Volltext Seite (XML)
156 S) Eine Gliederpuppe und ein kleiner Spiegel, aus einem Spiel- waaren-Laven, und zwar recht eigentlich vor der Nase des Eigenthümers, die kolossale Dimensionen hatte, hinwcgstibizt. 6) Ein etwas löcheriges seidenes Taschentuch aus der Tasche eines parfümirtcn Herrn. 7) Ein silbernes Döschen mit 7 Shilling Münze. KV. Die wohlbeleibte Besitzerin hatte eben feierlich lang sam in ihre Tasche langen wollen, aber der kleine Dieb war ihr glücklich zuvorgekommen. Dieser ganze Reichthum war der Ertrag weniger Stunden — fürwahr, etwas Außerordentliches! Der Major erhob sich des an deren Morgens in einer Art von Verzückung. Er kam sehr früh zu mir heran und sagte: „Bruder Oberst, ich habe Dir etwas zu melden!" — „„Wohlan"", entgegnete ich; „„nur heraus damit!"" — „Nein", versetzte er, „hier kann ich's Dir doch nicht sagen; cs ist gar zu wichtig." Wir gingen mit ein ander in ein benachbartes enges Gäßchen. „Schau her!" Hub er an und zeigte mir eine Hand voll Gelb. Ich staunte über diesen Anblick. „Weißt Du was?" Hub mein Bruder wieder an, „da gebe ich Dir ein Sechspcnce-Stück und einen Shilling in kleiner Münze; was soll ich allein mit dem vielen Gelde anfangen?" Dieses Geschenk entzückte mich; denn so sebr ich auch Gentleman war und so viel ich mir darauf einbildete — ich hatte noch nie einen ganzen Shilling beisammen gehabt. Jetzt befriedigte er meine Neugier hinsichtlich der Art und Weise, wie er diesen Reichthum erworben hatte; denn auf seinen Antheil waren 7 Shilling V Pence, der silberne Fingerhut und das seidene Taschentuch gekommen. Für uns Beide war dies der Werth eines herrschaftlichen Gutes. „Und wo willst Du nun mit dem Allen hinaus?" fragte, ick ihn. — ,,„OH!"" versetzte er; „„fürs Erste geh' ich auf den Trödelmarkt und kaufe mir Schuh und Strümpfe."" — „Ei, das ist prächtig", sagte ich; „gerade so will ich's auch machen!" So gingen wir denn auf den Trödelmarkt und kauften uns zwei Paar Strümpfe, die zu- sammengenommen nur 2 Pence kosteten und doch recht gut waren. Etwas schwerer wurde es uns, Schuhe zu erhandeln; doch hatten wir endlich die Freude, für 16 Pence zwei Paar zu bekommen. Ei, wie war mir zu Muthc, als ich einmal wieder in bekleide ten Füßen dastand! Es wurde mir jetzt erst recht klar, daß ich zum Gentleman geboren seyz denn von Unten war ich's ja schon gewor den! Ich sagte in niemer Glückseligkeit zu dem Major: „Holla", Bruder! wir Beide haben bis jetzt noch nie Geld gehabt, und eben so haben wir noch nie eine gute Mahlzeit gehalten; wie wär'S, wenn wir irgendwohin gingen, unseren Magen zu stärken?... Ich bin recht hungrig." „„Bon Herzen gern"", sagte mein Bruder: „„ich habe auch guten Appetit."" Sofort gingen wir zu einem Speisewirtb in der Äosmarin-Gaffe, wo wir herrlich rcgalirt wurden; denn man brachte uns kräftiges Rindfleisch zu drei Pence, Pudding zu zwei Pence, schönes weißes Brod und eine Pinte starkes Bier. Das ganze Traktament kostete sieben Pence, und dazu bekamen wir noch köstliche fette Bouillon über den Kauf! Was mich aber am meisten beseligte, das war die erstaunliche Artigkeit des Kellners, der, so oft er an unserem Tische vorbcikam, uns zuries: „Mylords, haben Sie be fohlen? ... Befehle» Sie noch sonst Etwas, Mylords?" Kein Lordmayor von London — was sage ick, Lordmayor? — kein Herzog und Besitzer unermeßlicher Ländereien kann in seiner Einbildung glücklicher seyn, als ich an jenem Tage mich fühlte; und doch war niir lange kein so glänzendes Loos gefallen, wie meinem Bruder Jack. Ich war, um mich kurz zu fassen, so glücklich, wie man cS nur irgend seyn kann, wenn man ein größeres Glück nicht kennt, und doch hatte ich von der ganzen Beute nur 18 Pence bekom men! Am späten Abend jenes Tages legten wir uns triumpbircnd an dem gewohnten Orte nieder und schliefen fest und süß, warm gehal ten von der Atmosphäre der Glashütte über unseren Häuptern. Wer den Bau der Glashütten und die Gewölbe kennt, in welche man die Flaschen stellt, sobald sie geblasen sind, der weiß auch, daß man die Asche in Aushöhlungen wirft, die in der Mauer aus Ziegel steinen angebracht und nur von vorn offen sind. Die armen Kinder schlafen in diesen Maucrgrottcn, wo man eine eben so behagliche Wärme verspürt, wie in einem Bade-Kabinette; cs dringt nicmals Kalte hinein, und wäre ein Grönländischer Winter brausten. Nur die Asche fällt Einem in der ersten Zeit etwas lästig. (Schluß folgt.) Frankreich. Die Kapelle der Jungfrau von Orleans. In dem Magazin für die Literatur dcs Auslandes Nr. 18 von 1840 befindet sich unter obiger Aufschrift ein Aussatz, in welchem als des interessantesten Stückes dicscr Kapelle einer Glocke mit der Inschrift äOKM'lßlä OKOD und mit dem Bemerken erwähnt wird, daß diese merkwürdige In schrift schon den Scharfsinn vieler Gelehrten, besonders auch den drr akademischen Gesellschaft zu Nancy geübt habe. Dabei wird der sinnreichen Auslegung des berühmten Numismatikers, Herrn N,mault de VaucoulcurS, gedacht, welcher auS jedein der einzelnen Buch staben ein ganzes Wort entziffert und seine Combination in folgender Art zu Stande gebracht hat: I) Jü Virginem Lr Uanibus ?opull kitradenrem Imperium ^nglicani 2) voUicstum k«t ^puil ^grum Mortem Z) Ob komini« Kloriain Tmtinnubulum. Das heißt wörtlich: Der Jungfrau, welche das Reich aus den Händen des Englischen Volkes gerissen hat, ist nach ihrem Tove und zu ihres Namens Ehre diese Glocke in diesem Bezirke geweiht worden. Schon der Schluß des beregten Aufsatzes, obwohl derselbe dem Scharfsinne dcs Auslegers volle Gerechtigkeit angedeiben läßt, spricht sich dahin aus, daß diese Auslegung doch wohl Manches zu wünsche» übrig lasse, und daß hauptsächlich dagegen cinzuwenben sey, baß sie auf einer ganz willkürlichen Annahme beruhe, und daß statt dieser Worte leicht andere gewählt werden könnten. In der beregten Inschrift scheint aber auch nur eine bloße und zwar absichtliche Versetzung der Buchstaben, ein versteckter Bann- lpruch i» Beziehung auf die „Here" von Orleans zu liegen, und lassen diese Buckstabcn, mit Beibehaltung derselben in drcl Worten von resp. 8, V und 4 Buchstaben, folgende Deutung zu: OäkMOKVM ,zi>I>^Ob: V4DI Benimm der Seherin (Here) den bösen Geist; oder, wcnn man diese Construction nicht zulassen und sich an die Abtheilung der Buchstaben in drei Worte von der angegebenen Buch- stabenzahl nicht binden will: I DL I>IH)MOK ä Miß, Weiche von mir, du unsauberer Geist, und fahre aus. Der Erorzismus und alte Aberglaube versetzte gern solche Bann- svrüche, um sie dem Teufel unleserlich zu machen und vor dessen Zerstörung zu sicher». Ob diese Auslegung eine glücklichere sey, als die des Herrn Renault de VaucoulcurS, muß dahingestellt bleibe»; jcdciifallS ist sic einfacher und wahrscheinlicher. St g. B....r. Mannigfaltiges. — Herr v. Reiffenberg über Deutschland. Wir haben in diesen Blättern noch eines in mancher Beziehung interessanten Buches zu gedenke», welches zur Erinnerung an cin Deutsches Nationalfest, nämlich an die Aufstellung und feierliche Enthüllung der Schiller-Statue in Stuttgart, vor wenigen Monaten in Brüssel erschiene» ist. Der bekannte Belgische Gelehrte, Baron v. Reissen- bcrg, von dessen Aufenthalt in Stuttgart uns die Augsburger „Allgemeine Zeitung", der „Schwäbische Merkur" und andere Süd deutsche Blätter im vorige» Jahre viel erzählten, hat nämlich seine Bcohachlungcn in dicscr Stadt und aus bcr Rcise dahin nicbcrqe- schricbcn, und daraus ist cin Band von 408 Seilen in groß Oktav geworben, ocr unter dem Titel ,.8nur»mrx ,!'»» pöl«ri,mgo «,> ilivimouc ch- Zellill, r" von bem fleißigen Notizcnsammlcr ber- ausacaeben wurve. Mit diesem Worte habe» wir nickt bloß vcn Verfasser, sondern auch den Charakter seines Buckes bezeichnet. In zweiunvbrcißig Kapiteln, deren jcveS einen Bers von Schiller als Molto an bcr Stirn hat, tdeilt unS Herr v. Rcissenderg „Alles und außerdem noch Einiges" mit, was sich über Stuttgart und seine Reise sagen ließ. Im Jahre 1840 denkt er einen Ausflug nach München zu unternehme», und da München etwa dreimal so groß ist, als Stuttgart, so können wir dcmttäckst auch wohl auf cin drei mal so starkes Buch rechnen. Indessen ist unter den vielen Notizen, die Hr. v. Rciffenbcrg zum Theil sammelt und zum Theil nach eigener Beobachtung giebt, auch manches Schätzbare. Vor Allem ist die Gesinnung des Verfassers zu rühmen, die, obwohl in nativ, naler und religiöser Beziehung durchaus Belgisck, voch in wissenschaft lichen, sprachlichen und politischen Momente» so entschieden Deutsch sich zeigt, baß wir Herrn v. Rciffenbcrg als eine» Landsmann begrüßen möchten, obwohl er uns versichert, daß leine Vorfahren, dcrcn Ahnentafel er bis ins. Ute Jahrhundert zurückführt, schon unter Kaiser Karl V. aus den Gegenden des Taunus, wo seine Stammburg sich befindet, nach Belgien ausgcwandert sind. Er erkennt seincs Vaterlandes Heil nur in einer engen Anschließung an Deutschland, mit dessen Lite ratur er augenscheinlich auch mehr befreundet ist, als mit der Franzöfi scheu, obwohl er den Franzoscuhaß Wolfgang Menzel'S und einiger an deren Deutschen auch nicht zu rechtfertigen vermag. Seiner Deutschen Gesinnung folgend, unternahm er die Reise zum Schillcrfeste, bei welchem cr gleichsam als Vertreter dcS Königs ver Belgier erschien," der ja ebenfalls cin Deutscher ist. Mr denken nächstens einige Aus Züge aus dem Bucke zu geben, das sich jedenfalls vurch seine An sichten und gründlichen Urtheile sehr voribcilhasl vor allen in den letzten Jahren in Französilcher Sprache über unser Laierlauv er schienenen Büchern auszeichnet. Allerdings wäre der Darstellung des Herr» v. Reiffcnberg zu wmischen, daß sic ctwaS mehr, als vic bloßen stylistisckcu Wendungen, von der Französische» Leichtigkeit be säße, aher eS ist ja nun einmal nur das Vorrecht ver seltensten Geister, Gründlichkeit und Esprit in ihren Darstellungen zu verbinden. HerauSgrgeben von bcr Sicdaclion der Mg. Preuß. StaaiS-Zeitung. Redigier von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.