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niedrig war, konnie ich dennoch aufrecht stehen. Das Ameuble ment war natürlich höchst einfach; cs bestand aus einem fichte nen Tisch, einem hölzernen Schemel und einer Mairatze. Da neben befand sich ein Marmorblock, an welchem die Keilen des Gefangenen befestigt waren. Da meine Hand noch immer wund war, wurden mir die Kenen nicht angelegt, sondern an dein Mar morblock aufgehckngi. Neben der Thür stand ein Ofen von Ziegeln, die eben so wie die Wand mit weißer Kalkfarbe bestrichen waren. Das Licht drang zu mir durch eine zwei Fuß hohe und achtzehn Zoll breite Luke, welche meine Freude und meine Qual war. Auf dem Schemel stehend, blieb ich ganze Stunden lang vor der selben in stille Beschaulichkeit versunken. Ich sah den Himmel, die grünen Bäume, ein kleines halbkreisförmiges Thal, durch welches der Inn hinstrvmte." „Die Behandlung der Gefangene» auf Kufstein war nicht be sonders milde. Wenn der Gefangene das Gefängniß betrat, verlor er seinen Namen; selbst dem Kommandanten blieb er verborgen. Diesem schrieb man bloß aus Wien, daß dieser oder jener Offizier mit dem Transport zweier Gefangenen beauftragt sey, welche er in Numero II und l? umerzubringen habe und welche er in seiner Korrespondenz ebenfalls nur mil dieseii Nummern zu bezeichnen brauche. Daß uns jede Verbindung nach Außen hin untersagt war, versteht sich wohl von selbst. Schon in Mantua haue man uns unser Geld, unsere Uhren und einen großen Theil unserer Effekten abgenommen, und wir hauen weder Papier noch Dime oder Bücher. Der Kommandant war übrigens ein vortrefflicher Mensch, der zu der Strenge seiner Instructionen nicht noch neue Plackereien hinzufügie- Zweimal täglich wurde mir durch das Schiebefenster meine magere Mahlzeit gereicht, die Thür selbst aber nur Sonnabends für den Stabs-Chirurg»«, der in Beglei tung zweier Kustodes und zweier Offiziere kam, geöffnet." „Die Umhäiigkeit und der Mangel jeder Beschäftigung mach ten mich fast wahnsinnig. Der Arzt sagte mir, daß, wenn ich Geld hätte, ich mir Bücher aus Jnnspruck kommen lassen könnte. Ich zog einen goldenen Ring von meinem Finger und bat ihn, denselben zu verkaufen, damu ich mir Papier, Feder und Dime dafür verschaffen könne. Er sagte mir, daß dies ohne besondere Befehle aus Wien nicht erlaubt sey. Ich haue indeß seil dem ersten Tage meiner Gefangenschaft über ein Miuel, mit Sömon- ville zu körrespondiren, nachgcdachl. Ich war endlich auf einen Einfall gekommen Nachdem die Thür von Außen verriegelt worden war, stieg ich zu meiner Luke empor, und den Mund gegen das Giuer gelehnt, fing ich an, eine Arie aus der Oper Armida zu singen. Semonville erkannie meine Stimme nicht. Dieser verunglückte Versuch emmulhigie mich indeß nicht, und ich versuchte zwanzig andere, die keinen besseren Erfolg hauen. Nach Verlauf einiger Zeit bemerkte ich, daß sich alle Abende von der Seite her, wo Semonville saß, ein Geräusch vernehmen ließ. Ich vermuiheie, daß er seine Keue vom Tisch nach dem Bcue schleppe, und hoffte, daß er auch ein Geräusch bei mir vernehmen würde. Ich dachte nun darüber nach, wie ich mich mit ihm in Verbindung fegen könne. Endlich erfand ich gewisse Zeichen für das Ohr, indem ich mit dem Stiel meines Besens gegen die Wand schlug. Nach acht Tagen haue ich die unaussprechliche Freude, eine Antwort zu erhalten. Obgleich unsere Mitcheilun- gen nur sehr langsam und unvollkommen von Stauen gingen, so konnten wir uns doch das Nöihigste eröffnen." „Von diesem Augenblicke an war ich gerettet. Ich haue meinen heiteren Unglückegefährten wiedergefunden, ich konnte mit ihm meine Gedanken ausiauschcn. Diese Zerstreuung, so wie die reine Luft der Tyroler Berge, wirkten günstig auf meineOesund- heil ein. Eines Abends wurden unsere Plaudereien durch ein ähnliches Geräusch, welches vom entgegengesetzten Ende des Thurmes herkam, unterbrochen. Wir horchien auf und hörten deutlich die Worte: „„Lasset einen Unglücksgcfähricn an Euren Unterhaltungen Theil nehmen."" — Wir anuvoneien zugleich: „„Ls ist ein Franzose."" — „„Nein"", war die Antwort, „„ich bin kein Franzose, aber ich dulde wie Ihr."" — Unsere Umerhal- tung wurde fortgesetzt, und wir erfuhren, daß unser Leidensgenoffe der Baron Spaun war. Er war ein ausgezeichneter Ma thematiker und dikiirie mir in der Folge sehr verwickelte astrono mische Formeln, welche er mich bat, Herrn de la Place miizuthci- len, wenn ich nach Paris zurückgekchri seyn würde." „Bald fing indeß dieser Theilnchmer an, uns lästig zu wer den; wir dulfien nicht mehr laut denken. Ein Französischer Sol dat, welcher im Dienste der Kustodes stand und welcher mir den Wunsch bezeigt hatte, mir gefällig zu seyn, überbrachte Semonville das neue Losungswort, und von nun an wechselten wir alle acht Tage unsere Chiffre. Aber kaum waren drei Tage vergangen, so Halle sie der Baron Spaun schon immer entdeck«. Er machle r» sich zur Ehrensache, unsere List zu vereiteln, und klopfie uns, wenn er unsere Chiffre entdeck, Hane, boskafier Weise zu: ,,„Aen- dcrn Sie Idee Combinalion; meine Redlichkeit zwingt mich. Ihnen zu sag.cn, daß ich Ihre Minheilungen verstehe."" Bald <rai indeß eine große Veräud-rung unter den Bewoh nern des Gefängnisse ein. In Ungarn - ar die Verschwörung von Maneinweditz ausqebiochcn. Viele Verschworene starben auf dem Schaffoi; enic r-ch größere Zah wanderte in die Gefäng nisse. Die Regierum fing indeß an, über die Anwesenheit einer so großen Anzahl v-m i'aaatsgcfangenen in dein Lande selbst, da« diese aufgeregt hauet- besorgt zu werden. Die Ungarischen Ge fangenen wurden also in die Gefängnisse der Erbstaaten und die der Erbstaaten nach Ungarn abgeführt. In Folge dieser Verän- der ng verließ auch der Baron Spaun Kufstein- Wir gewannen indeß wenig dadurch, denn nicht nur derjenige, der seine Stelle in Numero 7 einnahm, sondern fast alle Ungarische Gefangenen hallen bald unser Gehcimniß entdeckt. So wahr ist es, daß die Noch erfinderisch mach,." „Da unsere vertraulichen Unterhaltungen für immer gestört waren, so sann ich auf ein anderes Mittel, mir die Langeweile zu vertreiben. Von meiner Krankheit her, hatte ich eine kleine Flasche zurückbehaiten, in welcher sich etwas Weinessig befand. Ich warf gerostete Eisenihejle hinein, welche ich von der Thür abgeschabt haue, und mit Hülfe der Ofenhitze erhielt ich eine ziemlich konzcnlrine Eisenauflösung. Der Thee war unser ge wöhnliches Getränk, und aus diesem hoffie ich durch Aufkochen die nöihige Säure zu ziehen. Es gelang mir. In de» ersten Tagen meiner Gefangenschaft Halle ich einen Flimenstein gefun den, den ich sorgfällig aufbewahrie, denn für einen Gefangenen kann jeder Gegenstand wichlig werden. Dieser Stein dieme mir nun als Federmesser, mit dem ich eine Feder, die ich in meinem schlechten Kopfkissen gesunden, zurechtschniil. Auch für das nö ihige Papier wurde Rach geschafft. Während meiner Krankheit in Mantua hatte mir der Arzi Pulver verordne«, deren Umschlag ich sorgfällig aufbewahrie. Das genügie indeß noch nicht. Die Frau des Kommandanten hatte sich der Französischen Gefangenen erbarmt. Sie schickte uns öfter Früchte und Blumen in dem Korbe, der unsere Nahrung barg. Am Neujahrstage fand ich unter dem Brodle einen Kalender, der mil weißen Blättern durchschossen, ein anderes Mal eine Deutsche Grammatik, die in weißes Papier eingeschlagcn war. Durch alle diese Gaben wurde mein Papierschatz bedeutend vermehrt." „Nun glaube man nur gar nicht, daß ich mich mit ernsten Gegenständen beschäftigen wollte; nein, mein Ehrgeiz war hin länglich gedämpft. Ich halte allen Ehrgeiz abgedankl und machte jetzt Gedichte, Tragödie», mehrere Komödien in fünf Akten und in Versen, die nicht ganz übel waren. Diese in meinem Ge fängnisse entstandenen Schöpfungen verschafften mir später die Ehre, Mitglied der Akademie zu werden." Man mußte die freudige Miene des Dichters sehen, wenn er auf seine literarischen Erfolge zu sprechen kam. — „Der Kaiser", fuhr der Herzog von Bassano fori, „erkundigte sich oft nach dieser Episode meines Lebens; die Geschichte unserer Gefangenschaft inleressirte ihn. Eines Abends kam in seinem Kabinet die Rede auf die lite rarischen Arbeiten, die ich zu Kufstein verfaßt hatte- Der Kaiser lachte laut auf und sagte: „„Wahrhaftig, mein armer Maret, ich hätte nicht geglaubt, daß Sie ein solcher Reimschmidt wären."" — ,,„S>re"", erwiederie ich, „„ich weite darauf, daß Sie Schlachipläne entworfen hätten."" — Er zuckle die Achseln und sagte: „,,Jm Grunde haben wir Alle unser Stecken pferd. Sie werden wenigsten« gestehen, daß ich meine Muße stunden nützlicher angewendel habe, als Sie."" „Nun ich", fuhr der Herzog in seiner Erzählung fort, „mit Schreibmaterialien versehen war, fühlte ich mich erleichtert. Semonville, dem ich meine Freude miitheilte, erwiederie: „„Ich beneide Dich; ich langweile mich zuin Sterben, aber ich bin zu dumm, um Deine Erfindung zu benutzen."" In der Thal Hane meine Lage Vieles vor der seinigen voraus. Nebrigens nahie auch scholl die Stunde unserer Freiheit. Der Befehl, uns in Freiheit zu setzen, langte ani 17. Mai I7S6 aus Wien an. Unser Aufenthalt auf der Festung Kufstein haue 22 Monaie und II Tage gedauert. Der brave Kommandant begab sich sogleich nach unserem Thurme, um uns die freudige Nachricht zu bringen. Zuerst kan« er zu mir; ich lag schon im Beite. Kaum nahm ich mir die Zeit, mich anzukleiden, und geleitete ihn dann i^ach Numero II. Semonville schlief fest. Als er aus dem Schlafe auffuhr uyd neben sich zwei Männer bemerkte, glaubte er, daß man ihn zum Tode führen wolle. Ich redete ihn an, aber er erkannte meine Stimme nicht und sah uns verwirr« an. Oie Sprache ist unfähig, die Scene zu schildern, welche crfolgie, als er mich erkannie und erfuhr, daß wir frei seyen. Er war wahn sinnig vor Freude." „Einige Stunden später nahmen wir ein Frühstück beim Kommandamen ein, dessen noch junge Frau den liebenswürdig, sten Aniheil an unserem Glücke bezeigie. Der Kommandant sagte uns noch, daß ein Offizier, der nächstens einireffen werde, den Auftrag habe, uns »ach Frankreich zurückzugeleiie». „„Da aber"", sagie er dann, „„meine Instruciionen in Bezug auf Sie weiter nichts enthalten, so werde» Sie seine Ankunft in meinem Hause abwarten."" Wir blieben hier acht Tage; allein, obgleich wir mit der zuvorkommendsten Freundlichkeit behandelt wurden, erschien uns die Zeil dennoch sehr lang. Der Gesandte aus Wien, welcher uns nach unserem Vaterlande zurückführen sollte, langte endlich an. Es waren jetzt fast drei Jahre ver flossen, seitdem ich meiner Familie, meine» Freunden, meinem Vaierlande entrissen worden war Aber wie viele Begebenheiten waren seitdem auf einander gefolgt! Als ich sah, welche Wen dung das Schicksal meines Vaterlandes unter ungeschickte» Hän den genommen hatte, verflogen meine schönen Träume." Die Aufnahme, welche den au« der Gefangenschaft Zurück kehrenden zu Theil wurde, entsprach nicht ganz ihren Erwartun gen. Da« Direktorium dekremie zwar umcr dem 9. Florea! des Jahre« IV, daß die Bürger Marei und Semonville den Fran zösischen Namen durch ihre Ausdauer und ihren Much geehrt hätten; aber das war auch Alles. Marek war zu stolz, um sich zu beklagen; er zog sich auf das Land zurück und beschäftigte sich dort mii der Literatur und den Wissenschaften, bis Barchelemy in da« Direktorium gelangte.