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Pressen war damals al« Rekrutirungsmittel in Anwendung; immer ein sehr unsicheres Verfahren, dessen Rohheit bei denen, die darunter leiden, den geheimen Wunsch erweckt, sich durch De< seniren davon zu befreien; in England Hai es auch seit kurzem den größten Theil seines Einflusses verloren. Ma» erinnert sich vielleicht, daß Sir James Graham, welcher dem Parlamente die Unrechilichkeit und das Unzureichende dieser Maßregel fühlbar machte, dafür eine andere vorschlug, welche dasselbe erzielt und doch mi« unseren Institutionen mehr übereinstimmt. Dank dem großen König, wurde nun der Seedienst nach Klassen dort ein- gefuhri, die bei uns jetzt ebenfalls bestehen, bei uns jedoch auf einer weiten, umfassenden Grundlage, ohne Vorbehalt und ohne hemmende Beschränkungen. Colbert und vorzüglch seinem Sohne verdanken England und Frankreich eine so vonyeilhafte Anordnung. Es war der Marquis von Seignelay, der am 16. April 1680 jene denkwürdige Ver ordnung abfaßie, in welcher alle Bedingungen der Laufbahn eines Matrosen auf die nützlichste und geschickteste Weise sestgestellt wurden. In wenigen Jahren erhob sich Frankreich von 16 mit telmäßig ausgerüsteten Schiffen zu einer ansehnlichen Seemacht. Mehr denn 200 große Fahrzeuge brachten seine Flagge auf allen Meeren der Welt in Ansehen; 66,000 Matrosen und 14,000 Mann regelmäßiger Truppen kämpften fast immer siegreich, oft selbst vortheilbringend gegen einen Theil von Europa; und ohne das vorgerückte Alter des großen Königs, durch welches in allen Triebfedern seiner Regierung eine unheilbringende Erschlaffung «ingeriffen war, würde das Mißgeschick von La Hogue niemals seine Seemacht haben zerstören können. Seil jener Zeit Hal Frankreich manchen Schicksalswechsel auszuhallen gehabt. Der unglückselige Friede von 176Z wurde für dieses Land die Ursache politischer Erniedrigung. Lange Zeit war erforderlich, ehe diese tiefe und schmähliche Wunde verharr- schen konnte, und wenn es Frankreich unter der Regierung Lud wig'» XVI. gelang, auf dein Meere wieder einen ehrenwerthen Platz einzunehmen, so kam dies daher, weil die damaligen An ordnungen viel zur Wiederbelebung des Seewesens beitrugen, währenv die jetzt dort außer dem Klaffen-Dienst noch übliche See-Rekruiirung es leicht auf immer lähmen könnte. Diese Rekrutirung nämlich wird für diesen Augenblick nach folgendem Grundsatz ausgeführl: Frankreich besitzt, wie bekannt, zwei Seeküsten, an denen sich eine zahlreiche seemännische Be völkerung entwickeln könnte, wenn nicht der Handel dieses Landes seil einigen Jahren an auffallender Schlaffheil daniederläge. Die Kolonieen Frankreichs, welche durch die inländische Zucker- Kuilur in ihren wichtigsten Jnieressen leiden, beziehen aus dem Mullerlande nur noch einen geringen Theil ihrer Erzeugnisse. Andererseits sind auch diese Erzeugnisse entweder von so verdäch tiger Güte oder von so Hohen Preisen, daß sie die Konkurrenz mit den Englischen Waaren nicht bestehen können und daher keine leichte Ausfuhr finden; wenn man nun noch die hohe Fran zösische Schiffsfracht, in Anschlag bringt, die eine Folge der un zureichenden Anzahl von Rheder» oder Matrosen ist, so begreift man leicht, daß eine solche Sachlage dem Aufschwung der Küsten- Bevölkerung nachträglich seyn muß. Daraus gehl nun der Uebel stand hervor, daß Frankreich mil seinen ausgedehmen Küsten und seinen an zwei Meere» so vortrefflich gelegenen Häfen doch nur ei» für seine Handels-Bedürfnisse unzulängliches See-Personal besitz«, welches ihm daher keine miliiailische Konlingenle liefern kann, ohne daß seine Fischereien und scme Kauffahriei-Schifffahrr darunler leiden. Umer solchen Umständen hat die Regierung daraus Verzicht geleistet, die zum Staatsdienst nöihige Anzahl von Mannschaften ganz aus den Klassen der Küstenbewohner zu ziehen. Man hat es gemacht wie in Rußland, das Innere des Königreichs hat aushelfen müssen; indem man aber zugleich die Bedürfnisse der Flotten mit den Umständen versöhnen wollte, sann man auf eine Vermischung der Land- und See-Elemente, brachte aber dadurch nur eine Verwirrung hervor, indem man sich vergebens bemühte, ungleichartige und widerstrebende Elemente zu verschmelzen. So wurden die Linienmannschaften für die Naiionalmarine zu zwei Dritiheilen au« den Sceleuien der Küsten-Klassen und zu einem Drillheil au« gewöhnlichen Äonskribirlen zusammengesetzt. War war aber die Folge dieser Verschmelzung t Die Frage ist leicht zu beantworten, Zuerst eine instinkiariige Sonderung zwischen diesen zwei Arien von Individuen, die in Sioen, Ge wohnheiten und ofl selbst in der Sprache sich von einander un terscheiden; daraus entstehen Reibungen bei den Dienstleistungen, die leicht deren nothwendige Regelmäßigkeit stören. Dann die Einführung einer Menschen-Race an Bord der Schiffe, die sich sehr wenig zu ihrem neuen Stande eignet, Leute von sitzenden Handwerken, die man aus den Fabriken, vom Pfluge und aus ihrer Häuslichkeit selbst hinwegführie; eine An von Mestizen, die nur aus Pflicht amphibisch, von Natur aber wasserscheu sind, und die dem Meere selbst verdächtig vorkommen, da» als seine Beherrscher nur Leute anerkennen will, welche sich von Kindheit an auf den Gipfeln seiner Wellen schaukelten und deren Kraft, Behendigkeit und azurne Hände, caerulese manu«, ihm allein sei ner Gunstbezeugungen und Gefahren würdig scheinen. Es kömmt noch so Manches in Betracht, was uns bei ernsten Fällen die Brauchbarkeit jener Rekruiirungs - Mannschaften in Zweifel ziehen läßt, die erst mit 20 bi» 2l Jahren in das Ma- 352 rine-Eorps eintreien. Jeder weiß, welch' lauge Uebung und Ge wohnheit dazu gehört, um auf dem Meere zu einiger Sicherheit zu kommen; träte nun der Fall ein, daß man beim Ausbruch eines unvorhergesehenen Kriege» plötzlich viele Tausende solcher Äonskribirlen an Bord der Staaisschiffe aufnehmen müßte, wie würden wohl diese auf ihren künftigen Stand so unvollkommen vorbereiteten Leute sich in schwierigen Zeiten benehmens Sie, die für die Beschwerden des Meeres empfindlicher sind, al» alle an dere, könnten sie wohl von besonderem Rügen seyn? Es wäre ein trauriger Jrrchum, dergleichen zu hoffen. Man würde unnütz ganz unbrauchbare Subjekte beherbergt und ernährt, die Hospi täler angefüllt und die Muthvollen durch die Besorgniß, schlecht unterstützt zu werden, nur enimulhigt haben; man häne nur die Schwachheit mit der Kraft, den Invaliden mit dem rüstigen, thätigen Manne gepaart und so die Stärke der besten Schiffs mannschaft entnervt. Es giebl Uebcrsichien, aus denen zu ersehen ist, daß die rekruiirten Seeleute den bedeutendsten Theil der Kranken in allen Hospital-Listen ausmachen. Wenn epidemische oder ansteckende Krankheiten, wie z. B- der Skorbut, auf einem Schiffe auebrechen, so sind diese immer die ersten Opfer, denn überhaupt in allen Fällen kann ihre Organisation nie so gegen die Beschwerden einer mühevollen Schifffahrt ankämpfen, wie die eines Matrosen aus den registririen Marine-Klassen. Man könnte aber den Einwurf machen, daß jene Leute sanfter und gefügiger scyen, als die aus den Klassen; daß sie sich mit mehr Lust dem Waffenhandwerk hingäben und vorzüglich al» Kanoniere sehr gut zu brauchen wären. Das mag zwar Alles in der Form, doch, streng genommen, in der Thal nichl so wahr seyn. Wenn der rekrmirle Matrose in die Marine eimriil, so ist er schon in dem Aller, wo sich der Selbsterhaltungsmeb leb haft gellend macht; er fürchte«, sein Leben in einem ihm unbe- kannien Gewerbe aufs Spiel zu setzen, und muihe« seiner Kraft auch nicht die Hälfte der Dienstleistungen zu, die er bei einigem Vertrauen auf sich und zu seiner Geschicklichkeit recht gut aus- führen könnte. Mil sich selbst beschäftigt, «aug« er nichts auf seinem Posten, während der echte Matrose so viel leiste«, als er irgend vermag; dazu ist ihm Alles behülfljch, seine Beine, Zähne, Hände; kurz, der ganze Körper ist mit voller Seele bei seinem Werke; sind aber die physischen Kräfte durch einen aus schließlichen Zweck, den der Selbsterhaltung, eingenommen, so kann man bei allen Schiffsmanövern und auf dem Verdecke gewiß auf einen Mairosen weniger rechnen. Wenn nach Ablauf seiner Dienstzeit der See-Konskribitt« etwa bei der Handelsschifffahr! eine Anstellung suchte, um so eine nützliche Anwendung von seine» neuerworbenen Kenntnissen zu machen, so wäre das doch eine An von Ersatz, die zum Vor- «heil und Gedeihen des Handels ausschlagen könnte; aber ganz sichere Listen beweisen, daß bei diesen Leuten ein Wiedereintreten in den militairischcn Seedienst nur selten vorkömno und An stellungen bei Privatleuten noch mehr von ihnen verachtet wer den. Von einer nur mit Widerwillen eingegangenen Verpflich tung nach mehreren Jahren befreit, beeilt sich ein solcher Ma trose, zu seinen früheren Beschäftigungen zurückzukehren, und ent zieh! sich ganz und gar allen Anforderungen des Handels, ohne dem Siaaie eine Aussicht auf eine spätere Wiederbenutzung sei ner Dienste zu geben, wie dies bei allen Matrosen aus den re« gistrinen Marine-Klaffen stets der Fall ist. Aus allen diesen Umständen entsteht ein bedeutender Nachtheil für die Französische Marine; sie ist in ihrer jetzigen Verfassung nicht das, was sie eigentlich seyn sollte; ihr Personal ist unzureichend für die Anzahl ihrer Schiffe und daher ganz unfähig zu einer guten und kräftigen Führung derselben. (Schluß folgt.) Mannigfaltiges. — Der Nordamerikanische Locofoco. In der neuesten Zeit ist in den Vereinigten Staaien eine politische Pariei, die dort ungefähr dieselbe Stellung cinnimmi, wie in England die Radikalen, mit dem Spanischen Wort loeo-koco bezeichnet worden, das aus den südlichen Staaten herstammt, jetzt aber in der ganzen Union das Bürgerrecht erlangt Hai. Der Locofoco ist, im buch stäblichen Sinne des Wons, ein loller Hitzkopf; in der politischen Sprache versteht man etwas Aehnliches darunter, nur daß er hier eine bestimmtere Farbe erhalten hat. Ein Amerikanische» Blatt entwirft von dem Locofoco folgende Schilderung: Er ist mit nichts Bestehendem zufrieden, er will eine gleiche Verlheilung des Eigen,Hums, Umsturz der Landes-Jnstitulionen und stau deren irgend ein abgeschmackles, unausführbares Utopien von seiner eigenen Erfindung. Sein Geschrei ist: „Gleiche Rechie, gleiche Privilegien und gleiche Gesetze!" Darunter versteht er Rechte, Privilegien und Gesetze, durch die er ohne besondere Talente und Muhen eben so reich, mächtig und angesehen zu werden denkt, wie seine fleißigeren, weiseren, geschickteren, industriöseren und wohlhabenderen Nachbarn. Der Locofoco verlang« eine neue Verfassung; alle Schulden will er zu bloßen Ehrenschulden ge mach« sehen; Niemand soll über ihm stehen; Gold und Silber sollen das einzige Eirculationsmioel seyn, und die ganze Form bcr Gesellschaft nnd der Regierung soll umgeschmolzen werden. Wenn aber auch alle Wünsche seines Herzens heute erfüllt würden, morgen wäre er doch wieder eben so unzufrieden wie jemal«, denn seinem unruhigen Sinn kann nimmer Genüge geschehen. HerauSzegeben von der Redaktion der Allg. Preuß. Staat«-Zei,ung. Redigirt von Z. Lehman». Gedruckt bei A. W. Lavn.