Volltext Seite (XML)
188 Strömen auf die Straßen, die Kaffeehäuser und Kaufläden sind er leuchtet, die Schenken hallen wieder von dem Jubel der Matrosen aus allen Nationen, während die herumziehcnven Banden der Musi kanten und Sänger einen Schwarm von zierlichen Frauen an die Fenster und Balkonc locken, so daß man sich nach Sevilla oder Cordova versetzt glaubt. Von der Secscite ist das Gemälde noch reizender; während der ganzen Nacht sind die Häsen von Tausenden von Barken durchkreuzt, die Fanale an ihren Vordertheilen ausgc- steckt haben, was eine wahrhaft zauberische Wirkung hervorbringi und vergessen läßt, daß in dieser lärmenden und fröhlichen Stadt vielleicht ein Drittel der Bewohner kein Mittagbrov gegessen hat. Frankreich. Die Marine-Aristokratie vor der Revolution. °) Obgleich ich vor meiner ersten Reise nach Brest keinen Kriegs- Hafen gesehen, so war ich doch von dem Anblick des dortigen Hafens wenig überrascht. Ich fand ihn klein, eng, ärmlich. Desto mehr erregte der Anblick der Brester Bevölkerung mein Staunen. Ich fand ein Volk, bei dem ich vergebens einen eigenthümlichen Rational- Charakter suchte, und dem überhaupt nichts von dem glich, was ich dis dahin gesehen- Es waren weder Europäer, noch Asiaten, nock> Afrikaner, aber etwas von allem diesen zugleich. Brest halte in seinem Hasen so viele jener großen von Renegaten aller Volker wimmelnden Geschwader ausgenommen, daß seine Bevölkerung blei bende Spuren davon behielt und eine Musterkartc aller Nationen, aller Farben und Klimate barstelltc, vom thranichtcn Lappländer bis zum Neger der Feucrküstc, vom überfirnißtcn Chinesen bis zum Mohikaner der großen Seen. Trotzdem gab cs um 178» in Frankreich keine andere Stadt, in der die Adels-Porurtheilc noch so fest wurzelten. Revolutionairc Ideen machten hier wie überall Fortschritte, aber ohne den aristo kratischen Despotismus der Marine zerstören zu können. Dieses Corps thcilte sich damals in zwei streng geschiedene Kategoriccn, deren eine, an Zahl, Vermögen und Einflup die stärkere und aus dem Adel rekrutirt, das sogenannte „große Corps" bildete, während die andere, fast unbemerkt, arm und verachtet, auS den Abenteurern bestand, die der Zufall oder auch das Verdienst aus der Klasse der Steuermänner cmporgchohcn und die man mit dem Namen: „die blauen Offiziere" bezeichnete. Ehe sie in das „große Corps" ausgenommen wurden, mußten die Sohne adliger Familien die Schule der Flaggen-Garbe durch- machen, die, sehr seltene Ausnahmen abgerechnet, ihnen allein offen stand. Diese einer sehr schlaffen Disziplin unterworfene Schule war für Brest eine Quelle beständiger Unordnungen. Nichts vermochte diese verdorbene, eitle Jugcnv zu zügeln, die, auf dem väterlichen Gut an die höfische Kriecherei zitternder Vasallen gewöhnt, nun auf einmal ohne Führer, mit einer Uniform und einem Degen, mitten in die Ausgelassenheiten des Seelchens hincingeworfcn ward. Bei den alten Üffizicren war der Ucbermnth des Adclstolzes wenigstens durch Erfahrung und gesunden Menschenverstand etwas gemäßigt: die Reibungen der Welt hatten das Verletzende desselben abgestumpft; das Alter kühlte die Gluth der Leidenschaften; bei diesen Kindern konnte man das nicht erwarten. Ihre Eitelkeit äußerte sich in ihrer ganzen Naivctat; sie machte» sich auS ihrer Frechheit eine Ehrcu- fache: sic setzten einen Vorzug darein, sich unausstehlich zu machen, und blinkten sich nie unverschämt, nie grob genug. Daher waren sic auch in der Stadt unumschränkte Herren und betrugen sich darin wie Eroberer. Alles, was nicht, wie sic, rothe Hosen und Strümpfe trug, ward von chncn angcfcindct. Der Bür ger haltc nicht bloß die Aeußerungcn eines verachtenden Stolzes zu ertragen, sondern die täglichen Kränkungen und Neckereien aussichts loser Schüler, Beleidigungen von solcher Art und Menge, wie sic die Fugen der solidesten Geduld ausciuanberrcißen müssen. Da gab cS kein Mittel, diesen Angriffen anszuwcichcn; sic be drohten den Bürger überall, auf den Promenaden, im Theater, ja im eigenen Hause. Besonders des Nachts war Keiner davor sicher. Oft ward man im besten Schlafe von einer weinerlichen Stimme geweckt, die einen bei Namen ries. Man lief ans Fenster, und kaum hatte man den Kops herausgesteckt, als eine Bürste einem vaS Ge sicht mit Ocl cinseiftc, unter schallendem Gelächter der Marine- Kadetten, welche dem Barbier die Leiter hielten. Ein andermal fand man beim Aufstehcn früh Morgens weder Thür noch Fenster zur ebenen Erve, Alles war während der Nacht vermauert worden. Hier hatte man Schilder vertauscht, so daß z. B- das Schild einer Hebeammc unter den Fenstern einer Pensions-Anstalt für junge Mädchen zu lesen war; dort hatte man eine Laterne in den öffent lichen Brunncn hinabgesenkt, während der Eimer des Brunnens an dem Pfahl der Laterne hing. Doch beschränkte sich der Uebcrmuth der Flaggenwächtcr nicht auf diese individuellen und versteckten Späße; zuweilen traf er auch die ganze Bevölkerung. So verabredeten sie einmal unter sich, daß an L>cm und dem Tage kein Thcatcr scpn sollc, und wenn Du dann ') Aus Souveücc's eben erschienenen „slSmoirr» »'m, Sau.---»!»«? beeioo", in welche auch die sei,her von diesem Verfasser nntgetheilien Artikel „die SchreckenSieii m der Bretagne", „die Hranwnsche Provinz vor dem Ausbruch der Revolution" u. s. w. tvgl. Nr. 1ZZ des vonäbriqen und Nr. 12 und n> des dieSlaortgen Magazins) ausgenommen sind. mit Deiner Tochter odcr Frau kamst, um das Stück zu sehen, stan den zwei von diesen Herren an der Thür, die Mütze über die Ohren, den Degen in der Hand, und riefen Dir ganz ruhig entgegen: „Man wird nicht eingelassen!" wobei sic Dir die Degenspitze dicht vor die Nase hielten, so daß einem nichts übrig blieb, als umzu- tehrcn. — Ein andermal war ciu öffentlicher Spaziergang auf diese Weise versperrt; denen, die vorübergchen wollten, rief man entgegen: „Die Marine-Wächter wollen promcnircn, Monsieur!" Und man mußte sich zurückzichcn. Früher war dieser Uebcrmuth noch weiter gegangen; die höheren Offiziere hatten selbst das Beispiel dazu gegeben. Man spannte in den Quergassen Netze aus, in welchen man die jungen Mägde fing, die des Nachts mit Laternen ausgingen, um ihre Herrschaften zu holen, und ließ sie nicht eher als am folgenden Morgen los. Selbst die Damen konnten sich des Nachts nicht aus der Straße zeigen, ohne sich Beschimpfungen auSzuscßcn. Die Tochter eines Kaufmanns auf der Straße der „sieben Heiligen" wurde bei der Heimkehr vom Abendgebet entführt, und als man sie acht Tage später ihrem Vater wiedergab, war sic wahnsinnig! Dieses Mal machte die Sache Lärm: das Volk murrte; man fand den Spaß etwas zu stark, und die Chefs wollten an den vier Offizieren, welche sich die Ent führung erlaubt hatten, ein Erempcl statuircn. Sic bekamen Arrest und würben vcrurtheilt, die Tochter des Kaufmanns auf ihre Kosten ins Hospital zu geben. Nm dieselbe Zeit geschah eS, daß ein Fregatten-Capitain, der nach Indien abging, seine Gläubiger an Bord vcrsammellc, den Anker lichten ließ und sic erst zwanzig Meilen von Brest ans Land setzte, nachdem sie ihm Quittungen über ihre Forderungen ausgestellt. Dieses Bubenstück blieb unbestraft. Wenn schon das Bcnchmcn der Osfizierc von der Art war, so kann inan sich daraus cinc» Begriff von dem der Matrosen machen. Der Uebcrmuth der Chefs diente dem ihrer Leute zum Muster und zur Entschuldigung. Mannschaften, die eben von einer Seefahrt zu- rstckkehrten, bemächtigten sich der Stadt, wie eines geenterten Schisses. Dann mußte man die Kinder und Frauen in Sicherheit bringen, Vic Fenster zumachc», die Vorhänge herablasscn; denn der Blick konnte nicht auf die Straße fallen, ohne einem blutigen odcr obscönen Schauspiel zu begegnen. War cs aber erst Nacht geworden, dann hörte man nichts als wüthcUocS Geheul, Mordgeschrei und das Toben der Trunkenbolde. Die Stadt ward dann eine Mördcrhöhlc. Die Matrosen und die Soldaten schlugen sich in jeder Quergasse, ohne baß Jemand daran dachte, diesem Unwesen Einhalt zu thun, und ohne baß der friedliche Bürger etwas so Alltägliches seiner Be achtung würdigte. Nur am anderen Morgen blieben Vie Milchfrauen, die vom Lande hcreinkamcn, einen Augenblick bci den Leichnamen stehen, welche die Orgie auf dem Schlachtfeld zurückgclassen, und sagten wohl^ „Es sind gewiß Königliche Schisse im Hafen", während der Bürger, vor dessen Hauö der Mann gefallen war, Vie Schwelle unv das Pflaster reinigen ließ und sich dann ruhig frühstücken setzte, Ich habe schon gesagt, dieser Zustand- der Dinge änderte sich um 178». Das Marine-Corps mußte wohl etwas vorsichtiger gegen die Einwohner werden, die nicht mehr so geduldig wie früher waren. Doch die Trennung zwischen dem „großen EorpS" und den Offizieren ohne Geburt blieb dieselbe; cS warcn immer die „blauen Offiziere" odcr die „Eindringlinge", wie mau sie nannte: Männer von Ciscn, Vie, unbekümmert um den Verruf, der auf ihnen lastete, ihre» Weg vorwärts gingen, deren Muth unv Talent den Spöttereien zum Trotz tagtäglich zuuahm, und die sich den Zugang in das aristokratische Corps wie auf bas Verdeck eines Englnchen ScbiffcS gebahnt hatten, die Pjstolc in der Faust und die Art in dcp Hand. (Schluß folgt.) . Mannigfaltiges. — Prosessor'Frics in Schweben. Als cincn empfindlichen Verlust für die Wissenschaft betrachten Vic Sckwevcn Vas zu Ende dcs vorigen ZahrcS erfolgte Ableben des Professors der Natur wissenschaften, I)r. B. F- Fries in Upsala. Obwohl erst 4» Jahre alt — Fries war ick I- 17»» in der Provinz Schonen geboren — hatte der Verstorbene doch schon einrn so bedeutenden Ruf in seinem Vaterlande erlangt, daß man in ihm bereits einen zweiten Linnö erblickte. Er hatte feine Stuvicn mit der Rechtswissenschaft begonnen, ging jedoch von derselben, die ihn nicht zu fessel» vermochte, zur Medizin über und warv, nachdem er den Doktorgrad sich erworben, Regiments-Arzt bci de» Garvc-Dragoncrn von Schonen, von welcher Stellung er, zur Anerkennung seiner Verdienste uni die wissenschaft lichen Museen in Lund und Stockholm, die er durch merkwürdige neue Sammlungen (namentlich von Präparaten aller Arten Tkier- gchirne) bereichert hatte, im I. 1828'als Lehrer der Naturgeschichte an die Universität Upsala versetzt wurde. Bon dort aus hat er seit dem für den Ruhm und seine Wissenschaft auf gleiche Weise gewirkt, bis ihn der Tod beiden viel zu früh entrissen hat. — Peninsular-Magazin. Unter diesem Titel wird in Lon don cinc ncuc Englische Vlertcljahrsscbrift angekündigt, welche vic Kcnntniß der Literatur des südliche» Europas, namentlich aber Spa nicns und Portugals, im nördlichen mehr verbreiten soll. Als Herausgeber dieser Zeitschrift wird Nr. H. dc Lazcu genannt, der in England als Kenner der Spanische» Sprache und Literatur sehr geschätzt wird. Herausgegebcn von vcr Redaktion der Allg. Preuß. Staals-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann. Gcdruckr bci A. W. Hahn.