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«22 gewiß nur Wenige ihren Heerd vertanen. Gesetzt aber den außer' ordentlichen Fall, es entschlössen sich Millionen zur Auswande rung, so wäre bas ein sehr bedenkliche» Wagestück. Rehmen wir z. B- an, eine Invasion der Provinz Eamon durch die Briten Höne eine solche Wirkung: Eamon begränzi sich an drei Seiten mil anderen Provinzen, die schon zum Ueberfluffe mii Bewohnern gesegnet sind, und der plötzliche Andrang von ein Paar Millionen Rei»-Essern mehr würde jede dieser Provinzen in Helle V«r- zweiflung seyen; ja, diese Katastrophe wäre vielleicht der ein zige denkbare Impuls zu einer pariicllen Massenerhebung, die aber dem angrcifenden Ausländer nur Voriheil bringen konme: die Emigranten würden zuräckgcworsen, und im Fall eine» Wider stande» von ihrer Seile käme es zu gräulicher Konfusion und Zerrüttung. Dann stände ihnen noch gegen Abend die vcrhäliniß- mäßig schwach bevölkerte, aber auch zum großen Theil unwirih, bare, in die Kreuz und Quer von mächtigen Gebirgen durchzo gene Provinz Kuang-si offen, wo sie vielleicht unbehindert, aber zugleich mit Aussicht auf baldigen Hungertod einziehcn ivürden. Alle» die» braucht man dem Chinesen nicht erst vorzustellen; er ist berechnender Natur und folgt nie bloßen Eingebungen Ser Leidenschaft oder Begeisterung. Was nun endlich den Religion-Haß im reinen unin- tercssirien Sinne de« Worte» betrifft, so hat ebenfalls die Er fahrung gelehrt, daß der Ehmese dazu keine Prädisposition in sich irägl: ja, die beiden Haupi-Religionen de» Reiche» der Mitte sind nicht einmal geeignet, eine solche Prädisposition, wo sie wirklich vorhanden ist, ju nähren und zu pflegen. Zwar Hai es auch in Ehina schon Religions-Verfolgungen gegeben, aber nie um des Glaubens selbst, sondern um polnisch er Rücks« chicn willen. Die Ehinesischc StaalS-Reiigion, weiche in ihrer mwrünglichen Reinheil nur umcr den höheren Würbemrägeru und einem Theile der Gelehrten sich forigepflanzi, Hai einen sehr nüchternen Cha- rakrer und fast gar keine Bedeutung für Phantasie und Gemüth, daher auch eine ausländische, mit sinnlichem Kulius verbun dene und dem .Herzen viel wohlchucnderc Lehre, der Buddhi's- mu», schon vor achtzehn Jahrhunderten im Mmelreich freund liche Aufnahme sand und, immer mehr um sich greifend, die wahre Volks-Religion geworden ist. Der Buddhismus ist seinem Prinzipe und seiner Tendenz nach von dem allen Naitonal-Glau- den außerordentlich verschieden; er Hai aber den Leyieren nicht sowohl vernichtet, al» in sich absorbiri. Die Buddhistische Geist lichkeit findet für die Götter und vergötterten Menschen aller Na tionen in ihrem überschwenglich reichen Pantheon Platz, und ihre Moral aihmer einen Geist der Milde und des Erbarmens, der, wie die Erfahrung gelehrt, das Eis de« Nordens schmelzen und die verzehrende Glut de» Südens in liebliche Wärme um- wandeln kann. Recht auffallend zeigt sich die» z. B-, wenn man die muhammedanijchen Maiayen mit ihren der Lehre Buddha » huldigenden Brüdern vergleicht. Bei den Chinesen, al» einem seiner Namr nach ruhigen verständigen Volke, da» dor Islam selbst schwerlich zu Glaubens-Kriegen elekirisiri hätte, darf man demnach au» viel stärkerem Grunde annehmen, daß der Buddhis mus oder der synkreiistische Glaube, dem diese Lehre durch Accomobaiion sein Daseyn gegeben, sie gegen fremde Religionen duldsamer gemacht und mittelbar ihren Haß gegen da» Ausland sehr gemildert habe. Dasselbe beurkundet die Geschichte de» Ehristenihum« im Ehinesischen Reiche, besten Prediger so lange Duldung, ja bei dem Volke sogar Ermunterung fanden, bis der Verdacht ehr- und herrschsüchiiger Pläne ihre Sache verdarb. Selbst in unserer neuesten Zeit, wo die Animosität der Regierung gegen Rissionaire beider Religion«-Parteien aufs Höchste ge stiegen ist und den Chinesischen Proselyten die härtesten Strafen drohen, Haden die Glaubensboten von Seiten des Volkes, -da« sie im schlimmsten Falle gleichgültig, ofi aber mit lebhaftem In teresse anhöri, nichts zu befürchten; ja, es scheint keinem Zweifel unterworfen, daß noch jetzt kleine katholische Gemeinden lies im Innern foribeftehen, obschon sie ihre« Gottesdienst, au» Furche vor der Behörde, so heimlich halten muffen, wie die ältesten Christen im Römischen Reiche. Ueberhaupl kann nicht genug daran erinnert werden, daß es «in künstliche« uud ein natürliche« China giebl, und daß man sich hüten muß, dem letzteren, wozu die Maste der Ration gehör«, alle die abstoßenden Eigenschaften beizuiegen, oder in so eminen tem Grade beizuiegen, die erstere« autzeichnen. Da» künstliche China ist die Regierung, sind die Beamten der verschiedenen Klaffen, deren furchtbare« Netz die ganze Chinesische Welt wider ihren Willen überzieh«. Nur diese repräjen«iren oder Monopols- Kren die starre Sribstgenügsamkei« und Abgeschloffenheii, den finsteren Argwohn und Haß gegen alle» Ausländische, welche die bloße Nennung de« Namen» China uns vor die Seele führ«. Man zerstöre diese» Gewebe, und c« wird «in im Ganzen harm loses, zwar an Doruriheilen ladorirende», aber doch verträgliche» und für die Bildung von Außen her gar nicht unempfängliche» Volk übrig bleiben, da» bi« jetzt au« bloßer Bangigkeit die Ie- hässig«n Eigenschaften seiner Zwingherren dann und wann zuruck- strahlt. Vergleichen wir di« Berichte aller Ausländer, die au« «iaener Erfahrung über Ehina geschrieben haben, und e» wird sich ergeben, daß ihre Entrüstung über alle Unbilden, die sie von d«r Ehinesischen Regierung erdulden muffen, ihnen sel ten jede Lust benommen ha«, nebenbei dem Volke einige« Lob zu spenden; ja, solche umee ihnen, die vermöge ihrer Stellung hauptsächlich oder ausschließlich mir Bürgerklastcn in Berührung gekommen sind, rühmen fast ohne Ausnahme die zarte Rücksicht, offne Herzlichkeit und bis zu einem gewissen Punkt« sogar die Liberalität, womit man sie ausgenommen un» behandel« yai- So namentlich auch Herr Varroi, der sich in den miigetheilien Reisebildern al» einen der geistreich - lebendigsten und zugleich unparteiischsten Beobachter des Chinesischen Thun« und Treibens beurkunde«. Die Benriheilung der übrigen Gründe, womit Herr Barro« vor einer Eroberung China'« warn«, überlassen wir den Staais- Oekonomcn und dem Handelsstande. W. Schölt. Aegypten. Mehmed Ali und Aegypten. (Schluß.) Mehmed Ali, umgeben von einer widerspänstigen und auf rührerisch«! Soldaieska, von welcher sein Leben beständig be droh« war, sah sogleich den Voriheil ein, den er von dem Bei stände einer anderen Mach« ziehen könnte. Die Reihen der Ma melucken »chle«en sich in der Thai auf eine iraurige Weise; aber selbst noch als ein Gerippe des einst stolzen Corps waren sie furchtbar genug, um dem Despotismus Schrecken einzujagen und die Auloniä« des Pascha » unsicher zu machen. Er öffnete deshalb seine Länder den bisher verachieien und versolgien Christen; er stellie sie in seinem Rache und in seinen Armeen an; er schmei chelte ihrer Eitelkeit und mumene sie durch kleine Geschenke und große Versprechungen auf. Daher strömten ganze Hcerden müßiger Vagabunden, der Auswurf und Abschaum Europäischer Völker, nach Aegypten, und es wurde bald, was es jetzt ist, eine Zufluchtsstätte für die Verarmten, ein Abzugskanal, :n welchen oer ganze Schmutz Europa s sicher einfließen kimme. Aber mii diesen Elementen wirkte Mehmed Ali Wunder. Sein Volk all mälig an die Gegenwan und Gesellschaft der Europäer gewöh nend, ging er einen Schritt weiter und entwöhnte seine Unier- ihanen von ihren eingewurzelten Voruriheilen Es gelang ihm, eine Armee nach dem Muster der Europäischen zu errichten, und da er sand, daß diese Acnderung Voriheil brachte, schritt er zu anderen gleich wichtigen Verbesserungen. Er griff sie in den Vesten ihrer Vorurrheile an, indem er sie nüibigie, ihren Bari zu schceren und den Turban abzuschaffen, — führte durch Gründung öffent licher Schulen, so wie durch Errichtung von Fabriken und durch Verbesserung de« Landbaue», Künste und Wissenschaften em. Die Mittel, wodurch er die Macht erhielt, diese herkulische Ar beit auszusühren, waren seine eigenen; denn wenige Europäer würden kühn genug gewesen seyn, ihm bei diesen Thaien von Raub, Grausamkeil und Mord, welche seine frühere Laufbahn bezeichneten, beizustehen; doch jede Verbesserung in seiner Armee, in seiner Marine und m seinem Lande, welche auf diese Ereig nisse folgie, ist von Europäern oder unier ihrer Leitung ausae- gangen und ausgeführi worden. Die Soldaten und Matrosen Mchm«d Ali'» sind Konskribm«, mit Gewalt ihrem Heerde und ihren Frauen und Töchtern entrissen, die, unbeschützl und ge brochenen Herzen», in Abwesenheit der Männer, gezwungen sind, für eine kärgliche Nahrung den Boden zu pflügen und aus dem Felde zu arbeiten. Doch so unwillig auch im Anfänge diese Männer über die gewaltsame Entführung au« ihren Familien waren, so versöhnten sie sich doch bald mn ihrer neuen Lebens art. Da« Leben eine« Soldaten ist dem Geschmacke de» Araber», des Aegypier« und de« Türken angemessen und ist ihrem vorigen Zustande von Leibeigenschaft unendlich weit vorzuziehen. Diese Männer sind ireu, weil sie bisher nur eine forig«setzit Bahn de» Glücke« gegangen sind, und weil bei ihnen der Sieg immer der Vorläufer de» Raube» ist. Dieser fortgesetzte Triumph häli sie zusammen; doch den Jsmaeluen ist in der Stunde des Unglück» wenig zu trauen. Bei ihnen ist die Habsucht stet» da» leitende Prinzip, wodurch sie beherrsch, werden, und diese niedrig« Leid«n- schaft zeigt sich bei Offizieren und Gemeinen. Diese Männer sehen einen siegreichen Führer al« eine Ari von Halbgotts an und beugen sich in Anbetung vor ihm, bi« der Zauber durch eine Niederlage gebrochen wird; dann schließen sie sich eben so willig und mii gleicher Aufrichtigkeit an den Eroberer- Sollt« eine Europäische Armee gegen Sa» Aegypnsch« Heer in Bewegung gesetzt werden, so würde die Richtigkeit dieser Bemerkungen leicht erkannt werden. Di« Truppen unter Ibra him, diesem Menschenschlächier, haben durch ihr« glücklichen Er folge gelernt, »i« Heere de» Sulian« zu verachten, doch sie ken nen wohl und fürchten den überlegenen Much und d»e Disziplin der Europäischen Truppen. Eine sehr kleine Schaar Englischer Truppen würde hinreichen, die hunderttausend Krieger de» Pa scha« zu zerstreuen; und einmal g-snzlich zerstreut, würde e« fast unmöglich seyn, sie wieder zu sammeln. Der Pascha wird von d«n Aegypiern gefürchtet, aber nicht geachtet; die ärmeren Klaffen tragen kein Bedenken, wenn es ohne Nachcheil für sie geschehen kann, auf seine Habsucht und Tyrannei zu schimpfen; er wird von d«n Syrern gehaßt, welche nur durch die Gegenwart seiner Truppen von offener Empörung zurückgehalten werden. Jeder Theil seiner Herrschaft eilt dem Verfall entgegen, weil ihm die Bevölkerung entzogen wird, um seiye Armeen zu füllen; weile Strecken des fruchtbarsten Lande« von der Welt, da« früher von Ueberfluß strotzte, sind jetzt öden Wüsten ähnlich, und der größer« Theil der wenigen Unglücklichen, die in den Dörfern znrückgetaffen wurden, werden beständig zu den öffemlichen Arbeiien gezwungen, indem man sie zur Beloh nung dafür halb verhungern läßt und wie da» Vieh behandelt.