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5' Schöneres, Größeres, Erhabeneres kann es nichl geben, al ber Palast der Päpste. E« ist mehr als ein Palast, mehr als eine Veste, es ist ein Sih ver Wcliherrschafi. Und doch waren diese Avignoner Päpste, die für 2v,lM) Goldchaler die Stadl gekauft hauen, nur halbe Päpste, ja noch weniger, nur das Drittel davon. Was mußte also ein ganzer Papst erst seynk Aus diesem Palast Hai man eine Kaserne gemacht: schreckliche Eniweihung, ich will nichl sagen der Päpste, aber der Geschickte! Hier tanzen, lesen, singen, spielen, bärsten und sticken ihre Bein kleider jene Französischen Soldaten, die feinsten ihrer Gattung, die lustigsten und muniersten Müßiggänger der Well, ein Geschlechi, besten Leben in ewiger Heiierkeil verfließ! und das eben so leicht stirbl wie es lebt. Selbst die Heiligenbilder an den Decken ihrer Päpstlichen Kasernen stimmen sie mehr zu Witzeleien, als zu Frömmigkeit Zum Cicerone gab man uns die Frau des Schloß- vogis, eine alle aufgeräu-nie Markelenderin, die diesen Posten seil elwa dreißig Zähren bekleideie und lange Erfahrungen haue. — „Na, Kinderchen, immer voran, ich werde Luch herumsühren." — Wir besuchien zuerst einen der grössten Theile des Palastes, der einst auch einer der wichtigsten war, die berühmic Päpstliche Küche, zu der die ganze Well beisteucne, bis Luiher mil einem Slvß seiner gewalttgen Ferse die Häisie ihrer Fleischtöpfe um- stürzle. Die Kapelle, obgleich sie im Ganzen sehr gelitten, be wahr! doch in einem ihrer Winkel noch einige Spuren ihres ehe maligen Glanzes: die Decke ist ein gestirnlcr Himmel, an welchen! Heilige in gelben Halbstiefcln und Persischen Gewändern schwe ben; man sollie glauben, es wären unsere Modeherren beim kleinen Frühstück. Dann kömml die Rüstkammer, deren Täscl- werk mii kriegerischen Insignien, Päpstlichen Wappen und doppel- len Schweriern bemal« ist, darüber die Jnschrifi: :nl nkrnnniuu pnrttt.», das heißt bereu, das Zeitliche wie das Geistliche zu ver- iheidigen. Von da stiegen wir nach dem Jnguisilionsgefängniß hinauf, dessen Mauern mii lief eingegrabenen Klagen der un glücklichen Gefangenen ganz bedeck, sind; so viele Seufzer wür ben hier dem Sleine anveriraui, der sie einig wiederholt. Mehrere dieser Klagen aihmen eine edle, einfache Kühnheit und inan fühl«, daß die Schlachwpfcr den Henkern Schrecken cinflößen mußten: „Selig sind, die da hungert und dürste« nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen sau werden." — „8l mal» Inoutu-, -nun, «slumln g»>ä inuli äixorim; si I-one Ivcutns xuiu, enr ine eaeäiii?" — Ist dies nichi erhaben f Bekundei das nichl, was für Menschen man hier wie Feinde bchandsliek Das Herz schwillk einem an, wenn man so ci- was liest. Derselbe Kerker war späiet der Schauplatz anderer Gräuel, die aber wenigstens nichl im Namen der Religion verüb« wurden. Als die Sepiembrisaden auch über Avignon hercinbrachen, warf man dorchinein ihre Opfer, die hier sammi und sonders nieder- qemeyelt wurden; durch eine Ar« von Fallihür, die zu unseren Füßen sich öffne« und in einen mehrere Swckwerk hohen Thurm hinunlergähnl, flossen die Siröme unschuldig vergossenen Bluies hinab. Noch jetz« kann man an den Mauern das Rieseln dieser furchtbaren Sündfluih verfolgen; beim Anblick der breuen schwarz- rvthen Streifen sträubt sich uns das Haar auf dem Scheue«. (Schluß folge) Aus dein Leben eines Diplomaten. Das Leben des Grasen von Hauierive, von dem kürzlich Arlaud eine Schilderung gegeben Hai, gewähr, uns da» Bild einer mehr als vierzigjährigen diplomauschen Laufbahn. Der Graf von Hauierive stank allerdings nicht im Vordergründe des politischen Schauplatzes, aber er nahm dennoch an den Ver wickelungen einer so ercignißreichcn Zeit keinen unbedeutenden Aniheil und war den Personen und Begebenheiten nahe genug gerückt, um eine Einsicht in die geheimen Moiive, die dein Auge des bloßen Zuschauers entgehen, zu gewinnen. Es läßt sich da her leicht denken, daß sein Leben ein mehr als persönliches In teresse haben muß, da mii demselben die Geschichte eines be deutenden Abschnittes der Französischen Diplomatik verknüpft ist, rind daß dasselbe reich an wenhvoilen Aufschlüssen über Personen und Zustände der Revolution und der Kaiscrzeu scyn wird. Der Graf von Haurerive war übrigens nich« nur Diplomat und ver stand nicht nur diplomatische No«en und Berichte zu entwerfen, sondern er hatte sich auch die Kunst, zu schreibet« und seine Gedanken in eine entsprechende Foim zu kleiden, angceignet. Talleyrand machte ihm sogar einst einen Vorwurf daraus, daß er nur ein Literal sey. Bekanntlich verdiente Talleyrand diesen Vorwurf, wenn man ander« die Schr'ststcllcrci für etwas mit dem Berufe ei,«es Diplomaten und Staatsmannes Unvereinbare» gelten lassen will, nicht im mindesten und brauch-e auch nicht danach zu streben, da er die Federn Anderer für sich in Bewe gung zu setzen wußie. Daher mag man auch in dieser Aeuße- rung Talleyrand's mehr den Ausdruck des Neides, den ihm die wohlgeschttebenen Berichte seine» Ab,Heilungs-Chefs verursachten, al« einen begründeten Tadel sehen. Ein Blick auf das Leben de» Grafen von Hauierive bestätigt zum wenigsten nicht, daß ihm die diplomauschen und politischen Gaben, welche Talleyrand in so emmemcm Grade besaß, durchaus abgingcn. Hauierive wurde der diplomatischen Wirksamkeit im Jahre I7M durch seine Bekanntschaft mit dem Herzoge von Choiscul zugeführt. Er war damals Professor am Oratorium zu Tour» und erhielt als solcher den Auftrag, den Herzog bei seiner An kunft in dieser S,adi, wo derselbe deb Venheilung der Preise 9 beiwohnen wollte, zu bekomplimeniiren. Die Rede des jungen Professors hatte für ihn den günstigsten Erfolg, insofern sie ihm eine Einladung nach Chameloup verschaffte, wo sich damals in dem Salon des Herzogs von Choiscul die angesehensten Per sonen versammelten. Damit war der erste Schritt geihan. Als Ludwig XVI. den Grafen von Cholseul-Gousster, Neffen de» Staatsmanns, zum Gesandten in Konstantinopel ernannte, wurde ihm der junge Hauierive als GesandischaslS-Auachö beigegeben. Im Gefolge der Gesandischafi befanden sich ferner der Abb« Delille, der Abbe L« Chevalier, welcher die Stelle des allen Troja auffand, der bekannte Zeichner Cassas und Fauvel, der sich später um die Ruinen Athens so verdient machie. Delille war ein leidenschaftlicher Kaffeefrcund. Die Folge davon «var, daß er bald nach seiner Ankunft in Konstantinopel von einer Augenemzündung befallen ivurde. Hauierive, den der Herzog von Choiseul-Goufficr gebeien Ha ie, sich des Dichters anzunchmcn, lcgie es diesem ans Herz, sich mehrere Monate seines Licblingsgelränks zu enthalten. Delille schien sich in sein Schicksal zu ergeben, aber der Herzog bemcrkie bald, daß er gewöhnlich nach dem Mittagseffen au» Pera entwische und sich in Begleitung eines Janitscharen nach Konstantinopel begebe. Das Augenübel des Dichters verschlimmerte sich dabei alle Tage. Hauierive befragte daher mii Hülfe des Dolmetschers den Ianit- scharen, der an, öftersten mn dem Abb« Delille verschwunden war. Dieser machte Kenn auch kein Hehl daraus, daß derselbe in Siambul die Kaffeehäuser besuche und den Arabischen Nektar genieße. Vergeblich waren aber Hauterive's Aufforderungen, dem Dichter hierin nicht zu Willen zu seyn. Der Ianiischar er- klärie aufs unumwundenste, daß er, trotz seiner Verehrung für den Padischah von Frankreich und dessen Gesandien, diesem Ge- boie nicht Nachkommen könne. Er beschrieb, wie der Abbö Delille, wenn er mit ihm in der Barke fahre, die Augen zum Himmel aufschlage und die Sonne bei der Hinfahrt, die Sterne bei der Rückkunft anrufe, wie er plötzlich aufstehe und laut in einer Sprache rede, die nicht so einfach wie die der Franken sey. Der Türke sah m den Verzückungen des Dichters nichts Anderes als die Aeußerungen eines stillen Wahnsinns, dem er, nach Türkischen Begriffen, nicht widerstreben zu dürfen glaubte. Dieser Zug scheint eben so bezeichnend für den Abbe Delille wie für den Türkischen Charakter zu seyn. Hauierive verweilie hierauf einige Zeit in der Moldau als Secrelair de» Hospodars. Bald übermannte ihn indeß die Lange weile, und er bai um die Zurückberufung nach Frankreich. Er kehrte dorthin über Berlin zurück, wo er sich in einem Buchladen mehrere Stunden mit einem Unbekannten unterhielt, der, wie er später erfuhr, der berühmte Mirabeau war. In Paris verhei- raihcie er sich mit einer reichen Witwe und zog sich auf ein Land, gui seiner Frau zurück, wo er den Ausbruch der Revolution ab- warme- Dori empfing er einen Bries seines Freundes, des Abbö Barihelömy, der vom 18. Mai 1790 datitt ist und welcher, da er die Stimmung aller gemäßigt Gesinnten ausdräckt, hier einen Platz finden mag. Er lautet: „Ich beneide Sie um den Genuß der Natur; ich bin zum Umgänge mit der Gesellschaft verdammt, welche jetzt sehr hart und sehr grausam ist. Ich bin von Un glücklichen umgeben; ich höre nicht« als begründete Klage», als jchaudcrvolle Neuigkeiten, und ich bin schwach genug, um mich von Gräßlichkeiten, welche fern von mir begangen werden, rühren zu lassen. Candide würde jegt schwerlich bei seiner Ueberzeugung verharren können, daß wir in der besten Welt leben. Die starken Geister trösten sich mit dem Gedanken, daß das Schreckliche noth wendig ist. Glauben Sie mir, iheurer Freund, das Menschen geschlecht ist ein arger Lump; man muß fern von demselben leben, um es lieben zu können." Die Sepiemberlage des Jahre« 1792 machie» auf Hauierive einen schmerzlichen Eindruck. „Ich kann nie begreifen", sag« er in seinem Tagebuchs, „daß es, trotz der Erinnerung an diese , Tage, Menschen gicbl, welche weder einfältig, noch schlecht sind, und die doch an die Volks-Souverainetäi glauben. Man muß nicht ibissen, was das Volk und was die Vernunft ist, um diesem Worte einen Sinn unierzulegen." Hauierive bekleideie einige Zeil die Stelle des Französischen Konsuls in New-Aork. In Amerika machie er Talleyrand's Bekannlschafl, die nicht ohne Folgen für seine diplomatische Laufbahn blieb. Der ehemalige Bischof von Aulun wurde durch Marie Joseph Chönicr's Verwendung von der Liste der Emigran ten gestrichen und kehrte nach Paris zurück, wo sich umerdeß auch Hauierive wieder cingefunden hatte. Er wurde im Jahre 1799 zum Abiheilungs-Ehcf der auswäriigen Angelegenheiten ernannk. Jin folgenden Jahre veröffemlichte er eine Schrift über den Zustand Frankreichs am Ende des Jahres VIII. Napoleon be zeigte dem Verfasser seine Zufriedenheit mit derselben dadurch, daß er ihm eine Granficalion von 2L,0VV Franc» aus seiner Privalkasse auszahlen ließ. Al» Abiheilungs-Chef hatte Hauierive häufig Gc- legenhcu, den ersten Konsul zu sprechen. Als dieser ihn eines Tage» fragie, was die Diploinaiie sey, aniworicie er, sie sey eine Wissenschaft und eine Kunst und müsse daher gelcknt werden. Nach der Ennordung des Herzogs von Enghien bcsuchie Hauierive Herrn von Talleyrand und sagte zu diesem mii dem Ausdruck der Entrüstung: „Man kann nicht länger unter ihm dienen" — Der Minister erwiederre darauf in seiner kalten Weise: „Wie da«! Die Geschäfte bringen es so mii sich." Im Jahre I8N5 emspann sich eine sehr lebhafte Korrespondenz zwischen Talleyrand, der dem Haupt-Ouarnerc des Kaisers in einiger Entfernung folgte und Hauierive, der in Abwcscnheii de»