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328 sich, wie er heißt, der früher übliche Gebrauch, nie ein Testa ment zu machen, ohne ein kleines Vermächmiß für die St. Lam» bertus-Kirche darin auszuseven. Einige Zeit nach dieser Begebenheit brach ein großes Un glück über Lüttich herein, denn ein beträchtlicher Theil der Stadl wurde durch eine Feuersbrunst verzehrt. Die gleichzeitigen Schrift steller schildern dieses traurige Lreigniß als eine Strafe für die in der Stadl herrschende Sittenlosigkeit; Go« wollte, sagen sie, die Ausschweifungen der Bürgerschaft und der Geistlichkeit durch die Flammen tilgen. Es halten sich in der Thal viele Mißbräuche eingeschlichen. Die Präbenden, die BiSlhümer wurden den Meist bietenden zugewendel; für eine geringe Geldsumme gestatteten die Bischöfe die Verehelichung der Priester, und die Bürger un- lerstüylen bereitwillig solche Verbindungen. Man feiens öffent lich in de» Straßen Lüttichs wahre Saturnalien, unter dem Na men „Feste der Königin"; diese Königin war gewöhnlich die schönste unter den verliebten Kindern der Sinnenlust, und man kann leicht denken, was für schmachvolle Dinge bei diesen Volks orgien verfielen- Uebrigens waren solche Feste nicht bloß der Stadl Lüttich eigen, auch Frankreich, England und Deutschland halten ihre abergläubischen Gebräuche und anstößigen Festlichkeiten. Nur für kurze Zeit waren die Bürger Lültich's von der Last ihres Unglücks gebeugt, bald vergaßen sie wieder die Warnungen ihres Gottes. Vergebens eiferte Lambertus der Stammler gegen die Ausschweifungen der Geistlichkeit; der Bischof ließ ihn er greifen und einkerkern. Als man ihn durch die Domkirche führte, wurde er zur Erde geworfen und mit Füßen getreten. „Machet ein Ende mit mir", rief er seinen Henkern zu, „tödlei mich, aber ich sage euch, der Tag ist nicht mehr fern, wo die Schweine sich hier auf den Trümmern von Gottes Altäre wälzen werden." Lambertus der Stammler starb, und seine Prophezeiung ging nur zu bald in Erfüllung. Am 28. April Il8S kam in einem Bürgerhause Feuer aus, das sich bald auch über die nächsten Wohnhäuser verbreitete und die Klöster und die Kirche des heili gen Lambertus ergriff. Da wüthete eine entsetzliche Feuersbrunst auf der ganzen Fläche zwischen den Kirchen der eilftausend Jung frauen, des heiligen Petrus, des heiligen Clemens und dem bi schöflichen Palaste. Die Malereien, die Urkunden, die kostbaren Manuskripte, Alles wurde eine Beule der Flammen; das Zim merwerk löste sich los, die Thürme, einen Augenblick in der Luft schwebend, stürzten mit fürchterlichem Krachen ein, und bald waren nur Trümmer und Aschenhaufen an dem One, wo noch vor einigen Stunden so viel Reichthum und Pracht sich entfaltete. Kurz darauf baute man nun jene ungeheure Kathedrale des hei ligen Lambertus, die noch viele der jetzt Lebenden kannten, und die, nachdem sie allen Wechselfällen des Schicksals, welche Lüttich erduldete, und den Stürmen der Zeil geirotzl hatte, I7W umer dem Beil der Empörer einstürzie- Ungeachtet aller Unglücksfälle vergrößerte sich Lüttich von Tag zu Tage immer mehr; da und dort baute man neue Kirchen, an welche sich nach und nach Privatwohllungen anreihlen. Die Bevölkerung der Stadl war gewerbfleißig, erfinderisch, begierig auf alles Neue und durch nichts abzuschrecken. Der erworbenen Reichlhümer satt, sehnten sich die Bürger nach anderen Gütern. Privilegien, Freiheiten, das waren Zauberworte, denen im Mit telalter so viele Herzen entgegen pochten, und die unsere Vorfah ren nur durch ihr Blut oder Gold sich zu eigen machen konnten! Die Zugeständnisse Alberi's von Cuyck im Jahre NW genügten allen Wünschen und trugen sehr viel zur Befestigung des Wohl standes der Lütticher bei. Ein anderes Ereigniß, das ebenfalls den größten Einfluß auf das Geschick der Siadl üble, war die Entdeckung der Stein kohlen. In demselben Jahre, wo der Bischof Albert den Bür gern eine Anzahl von Privilegien bewilligte, entdeckten diese die reichen und ergiebigen Steinkohlenlager; glückliches Volk, das Gott mit seinen Gaben überschüttete und das zu derselben Zeit die Bedürfnisse des Körpers und die Wünsche des Herzens er füllt sah! Unter dem Bischof Hugo von Pierrepont, der auf Albert von Cuyck folgte, erlebte Lüttich neues Mißgeschick, aber auch neue Vergrößerungen. Zuerst beschäftigte man sich mit der Vollen dung der Ringmauer von Payenporte oder Hocheporle bis nach St-Walburge; diese Befestigungen waren aber noch nicht vollen de«, als der Herzog Heinrich von Brabam, welcher die an die Lütticher Kirche abgetretene Grafschaft Moha zurückforderie, sich auf die Siadl warf und sie der Plünderung preisgab. Lüttich sollte in Feuer aufgehen, und nur durch die Vermittelung des Kastellans von Brüssel, Adrian Balhez, entging es diesem schreck lichen Schicksal. Der Herzog von Brabant kehrte nach seiner Hauptstadt Löwen zurück und führte auf Wagen eine unermeß liche Beule mit sich fon. Der plötzliche Ueberfall Herzog Heinrich'« machte es recht fühlbar, wie noihwendig eine Befestigung der Stadt nach dieser Seite hin war; man ging rüstig ans Werk; das Volk legte sich Frohndienste und Geldzuschüsse auf, und selbst die Geistlichkeit, die sich bis dahin immer geweigert haue, zu ähnlichen Ausgaben beizutragen, opferte gleichfalls große Summen; der Propst von St. Lambertus, Johann von Aps, welcher später Bischof von Lüttich wurde, steuerte allein 3000 Mark bei, und so wurde die Stadt bald in guten Veriheidigungestand gesetzt. Die neue Ring mauer umfaßte den ganzen Raum zwischen der St- Barihelemy's-, der St. Martin'«», der St. Johannes- und der St. Jakobs- Kirche. Die Stadt wurde damals in mehrere Viertel oder vw»- ve«, wie man sich Wallonisch ausdrückie, eingetheili; die drei ältesten waren das Markt-Vienel, das von Neuvice oder Souve- raimPonl und von St.-Johann-Siröe. Später bildeten sich das Insel-Vinave, das von St.-Servais und von Des-Prez; jede« dieser Viertel hatte sein eigenes Wappen und Feldgeschrei und wurde, wie Henricourl sagt, von reichen Bürgern bewohnt, welche den Edelleuten mit den Waffen Dienste leisteten. Man nannte diese Bürger „die Großen"; sie legten sich auch wohl selbst den Namen,^Herren" bei und trugen grüne und graue Mäntel, die auf den Schullern mil einem bumen Stoffe ausgenommen waren. Die, welche sich mil den gewöhnlichen Handwerken beschäfliglen, hießen „die Kleinen". Von diesen sogenanmen „Großen" war jedoch keiner Ritter, mil Ausnahme derienigen, welche die Chaussee Des-Prez bewohn ten, dieses Vinave war immer von tapferen und waffenkundigen Leuten bewohnt und an der Seite nach der Maas hin durch ein festes Thor und eine Zugbrücke beschützt und von der Stadt ge schieden. Seltsames Schicksal dieses Vinav's! Der Wohnort der mächtigen Ritter aus der edlen Familie Des-Prez ist setzt der Aufenthalt des demüihigen Handwerkers geworden; die „Großen" haben den „Kleinen" Platz gemach,!.... Die Sauveniore bildete auch eine Art Vinave, aber ein ganz unabhängiges; man nannte es auch „die kleine Stadl", und es haue, wie das Viertel jenseits der Maas, eine ganz un abhängige Gerichlbarkeil, die so von der des Bischofs unterschie den war, daß ein Verbrecher, der sich nach der Sauveniore oder nach der Gerichtsbarkeit von Des-Prez flüchtete, hier so in Sicher heit war, als befände er sich in Namur. So zeichnete sich jedes der Stadtviertel durch sein Wappen, sein Kriegsgeschrei und einige besondere Freiheiten aus; eines war von dem anderen durch lange Bogengänge geschieden, die kaum das Tageslicht durchließen und durch massive Thore ver- lheidigi wurden, welche man bei der geringsten unruhigen Be wegung schloß. Zu diesen Vertheidigungsmitieln fügte das Volk noch große Ketten hinzu, mit welchen man bei Aufständen die Straßen-Eingänge versperrte. Der Aufruhr war das politische Leben des Mittelalters, der Bannfluch des Volkes gegen seine Herren, der Kleinen gegen die Großen! Was jetzt durch die Ge setze bewerkstelligt wird, war damals dem Arm des Volkes über lassen, und sehr oft griffen die Lütticher in jenen Zeilen zu dem äußersten Mittel, ihre Straßen durch die Ketten zu sperren und die Thore ihrer Bogengänge zu verrammeln. (ä. ,1. l„) Mannigfaltiges. — Washington'« Charakter. In dem Leben Washing ton'« von Spark, da« nunmehr in zwölf Bänden vollständig er schienen ist, wird folgende allgemeine Schilderung von jenem ausgezeichneten General und Staatsmann entworfen: Washing- lon's Geist zeigte sich auf gleiche Weise in seinem Privatleben und in seinen öffentlichen Handlungen; dort wie hier gab er fast gleich viel Proben seiner Größe. Dieselben Eigenschaften, welche ihn zu der Gewalt erhoben, die er als Feldherr und oberster Slaalsbeamler über den Willen einer ganzen Nation besaß, mach ten ihn auch als Mensch geliebt und geachtet. Weisheit, Unheils- krafl, Besonnenheit und Festigkeit waren die vorherrschenden Züge seines Charakters. Niemand drlrchschaute je so klar die verhältnißma'ßige Wichtigkeit der Dinge und Handlungen, Nie mand enläußerie sich so'vollkommen alles Einflusses persönlicher Interessen, Neigungen und Voruriheile, Niemand unterschied stets so richtig zwischen dem Wahren und Falschen, zwischen Rech, und Unrecht, in Allem, was ihm vorkam. Im Ueberlegen langsam, war er sicher im Entschlusse, und stand dieser einmal fest, so nahm er ihn selten zurück und ließ in der Ausführung einer Maßregel niemals nach, bis sie vollbracht war. Physischer und moralischer Mulh gehörte unter die ihm angeborenen Eigen schaften; in der Schlacht und inmitten der Volksaufregung, nir gends furchieie er die Gefahr oder dachte an die Folgen für seine Person. Sein Ehrgeiz war von jener edlen Art, der in Allem, was er unternimmt, sich auszuzeichnen und durch Beförderung des Wohles der Menschen ihre Herzen zu gewinnen und sich eine Macht über dieselben zu verschaffen strebt. Empfänglich für den Beifall Anderer und darauf bedacht, ihn zu verdienen, machte er doch nie ein Zugeständniß, um sich Applaus zu erwerben, weder der Eitelkeit schmeichelnd, noch den Launen nachgebend. Vorsichtig ohne Aengstlichkeit, kühn ohne Uebereilung, kaltblütig im Rach, besonnen, aber fest im Handeln, klar in der Voraus sicht, geduldig unter Schicksalsschlägen, standhaft, ausdauernd und voll Geistesgegenwart, ging er jedem Hinderniß muthig entgegen, das sich ihm auf dem Wege zu Ehre, Ruhm und Sieg emgegen- stellie, und wußte es zu überwinden. Mehr auf die Geradheit seiner Absichten als auf seine Hülfsmittel vertrauend, suchte er sich Raihs bei Anderen und benutzte ihre Kenntnisse. Seine Rathgeber wählte er mit untrüglichem Scharfblick, und die Schnelligkeit, womit er das Vernünftige einer Ansicht und die schlagenden Punkte eines Arguments durchdrang, setzte ihn in den Stand, von ihren Talenten und von ihrer Weisheit den besten Nutzen zu ziehen. Herausgegeben von der Redaction der Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Redigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.