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336 habe Maral geiödlel." — „Wer hat Euch zu dieser Mordchai bewogen?" fragte der Präsident. — „Seine Verbrechen." — „Was versteht Ihr unter seinen Verbrechen?" — „Alles Un glück, dessen Ursache er seil der Revolulion war, und da« er noch über Frankreich bringen wollte." — „Wer verleitete Euch zu dieser Mordchai?" — „Niemand; ich allein habe den Ge danken gefaßt; was man nicht selbst beschlossen hat, führt man schlecht aus." — „Was war Eure Absicht bei der Ermordung Mara«'«?" — „Den Unruhen Frankreichs ein Ende zu machen. Ich lödieie einen Einzigen, um Hunderttausende zu retten; einen Verbrecher, um Unschuldige zu schützen; ein wildes Thier, um meinem Lande die Ruhe wiederzugcben." — „Bildet Ihr Euch denn ein, alle Marai's getödrei zu haben?" — „Den Einen wenigstens; die Anderen fürchten sich nun vielleicht." Das Blutgericht veruriheilte Charlotte Corday zum Tode; mit Antheil hörte sie die Worte Chauveau-Lagarde's an, des Veriheidigers, welchen die Henker-Richter wie zum Spott für das junge Mädchen ernannt hatten; er sprach ungefähr Fol gendes: „Die unerschütterliche Ruhe,fdiese gänzliche Selbstverleug nung im Angesicht des Todes, diese von einem gewissen Ge sichtspunkte aus erhabene Ruhe und Verleugnung sind nicht na türlich und können nur durch eine Ueberreizung der politischen Schwärmerei erklärt werden, die ihr den Dolch in die Hand gab. Den Geschworenen liegt es ob, zu beunheilen, von welchem Ge wicht diese moralische Rücksicht in der Waage der Gerechtigkeit feyn kann." Als sie ihre Verunheilung aussprechen Hörle, malte sich eine freudige Bewegung auf ihrem Gesicht; die Verlesung ihres Todesuriheils Höne sie wie eine Belobung mit an. Mil Würde blickle sie zu Chauveau-Lagarde auf und redeie ihn also an: „Sie haben mich so schön venheidigl, ich kann Ihnen nicht loh nen, was Sie für mich lhaien, weil all mein Vermögen einge zogen ist; aber ich habe eine kleine Schuld in meinem Gefäng- niffe abzumachen, und voller Achlung für Sie, bitte ich Sie, dieselbe zu tilgen." In einem Briefe, den Charlotte von Corday an einen ge ächteten Deputtnen geschrieben haue, äußerte sie über ihren Prozeß: „Ich bedarf eines Veriheidigers, so will es das Gesetz; ich wählte dazu Gustav Doulcet von Pontecoulant vom Berge, doch glaube ich, er wird diese Ehre ablehnen." Charlotte von Cor day halte Doulcet von Pontecoulant, als einen ihrer Landsleute, erwählt; er schlug es aus, und sie schrieb ihm folgendes Billet: „Doulcet von Pontecoulant ist ein Feigling, weil er meine Verchei- digung ablehnie, die doch so leicht ist. Der, welcher sie über nommen Hai, «hat cs mit aller nur möglichen Würde. Ich bin ihm dafür bis zu meinem legten Alhemzuge dankbar verpflichtet." Der Brief an ihren Va>er lautcie wie folge „Verzeihung, mein iheurer Vater, daß ich ohne Ihre Erlaubniß über mein Leben verfügte. Ich rächte schuldlose Opfer; ich habe vielem Unheil vorgebeug». Das Volk, wenn es von seinem Irrwahn zurückkömmi, wird sich freuen, eines Tyrannen ledig zu seyn. Als ich Ihnen vorredeie, daß ich nach England ginge, hoffte ich, mein Inkognito bewahren zu können, aber ich sah die Unmög lichkeit davon ein. Ich hoffe, daß man Sie nicht verfolgen wird. In Caen finden Sie Veriheidiger. Leben Sie wohl, theurer Va ter; ich bitte Sie, mich zu vergessen, oder vielmehr, sich über mein Schicksal zu freuen. Sie kennen Ihre Tochter; ein tadelns- weriher Beweggrund konnte sie nicht leiten. Ich umarme meine Schwester, die ich von ganzem Herzen liebe, so wie auch alle meine Verwandte. Vergessen Sie nicht den Vers des Corneille: Nicht das Schaffst bringt Schande, — das Verbrechen nur. Morgen um acht Uhr werde ich gerichtet." Um sieben Uhr wurde Charlotte von Corday zum Revolutions- Platze geführt; die Furien der Guillotine, die September-Mörder, bedeckten alle Straßen auf ihrem Durchzuge. Dürstend nach dem ihnen versprochenen Blute, erfüllte» sie die Luft mit wildem Geschrei. Charlotte bewahrte eine unverwüstliche Kaltblütigkeit, die Heiterkeit ihrer Züge offenbarte die Ruhe ihrer Seele. Meh rere Zuschauer grüßten ehrfurchtsvoll die Heldin, andere riefen ihr fast mit lauter Stimme Beifall zu. Es schien ihr, als sey das ganze um sie versammelte Volk durch ihren Muth befrei»; ohne zu erblassen, bestieg sie die Stufen des Schaffst«. Nach dem Tode wurde dem jungen Mädchen noch Schmach zugefügl; die Henker versetzten ihr mehrere Backensireiche. Doch schienen selbst die entwürdigten Wesen, welche das Schaffst umstanden, Un willen darüber zu empfinden; sie ließen diese niedrige Rohheit bestrafe», welche sich mehrere Male auf dem, Platz wiederholte, wo Ludwig'« XVI. Blut geflossen war. Der Konvent verkündigte, daß er dem Begräbnisse des ver- räiherisch für die Sache der Freiheit hingemordeien Marai's in corpore beiwohnen werde, und daß alle Schulden des Letzteren auf Kosten der Republik bezahlt werden sollten. Marai's Apo theose wurde von der königsmörderischen Versammlung ausge- rufen; der Gott des Blutes ward angebeiei. David betritt die Rednerbühne und zeigt an, daß er Maral in der ehrfurchigebie- lendsten Stellung angetroffen; er habe die eine Hand au« seiner Badewanne herausgestreck«, als wolle er noch seine letzten Gedan ken für das Heil des Volkes aufzeichnen. Mil Beifallrufen ant- woriei der Konvem auf David'« Berich», und dieser sprich» darauf jene Worie, die den äußersten Grad der Herabwürdigung bekun den: „Caro, Aristide«, Sokrates, Timoleon, Fabricius, Phocion, Euer Zeitgenosse war ich nicht, aber ich habe Mara, gekannt." Ls war damals eine Zeil der Schande, die Alles übeririffl, was die Geschichie der Völker Schmachvolles aufzuweisen Hal. Alläre werden zu Marai's Ehren errichlei; das Abbild des Un geheuers verunzier, alle Plätze; der Konvent befiehlt, daß in allen Theilen Frankreichs an den Versammlungsorten des Volkes ein Berg errichte, werde; dorthin wird Mara«'« Büste gestellt; dort krönt man den mit Blume», zollt dem Ehrenbezeugungen, der jeden Tag wiederholte: „Man inuß noch zweihunderttausend Köpfe abschlagen." Kinder führt inan zu diesen Altären; die Mörder ihrer Väier geleiten sie dahin und reichen mit bluttrie fende» Händen de» Kindern ihrer Opfer die Blumen, welche sie auf diese den Furien geweihten Altäre streuen sollen. Aus gotteslästerlichem Spott werden heilige Gesänge zu Maral'« Ehren gesungen. Feste werden zu Ehren von Maral'« Herzen gefeiert, und man Hörl jenen Gesang anstimmen: „Ma ral'« Herz, du Iesu-Herz", — der Ausdruck des höchsten Grade« von Wahnsinn und Gotteslästerung. Mannigfaltiges. — Englisches Uriheil über Tieck'« Novellen. Diese Erzählungen, — so sagt ein Kritiker in der Voreign Huartcrlz: keview, — wovon uns acht Bände voriiegen (Tieck s gesammelte Novellen, Breslau I8Z8), sind größiemheils, wo nicht sämmilich, in der Absicht geschrieben, irgend eine irnhümliche Zeit-Tendenz zu heilen, irgend einen Volkswahn in seinem wahren Lichte dar- zustellen, die Thorheii desselben dem Publikum wie in einem Spiegel zu zeigen und cs dadurch zur Vernunft zurückzubringen. Doch darf man nicht glauben, daß sie ein bloß lokales und vor übergehendes Interesse hätten. Es sind Lehren, von denen alle Völker Nutzen ziehen können. Nicht bei den Deutschen allein finden wir Vorliebe für Abgeschmacktheiten aller Ari; auch wir Engländer haben unsere Dilettanten in diesem Fach, die er darin, wenn man die Kcklie und Unfreundlichkeit unseres Klima'« in Anschlag bringt, zur größten Fruchtbarkeit gebracht haben. Tieck'« Novelle „die Wundersüchiigen", worin er den Magnetis mus und die moderne Zauberei in den wahrsten Farben schildert, dürfte gerade jetzt auch für uns sehr »reffende Beziehungen haben. Ueberdies empfehle» sich Tieck's Erzählungen durch ihren einfachen, klaren und schönen Siyl, so wie durch gänzliche Umadelhaftigkeil ihres Charakters und ihrer Tendenz. Mag der Verfasser nun katholische Bigotterie schildern, wie in seiner meisterhaften Er zählung „der Hexensabbach", oder puritanische Scheinheiligkeit, wie in der zarien und schlichten Novelle „die Verlobung", oder wilde Leidenschaft und Folgen des Fanatismus, wie in „Dichler- leben" und „der Aufruhr m den Cevennen", oder die kölnischen Wunderlichkeiten des Deutschen Provinziallebens, wie in der treff lichen Novelle „der Jahrmarkt", — stets ist er leicht, natürlich und züchtig. Sein bedeutendster Fehler besteh» darin, daß er zu wenig nach Erregung streb», ja, sie sogar emsig vermeide». Einige seiner Erzählungen sind fast nur Gespräche und bieten, so bewundernSwerch sie auch geschrieben, dem Englischen Leser nicht den Stoff dar, den er in Werken der Phantasie zu suchen ge wohnt ist. Man muß Tieck nur lese», wenn man zum Nachden ken neigt; wer bloß Geschichten zur augenblicklicheii Unterhaltung verlang», wer auf überraschende Begebenheilen oder romantische Entwickelungen harr», der wird sich hier getäuscht finden; Tieck'« Werke sind ein Quell der Belehrung, nicht der unmittelbaren, sondern einer Belehrung, die der Leser selbst durch geistige An strengung daraus gewinnen muß. — Französische Musterung der Deutschen Kompo nisten. Die Uevue äu XIX. ckeolo enthält einen Artikel über Deutschland« musikalischen Genius, worin aber das Wesen dcssel- ,ben sehr kurz mit der Bemerkung abgefenigt wird, daß die großen Deutschen Tondichter des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts mit den berühmtesten Künstler» Italiens gewetteifert, dabei aber auch einen ihnen eigenchümlichen Charakter bewahrt und ihren Eomposiiionen das Siegel jener Großartigkeit, Erha benheit, Schwermuch, mystischen Schwärmerei und religiösen Be geisterung aufgedrückl hätten, wodurch die Deutsche Poesie einen so eigenen Reiz erhalte. Dann folgt eine ziemlich kunterbunte Aufzählung Deutscher Komponisten mit einer sehr dürftigen Skizze von ihrem Leben und ihren Werken. Sie beginnt mit Heinrich Kraus Aiid schließ» mit Meyerbeer. Wie wenig dabei auf die Entwickelung und Fortbildung der Tonkunst Rücksich» genommen ist, kann man allein daraus ersehen, daß von Händel und Gluck erst lange nach Haydn und Mozart die Rede ist, obgleich der Aufsatz doch eine Ar» von historischer Uebersich» seyn soll, und obgleich jenen Beiden ein bedeutender Umschwung in der Musik zugeschrieben wird. Von Emanuel Bach wird Einiges gesagt, aber der weil größere Meister dieser Familie, der tiefe Sebastian, ist ganz übergangen. Von den Neueren werden, außer Beelhoven, nur C- M. v. Weber, Schubert und Meyerbeer berührt, von welchem Letzteren die Franzosen sich durchaus einbilden, er habe unter ihnen Gluck's große Schule fortgesetzt, eine Meinung, die dieser geistreiche Komponist selbst schwerlich «heilen wird- Mit gleichem Rechte könnte man Victor Hugo für eine Fortsetzung von Racine ansehen. Herausgegcben von der Redaction der Allg Preuß. SlaatS-Zeitung. Redigirl von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Havn.