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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeranon» Prei« 22j Sgr. (j Th>r.) -iericljökrlich, Z THIr. für ras ganz« Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen Ler Preußischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf diese« Litcratur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staat« Zeitung (Friedrichsflr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohvöbl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. I. Berlin, Donnerstag den 2. Januar 1840. Die Literatur des Auslandes. Wir beginnen in diesem Monate den neunten Jahrgang unseres „Magazinö" und halten es bei dieser Gelegenheit für Pflicht, einige Worte des Dankes anszusvrecheu gegen den großen unk achtbaren Kreis von Lesern, der unserem Blatte in diesem langen Zeiträume treu geblieben ist und unser bescheidenes Streben nicht bloß durch Nachsicht, sondern sehr ost auch durch aufmuntcrnden Beifall geehrt und beschuht Hai. Wir Haden gewiß nicht geirrt, wenn wir den Grund des letzten) hauptsächlich in dem von uns immer beobachteten Priuzipe gesunden, bei unseren Mittheilungcn aus den verschiedenen literarischen Gebieten des Auslandes niemals den Standpunkt auS dem Auge zu verlieren, den unsere eigene, den die Deutsche Literatur, der ausländischen gegenüber, cinnimmt. Ohne diesen Grundsatz, ohne diese unerschütterliche Pietät vor den heimatlichen Laren würde zcdcs Magazin bloß fremder Literaturen ein Sakrilegium im Heiligthume des Gedankens und der publizistischen Wirksamkeit seyn. Darum haben wir auch vorzugsweise immer auf dieienigen literarischen oder volkergrschichtlichen Erscheinungen hingewiesen, die eine direkte oder indirekte Beziehung zu unserem Vaterlande hatten, und wenn wir auch die stehende Rubrik „Deutsche Literatur im Auslande" aufge- geben, weil man diese bier und da für eine Selbstbespicgelung hielt, die einerseits eine zu kleinliche Eitelkeit und andererseits zu viel Rücksicht auf das Lob des Auslandes verrathe, so sind doch besonders unsere MisorUen ein saft fortlaufender Hinblick auf die Einwirkungen geblieben, welche die Deutsche Literatur stets mehr aus die Literaturen des übrigen Europas äußert. Ein bekannter Württembergischer Kritiker hat in dem letzten Hefte der „Deutschen Vierteljahrsschrift" (Stuttgart, Eotta) in dem Streben nach einer „Weltliteratur" und in der Fähigkeit der Deut schen, alle fremde Formen in sich aufzunehmen und zu reproduziren, etwas llnpatriotisches erkennen wollen. Er fragt, wo in aller Welt eine andere Nation sich finde, die, wie die Deutsche, ihre Literatur als ein Karawanserai betrachte, in welchem so viele Fremde auS- und einpassiren, vast man darüber fast den Boden vergesse, auf dem man stehe. Er erklärt den Kosmopolitismus der Deutschen als einen Mangel an Rstioualsinu, und das Gefallen an allen Erzeugnissen des Genius, gleich viel, woher er stamme, bezeichnet er als charakter lose GcistcSschwelgerci. Unser Kritiker, der damit den Patriotismus zu vertheidigrn meint, übersieht jedoch, daß er mit seinen Konse anenzen allmalig eine Chinesische Mauer auffübrt, hinter d^r freilich das, was er Nationalität nennt, geschützt, diese selbst aber zur Karri- katur wird. Es sähe in der That mißlich um uns Deutsche aus, wenn man uns erst beweisen müßte, daß der Patriotismus eine Tugend und der Mangel desselben die größte Schmach eines Volkes sey. Aber mit der Ablegung von National-Vorurtheilen hört man noch nicht auf, sein Vaterland zu lieben, und die Anerkennung frem der Vorzüge darf gewiß bei Nationen, eben so wie bei Individuen, eher selbst ein Vorzug, als das Gegcntheil genannt werden. Und ist es nicht vielmehr rin patriotischer Gedanke, welcher der Deutschen Idee einer Weltliteratur zum Grunde liegt f einer Idee, welche die Deutsche Literatur als Vermittlerin, als einen geistigen Verband aller literarisch gebildeten Lander betrachtet ( So wenigstens und nicht anders haben wir den zuerst von Goethe ausgesprochenen Ge danken aufgefafit, der auch seine nächste Begründung darin zu finden scheint, daß Deutschland, wie nicht leicht ein anderes Land, für jede fremde Eigenthümlichkeit das Verständniß, für jede fremde Schönheit bereitwillige und neidlose Anerkennung und, was die Hauptsache ist, für jede fremde Wortform in seiner Sprache den begriffsmäßigen Ausdruck hat. Freilich ist daraus noch nicht auf die Verbreitung Deutscher Literatur im AuSlande zu schließen; ja diese ist sogar, wie wir das an einem anderen Orte ausführlich dargethan, keineSweaeö schon so allgemein gekannt und anerkannt, wie der patriotisch»' Deutsche wünscht und deshalb auch glaubt, aber eS bleibt darum doch nicht minder wabr, daß, bei aller Verschiedenheit mid besonderen Geltung der Völker-Individualitäten, doch in den höheren geistigen Strebungen der Nationen eine Einheit zu erkennen sep, die zuerst von Deutschlands großen Schriftstellern gewürdigt worden. Fahren wir darum fort, neben der höchsten Schätzung heimischer Production, unseren Blick auch stets auf das gerichtet zu halten, was rings um unS iu anderen Ländern literarisch gefördert wird. Wenn wir dabei vielleicht vom Auslande inrhr lernen, als dieses in derselben Zeit von Deutschland sich aneignet, so kann das ja nur zu unserem Vortheilc sepn. Halten wir aber auch streng darüber Wache, daß das Ausland unsere Penaten nicht ungestraft beleidige oder an greise. Wir haben das immer als eine uns, die wir gleichsam an den Deutschen LaudeSgränzen stehen, um alles Ein- und Ausgehende zn kontrolliren, hauptsächlich gestellte Aufgabe betrachtet. Wir sollen unö dabei weder von besonderen Neigungen, noch von Borurtheilen leiten lassen. In unserem Verkehr mit den Nationen giebt es nicht, wie in den Handels-Verträgen, besonders begünstigte oder ganz aus geschlossene Länder. Wir lassen, ohne ein anderes Ccrtifikat, als die eigene Vortrefflichkeit, eben sowohl Frankreichs als Rußlands Artikel zn. England versorgt nnS, wie auf dem merkantilischen, so auch auf dem literarischen Markie, mit vielen Erzeugnissen fremder Wcltthcile. Die Pprenäische Halbinsel, obwohl noch immer nicht vor politischen Wirren zu literarischem Selbstbcwußtscpn gelangt, giebt uns doch auch hin und wieder ein Zeichen geistigen, wenn auch schwachen Lebens. Italien senket uns seine Südfrüchte, die in einigen Land strichen, besonders in der Lombardei und in Toskana, wieder von einer günstigeren Sonne zur Rene gebracht werden, «chwcden und Dänemark bewähren im geistigen, ivie im socialen Leben, ihre alte Slaminverwandtschaft mit Deutschland, und selbst solche Länder, die politisch nicht mehr die alte Bedeutung bähen, wie Ungarn und Polen, haben doch sprachlich und literarisch nicht aufgehört, in un serer Völkcrkarte ihre Geltung zu besitzen. Alle aber befolgen aus literarisch-geistigem Gebiete richtigere und höhere Grundsätze, als auf mcrkantilischem; alle lassen die Erzeugnisse Deutschen Geistes nicht bloß ohne Zollschranke, sondern auch voll Anerkennung und Dankbarkeit gegen die Erzeuger zu. Hoffen wir, daß dieses Ver hältnis immer wohlthuender für den Menschengeist und immer ehren voller sür die Europäische Stellung unseres Vaterlandes sich gestalte. I. L. Frankreich. Die Jugend und das praktische Leben. Eine Vorlesung von St. Marc Girardin. St. Marc Girardin, einer der gründlichsten Kenner der Deutschen Sprache und Literatur, deren beste Werke er studirt und mit Ein sicht und Geschmack bcuriheilt, hat durch seine am 2. Dezember ge- batrcne Vorlesung in der Sorbonne sich neue Verehrer erworben. Diese Vorlesung zeichnete sich noch besonders durch den dabei statt- gcfundenen stürmischen Andrang der Zuhörer auS. Der Zudrang war so groß, daß er Ler für ihn schmcichelhasten Noihwcndigkeit uachgcbcu eine.: Theil scintr Zuhörer auf den stufen seines Katheders Platz nehmen zu lassen. „St. Marc Girardin", sagen seine kritischen Landsleute, „analpsirt mit großem Scharfsinne die Werke des Geistes, aber seine Frcimüthigkeit spricht zum Perzyu Neben ausgezeichneter Kritik giebt er nützlichen Unterricht. Die fort laufende Verbindung der Literatur mit der Moral, die Lehre zur Seite der Analyse, die Geschichte, befruchtet durch einen geistvollen Vortrag der Wahrheit, die Einbildungskraft, geführt von einem ge sunden Sinne, das ist der Charakter seiner Vorlesungen." Ohne dem Urtheile unserer Deutschen Leser vorgreifcn zu wollen, mögen sie auS der folgenden Probe, die wir ihnen aus der Vorlesung mittbeikcn, erkennen, wie weit diese Schilderung treffend oder un wahr sep. „Glauben Sie nicht, meine Herren", sagte Girardin nach einigen einleitenden Worten, „daß ich die Mission eines Reformators oder Apostels zur Schau trage; diesen Ehrgeiz besitze ich nicht, er sagt meiner Schwäche nicht zu. Man ist Apostel, wenn man eine neue Religion predigt, und ich kenne Leute, die Religionen anfertigen, um daS Apostel-Vergnügen zu haben. Ich habe keine neue Lehre; ich sage nur daS, waS Sie im väterlichen Hause gehört haben; ich bin nur daS Echo der bescheidenen Penaten, der Götter, die ich nach dem Falle der anderen Götter anrufe. Sie sehen, daß jene alten Marimen der Moral, die ich so gern in unsere literarischen Unterhaltungen mische, jene Religion ehrlicher Leute heutiges TageS, daS Geschäft und die Pflicht der ganzen Welt geworden ist. Nicht mehr die Geistlichkeit, nicht mehr die Obrigkeit, nicht die Universität bat die Seelsorge der Menschen, sondern alle Welt befaßt sich damit. Die Jugend hat bei ihrem Austritt aus der Schule keinen Aufseher, keinen Gcwissenswächtcr, sic hört nirgends eine Vorlesung über Moral, sondern rrägt nur Sorge für ihre lite- , rarische Erziehung, dasür find Einrichtungen, Anstalten, Btstimmun-