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WichtnMch erlchcincn drei Nummcrn. Vcännmkration«- Prei« 22; Tgr. s; Tdlr.) ricrttflädrlich, 3 THIr. sür das ganze Jahr, ohne Er höhung, in aNe» Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man prinumerirt anh diese« Literatur-Blatt in Berlin in ter Expedition der ANg. Pr. Staat- Zeitung (zriedrich-slr. Ne. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den WohllSdl. Post-Armier». Literatur des Auslandes. 32. Berlin, Freitag den 13. März 1840. Frankreich. Kant und seine philosophische Bedeutung. Von Victor Cousin. l. Kant ist der Vater der Deutschen Philosophie: er ist der Urheber oder bester das Werkzeug der größten Revolution, welche seit Car- tcstus auf dein Gebiete der Philosophie aNSbrach. Jede wahrhafte Revolution ist indeß das Produkt einer Zeit und nicht eines Menschen. Die Welt schreitet fort, aber eine Person ist nur das Gefäß der Idee; sic kann den Fortschritt nur leiten, nicht erzeugen, noch weniger ihn anfhalten. Kant's Philosophie hat zwei große Voraussetzungen: den allgemeinen Geist, die allgemeine Bewegung Curopa's und den besonderen Geist Deutschlands. Die allgemeine Stimmung Europa'S zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist bekannt genug: es herrschte damals eine dumpfe Gährung, wie sie immer einer großen Krisis vorhcrzugehcn pflegt. Auf den Glauben der früheren Jahrhunderte war die Sucht, zu prüfen und zu untersuchen, gefolgt, aus welcher die Entdeckung der Wahrheit bervorgehen sollte. Das Denken machte sich an die Unter suchung der Rechte und Pflichten des Menschen und zeigte das Man gelhafte der bestehenden Einrichtungen aus; überall machte sich das Bedürsniß einer gesellschaftlichen Wiedergeburt geltend. Eine ausführlichere Darstellung verdient der Zustand Deutsch land« vor Kant. Die Geschichte einer Nation ist indeß ein großes Ganze, und ein einzelner Abschnitt kann nicht verstanden werden, ohne auf die Momente znrückzugehen, aus denen er sich hcrvorge- bildct hat; es dürfte deshalb unerläßlich sepn, die Entwickclnng des Deutschen Geistes von seinen ersten Anfängen an bis zu dein Augen blicke, wo kant auftrat, kurz anzndeuten. Gewiß ist raS Wesen der Menschheit überall eins und dasselbe; nichtsdestoweniger treten nach Zeit und Umständen die verschiedenste» Bilvungsformen in der Ge schichte hervor. Die Hauptverschicdcnhcit ist wohl die der nördlichen und der südlichen Bildung. Den Völkern des Nordens offenbaren sich dieselben Wahrheiten wie denen des Südens, aber sie bringen sie sich auf eine andere Weise zum Bewußtseyn. Diese Verschiedenheit der Auffassung zeigt sich i„ yer Poesie, in der Religion und in den politischen Einrichtungen. Die Philosophie ist demselben Gesetze unterworfen, denn sie ist ja bald die unbewußte Grundlage, bald die höchste Spitze und der reinste Ausdruck dieser drei OffenbarungS- artcn des Geistes. Im Allgemeinen läßt sich hier sagen, daß der Mensch des Südens mehr nach Außen gerichtet, der des Nordens inehr nach Innen gekehrt ist. Der gemeinschaftliche Charakter der Deutschen Stämme ist der Hang zum innerlichen Leben, vaS Vor- wicgcn der Phantasie, der Empfindung und deS einsamen Gedankens. Bei ihnen ist die Blüthe deS Familienlebens zu suchen: ihr Blick ist auf das Ideale und Unsichtbare gerichtet, aber dafür entschlüpft ihnen das wirkliche Leben, und das träumerische Sinnen, das innerliche Brüten lähmt ihre Thatkraft. Verfolgen wir die Entwickelung des Deutschen Geistes, so haben wir drei Hauptabschnitte zu unterscheiden. Der erste, welcher sich in das graue Alterthum verliert, endet mit Karl dem Großen. Bis zu der Zeit, wo die nördlichen Stämme als Eroberer auftreten, und noch einige Zeit nachher, findet man bei ihnen eine eigene Bildung und Verfassung, eine cigenthümlichc Poesie und Religion. Man braucht nur die Edda und VaS Nibelungen-Lied aufzuschlagen, um hier schon das träumerische Sinnen, hie düsteren und in der Tiefe ruhen den Empfindungen wahrznnehmcn, und um sich zu überzeugen, daß die Helden und Sänger dieser alten Lieder nicht den Himmel Italiens oder Spaniens gesehen haben. Wie sehr sic sich auch in der Acußcr- lichkeit deS Lebens ergehen, der innerliche Drang bricht immer hin durch. Auch diese Zeit hat ihre Philosophie, obgleich eine Philo sophie, die leer und unbestimmt ist, nach Art der Barbaren, weil sic eine instinktartigc Bildung und nicht eine Frucht der Reflexion ist. Diese ursprüngliche Philosophie ist die Religion. In den Sagen der Edda und der Nibelungen tritt die Uebcrlcacnhcit deS Menschen über die Natur überall hervor. Sigurd, Siegfried und alle Männer des Nordens trotzen der Natur und ihren Schrecken; sic sehnen sich zum Kampfe wie zu einem Feste und begrüßen den Tod wie einen Freund; dabei verbinden sie mit der Tovesverachtung ein stark aus geprägtes Pflichtgefühl und eine viel reinere Licbesschnsucht, als die Völker des Südens. Während dieser Zeit ist der Norden heidnisch, kriegerisch, frei und poetisch. Äbcr durch die Eroberungszüge wird die Umbildung desselben vorbereitet. Die Eroberer nehmen dic Religion der besiegten Völker an. Das Christentbmn dringt mit seinem Geist der Liebe nnd der Entsagung in dic Herzen der Bar baren ein. Der Skandinavische und Germanische Götzendienst unter liegt im Kampfe gegen die Gewalt, dic Wissenschaft und den bis dahin unbekannten Heldcnmuth des GlaubcnScifcrs; mit dem Götzen dienst geht auch pie aus ihm hcrvorgegangcne Poesie zu Grunde. Karl der Große schließt diese Periode ab. Der Charakter dcS zweiten Abschnitts ist der christliche, monarchische und freie; es entsteht eine rohe, aber kraftvolle Bildung.. Die Ger manische Freiheit, gestützt auf die Idee der religiösen Einheit, ent wickelt sich zu einer großen und mächtigen Nationalität. Die Philo sophie dieser Zeit ist die Scholastik. Diese ist nichts Anderes als dic Gcsammtheit der mehr oder weniger wissenschaftliche» Formeln, in welche unter Anleitung des Aristotelischen Organons und zum Be- hufc des Unterrichts das junge Denke» die christlichen Dogmen ge kleidet hatte. Schon vor den Universitäten blühten in Deutschland viele angesehene Schulen, zu Fulda, zu Mainz, zu Regensburg, zu Köln. Ungeachtet der barbarischen Form dieser Philosophie darf man doch nicht zu gering von derselben denken, denn der Glaube der Lehrer und Schuler belebte sie. So finden wir in dieser Zeit eincr- seils im Volk den wahren Glauben und folglich auch Freiheit, da der Glaube des Volks eben so frei war, wie die Liebe, auf der er beruhte, andererseits in der Regierung eine feste Autorität, weil die selbe aus der freien Beistimmung des Volkes hervorging. Diese Bildungsform ging indeß vorüber, wie dic vorige, wie alle andere. Was vorzüglich ihren Untergang hcrbeiführte, war der übermäßige Einfluß des Auslandes in der Religion und in der Politik. Allmälig war es dahin gekommen, daß eine Stadt in Ita lien nicht nur den Glauben, sondern auch alle übrige LebenSvcrhält- niffe der Deutschen regelte. Deutschland mag indeß wohl äußerlich und politisch sich fremden Einflüsse» untcrwcrfcn, aber im Reiche des Geistes »nd der Sittlichkeit wird cs nie ein fremdes Joch dulden. Als sci»e Beschwerden nicht gehört wurden, rüstete cS sich zum Widerstande, und eS brach die religiöse und politische Reformation ans, welche die Einheit Deutschlands zertrümmerte »nd die Herr schaft über Deutschland dem Hause Oesterreich und dem Römischen Hofe entriß. Zwei Männer führten diese Revolution durch, zwei Männer des Nordens; der Eine protcstirte mit begeisterter Stimme gegen den reli giösen Despotismus, der Andere verhalf dieser Protcstation mit seinem Schwerte zum Wiege. Lutbcr'ö Ncdcn untergruben die Macht des Katholizismus, Gustav Adolph's Schwert stürzte Oesterreichs Herr schaft und befreite Deutschland. Unterdefi stand in Frankreich ein großer Denker aus, welcher der Scholastik den Untergang bereitete und auf ihren Trümmern ein neues System aufführtc. Die Philo sophie des Cartcsius drang auch nach Deutschland und wurde hier weiter ausgebildet. Leibnitz war ebenfalls ein Schüler desselben, aber ein Schüler, der den Meister übertraf, wenn es ihm auch nicht gelang, ein vollständiges System zu begründen. Wolf versuchte, die zerstreuten Ansichten seines großen Vorgängers um einen gemcin- fchastlichcn Mittelpunkt zu gruppircn und in eine systematische Ord nung zu bringen; nur ging ihm der Geist der Leilmitzischen Philo- sophic dabei verloren, und cs entstand cine neue Scholastik. Dies war der Stand der Dinge, als Deutschland in engere Beziehung zu dem philosophischen Europa trat, welches von drr Dahn, die CartesiuS cingcschlagen hatte, wieder abgcwichcn war. England hatte sich dem Joche des Lockeschcn Empirismus unterworfen, und Frankreich Mallcbranche's bis auf dic Spitze getriebenen, aber erha bene» Kartesianismus gegen eine oberflächliche Nachahmung der Eng lischen Philosophie ausgctauscht. Der Sensualismus war in Frank reich und England zur ausschließlichen Herrschaft gelangt. Bald drang er auch in Deutschland ein. Friedrich der Große herrschte damals in Preußen, und die Französischen Schöngeister, welche sich unfähig fühlten, in Paris neben Voltairc'S schimmernden Sternen zu glänzen, strömten nach Berlin, um hier zum Vergnügen nnd zur Üntcrhaltung deS Königs beizutragcn. Alsobald eröffnetcn sic den Kamps gegen das Bische» Christenthum und Theologie, was sich iu Deutschland noch erhalten hattc. Fassen wir Alles zusammen, so finden wir weder ein nationales Leben, noch eine nationale Poesie. Die Deutschen Akademieen nehmen fremde Sophisten zur Zerstörung dcs alten Deutschcn Geistes in Sold; die Theologie erliegt unter deii Angriffen des Unglaubens und deS