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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration». Prei« 22h S?r. (- Wr.) riertcljädrlich, I THIr. für da- ganze Jahr, ahne Er höhung, in allen Theilen der Prcullischen Monarchie. a g a z i n für die Man prinumerir« auf diese« Literatur-Blau in Berlin in dar Erredition der ANg. Pr. Slaate-Zeimnq (Zriedrich»kr. Nr. 72); in der Provinz so wie im LuSlande bei deu Wohllöbl. PosI - «emiern. des Auslandes. 53. Berlin, Freitag den I. Mai 1840. Griechenland. Erinnerungen an deu Grafen von Kapodistrias, nebst Mitteilungen aus seiner Korrespondenz. Auf Korfu ist ein Grabmal mil der Inschrift: „Johannes Kapodistrias." Diese lakonische Kürze war ein schöner Gedanke, gup alle diejenigen, welche den berühmten Torten gekannt haben, besagen diese beiden Worte: hier ruht das edelste Herz. Für die Gleichgültigen bedeuten sie: die Geschichte wird Euch das Uebrige sagen. Wie oft aber sagt dieses die Geschichte nicht! Napoleon behauptete auf St. Helena, cs gäbe keine wahrhafte Geschichte. Erschiene sic früh, so würdc sic durch Borurtheile und eigennützige Befangenheit entstellt; erschiene sie spät, so fehlten ibr vie Mate rialien. Sie hält sich an die Thatsachen, aber die Lharsachcn sagen nichts von den Absichten, welche dcn inneren Werth der Handlungen bestimmen. Die Geschichte urthcilt meist nach dem Erfolge, der doch nicht in der Hand des Menschen liegt. Wie viele wirklich grosse Männer wurden nicht verkannt, weil sie unüberwindliche Schwierig keiten nicht besiegen konnten oder durch cinc Fatalität noch im Hafen zerschellten. Zum Glücke für den großen Mann, dessen Name oben genannt wurde, beginnt für ihn noch vie Geschichte zu rechter Zeit. Schon hat sich der Sturm der Leivcnschaftcn gelegt, und die späteren Erelgnissc dienen zur Erklärung derjenigen, mit denen er zu ringen hatte. Noch sind diejenigen, welche Zeugniß für ihn ablegen können, nicht vom Schauplatz abgctrctcn, und viele seiner Freunde sabcn mit Ungeduld dem Augenblick entgegen, der ibnen ein Geiämmthild eines Lebens geben würdc, dcsscn Bedeutsamkeit und Grössc ihnen jeder einzelne Zug, welcher zu ihrer Kenutniß gekommen war, dargcthan batte. Sie waren cs, welche schon lange den grossen Bürger auf die einzige seiner würdige Weise gerächt zu sehen wünschten, d. h. durch unwidersprcchliche Beweisstücke, wie sie seine jetzt erschienene Korrespondenz °) darbietcr. Gewiß wird die Sammlung seiner Briese ein hohes Interesse in Rußland erregen, wo Kapodistrias einen Nus hinterlassen hat, der noch die hohe Stellung überstrahlt, welche er dort cinnahm. Eine nicht minder günstige Ausnahme muß dieselbe in Gens finden, wo er entkleidet von jedem äußeren Schimmer lebte, um so mehr, als diese Stadt Ansprüche an ihn zu machen hat. Bekannt ist cs nämlich, daß ihm Genf, in Anerkennung der dem Kanton geleisteten Dienste, das Bürgerrecht crtheilte. Minder bekannt dürfte indcß der Vorfall sonn, der vic Enhcilung des Bürgerrechts veranlaßte. Am iolgenden Tage nach Ueberschickung des Bürgerbriefes äußerte an dcr Kaiserlichen Tafel einer dcr Hoilcuic, welcher wußtc, daß dieser Umstand noch nicht zur Kcnntniß des Kaisers gekommen war, und welcher dem Grafen bei dieser Gelegenheit ein Bein nnterzustellen hoffte: „Ich wünsche Zlmcn Glück, Grar; es hcißt, Sie wären jetzt Mitbürger der Herren Goldarbcüer »uo Krämer zu Genf." — „Wovon ist die Rede?" fragte der Kaiser. — „Ew. Majestät", sagte Kapodistrias, „die Stadt Gczif hat mir in dcr That das Bürgerrecht crthcilt. Ich hcvaure, daß mich oer Fürst °" um das Vergnügen gebracht hat, Ihnen zuerst diese Nachricht mitzutheilcn und Ihre Einwilligung nachzusuchen."— „Zch eeihcile Ihnen nicht nur vicsc", erwicdcrte dcr Kaiser, „sondern ich wünsche Ihnen auch aufrichtig Glück zu dieser ehrenvollen Auszeichnung, welche schwerer zu verdienen als zu belächeln sepn dürfte." — Als später die Griechische Revolution, deren Zeit ihm noch nicht gekommen schien, cinc Kollision zwischen seinen Neigungen und seinen Amtspflichten bcrbciführtc, legte er seine Stelle als Minister und Staats-Sccrclair nieder nnd zog sich »ach Genf zurück. Wir alle in Genf haben diese schöne, edle Gestalt gekannt; wir alle haben ihn vier Jahre lang ohne ein anderes Abzeichen seines Standes, als eine äußerst einfache Tracht, in unseren Straßen und oms unseren Plätzen umherwandeln sehen. Er gehörte zu den cin- siedlcrischen Charakteren der besseren Art, welche auch in der lär mendsten Gesellschaft sich nicht selbst verlieren. Seine Unterhaltung war äußerst interessant. Sic war immer würdevoll, abcr ohne ab stoßende Trockenheit; cr war beredt, weil er immer gerade auf die Wahrheit losging. Schmidtmepcr erzählt, daß zu der Zeit, wo er als Gesandter an die Tagsatzung äbgesendct wurde, um wegen des Anschlusses von Genf an dcn Schweizer Bund zu unterhandeln, cr kilk.«r lreri!»> et Pul-Uee pur l'vu de dcn Grafen Kapodistrias über mehrere schwierige Punkte um Rath fragte. Dieser, von dem man damals wohl kaum hätte vermutben dürfen, daß er die geringste Kunde von den Schweizer Verhältnissen habe, setzte ihm die ganze Sachlage, die Beziehungen zu den Nach barn, tue alten politischen Zustände und Vic Anforderungen dcr neuen Zeit so, klar nnd so überzeugend aus einander, daß Schmidtmepcr glaubte, sie beide hätten die Rollen vertauscht, und dcr wahre Ab- geordnctc Genfs ständc vor ihm. Er befolgte aufs genauste die ihm ertheiltcn Nathschläae, und sic wurden vom vollständigsten Erfolge gekrönt. „Unsere Mitbürger", sagte derselbe oft hinterher, „hielten uns für Orakel, während »vir doch kein anderes Verdienst chatten, als Ohren gehabt zu haben." Der hohen geistigen Begabung Kapodistrias' stand gewiß die Aus bildung seiner gcmüthlichen und Gefühls-Anlagen nicht nach. Beson ders zeichnete ihn cinc echte Frömmigkeit aus. Seine beiden täglichen Lektüren waren Plutarch und das Evangelium. Das letztere las cr im Original. „Hier", sagte cr, „sinve ich Erholung Gon Allem. Bald ist man mit dcr Welt zu Endc; mir hicr finde ich Neues. Man hat wohl gethan, cs das ncuc Testament zu heißen." So lebte dcr edle Einsiedler in Genf. Indcß verlor cr das unglückliche Land, welches er als sein Vaterland ansah, nicht aus dcn Augcn. Er war der eigentliche Hebel dessen, was für Griechen land geschah, nnd seine Unthätigkcit war mir scheinbar. Schon war er der Protektor und moralische Präsident Griechenlands in der Ver bannung, denn er empfing die Jugend mit väterlicher Theilnahme, die Wichtigthucr und Windmacher mit kalter Würde, die unglück lichen Greise mit freundlichem Wohlwollcn. Aber die Verbündeten, welche Griechenland gerettet hatten, drohten, es von neuem durch ihre Zwietracht jnS Verderben zu stürzen. ES war Zeit, daß er aus seiner Verborgenheit hcrvortrat. Er machte sich auf den Weg nach Rußland, dcsscn Einwilligung und Schutz ihm nöthig waren. Unter- wcgcs erhielt cr die Nachricht von seiner Ernennung zum Präsidenten. Run löste er alle Bande, welche ihn an Rußland knüpften, und schlug die Pension aus, welche ihm dcr Kaiser anbot. Ich sah und sprach ihn auf seiner Durchreise durch Genf. Er war offenbar in einer Stimmung, wo mau dringend das Bcdürfniß empfindet, das übervolle Herz auszuscbüttcn. Die AeNkerung seiner Stellung hatte nicht dcn geringsten Wechsel in seinem Bcncbmen nnd seinem Tone hervvrgcbracht, außer daß sie ihm einen gewissen An strich von Schwermut- gab, aber von dcr Schwermut-, welche nicht aus einem Mangel an Muth, sondern aus einem Mangel an Hoff nung entspringt. „Ich mag keine Glückwünsche", sagte er, „wcil in meinem Entschlusse weder Freude, noch Schmerz, noch Verdienst liegt. Gott leitet uns oft so auf einen Weg hin, daß wir keine Wahl be halten. Gewiß, wir bewahren immer unseren freien Willen, aber das Thor ist hinter unö geschloffen, und die Seitcnwändc sind so cng au einander gerückt, daß wir vorwärts müssen, wohin auch dcr Aus gang führen möge. Dies ist nicin Fall. Mein Ursprung, meine Neigung, meine Stellung zu dcn Rcgicrungen haben die Wahl auf mich gclcnkt, und dieselben Gründe haben mich zur Annahme bewo gen. ES ist hicr von kcincr Aufopferung die Rede, denn ich konnte mich nicht weigern, ohne zu erklären, baß ich an dem Lande verzweifle, und daß mir meine Person lieber scp als meine Pflichten. Sie fragen mich, ob ich Hoffnung habe. In Betreff meiner, nein; in Betreff Griechenlands, ja. Ich vertraue aus unsere Kinder, aus denen wir mit GottcS Hülfe etwas machen werden. Dieser Gedanke soll mir beständig vorschwebcn. Sonst erwarte ich überall nur Schwie rigkeiten, Herzlcid und, wenn das Glück gut ist, einen Dolch." — Diese letzte Acußcpung machte mich schaudern. „Unmöglich", sagte ich, „wenn sich eine verbrecherische Hand fände, würden Sie nicht Verthcidiger, eine Wache haben?" — „Nichts von Allem", erwicdcrte cr mit dcr Nuhc cincs festem Entschlusses; „weder einen Soldaten, noch eine Waffe. So wie Sic mich hicr in Genf haben umbcrgchcn sehen, so wird man mich auch in Acgina und Nauplia sehen, äußer daß vielleicht meine abgetragenen Kleider einer Erneuerung bedürftig sind. Wenn Gott will, daß ich lebe, so werde ich geschützt genug sepn; wo nicht, so ist mir das ein Beweis, daß cs eines Anderen bedarf- Glauben Sie mw ja nicht, daß mich dicse Aussicht beben macht. Wenn man die Sonnenhöhe des Lebens ühcrschrittcn hat und nur noch niedcrsteigen kann, wenn man, wie ich, so ziemlich Alles kennt, was die Erde zu bieten hat, was wollen dann zwei, drei, zehn Jahre mehr sagen? ES ist nicht der Mühe werth, sich darüber zu beküm mern, wenn man weiß, daß man es anderwärts besser findet. Aber cs ist noch ein anderer Gedanke, gcgcn dcn ich nicht so gut gewapp-