Volltext Seite (XML)
len Jahre hatte er Diderot'S und d'Aleinbert's Encpklopädie schon von Anfang bis Ende durchgelesen, und zwar alle diese Foliobände der Reihe nach, ohne einen Artikel zu überspringen. Glücklicherweise war ihm ein außervrventlichcs Gedächtnis zu Theil geworden, und er hatte sich mit dem mathematischen Theile der Encpklopädie bald eben so vertraut gemacht, wie mit den Anleitungen zur Falkenjagd und zur Kenntnis der Wappenkunde. Wenn man behaupten wollte, er habe schon in dieser Zeit Alles, was er las, verstanden, so wäre dies ohne Zweifel zu viel gesagt; aber dieser Wissensdrang war doch immer eine schöne Vorbedeutung für die Zukunft. Als er mit seiner Familie nach Lyon kam, eilte er nach der Bibliothek und forderte Euler's und Bernouiüi'S Werke; aber die selben waren in Lateinischer Sprache geschrieben, deren Kcnntniß ihm damals noch abging. Nichtsdestoweniger machte er sich ans Werk, und in wenigen Wochen hatte er cs so weit gebracht, daß er diese großen Meister studiren konnte. Ein Problem, welches ihn zwei oder drei Jahre später beschäftigte und dessen Lösung schon früher Descartes und Leibnitz nachgestredt hatten, war das einer allgemeinen Sprache. Der junge Lmpörc, welcher glücklicher oder geduldiger als seine Vorgänger waren, brachte ein Wörterbuch und eine Grammatik im Sinne seines Systems zu Stande. Er verfaßte sogar ein Gedicht in der von ihm erfundenen Sprache, welche, nach dem Zcugniß eines Freundes, nicht allzu wunderlich und übclklingend gewesen sepn soll. Die Grauel der Revolution, die schrecklichen Metzeleien, deren Schauplatz Lyon war und welche auch dem Vater des jungen Ge lehrten das Leben kosteten, machten auf ihn einen vernichtenden Ein druck. Er kehrte nach Polömicur zurück und ding dort allein seinem Schmerze nach. Eines Tages führte ein Zufall I. I. Rcuffeau'S Briefe über die Botanik in seine Hände. Diese Bricft, ihre muster hafte Einfachheit unv naive Anmuth gaben ihm eine neue Anregung. Er wurde leidenschaftlicher Botaniker und brächte cs in Vieser Wissen schaft weil genug, um in der Classification der Pflanzen, welche Linnöe als inceriae 3<nlir> bezeichnet hatte, mit einem berühmten Botaniker, A. Ste. Hilaire, zusammenzutrcffen. Ans einer seiner Erkursionen begegnete er einem jungen Mädchen von anständiger Familie, deren Anblick einen solchen Eindruck aus ihn machte, daß er um ihre Hand anhielt. Wer Ampöre war nicht reich, und die Leitern des Mädchens wollten ihre Einwilligung nur unter der Be dingung geben, daß er einen Stand erwähle. Es wurden lange Bc- rathungen gepflogen, ob der Jünger der Wissenschaft sich dem Handel widmen solle; ihm war das Loos bestimmt, mit glatten Worten Käufer anzulockcn unv in einem Scidcnwaaren-Lager seine Talente zu begraben. Glücklicherweise weigerte er sich, Vies zu thun, und man kam übcrein, daß er in Lyon Unterricht in der Mathematik er- tbeilen solle. Von diesem Augenblick an war seine Zukunft entschie den unv er ganz für die mathematischen Wissenschaften gewonnen. Man glaube indes nicht, daß diese seine Einbildungskraft ausge- trocknei hätten; sic erhöhten vielmehr den Genuß literarischer Ab schweifungen. Er war vertraut mit der Römischen Literatur und las wiedcrholcntlich Vic klassischen Schriftsteller seines Vaterlandes; man hat sogar Verse von ihm, die nicht ohne Anmuth und Frische sind. Im Jahre t80l wurde Ampöre zum Professor der Physik an der Central-Schule zu Bourg ernannt. Unter den Fragen, denen er nachsann, befindet sich auch eine, deren Lösung vom größten Ein flüsse auf die öffentliche Sittlichkeit hätte seyn müssen unv es dennoch nicht geworden ist. ES sind dies seine Betrachtungen über die ma thematische Theorie des Spiels. Ampöre bewies unwidcrsprechlich, daß ein Spieler von Profession dem gewissen Untergange ent- gegengcht. Die Wirksamkeit in der Central-Schule zu Bourg steckte Am- pöre'S Streben zu enge Gränzcn. Er begab sich nach Paris und legte sich hier auf neue Studien. Die Psychologie fesselte ihn zunächst, ohne daß cr jedoch seinen mathematischen Forschungen untreu ge worben wäre; er schien vielmehr dadurch auf die Entdeckung des Elcktro-MagnetismuS hingesührt zu werden. Seit sechs Jahrhunder ten ist die Eigcntbümlickkcit des Magnets bekannt, und dennoch war die Wissenschaft in dieser Beziehung noch nicht weiter gekom men, als in der ersten Periode. Da erfuhr man, daß Oersted, Pro fessor der Physik zu Kopenhagen, die Entdeckung des Elektro-Mag netismus gemacht bade. Es war schon bekannt, daß unter gewissen Umständen die elektrischen Entladungen die Magnetnadel affizirtcn. Man hatte schon aus Schiffen, in welche der Blitz eingeschlagen, die Beobachtung gemacht, daß der Kompaß unbrauchbar wcrve. In die sem Fall verlor die Magnetnadel entweder ihre Kraft, oder ibre Pole kehrten sich um. Mehrere Physiker, unter denen Franklin, Beccaria, Wilson und Cavallo, batten dies Resultat durch Entladungen einer Levvener Flasche oder einer starken Batterie zu erzielen gesucht, und wirklich war es ihnen gelungen, Abweichungen sehr kleiner Magnet nadeln zu Stande zu dringen. Aber alle diese Experimente hatten nur unvollständige Resultate gewährt, und man begnügie sich mit der Annahme, daß der elektrische Schlag wie der Schlag eines Hammers wirke, ohne diesem Gegenstände weiter nachzuforschen. Endlich gelang cs Oersted, eine sichere unv permanente Einwirkung der Elektrizität auf den Magnetismus zu entdecken. Als die Wirk samkeit selbst einmal fest konstatirt war, konnte cs nicht niehr schwcr fallen, die Grundgesetze derselben aufzufinvcn. ES war allen Ge lehrten eine weite'Laufbahn der Entdeckungen eröffnet. Am 7. September 1870 erhielt die Akademie der Wissenschaften die erste Mittheilung dieser Entdeckung von einem Genfer Physiker, der die Erpcriinente des Dänischen Gelehrten in der Sitzung der Akademie wiederholte. Acht Tage nachher war Ampöre schon auf dieser Bahn weitergeschritten und hatte Vie Grundlagen der Elektro- Dynamik entworfen. Später machte er dann auch die Einwirkung der elektrische» Strömungen auf einander, den analytischen Ausdruck ihrer Repulsion und Attraction und die Beziehungen dieser Strömun gen zum Magnete und den magnetischen Substanzen bekannt. Bon der Voraussetzung ausgehend, daß vcr Erdmagnetismus den elek trischen Strömungen zugeschriebcn werden müsse, welche in der Erde nicht tief unter deren Oberfläche cirkuliren, suchte er diese Hypothese durch Experimente zu begründen. ES ist weitläufig genug von Ampörc's ernsten Bestrebungen die Rede gewesen, um seine Classification der menschlichen Kenntnisse, welche doch im Grunde nichts Anderes war als ein Kunststückchen, mit Stillschweigen übergehen zu können. Daher nur noch ein Wort über sein Privatleben. „Drei Dinge", sagte Ampere, „Haden einen wesentlichen Einfluß aus mein Leben gehabt: meine erste Beichte legte in mir den Grund religiöser Ueberzeugung; die Lobrcve auf Descar tes von ThomaS flößte mir die Liebe für die Wissenschaft ein, und die Eroberung der Bastille gab mir die Hoffnung einer socialen Wiedergeburt." Plutarch berichtet, daß Philopoemen die Strafe seines unglücklichen Aussehens zu leiden hatte. Etwas AehnlicheS traf auch bei Ampöre ein; meistcntheils war aber seine Zerstreutheit und seine Leichtgläubigkeit daran Schuld. Man denke sich nur, daß er zu einer Zeit, wo vie polotechnischc Schule ganz militairisch organi- sirt war, in einem Rocke ä la b'ranyawe in die Klaffe trat, sich vor allen Anwesenden tief verneigte und dann mit den hintersten Bänken ein Zwiegespräch anknüpfte, um zu erfqhren, ob die Zahlen auch groß genug seyen. Die Schüler ermangelten natürlich nicht, immer nein zn rufen, bis die ganze Tafel von fünf riesenhaften Zahlen ge füllt war. Trotz seiner Leichtgläubigkeit, war es nicht gar zu leicht, ihn zu täuschen. Dieselbe war vielmehr eine Frucht seiner regsamen Phan tasie, welche die künftigen Zeiten übersprang und fick mit entkernten Möglichkeiten und sonderbaren Theoricen nährte. So wie ihn die Wissenschaft überzeugt hatte, daß es in den ersten Zeiten der Schöp fung riesenhafte Thiergcschlcchter gegeben, die untergegangcn, so glaubte er auch ohne allen Grund, daß der Welt eine totale Wicker geburt bevorstehe. Ampöre war nicht reich; als General-Inspektor der Studien suchte er jedes Jahr um die Erlaubniß zu einer Jnspcc- tionsrcise nach, welche ihm einige hundert Francs einbrachte. Auf einer dieser Reisen erkrankte cr und starb in Marseille im Jahre 1836. Er war 60 Jahre alt. Seine letzten Augenblicke waren ruhig und heiter. Dem Almosenier, der Worte des Trostes an ihn richtete, antwortete er: „Ich habe meine Pflichten als Christ schon vor meiner Abreise von Paris erfüllt." Als man fragte, ob er ein Kapi tel aus der Nachfolge Christi hören wollte, sagte er: „Ich danke; ich weiß das Buch auswendig." Mannigfaltiges. — Großes Reformationsbild. In England ist der be rühmte Kupferstecher William Walker damit beschäftigt, eines seiner schönsten und größten Werke nach einem Gemälde des Britischen Meisters Cattermole zu vollenden. Es stellt dasselbe die Pro- testation aus dem Reichstage von Speier (am IS. April ISS»), also denjenigen historischen Moment dar, welchem der Protestantis mus seinen Namen vcrvankt. Das Bild, welches an 80 Figuren im Charakter unv Kostüme der Zeit enthält, zeigt im Vordergründe den Kurfürsten Johann den Beständigen von Sachsen, der für sich unv im Ramen seiner evangelischen Mitstände dem Könige Ferdinand, Bruder Karl'S V., die Protestations-Urkunde übcrgiebt, in welcher sie erklärten, daß sie in' Sachen des Glaubens nur Gott als den höchsten Richter und die heilige Schrift als Autorität, nicht aber menschliche Satzung und Unfehlbarkeit anerkennen. Zur Rechten des Kurfürsten befinden sich Wolfgang, Fürst zu Anhalt, und Philipp, Landgraf von Hessen; zur Linken Georg, Markgraf von Branden- hurg, und die Herzoge Ernst und Franz von Lüneburg. Weiter rechts aus dem Bilde erblickt man Vie Reformatoren, Martin Luther, umgeben von seinen Freunden Spalatin, Justus JonaS, Melanchthon, Mykonius, Bugenhagen, Bullinger, Bucer und Ockolampadius. Auf der anderen Seite des Bildes stehen, zur Rechten des Königs, Graf Mirandula, der Päpstliche Legat, Karvinal Cajetan, und Albrecht, Kurfürst von Mainz; zur Linken: Joachimi-, Kurfürst von Brandenburg, Wilhelm, Herzog von Bayern, und der Pfalzgraf Friedrich. Außer den Genann ten zeichnen sich noch viele andere historische Personen durch ihre treffliche Auffassung aus: namentlich Johann Faber, Bischof von Wien, Karl Miltiz, der zwar mit dcm Kardinal Cajetan den Auf trag hatte, Luther zu widerlegen, darin aber nicht weit kam, und die Herzoge Georg von Sachsen und Heinrich von Braunschweig. Herr Cattermole, der an diesem Gemälde mehrere Jahre arbeitete, hat dazu die Bildnisse benutzt, die Albrecht Dürer, Lukas Cranach, Holbein und andere Deutsche Meister von jenen Männern hinterlassen haben. Als eine der kräftigsten und ausdrucksvollsten Figuren wird besonders die von Wolfgang, Fürst zu Anhalt, bezeichnet. Bei dem Kupferstecher, Herrn Walkcr, sind bereits auf die ersten Abdrücke diefvö Bildes ungemein zahlreiche Bestellungen eingcaangen, und Exemplare la Irur« dürften wohl kaum nach Deutschland davon komnien. HerauSgegcbcn von der Redaktion der Ailg. Preuß. Staats-Zeitung. Rekigirt ron I. Lehmann. Geduckt bei A. W. Hahn.