer Schwärmer gehen, und doch habe ich ost nach diesem Kloster hingcblickt und bin so oft tief bewegt um seine Manern gewandelt, daß kaum eine Mutter, welche ihr einziges Kind da drinnen gehabt, es mit größerer Bewegung anschauen und nach ihm hinwandern gekonnt. Und muß cS nicht einen jeden ergreifen, an alle die Qual zu denken, die in einem solchen Hause in den Herzen schlägt? an alle diese schönen sausten Geschöpfe, die ein Gott, eben so eifersüchtig als ein Türki scher Sultan, sich selbst Vorbehalten hat? an alle diese schönen Ge schöpfe, dic durch Jahrhunderte, ohne ihre Bestimmung zu erreichen, wie ein ganzer Blüthcn-Mai dahingewelkt sind, den der FrühlingS- frosi gedrückt mw gclödtet hat, oder wie das Heer, von dem in der Schrift gesagt wird, daß es in einer einzigen Nacht erschlagen war? Ja, ab und zu, wenn die Lbendglockcn sich im Klosterrhurmc zu be wegen begannen und ihre monotone» zitternden Klagen über die Ge gend sandten, stürmte der Gedanke über all' das Elend, was auf dem Menschenleben ruht, so stark auf mich ein, daß eine Stimme mit Schrecken in meiner Brust zu rufen aufing: Laßt uns beten, laßt uns beten! — Ware ich einige Jahre jünger gewesen, wäre ich sicher dieser Stimme gefolgt und hatte mich ans dic Kniee geworfen, doch nun war ich zu kalt geworden, um mich hinreißen zu lassen; ich bestrebte mich, dic Stimme zunl Schweigen zu bringen, indem ich mich in dic Bcschauung der lieblichen Gegend vertiefte und mit dem Blick dem Arno in seinen vielen Windungen folgte. Wie wollüstig schlän gelte er sich durch das Thal! so spiegelblank hin durch Wiesen und Wälder und Gärten! nur kur; vor St°°° kräuselt er seine Ober fläche und läuft rascher. Was außer dem Arno noch beiträgt, diese Gegend so reizend zu machen, sind dic vielen Spuren von der Hand der Kunst; man sicht deutlich, wie diese thätig gewesen ist, geordnet und bereichert bat; aus St°" allein, mit welchem Fleißc hat sie hier geschaffen! zuerst das schöne Gebäude, und vor den-. Gebäude die vielen seltenen Blumen und Gewächse in den großen reichgear- bcitetcn Marmorvasen, und nun die ganze Anlage des Gartens mit seinen Statuen und Hellen Bassins. Wirft inan den Blick über St°°' Hinaus, so hat man fernhin am Horizont einen Gegenstand, welcher den Gedanken in ein Kunstreich von noch viel bedeutsamerer Ausdehnung führt: man erblickt dic Kuppel der Domkirche von Florenz, diesen großen Himmel, den Brnnrlleschi mit Ricsenhand gewölbt hat! — Ja, Ihr könnt glauben, daß eS eine schöne Gegend ist!!.... Mannigfaltiges. — Zur Kcnntniß des Patois. Die Französischen Dialekte haben zwar nicht, wie dic Jtaliänischen, mit denen wir uns in den belehrenden Artikeln des Herrn Ferrari beschäftigt haben, jeder selbst seine reiche Literatur und seine charakteristischen Volksvertreter, aber nicht minder besitzen sie, wie diese, jeder noch eine weite Herrschaft neben der allgemeinen Schriftsprache, die nur in einem vcrhältniß- mäßig kleinen Theile von Frankreich auch die Sprache des gewöhn lichen Lebens und des Volkes ist. Wie in Deutschland, finden wir auch in Frankreich die von der Dialcktcnge'chickttc Italiens sich unter scheidende Erscheinung, daß nicht die verschiedenen Provinzialmund- arten neben einander und fast in gleicher Berechtigung mit der Cen- tralschriftsprachc blühen und Früchte treiben, sondern daß eine nach der anderen Vie Feit ihrer Bliithc hat, und daß endlich, entweder in Folge einer stillschweigenden Uebercinknnst oder durch Bcsiegnng und allmälige Jurückdrängung der älteren Schwestern, die heutige Schrift sprache ans den Thron erhoben wird. Wie in Deutschland zuerst das fränkische der Karolinger, rann ras Schwäbische der Hohenstaufen und der Minnesinger, das Mitteldeutsche der Mcistcrsänzcr und das Ober sächsische Luthcr's prnmoi iuroe pnrox, gehuldigter Wahlkaiser unter den Reichsfürsten war, dis endlich v,c Bibel Uebersetzung des großen Refor mators den Ausschlag und zu Form und Entwickelung für alle folgende Zeiten dic Norm gab, eben so haben auch in Frankreich zuerst ras Proven^alische, dam, ras Normannische, daraus wieder (zur Zeit der Reformation) das Poitevittischc vor allen anderen Schwcsterdialckteu sich geltend gemacht, bis endlich die Akademie und das Jahrhundert Ludwig's XIV. der naturwüchsigen organischen Entwickelung der Sprache ein Ende machte nnd ein zwar gebildetes, aber auch aller Weiterbildung fast unfähiges Idiom zu einem Momente des eben so auf dic Sprache wie au; den Staat und dic Städte angewandten EcntralisalionS-Systems erhob. Neben diesem absoluten Neufran- zösisch wußten sich indessen, wenn auch in zurückgezogener und unter geordneter Stellung, die l.an^uv ä'ill im Süden unk die l.unguu nAUl im Norden ihre Herrschaft im Volke zu bewahren, das a» seiner Sprache nicht minder hängt, wie an seinem Boden und seinem Glauben. Es gab zwab eine Zeit, wo man zu Paris in vollem Ernste die Ausrottung des Patois für möglich hielt und schon An- statten traf, nm auch diejenige Eigcnibümlichkeft und Gediegenheit des Ausdrucks, dic sich in dic entfernteren Provinzen geflüchtet hatte, mit Stumpf und Stiel zu vernichten, dock ist man davon schon längst zurückgckommeu. Selbst Napoleon, dieser große Nivellircr, rcspektirtc doch jene Manifestation des Geistes, die in der Mannig faltigkeit der Dialekte liegt, und ließ sogar vor pincr amtlichen Statistik der Provinz Limousin ei» Licv in der Mundart der dortigen Landlcutc abdrucken. In der neuern Zeit haben sich in Frankreich zahlreiche Freunde des Patois so wie seiner vcr- schiedcncn Abzweigungen und Dichiungsarten gefunden. > Man hat angelangcn, die Väg-. (Lieder, dic so heißen, weil sie am häufigsten um Weihnachten gesungen zu werden pflegen) aller Provinzen zu sammeln und Wörterbücher und Sprachlehren hcranszugeben, so daß jetzt schon eine kleine Literatur dcr verschiedenen LandcSdialckte epistirt. Daß darin nicht bloß für den Freund dcr BolkSpocsie, sondern auch für den vergleichenden Sprachforscher eine Aufforderung zu neuen und interessanten Studien liegt, ist leicht zu begreifen. Daher ist cS gewiß eine Vielen willkommene Erscheinung, daß einer unserer Mit bürger, ein gründlicher Kcnncr dcS Französischen, so wie dcr Provcn- oalifchen Sprache und Literatur, so eben ein übersichtliches Werk zur Kenntnis» dcr verschiedenen unter dem Namen PatoiS bekannten Dialekte Frankreichs hcrauSgegebcn und zugleich mit einer Anthologie von Liedern aller Mundarten ausgestattec hat. Herr t>r. I. F. Schuakenbnrg giebt uns in seincm ,,'INbIo^u t>vu»pnguo «r enm- pceank Ue* lulmnui poinllairn.^ Oll pului^ äk la b'iaiieo"") einen Ueberblick dcr Territorialvcrthcilung der eben so mannigfaltigen, als von einander so wie vom Französischen selbst sehr abweichenden Dialekte, scrncr Materialien zur Gruppirnng dcr vielartigen Buch staben-, Sylben- und Wort-Umbildungen, dic sich am Ende eben so auf einfache Regeln zurückführen lassen, wie Vic Metamorphosen der verschiedenen Sprachen dcS großen Indo-Germanischen Sprach- stammcs, nach Anleitungen, wie sic Bopp in seiner vergleichenden Grammatik gegeben hat, nnd endlich nach dcr bereits erwähnten Anthologie eine Uebersetzung dcr Parabel vom verlorenen Sohn in sechsunkzwanzig verschiedenen Mundarten des südlichen unv des nördlichen Frankreichs. Wir können das sowohl nach den vorhan denen Quellen als nach eigenen vom Verfasser in Frankreich selbst angestcllten Beobachtungen mit vielem Fleiß bearbeitete Werk Alle» empfehlen, denen cS um allgemeine Sprachforschung überhaupt, so wie uni Erweiterung ihrer Kenntnisse des Französischen insbesondere, zu thnn ist. , ') Berlin, Albert Förllner, 1^4». HcrauSgegeben von der Redaktion der Allg. Preuß. Staals-Heining. Rcdigirt von I. Lehm an». Erdrückt bei A. W. Hayn.