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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration». Preis 22; Sgr. s; ZHIr.) rieneljchrlich, !i ^hir. für daS ganze Jahr, ohne Er- höduna, in allen rbkilcn der Preußischen Monarchie. für die Man »rSnmnerir! auf diese» Literatur-Blatt in Berlin in ter Enxdilion der Mg. Pr-, CtaatS-^citung sgriedria-egr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den WMWbl. Poli Nennern. Literatur des Auslandes. 05. Berlin, Freitag den 2V. März 1840. F r a n k r e i ch. Ejircnfried Stöber, der Deutsche Dichter im Elsaß. Von A. MichiclS. Die folgende Skizze aus den schon öfter angeführten nur l'^lwmuxuc" hat das Verdienst, uns eine originelle und »och wenig bekannte Persönlichkeit vorzuführen. Damit ist zugleich eine Würvigung des Deutschen Charakters verflochten, für die wir uns aber schwerlich zu gleichem Danke werden gedrungen fühlen. Wir wissen ja schon, was es sagen will, wenn ein Ausländer sich an die Bcurihcilung des Deutschen Charakters macht. So lange nur eine Seite des Deutschen Ledens in Betracht kommt, geht Alles ganz gut; sobald es aber darauf ankömmt, aus den einzelnen Faktoren cm Gesummt-Resultat zu ziehen, fängt vie Verwirrung an. So haben wir unseren Reisenden aus den früheren Mitthcilungcn durch schnittlich als einen verständigen und meist wohlwollenden Beobachter erkannt, der sogar manche Sympathieen mit dein Deutschen Wesen zeigte; in dem Augenblicke aber, wo er sich entfallen läßt, den Rativnal-Charakter einer Beurtheilung zu unterwerfen, senkt sich die Binde des alten Vvrurtheils über seine Augen, und cs zeigt sich, daß er eben so unfähig ist, sich zum wahren Verständnis- desselben zu erhebe», wie alle seine Vorgänger. Cs kommen dieselben Ein seitigkeiten, dieselben Schlagwörter, nur etwas anders aufgcpuht, zum Vorschein. Cs scheint dies nicht zu ändern zu sepn, und es wird gewiß noch viele Zeit hingehcn, ehe ein fremder Beobachter durch die einzelnen Erscheinungen, oder vielmehr durch den Schein der Erscheinungen zum Wesen hinvurchdringt. Was uns auch hier wieder und zuerst zum Vorwurfe gemacht wird, ist der Mangel an Einheit, worunter zwar zunächst dcr Mangel an politischer Einheit verstanden wird, was abcr dann auch eine weitere Bedeutung er hält. Wir dürfen uns eigentlich gar nicht mehr darüber verwundern, wenn ein Franzose oder Engländer aus seiner Einseitigkeit heraus nur den Blick auf das richtet, was ihm zunächst in die Augen fällt, und sich von dcr Einheit Deutschlands, die wirklich vorhanden, ob gleich nur auf eine idealc Weife, gar nichts träumen läßt. Gelingt rS ihnen doch nicht einmal, die Gründe zu erforschen, welche daS Zustandekommen der so sehr vermißten äußeren Einheit hinderten. Die Einen führen an, daß Deutschland nicht wie Frankreich von den Römern oder wie England von den Normannen erobert worden sc-, während sie lieber hätten fragen sollen, warum eS nicht erobert wordcn; die Anderen, zu denen auch unser Reisender gehört, klagen die Schwäche des Willens und dcr Thatkrast an. Wie armscfig! Schon die Geschichte giebt cine ganz andere Antwort hierauf. Deutschland hat nicht zur äußeren Einheit, wie andere Länder, ge langen können, weil cs nicht cinc bestimmte und cinscitigc politische Idee rcpräscntirtc, sondern weil cs selbst die politische Einheit Enropa'S war, ganz in derselben Weise, wie Italien die religiöse Einheit' dar- stciite. Und als die neue Zeit heraufzog und die Staatcn sich überall äußerlich abrundcten und sich zu einem festen Ganzen gestaltete», wurde Deutschland das Schlachtfeld des kirchlichen Kampfes, der ein neues Prinzip der Trennung zu den schon vorhandenen hinzubrachtc. Deutschland hat cS nicht zu der äußerlichen Einheit gebracht, weil cs der Bode» ist, auf dem sich alle Gegensätze zusammendrängtcn, weil, wie andere Staatcn nur einzelne Momente dcS geschichtlichen Lebens reprasentirtcn, so in Deutschland alle Fluthnugcn desselben zusammcnströmten. Anderen Staatcn wurde cs leichtcr gemacht, well die Gegensätze dort weder so lief, noch so mannigfaltig waren. Je leichter aber die Vermittelung, dcsto oberflächlicher ist sie auch; je schärfer und spröder dagegen die Unterschiede sind, desto höher sicht auch die Einheit, die aus denselben hervorgeht. Doch wir lassen dies zunächst auf sich beruhen und hörcn geduldig unserem Reisenden zu. . „AlS ich mich im Jahre zu Straßburg aushielt, um Deutsch zu lernen, lernte ich dort einen Schriftsteller kennen, welcher der Volksrichter des Elsaß genannt wurde. Ich machte seine Be kanntschaft in dem Laden eines Buchhändlers, und seine Züge sind seitdem nie wieder aus mcincm Gedächtnis; entschwunden. Da ich in einem Hintcrstübchen saß, in welches das Licht nur spärlich durch ein Glasfenster drang, so waren es auch diese, welche ich zuerst mW fast allein wahrnahm. Es war cine ziemlich dicke Gestalt von mittlerer Größe und kräftigem Ba», obschon er mindestens fünfzig Jahre alt scon mochte. Er zog aus seiner Tasche ein Pakct Papiere hervor, wählte einige von diesen aus und bot sic dem Buchhändlcr zum Verkaufe an. „Hier habe ich", sagte er, „einige GelegenhkitS- Vcrse auf den Tod dcs Generals Lafäpettc; schicken Sie dieselben gleich in die Druckerei. Sie werden ei» gutes Geschäft damit machen. Die Bedingungen sind dieselben wie sonst." Da diese Worte meine Neugierde erweckten, so stand ich auf, uni mich ihm zu nähern. Meine Blicke sielen zuerst auf die Blätter, welche cr in Händen hielt. Wie erstaunte ich! Nic hatte ich ein schmutzigcrcs Papier gesehen. Eine Mcnge grauer Flecke dcdccktcn fast die Schrist- züge, weiche durch vielfache Äendcrungcn und AuSstrcichungcn ganz unleserlich geworden waren. Nachdem ich die Schrift gemustert, be trachtete ich mir den Schreiber. Sein Acußcres stimmte vollkommen zu seinem Werke; aus jedem Zuge seines Gesichts sprach daS ticfste Elens. Seine Kleidung verkündete nichts weniger als däe Wohlbe haglichkeit, welche den schönen Knusten so günstig ist: cine mit Dmtcnflcckcn und Taback beschmutzte Weste, abgetragene Beinkleider, ein so weiter Rock, daß er seine Figur nicht umhüllte, sondern um flatterte, machte» seine Erscheinung zu einer höchst grotesken. Ich betrachtete ihn einige Minuten lang, und cr kam mir fast wie cine dcr Gestalten Adrian Baucr'S vor, die gerade durch ibre Seltsam keit eine» so wunderbaren Eindruck machen. Das Ereignis-, das cr in seinen Versen betrauerte, diente mir als Einlcitung zu dcr Unter haltung mit ihm. Ich überzeugte mich bald zu meiner großen Freude, daß die Widerwärtigkeiten seinen Geist nicht niedergedrückt hatten; als männlicher Kämpfer hatte er die aus ihn ctnstür'mcndcn Leiden kräftig abgeschlagen und die Ruhe seines inneren Lebens be wahrt. Wenn er von seiner Kunst sprach, so offenbarte er cine merkwürdige Naivetät. Die schönen Gefühle der Jugend lcbten dann wieder in seiner Sccle auf; er war nicht, wie ändere Leute, in scincm Alter ein übertünchtes Grab. Meine Freude war nicht ge ring, als cr srinc großcu hcrvorstchciiden Augcu auf mich heftete; ich fand in diesen den AuSveuck der Unbestimmtheit, welcher großen Denkern so häufig eigen ist. Wir schieden ziemlich zufrieden mit einander, denn cr gab mir sciiic Adresse und forderte mich auf, ihn zu besuchen, wenn ich es nicht vorzöge, mich von ihm besuchen zu lassen. So endete unsere Unterhaltung; ich kehrte nach Hause zurück, voll von dem Gedanken an die Bereinigung so auffallender Gegen sätze uiid nicht wenig verwundert, wie Jemand in einer so grüß- lichcn Lage sich alle poetische Illusionen habe bewahren können. DaS Unglück dieses Mannes rührte mich, und ich machte mir daS Lächeln, welches mir über seine Kleidung und Haltung entschlüpft war, zum Vorwurf. CS verflossen zwei Tage, ohne daß ich meinen Dichter wieder- sah; da machte ich mich auf den Wcg nach seiner Wohnung. Er woknte in einem alten, großcntbcilS ans Holz erbauten Hanse, welches »ach den Ufer» des Kanals hinauslag. Das Acußcr, war nichts weniger als glänzend; cS erfüllte mich mit einer sanften Traurigkeit. In Paris haben die Wohnsitze dcr Armuth cincn schreckcncrrcgcndcn Anblick; Koth und Sch-nutz siedeln sich hier bald an. In weniger bevölkerten Städten ist es anders; da entsteht bloß der Eindruck dcr Ruhe und Eiusamkeit. Unter den von grünen Bäumen überschatteten Dächern lassen sich die Ruhe und der Frieden nieder. Von solchen Empfindungen bewegt, klimmte ich die alte Treppe hinauf, und kaum hatte ich angcklopft, als mir auch Stöber schon cntgcgenkam. Er erschöpfte sich in Entschuldigungen über die Unrcinlichkelt und Unordnung seines Wohnzimmers. In dcr That rcchtscrtigtc der Zustand desselben seine Besorgnisse nnr zu sehr. Eine dicke Staublagc bedeckte alle Möbel; zwei oder drei Stühle suchte» sich, so gut cs angmg, auf ihrc» gebrechlichen Füßen zu cr- haltcn; dagegen sprach abcr eine ansehnliche Bibliothek, welche an den Wände» aufgeschichtct war, für cinc frühere bessere Zeit. Da cS ziemlich kalt war, so öffnete mein Wirth die Thür cines kleinen gußeisernen Ofens und ging in ein aulicgcmdcs Gemach, um hier die nöthigcn Brennmaterialien zusammcnzusnchcn. Bald kehrte cr mit einem Vorrath von Brettern, Spänen und trockenen Blättern zurück. Nachdem cr das Fcucr angczündet, kehrte er zu mir zurück, um die begonnene Unterhaltung fortzusctzen. Da fiel mein Blick plötzlich aus cine Düste Goethc'S, die auf einem alterthümlicheii Schranke stand, und ich konnte mir die Nchnlichkeit in dem GcfichtS- auödruckc dcs großen Dichters und dcs Elsässischen Barden nicht verbergen. Nur fehlte« diesem dcr cdlc und fast königliche Charakter Gocthc'S. Sonst war cS dic Hobe Stirn, die dichten Brauen, die hcrabhcmgcndcn Backen und dieselben scharfen Linien- Ich thcilte ihm meuie-Demcrkungcn mit, worauf wir von feinen Arbeiten und scincr kläglichen Lage sprachen. Diese bekümmerte mich um so