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580 Ministers da« Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten über nommen haue. Es dürft« wenige Staatsmänner gegeben haben, welche seltener mit eigener Hand geschrieben haben als Talleyrand. Dennoch enthält diese Korrespondenz mehr als 200 Briefe von ihm, in denen sich sein Geist und seine Sinnesart auf die verschie denste Weise abspiegeli. Aus dem Haupt-Quartiere von Straß burg schreibt er an Hauierive: „Ich bin überzeugt, daß Sie sich keine Vorstellung von dem machen, was man ein Haupi-Quanier nenn«; es ist ein Ort, wo man am Tage Niemand auf der Straße begegne«, wo sich Jeder um neun Uhr schlafen legi, wo man keine andere Uniformen, als die der Pompiers steht, und wo sich vier Palast-Damen, eine Kaiserin, drei Beamte de» Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Maret und ich aufhalien." In einem Briefe Talleyrand's, Latin von Austerlig den Sten Dezember, findet sich folgende Stelle: „Welcher Tag für einen Fran zösischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, mein lieber Hanicrive; ich habe das Schlachtfeld besuch!, auf welchem IS — 16,000 Tobte auegestreckt sind; von denen, die in den Seen den Tod gefunden haben, spreche ich gar nicht, ivcil man die Leichname noch nicht herausgefischl hak. Auf dem Raume, den ich durch wandert habe, liegen 2000 wdte Pferde. Näheres über den Waffenstillstand werden Sie aus den Büllciins ersehen." — Hau- «erive antwortete hierauf: „Sie sprechen vom Schlachifelpe, von den Todten, von den ertrunkenen Soldaten wie ein Zaporo- gischer Kosak." — In diesem Briefe spricht sich übrigens der ganze Enthusiasmus aus, den die Schlacht bei Austerlitz hervor brachte. „Welcher Gegensatz und welche Zauberei!" heißt es in demselben. „Welch reichen Stoff der Verwunderung, des Stu diums und der Unterhaltung erhallen wir für das Ende dieses Winters und für das Ende unseres Lebens, wie fern cs auch seyn mag. Ich fthnc mia, nach Ihnen und nichi minder nach völliger Muße, um den Sachen nachdenken zu können, welche meinen Geist erfüllen und mein Herz begeistern, von denen ich mir Rechen schaft geben mochte, und die mich zu dem Bedauern veranlassen., daß ich nicht statt der Feder das Schwer« gewählt und den Krieg studirt habe, die einzige Kunst oder Wissenschaft, wie man will, welche jetzt noch einen positiven, nützlichen, ehrenvollen und be friedigenden Charakter Hai. Man trägt sich hier damit, daß der Kaiser mit dein Hause Oesterreich einen für das letzt« ehrenvollen Frieden abschließen, aber sich in München zum Kaiser des Abend landes krönen lassen werde." Der Plan, sich zum Kaiser des Abendlandes zu erheben, welchen Napoleon in der Siegestrunken- heii der Schlacht bei Austerlig faßte, ist eine bemerkcnswenhe Thaisache, die in Rom erst im Jahre 1807 bekannt wurde. Im Jahre I80S wurde Hauierive nach Fontainebleau berufen, wo ihm, der Kaiser verschiedene Noten dikiirte, welch« beweisen sollten, daß Pius VII. in seinen Streitigkeiten mit Napoleon der angrcifende Theil gewesen sey. Es «nag eine Probe der Kaiser lichen Politik in Bezug auf diese Frage hier folgen: „Der Papst soll Bischof von Rom bleiben. Wäre zur Zeit des heiligen Pewus die Lage der Dinge dieselbe gewesen wie jetzt, so würde der heilige Peirus aus dem Innern Galiläa'S nach Paris gekommen seyu. Was die theologische Erörterung angehl, so nimmt diese der Kaiser auf sich; in Betreff der Politik liegt das Recht klar am Tage." — Später änderten sich freilich Napoleon'S Ansichten, und er hielt die Zurückhaltung des Papstes zu Fontainebleau für eines der lästigsten Hindernisse. Als Napoleon aus Rußland zurückkchrie« ließ er, kaum in den Tuilericen angckommen, Hautcrive zu sich berufen. Nach Austausch der gewöhnlichen Höflichkeiisformeln sagte er zu die sem: „Ich will von legi an nur noch ehrliche Leute um mich haben." — Doch wir können Hauierive selbst reden lassen: „Wir gingen in seinem Kabinei auf und ab; er sprach wenig; nicht an ders ich. Plötzlich stand er vor mir still und sagte, indem er seinen durchdringenden Blick auf mir ruhen ließ: „„Könnte man denn nicht in das Blut dieses schläfrigen und apathischen Volks etwas Brennstoff schleuderns"" — „„Sire"", entgegnete ich, „„das gehl schon lange so fort, und wir habest seil einundzwanzig Jahren Krieg. Zwei Ihrer Feldzüge haben mehr Geld und Blut ge kostet, als alle Kriege dieser Zeit, die dennoch in den zwanzig letzten Jahrhunderten nicht ihres gleichen finden. Die einund zwanzig Kriegsjahre sind ein Jahrhundert von Unfällen, Leiden und Todesfällen gewesen, und man möchte endlich ein Ende sehen. Uebrigens haben Sie ja auch den Krieg ruhmvoll geführt pnd sind in alle Hauptstädte Europa'« eingez'ogen. Die Pariser Bür ger werden sagen: Als der Kaiser Napoleon in Wien und Ber lin einzog, waren die Einwohner keineswege« in Furcht vor ihm. So lange er sich an beiden Orien aufhielt, gingen sie ihren früheren Beschäftigungen nach; sie arbeiteten, sie aßen, sie schliefen, wie früher. Nicht anders wird es seyn, wenn der Kaiser Alexander in Pari« einziehen wird."" Napoleon ließ mich nicht ausreden. Die gewaltsame Bewegung, die sich auf seinem Gesichte malte, belehne mich, daß ich genug gesagt Hane. Er wendet« seine Augen von mir ab und erhob sie zum Himmel. Hierauf stampfte er den Boden mit seinem Fuße und sagte mit dein bittersten Tone: „„Wenn ich Wien verbrannt hätte."" Ich gestehe, daß bei die sen schrecklichen Worten mir da« Blut in den Adern erstarrte, und ich habe nie eiwas gehört, was einen ähnlichen Eindruck auf mich gemacht hätte. Er erholte sich indeß bald von dieser heftigen Lnchäilerung, und dieselbe wirkte länger in mir als in ihm nach." Diese Scene zwischen dem Kaiser, dessen Siern im Erlöschen war, und dem Diplomaten, gehört zu denjenigen, welche allein das dramatische Genie eines Shakespeare würdig auszumalen im Stande wäre. Wie sollte man nicht von dem wilden Drange betroffen werden, der den Käiscr zu der Frage veranlaßte, ob es nicht ein Mittel gäbe, Brennstoff in das Blut der Volkes zu schleudern! Als ob dieses Volk nicht genug gegeben hätte! Al« ob es nicht genug Blut vergossen, nicht genug Gold gespendet hätte. Frankreich war unter der Last der Eroberungen ermattet und erschöpft; es sieht? den Eroberer um Schonung an. Wie ein Roß, dem der Reiter zu viel zugemuchel haue, sank es röchelnd umer ihm zusammen, und vergeblich waren alle seine Anstren gungen, es zu einem neuen Laufe anzustacheln. (I.. <i.j Mannigfaltiges. — Ein Irländer über Deutschland. Einen der abge schmacktesten Artikel über Deutschland, die jemals in Englischer Sprache geschrieben worden, hat die Idevue Uritwnigue in ihr diesjähriges November-Heft übertragen. Das Englische Original dieses ins Französische übersetzten Artikels soll angeblich in Frank furt a. M- unier dem Titel „Oormanv" erschienen seyn und einen Irländer, Namens B- Hawkins, zum Verfasser haben. Unmöglich aber konnte ein solcher Mischmasch von wahren, halbwahren und ganz au» der Luft gegriffenen Nachrichten in Deutschland selbst gedruckt werden, ohne daß der Verfasser Gelegenheit erhallen hätte, beinahe eben so viele Berichtigungen hinzuzufügen, als er Notizen gegeben hat. In diesem Aufsatze werden auf ungefähr SO Oktav,eiten nicht« mehr und nicht« weniger, als der Geist, der Deutschen Geschichte, ein Bild der geselligen Zustände des Landes, die Politik des Deutsche!» Bundes und endlich der Handel und die Industrie der Zollvereinstaaien dargelegt und entwickelt. Um einen Begriff davon zu geben, wie man, woy der lebhaften Ge- danken-Communicaiiort, die jetzt zwischen Deutschland, England und Frankreich besteht, trotz Eisenbahnen und Dampfböien, dicht vor den Thoren Deutschlands über dasjenige uriheili, was in die sem Lande sich begiebl, wollen wir hier aus einigen der oben er wähnten Abschnitte ein paar Notizen zum Besten geben, wie sie Herr Hawkins gesammelt *und die Uevue lti-itwnigue ins Fran zösische übersetzt Hai. Was zunächst die Deutschs Geschichte be trifft, so wird den Englischen und Französischen Lesern unter Anderem erzählt, daß Luther das Deutsche Volk durch Aufstache lung seiner Gelüste (pu-ammn ki-maisn) und durch Versprechungen einer Amnestie für alle seine Verbrechen dem neuen Glauben zu ge winnen wußte. Damit in Uebereinsiimmung wird denn auch die Re formation als das größte Unglück für Deutschland dargestell«, welches letztere in Folge derselben bis auf die neueste Zeil in allen wissenschaftlichen und literarischen Bestrebungen zurückgeblieben sey. Selbst die Präludien von Goethe und Schiller (unter deren Vor gängern auch Fichte genannt wirdj seyen ohne Echo im Lande geblieben, und erst die Jnvasiivn der Franzosen, oder vielmehr der Beistand der Russen, habe Deutschland zu einer Ar« von politischem Sebstbewußlscyn aufzurmieln vermocht. „Vergebens", sagt unser Irländer, „Hanen Schiller, Goethe, Uhland und Körner ihre patriotischen Gesänge ertönen lassen; die Gegenwart der Russi schen Armee war viel entscheidender: sie allein war es, die eine allgemeine Erhebung bewirkte." Zu dem geselligen Zustand des Landes übergehend, «heilt der Verfasser die Einwohner Deutsch lands in folgende sieben Klaffen ein: l) hoher Adel: 2) ehemals unmittelbarer Reichs-Adel; 3) Prälaten; 4) besonderer Adel jedes Deutschen Landes; 3) tier-t-vrar oder Bürgerstand; 6) Bauern und 7) endlich bloße Einwohner, die nicht die Rechte der Staats bürger haben. Der Verfasser findet keinen einzigen Deutschen Siam ohne die augenfälligsten Gebreche», gegen die ihm Alles, was an England und Frankreich auszusegen ist, als unbedeutend erscheint. M« richtig er aber in dieser Beziehung uriheili, ist schon allein aus dem Umstande zu ermessen, daß er von den Preußischen Proiestamen sag«, sie suchten, den Katholiken gegenüber, dieselben Grundsätze der Unterdrückung geltend zu machen, di« Eng land in dem Zeiträume von 1688 bis I79S gegen Irland angewandt habe. Der Vcrf. weiß also nicht einmal, daß vor dem Preußischen Gesetze Protestanten und Katholiken ganz gleich sind, und daß es eben nur die von einer ganz anderen Seit« her, als von Preußen, ausgegangene Versagung dieser Gleichheit ist, die zu den legten Differenzen Anlaß gegeben. Er weiß nicht, daß, trotz dieser Differenzen, die brüderliche Liebe unter den Bekennen« der verschiedenen Konfessionen, namentlich aber in der Hauptstadt und in den alten Provinzen des Landes, nicht einen Augenblick gestön, und daß selbst bei dem letzten großen Reformationsfeste überall nur mit Liebe der katholischen Brüder gedacht worden. Gleich wohl erblickt unser Irländer in dieser angeblichen Feindschaft ein vortreffliches Mittel, Uneinigkeit in den Deutschen Bund zu brin gen und — den von Preußen ausgegangenen Zollverband wieder aufzulösen. Hino illae laerz-mse! Und trotz solcher Ungereimt heiten nimmt die Uovue Uriltsnigue, die früher einmal so vorireff, lich rcdigirl war, einen Artikel der Art in ihre Blätter auf! In Frankreich sollte man doch endlich gut genug über Deutschland unterrichtet seyn, um nicht alles das auf Treu und Glauben hin zunehmen, was irgend ein Irländer, der weder für sein Wissen noch für seinen Charakter eine Bürgschaft darbielet, über die Zustände dieses Landes drucken läßt- Herausgegeben von der Redaction der Mg. Preuß. StaatS-Ieitunz. Redigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hap».