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W»»xnNich exschxtnm drei Nummern. PränUmerltlon«. Preis 22j Sgr. sj Td<r.) rierteljädrlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ahne Sr- HSHung, in allen Zdeilen »er Prcnßischen Monarchie. a g a z i n für die Man prLnumerirt auf diese« Literatur < Dialt in Berlin in der Expedition der AUg. Pr. Staatk-Zeitung (Zriedrjchsstr. Nr. 72); in ter Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post - Semtern. des Auslandes. 44. Berlin, Freitag den 10. April 1840. Frankreich. Der Humanitäts-Enthusiasmus vor der Revolution. Von Lacretelle. > Bald nach meiner Ankunft in Paris im Jahre 1787 ward ich durch meinen Bruder iu philosophische Zirkel eingeführt, in welchen jeder Sokrates des Tages seine Aspasia hatte unv wo mehr als Ein Alcibiades glänzte. Unter den Letzteren verstehe ich die jungen Adligen, welche eben von dem Amerikanischen Unabhängigkeitskriege zurückackehrt waren. Damals bildeten die Parlamente eine drohende Opposition gegen den Hof, unterstützt von den Provinzialstänvcn, den Privilcgirten unv dem Klerus, Vie, um nur nicht die öffentlichen Lasten tragen zu helfen, sich wie die unbändigsten Bolkstribunen gc- berdeten. Schon erhob die Empörung ihr Haupt in einigen Pro vinzen. Ein großer Schlag war geschehen: Vie Parlamente hatten die Berufung der NeichSstände bewirkt, welche Hof, Parlamente, Landstaude und jede Art von Vorrechten, so wie Klerus, Monarchie und Religion, in einen und denselben Abgrund hinabziehen sollten. Die philosophischen Zirkel freuten sich über diesen Fortlchritt; sie er kannten darin eine günstige Gelegenheit, die Geschicke des Menschen geschlechts ohne allen Kampf in ganz philosophischer Weise umzu- gestalten. Man sah mit Entzücken „die sanfteste und menschlichste aller Revolutionen" herannahen. Seit einem halben Jahrhundert von Philosophen geistig vorbereitet, konnte sie ja nicht anders als den Charakter der Humanität und Geistesfreiheit an sich tragen. DaS Gebäude der Mißbräuche war schon von der Zeit zu sehr erschüttert, als daß es vieler oder heftiger Schläge bedürfen sollte, eS zu zcr- störcu, und ein schöner Bau in Griechischem Stpl sollte bald die Stelle der romantischen Burg dcS Mittelalters ciunchmen. Die Phantasie stellte sich die „Ideen des Jahrhunderts" als ein Fluidum von wunderbarer Elastizität unv fast gleicher Geschwindigkeit mit dem des Sonnenlichts vor; die niederen Geister hoffte man ver mittelst der Condillacschen Logik, eines neuen Moral-Katechismus und einer guten Erklärung der Menschenrechte allmälig auf den Standpunkt der höheren zu erheben. Bis dahin, glaubte man, würden die noch unwissenden Klassen sich der Leitung ver Weisen gelehrig anvertrauen und sie mit Hingebung unterstützen. Der König war wohlwollcnv und leicht zu gewinnen; die Minister batten sich alle, einer nach dem anderen, unter das Joch ver öffentlichen Mei nung beugen müssen; wider Willen wurden sie die Minister dieser allmächtigen Königin. Hatte sic nicht so eben die stolzen Parlamente selbst unterworfen und sie zu einer, wenn nicht feindseligeren, doch gefährlicheren Opposition, als die der Fronde war, fortgeriffen? Es war die Frage, wer mehr leitete oder sich luten ließ, der Tribun d'EpresMenil, dessen Befehlen die Schreiber des Parlaments gehorchen wußten, oder diese Schreiber, die durch ihre Acclamativncn auf das Benehmen des ParlamentSraths cinwirkten. Es ist wahr: die alten Adligen, die alten Prälaten und Mönche wollten nicht recht einsehen, was sie dabei gewänne», wenn inan ihnen ih^ Vorrechte, ihre Titel und den größten Theil ihres Ver- »ahm; dego bereitwilliger fügten sich die jungen Adligen, und besonders die des Hofes, in diese Opfer; es waren eben so » k Cincinnatusse, die von dem Amerikanischen Kriege zurück- Arttn; trugen sie doch schon die Dccoration des Cincinnatns-OrdcnS. Murren der Kirchenfürstcn, deren einige eine gleiche oder größere Emnabme hatten, als mancher Deutsche Fürst, setzte man den Patriotismus und den wahrhaft evangelischen Geist der Pfarrer entgegen, die von dem ihren Bischöfen entzogenen Uebcrflusi das Ihrige bekommen und zur Bewerbung um Bisthümer zngclaffcn werden sollten. Eben so mochten die alten Mönche nicht gern auS ihrer etwas uppigvn Ruhe aufgeschcucht werden; desto mehr mußten sich die jungen Mouche freuen, ihr«. Freiheit wieder zu bekommen. Endlich glaubte man, selbst in, Fall cS eine Erschütterung gäbe, von ver sanftesten und gebildetsten aller Nationen in dem mensch lichsten und aufgeklärtesten der Jahrhunderte nichts Ernstliches be fürchten zu dürfen. . Damals spielte man zwei hübsche Komödien von Colin d'Har- lcville, die nur den Fehler haben, daß sie etwas zu sehr ZwillingS- schwcstern sind: „die Lustschlösser" und „der Optimist". Obgleich Eleganz und zarte Empfindungen in diesen Komödien für kräf tige Sccncn unv originelle Charaktere entschädigen mußten, so er heiterten sie doch alle Stirnen, und Jeder klatschte mit den Händen zu seinen eigenen Träumen und Lieblingstäuschungcn Beifall; ich schloß mich hierin ganz meinen jungen oder alten Nachbarn an, deren mancher sich in dem lustigen Träumer der beiden Komödien wicder- erkanntc und leise oder laut sprach: „Das bin ich, und das bin ich wicver." Zwar fanden wir, wenn wir im Foper plauderten, daß der Dichter etwas schüchtern gewesen sc-, daß cr das unsercr Zeit bevor stehende Glück noch sehr unvollständig gemalt habe. Mein Bruder, der sanfteste, unschuldigste und zugleich eingefleischteste aller Opti misten, behauptete, Colin d'Harlcvillc hätte mit etwas mehr Philo sophie ei» brillantes Bilv geliefert, und unterstützt von der lebbaften und fruchtbaren Phantasie seines Freundes Garat, zeichnete er ein Gemälde der Zukunft, welchem Vie Wirklichkeit nur zu bald einen schmerzlichen Kontrast cntgegenstellte. DaS war der Geist ver philosophischen Zirkel, welchen ich im Alter von 2l Jahre» meinen Tribut in schönen Träumen zahlte. Aber welcher Zirkel, welche Schult, ja welches Atelier war damals nicht mehr oder weniger von Philosophie angcstecktk Disputationen oder Angriffe auf die Religio» waren damals aus den besseren Ge sellschaften verbannt, entweder weil der Staat alle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, oder weil man endlich der frevelhaften Spötte reien, die auch nach Voltaire Keiner aufs neue anzuregcn wagte, überdrüssig war. Je mehr ich meine Erinnerungen aus jener Zeit sammle, desto mehr überzeuge ich mich, daß sich damals eine "Art Reaction gegen den Materialismus geltend zu machen anfing. Die Revolution hat diese heilsame Richtung unterbrochen und rückgängig gemacht. Trotz des Widerspruchs der Gelehrten und der Sarkasmen mehrerer Philosophen, hatten die jungen Leute und die Frauen die „Studien dcr Natur" von Bernardin ve Saint-Pierre mit Eifer aus genommen und sich für „Paul und Virginie" enthusiaSmirt, worin man köstliche Schilvcrungen aus dcr Bibel las, Vic von Voltaire so furchtbar zugcrichlct worvcn. Es bedurfte nur eines noch tieser er griffenen und genialeren Nachfolgers, aber Chateaubriand war da mals erst 2» Jahre alt. Mehr als Ein prahlerischer Prediger des Atheismus glaubte sich zu bessern, indem cr zu zweifeln anfing. Dieser Kampf ist das L00S aller lebendigen, beweglichen Geister, die nicht die Kraft haben, ihren Gedanken einen festen Mittelpunkt und ihrem Willen eine entschiedene Richtung zu geben. Wer hätte erwartet, unter der Zahl der Skep tiker jenen ungestümen Diderot zu finden, der Holbach zum Atheis mus bekehrte und sein Mitarbeiter an dem „System der Natur" war. Man weiß, daß er in Enthusiasmus gerieth für den Bart eines Kapuziners und, was sich eher hören läßt, für die Prozession am Frohnlcichnamsfest. Mein Bruder erzählte mir, daß cr Diderot kurz vor seinem Tove gesehen und mit großer Genugthuung ihn in beredten Worten von Gott sprechen^ gehört. Er konnte sich nicht enthalten, ihnz sein Erstaune» auSzuvcücke», und Diderot antwortete ihm: „Ich rede nach der Stimmung des Augenblicks. In der Stadt kann ich Atheist scyn, aber auf dem Lande nicht. Ich gleiche einer gewissen Person, von dcr Montesquieu in seinen „l.exxre« Uorxan«»" spricht. Ich bin in dem einen Semester Atheist, im anderen Deist." Man könnte Diderot darauf antworten: Wie! unv mit einer so schwankenden Gesinnung wagen Sic es, die nothwendigste und wohl- thucndstc aller Wahrheiten anzugreixen? Sie behalten für sich die tröstenvste Ansicht und geben uns die, welche dem Menschen allen Trost raubt und ihn sittlich zu Grunde richten muß! Wie Mancher, der die Freiheit des Menschen leugnet, wenn er eben eine Thorheit over cm Verbrechen begangen hat, sucht sic mit Stolz geltend zu machen in dem Augenblick, wo er mit einer guten Handlung beschäftigt ist. Der philosophischen Gesellschaft des Gtcn Jahrhunderts ist es eben so gegangen: die ganze Revolution hindurch zeigt sic uns das sittliche Gefühl in stetem Kampf und oft den Sieg davontragcnd über die trockenen Lehren, welche der Mund verkün det und die noch strafbarere Hand geschrieben hatte. In welchem Jahrhundert hat man den Egoismus und die physische Lust unver- holener als die einzigen Triebfedern unserer Handlungen und selbst unserer Tugenden dargestcllt? Wohlan! man nenne uns in der Ge schichte der alten Republiken eine Zeit, die reicher ist an Beispielen ver Uneigennützigkeit als die Periode dcr konstituirendcn Versamm lung! Ovcr ist es wohl wahrscheinlich, daß in den schönsten Tagen der Römischen Tugend die Fabriziusse und die Fabiusse so bereit willig ihre besten Rechte geopfert bättcn t Ich hatte auch das besondere Glück, Herrn v. MaleSherbcs kennen zu lernen und mehr als einmal zu hören. Meinem Bruder schenkte