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Wöchentlich erscheine» drei Nummer». Prammirraüons- Prci« 22j Sgr. Th!r.) vierteljährlich, Z Thlr. iür da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in alle» Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man rrönnmerirt auf dieser Literatur-Blatt in Berlin in der Erpcdition der Mg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichrstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei de« Wokllöbl. Poll-Aemtern. Literatur des Auslandes. 46. Berlin, Mittwoch den 15. April 1840. Belgien. Das Schiller-Festmahl. Die nachfolgende Beschreibung des Festmahls zur Feier der Auf richtung des Schiller-Denkmals und die damit verbundene Apologie der Belgischen Rationalität ist dem schon erwähnten Werke des Ba rons Reichenberg: „8<>iiv»nirx ü'un G'Ioriinixo NII IRoiiiwiir <Ie 8okil!er", entnommen. Man wird die letztere vielleicht um so eher mit in den Kauf nehmen, da der Verfechter derselben sich als einen so enthusiastischen Verehrer des Deutschen Dichters zeigt, dem zu Ehren er seine Wallfahrt unternommen hat. „Das Festmahl war um I Uhr eingesetzt. Der Saal war präch tig, die Gesellschaft gewählt, die Tafel reich besetzt. Höchstens fehlte eS an der Möglichkeit, zu essen, und dies kömmt doch immer nur wenig in Betracht bei einer Veranlassung, wo weniger der Magen als der Geist und das Herz befriedigt werden sollen. Die Gaste strömten herzu: Minister, Staats-Beamte, Professoren, Literaten, Künstler und Räthe ohne Zahl und Ende. Als in Frankreich die Aemter noch verkäuflich waren, gab es eine Unzahl von Königlichen Secretairen, es regnete förmlich Secrctairc: Königliche Sccrctairc für das Messen der Kohlen, Königliche Sccrctairc, wclche die Schweine beschauten. So arg ist es nun in Deutschland nicht, ob gleich die Titel Hofrath und Geheimerath zn den häufigsten gehören. Der aristokratische Theil des Ministeriums hatte sich nicht ein- gefunden. Der Graf von Beroldingen und der Baron von Hügel schlten; aber die Minister der Justiz, dcr Finanzen und des Innern, mit einem Worte der bürgerliche Theil des Ministeriums, waren erschienen. An der Tafel konnte sich die Etikette eben so wenig wie auf den Tribünen geltend machen. Rur waren die ersten Plätze dem Präsidenten des Schiller'-Ausschusses und dem Burgemeister eingc- räumt worden. Am unteren Ende der Tafel bemerkte ich eine Art von Geistlichen, dcr mit mchrercn Orden geschmückt war. Derselbe trug einen einfachen schwarzen Frack. Ich erfuhr, dasi es der katho lische Bischof des Landes scy, Se. Hochwürden von Keller, dcr L>cb- ling dcs Hofes und des Ministeriums und der nachgiebigste und versöhnlichste Charakter in allen Beziehungen dcs Katholizismus zu dcn anderen Neligionsformcn. Mich schmerzte eS, einen Prälaten an einein weltlichen Feste in den äußersten Winkel gebannt zu schc», und ich sprach mein Bedauern gegen ihn aus. Er antwortete mit großer Zurückhaltung, ohne jedoch in Abrede zu stellen, daß in Belgien die katholische Religion noch die geachtetste Stellung ein- nchme. Die Gesundheiten sind ein alter und feierlicher Brauch, der weniger dcr Gastronomie als der Beredsamkeit zugute kömmt. Es dauerte nicht lange, bis diese die Gaste ihr unfreiwilliges Fasten vergessen ließen. Die Gesundheiten werden von den nordischen Völkern, welche man immer für kalt hält, mit einer Wärme auS- gcbracht, die alle Schranken des Temperaments durchbricht. Sic rsdcn mit erhobener, begeisterter Stimme, und ans jeden Toast folgt cm lautes Hock! Herr von Reinbcck brachte zuerst die Gesundheit des Königs von Württemberg in Vorschlag. Dann trank Menzel HZ/inem beblümten nnd rhetorisch geschmückten Spruche dem Genius zu. Eine Menge anderer Gesundheiten folgten. Hierauf gab Bruce, der Englische Dolmetscher Schiller's, in cinrr dem Aus- ec^^ inkorrekten, aber den Ideen nnd Anschauungen nach ganz ^kuncven Improvisation der Bewunderung seiner Landsleute für den Verfasser des Don Carlos Worte, wobei er sich nwr» koutvnic«, begeisterte und eine große Wirkung hervorbrachte. Endlich trat auch noch Jemand ans, der, ohne die Stimme so laut wie seine Vor gänger zu erhe.c,,, die Theilnahme Belgiens für jede geistige Größe auSsprach. cigicii, meinte er, sev vermöge seines Ursprungs, seiner geistigen Richtung und seiner Neigungen das <Lchwcstcrvolk Deutsch lands. Unter dem Scepter eines Königs, der Deutschland durch Vie Geburt angchorc, empfinde es das Bcdürfniß, die alten Frennd- schaftsbandc fester zu knüpfen. Indem cr-Schiller huldige, bezeige er dem Deutschen Geiste seine Verehrung. Zugleich suchte er zu beweisen, daß dieses Land nur nach dem Einstune dcr Arbcit und dcs Gcdankens strebe, und daß cs der Menschheit dcn großen Dienst crwcisc, zu zeigen, wie die Freiheit sich sehr wobl mit der Ordnung vertrage. Diese Reden fanden Beifall und erregten Verwunderung, denn cS scheint einmal Belgiens Schicksal zu sepn, verkannt zu werden. Man antwortete mir indeß: Brechet mit Frankreich; Ihr srpd Söhne Deutschlands, werdet wieder Deutsche, dem Herzen und der That nach, und wir werden Euch als Glieder der großen Familie Vcrtheivigen. Ich entgegnete: Wir fühlen den ganzen Werth einer solchen Verbindung. Deutschland, welches uns bisher mißtrauisch und feind selig betrachtete, erfüllt unsere theuerstcn Wünsche, indem eS uns wohlwollend cntgegenkömmt. Aber mit Frankreich können wir nicht brechen, ohne uns der schwärzesten Undankbarkeit schuldig zu machen. Wenn Belgien aus den Stürmen gerettet worden ist, mit denen es in dcn lctzten Jahrcn zu kämpfen hatte, so verdankt cs dies allein England und Frankreich, die cü sicher in dcn Hafen geleitet haben. Wollte Belgien in seiner Vermessenheit sich dem mächtigen Lande cntgcgcnstcllcn, durch dessen Schutz es rristirt, wie lange würde ein so unsinniges Betragen wohl olmc Züchtigung bleiben k Frankreich könnte, ohne auch nur zu den Waffen zu greifen, Belgiens Haupt- HülfSqucllen mit einem Schlage versiegen machen. In moralischer Beziehung ist Belgien von Niemand abhängig. In dem Belgischen Volke findet sich ein Germanisches und ein Gallisches Element, welche aber so gemischt sind, daß die Belgier weder als Deutsche noch als Franzosen angesehen werden können. Sie sind ein eigenes Völk, mit einer bestimmt ausgeprägten Eigen- thümlichkcit. Indem Belgien Frankreich liebt, Deutschland schätzt, bewahrt cS seinen Charakter und seine Sitten. Nothwcndigerwerse muß dcr tägliche Umgang und dcr Einfluß eincr mächtigen Nachbar- Nation deren Ideen und Gewohnheiten verbreiten; aber im Ganzen treffen diese Einwirkungen mehr das Acußerliche als das Innere. Wenn man nnS räth, das literarische Joch Frankreichs abzu- schütteln, so liegt darin zugleich die Aufforderung, die Französische Sprache für die Flamändische aufzugeben. In der That könnte die Nationalität, wenn das Flamändische allgemein verbreitet wäre, nur dabei gewinnen, und die Invasion ausländischer Ideen wäre weniger zu fürchtcn. Die Niederländische Negierung hat dieses Ziel verfolgt, mau weiß mit wie wenigem Glücke. Das Französische ist in Belgien keine neue Mode, keine ungeschickte, sklavische Nachabmuug, keine lächerliche Nachäfferei. Seitdem die neueren Nationen sich auf dcn Trümmern des Römischen Reiches erhoben haben, steht die Ro manische Sprache in Belgien der Deutschen gegenüber. Wenn aber zwei Prinzipien sich bekämpfen, trägt das bildendste immer den Sieg davon. So bat cS sich gemacht, daß die Romanische Sprache, welche in-einer Hälfte dcr Provinzcn die volkSthümlichc ist, die gelehrte Sprache der anderen geworden, und daß ihre Verbreitung mit jedem Tage znnimmt. Wenn man sic ächtet, verleugnet man die ganze Vergangenheit. Der Flamändcr verdient gebildet zu sepn, er ist biegsam, poetisch, reich auSgcstattet, aber das Talent genügt nicht. Man gelangt nicht zum Ruhm, indem man für seinen Later, seine Mutter, seine Basen und seine Hausfreunde schreibt: die Literatur bedarf des Umlautes, des Ideenaustausches. Wer nur Flamänvisch spricht, dcr abstrahirt von Europa, auch Deutschland nicht ausgenom men, wo diese Sprache nur einigen Gelehrten bekannt ist. Ohne die Form giebt cS keine Literatur; aber diese geht nicht ganz in die Form auf. Der Geist belebt seine Hülle, der Geist ist mehr als das Werk zeug, welches er gebraucht. Die literarische Nationalität besteht also nicht sowohl darin, daß man sich dieser oder jener Sprache bedient, sondern in einer cigcnthümlichen Art zu denken und zu empfinden. Indem wir als Franzosen schreiben, als Belgier fühlen, bewahren wir unsere Eigenthümlichkeit, olmc uns von der Welt loSzusagcn. In Hinsicht ihrer wissenschaftlichen Richtung, hinsichtlich dcr Art, zu beobachrcn und die beobachteten Erscheinungen zu erklären, ja sogar hinsichtlich der poetischen Anschauung stehen die Belgier dcn Deut schen näher als den Franzosen. Obschon sic weniger idealistisch sind als jene, so baden sic dock» mehr Ernst und Ausdauer als dicse. Sic sind geeignet, die Dolmetscher Deutschlands zu werden. Ich glaube sagen zu dürfen, ohne die Beschuldigung dcr National-Eitelkeit auf mich zu ziehen, dasi die Belgier nur gekannt zu werden brauchen, um die Achtung dcr anderen Völker zu gewinnen. Mit Deutschland verbunden, werden sic bei diesem einen ehrenvollen Schutz finde», wogegen sic ibrcrscitS dessen Einfluß verdoppeln werden, indem sic dic Dcutscbcn Anschauungen und Erfindungen mit dem Französischen Geist und Geschmack in Einklang bringen. Nichts von dem würde aber stattfiudcn, wenn wir die Flamändische Sprache zu unserer Schriftsprache macke» wollten, um, wenn es möglich wäre, diese Unmöglickkeit ins Werk zu setzen. Obschon ich zu meinem Bedauern sehen mußte, wie tief eingc- wnrzeit dcr Haß gegen Frankreich in mauchcn sonst edlen Gemütbern