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303 Verschwommene ihrer Melodiken zu mäßigen, um auf der Bühne Beifall zu erringen. Noch in demselben Jahre kam eine Italienische Truppe, die in London gesungen Hane und die vor züglicher als alle bis dahin gehörte war, nach Frankreich und gab Vorstellungen auf dem Versailler Theater. Auch ein Deutscher, der Abt Vogler, kam nach Paris, und sein „Demophon" ver drängte durch eine mächtigere Jnstrumemirung die gleichnamige Oper Cherubini'«. Als durch die Revolution alle Privilegien aufgehoben wur den, ward es den Iialiänern gestalte«, sich umer dem Paironai der Oper in Paris hören zu lassen. Ihre Truppe verließ den Tuilerieensaal und bezog ein Theater in der Siraße Feydeau, das für sie gebaut war. In der Oper wurden abwechselnd Deut sche und Jialiänische Composilionen aufgeführl, darunter die „An tigone" von Zingarclli und die „Cora" von Mehul. Als wäh rend der Revolution, im Jahre I7SI, die Königliche Oper ihren Namen in National-Oper veränderte, las man zuerst die Namen der Sänger auf den Theaterzetteln, und als die politischen Kämpfe sich immer mehr steigerten und immer schrecklicher um sich griffen, oieme die Oper fast ausschließlich dazu, den Eifer und die Be geisterung unter den Bürgern anzufachcn. Hymnen, Volkslieder und patriotische Scenen folgten sich nun auf dieser Bühne, die bis dahin nur von den friedlichen Olympischen Göllern war heim« gesuchl worden, und diese Schauspiele wurden dem Volke meist unentgeltlich geboien. Als die Künstler des sechzehmen und sicb- zehmen Jahrhunderts zuerst die Oper ins Leben riefen, glaubten sie dadurch die alten Griechischen Tragödien wieder herzustellen. Die Revolution nahm diesen Gedanken auf und bildete ihn noch weiter aus; nicht allein die Kunst der Griechen, sondern auch ihre Sine» und ihre Feste wollte man nachahmen. Bei allen Volks festen spielte die Oper eine Hauptrolle, und auch das Ballet, wel ches erst durch das Wiederaufblühen des Altenheims in den Hin tergrund getreten war, wurde wieder gehoben und war ein un umgänglich nothwcndiges Beiwerk aller rebublikanische» Feier lichkeilen. Das Fest des höchste» Wesens war weiler nichis, als ein großes Balle«, in welchem Religionsgebräuche und Kunst sich vor den Augen des Volkes und im Angesichie des Himmels ver» mischien, wie einst zur Zeil der Alhenicnsischen Feste. Die Künst, ler der Oper nahmen hier, wie bei allen politischen Aufzügen, den ersten Rang ein; sie wurden gewöhnlich auf Wagen umher- gczogcn, auf welchen sie singend, nach dem Vorbild der Alien, die Gestalten zu veranschaulichen suchten, deren Kostüm sie trugen. Der Aufführung frenider Werke iral setz« kein Hinderniß mehr in den Meg. Die „Hochzeil des Figaro" von Mozart, von No- taris übersetzt, wurde I79Z aufgeführl, doch wußle man diese be wunderungswürdige Musik nicht recht zu würdigen; „Horalius Coclcs" von Mehul gefiel besser. Noch einmal veränderte die Oper ihre Behausung; von der Pone Sl. Martin zog sie 1794 in den Saal Louvois, den ihr die Comödie-franyaise abirai, und nahm den Titel „Theaicr der Künste" an. Hier nun verdrängte der Abschicdsgesaiig von Ehenicr und Mehul die Marseillaise, die seit mehreren Jahren bei jeder Vorstellung gesungen wurde, die aber nach der Reaciion des Thermidor als das Unterschei dungszeichen einer Epoche galt, die man gern in Vergessenheit bringen wollte. Mehul war fast der einzige Komponist, der in der Oper wahrend des langen musikalischen Interregnums gefiel, das bald nach der großen Schreckens-Erschütterung einirai. Am 24. Dezember 1800, berühmt durch die Explosion der Höllenmaschine, wurde in der Oper Haydn's „Schöpfung" auf- aeführt. Obgleich das Gerücht von der Gefahr, welcher der erste Konsul so eben entronnen war, sich im Theaier verbreitete, so Horie man doch mit Andacht und Bewunderung dies herrliche, noch unübertroffene musikalische Meisterwerk au, und die Deutsche Musik trug den glänzendsten Sieg davon. Nach Mehul kam Kreutzer in Aufnahme, und IM! wurde Mozan'S „Zauberflöte", aus eine unwürdige Weise verstümmelt, unter dem Namen „My sterien der Isis", aufgeführl, und zwar mit glänzendem Erfolg. Von Winier, dem Komponisten des „unterbrochenen Opferfcstes", wurde 1802 „Tamcrlan" gegeben. Ein Deutscher, Herr Kalk brenner, der viel mittelmäßige Musik von seiner Arbeit ausführen ließ, setzte-Mozari'S „Don Juan" 1808 in Scene. Die Verän derungen aber, die er an diesem unsterblichen Meisterwerk sich erlaubte, entstellten cs fast gänzlich und sind gewiß die größte Schmach, die man der Kunst nur immer zufügen konnte. Man hatte während der Revolution aus schon vorgefundenen Elementen ein Gesangs-Konservatorium gebildet, und man warme mit Neugier und Ungeduld auf die Früchte dieser Schule. Caiel war der erste Tonseyer, der aus derselben hervorging; seine „Semiramis", die 1802 gegeben wurde, gefiel sehr durch ihre Jnstrumemirung, in der man den Einfluß der Deutschen auf die Musikstudien Frankreichs erkennen konnte; doch der Mangel an Melodieen bekundete eine geringe Berücksichtigung der Jialiäncr, die seil Sacchini nichts Großes geleistet hatten. „Anakreon bei Pvlykraies", von Cherubini, trug dieselben Merkmale an sich. Die „Barden" von Lesueur, 1804 aufgeführt, erregten, zur Ehre oer Französischen Schule, großen Enthusiasmus. „Trajan" von Persulg gefiel ebenfalls; die darin vorkommenden Anspielungen auf das Kaiscrthum trugen indeß viel zu seinem glänzenden und anhaltenden Erfolge bei. Zur rechten Z'eii half Italien der Französischen Oper wieder mit dem aus, was ihr fehlte, und was Deutschland ihr nicht geben konnte, mit der Melodie. Ei» Jtaliänisches Theater war in Paris gegründet worden, von diesem ging Spomini zur ko, mischen Oper und nachher zur großen Kaiserlichen Oper über. Im Jahre 1807 wurde hier die „Vestalin" mit dem Beifall aus genommen, den ein Meisterwerk verdient; eine weniger glänzende Aufnahme erhielt zwei Jahre später „Ferdinand Coriez", doch war es immer noch ein glänzendes Meteor unter all den Com- positioncn der Schüler und Direktoren des Konservatoriums. Diese Schule stellte sich bis auf einen gewissen Punkt der Deut, schen Musik gleich, und mit Hülfe derselben fing sie an, eine wenig Geist vcrraihende Abneigung gegen die Jialiäner an den Tag zu legen, die nur unter verschiedenen Formen sich von dem Tage an beständig erneuert hatte, wo die Franzosen von den Iialiänern Musik lernten. Sie verschanzte sich Himer die großen Namen Gluck, Haydn und Mozart, um alle die Nachfolger Paesiello's, Piccini's, Sacchini's und Spomini's verächtlich zu, rückzustoßen. Stau den Aufschwung der Französischen Musik zu begünstigen, erneuerte man so alle jene Voruriheile, durch welche dieselbe in Stocken geraihe» war. Eine der wichtigsten historischen Begebenheiten der Restaura tion steht in enger Beziehung zur Oper, denn 1820 wurde der Herzog von Berry beim Hinausgehen aus einer Vorstellung er morde«. Der Saal Louvois wurde eingerissen, und auf seinen Trümmern sollte ein Denkmal errichte« iverden, das aber nicht zu Stande kam Die Oper ward nach der Siraße Lepelletier verlegt, wo sie bis diesen Augenblick geblieben ist. Obgleich diese neue Bühne erst kurze Zeit errichtet ist,' so Hal sie doch schon zwei wichtige Umwälzungen in ihrem Schoße erlebt. Die von dem Konservatorium geächtete Jialiänische Musik Hai wieder Besitz von der Oper genommen. Rossini, der die Melodie, welche inLmer die schwächste Seiie der Französischen Musik und die vcr- achieie Feindin der Französischen Musiker war, zu einer vor ihm unbekannten Macht erhob, Hai sich durch die siegende Kraft seines Genius auf allen Europäischen Theatern Bahn gebrochen, und so konnte auch die große Oper von Paris ihm nicht verschlossen bleiben. Die „Belagerung von Korimh" und „Moses" waren, so zu sagen, die Präludien, mi« denen der Meister sich hier ver suchte- Sein größtes Werk und vielleicht auch seine letzte Arbeit war „Wilhelm Teil"; diese herrliche Composilion, in welcher Gluck s kräftiger Geist weht, mitten unter einem Melodieenflusse, ivie ihn Italien vielleicht nie wieder hcrvorbringen wird, wurde nicht gleich aus eine für den Meister ermmhigende Weise vom Publikum ausgenommen- Der Enthusiasmus, den sie später er regte, vermochte die Wunden nicht zu heilen, die ihre erste Aufnahme schlug; könnte aber das Schweigen, welche» Rossini seitdem beobachtet, nicht vielleicht auch einen anderen Grund Habens Der Impuls, den die Französische Musik durch ihn erhielt, hat sich in allen Gattungen derselben fühlbar gemacht; die ko mische Oper, welche die Buffi von 17S2 ins Leben gerufen halten, bekam durch ihn einen neuen Aufschwung. Von Rossini angeregt, begründete Auber das Wiedcraufblühcn der zweiten lyrischen Buhne von Paris, und wie Mehul und Greiry versuchte er cs, sich bei der großen Oper Eingang zu verschaffen, ivo der „Slum, men von Ponici" so lebhafter und dauernder Beifall zu Theil wurde. Während Rossini auf diese Weise die Französische Oper wieder belebte, trat ihm eine andere Musik in den Weg, die sei nem Vorgänger immer Trotz geboten hatte, und die ihn dagegen studine und sich anzueignen suchte, ohne daß sie deshalb ihren ursprünglichen Charakter einzubüßen fürchtete. Die Deutsche Musik, von der ich hier sprechen will, haue nach Gluck, Haydn und Mozart andere Künstler-Generationen hervorgerufen, welche neue Ideen, Formen und Gewalten über Frankreich zu verbreiten irachieien; diese, an deren Spitze natürlicherweise sich Beethoven und Weber stellten, waren zuerst für unser Konservatorium, das doch nur ihren Väter» sein Daseyn verdankt, ein Gegenstand der Verachtung und des Spottes. Doch erhielten sie bald die Ober hand, ivcii sie im Publikum von der Begeisterung der ganzen Jugend Frankreichs unterstützt wurden, welche für sie die philo sophische Propaganda der Encyklopädisten des vorigen Jahrhun derts zu Gunsten der Jialiäner erneute. Der Konzert-Verein war das erste Hciligthum, in dem man sie hören und bewundern konnte. Eine Deutsche Truppe machte uns während ihres drei jährigen Aufenthalte in Paris mit diese» Meisterwerken einer für uns ganz neue» Poesie und Gattung bekannt. Da erschien Meycrbecr, und obgleich er seltsamerweise seine Deutsche Schwer mut!) in de» Fluchen des Italischen Genius gebadet hatte, so be grüßte koch Paris in ihm den Gesandten jener neuen von Beetho ven und Weber hervorgerufencn Kunst. So erklärt sich der Er folg „Robert des Teufels" und jener der „Hugenotten", so wage ich auch, das Schweigen Rvssini's zu erklären. Das ist jetzt unser Standpunkt. Italien und Deutschland be finden sich auf unserer Bühne; sie messen sich mit einander ohne Erbitterung, doch nicht immer ohne Lärm. Außerhalb der König lichen Oper haben beide mächtige Stützen: ersteres das Italia- nische Theaier, dessen Meisterwerken der gerechte Beifall der ele ganten und aristokratischen Welt zu Theil wird; letzteres die Konzerte des Konservatoriums, wo sich die Gelehrten, die Kunst verständigen und die Jugend versammeln. Betrachte« man die Mittel, über welche eine jede der beiden Schulen gcbieic«, so steh« die Wagschalc fast gleich; aber ihre vorzüglichsten Repra- senianien sind sich offenbar ungleich, und der Genius des Führers gieb« der Jialiänischen Seite das Uebergewicht. Mil so reichen, fruchtbare», mächtigen Elementen müßte eine geschickte Dircciion Wunder wirken können. Indem Frankreich solchergestalt ab wechselnd von dem Jtaliänische» und von dem Deutschen Genius eiwas in sich aufnimmt, kann es sich eine musikalische Originali tät zu cigcn machen, aber cs muß beide Bestandchcile mit seinem