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327 die Zahl der Englischen Kolonisten in Irland schon mehr betragen habe, al« die der Urbewohner. Er schloß aus dieser Thaksache, daß diejenigen sehr übel brrachen seyen, die Irlands Noth und Elend aus der angeborenen Inferiorität des Volkes erklären woll ten. Man fiudir« Irland genau, und man wird finden, daß Noch und Sittrnverderben überall mit der Tyrannei, je nachdem fie mehr oder minder schwer gelastet Hal, im rechten Verhältnisse stehen. Die Provinz Ulster ist weniger arm und lasterhaft, weil fle weniger bedrückt worden ist, als die übrigen. Bei Beunheilung des Irländischen Naiional-Eharakter« stößt man gewöhnlich noch auf eine andere Klippe, die jedes tiefere Ein dringen, jede unbefangene Würdigung unmöglich macht Der Ir länder wird stei« in seinem Verhältnisse zum Engländer betrachtet, der ihm an Rang und Besitz überlegen, sein politischer Herr und religiöser Feind ist. Diese einseitige Beurcheilung führt uns weil vom Ziele. Um den fitllichen Werth eines Menschen zu würdi gen, muß man ihn vor Allem in seinem Verhältnisse zu seine« Gleichen beobachten. Der Irländer ist ein Schurke, oder ein Ungeheuer, wenn er es mit Engländern, besonders mit reichen und mächtigen Individuen dieser Nation zu chun Hal — ein treuer und biederer Mensch, wenn er mit Leuten seiner Klaffe verkehr«. Ich habe oft folgende naive Frage ihun hören: „Wie mag es nur zugehen, daß diese Nation, die fich zuweilen so treu los und barbarisch zeigt, in anderen Fällen die rührendsten Be weise von Menschlichkeit und Erbarmen giebt? — Die Antwort ist einfach: der Irländer ist unmenschlich gegen die Feinde seiner Religion und feinet StammeSgendffen und freundlich-mildthätjg gegen seine Brüder, die gedemülhigt und unterdrückt sind, wie er selbst. Man weiß aus Erfahrung, daß der Irländer in seiner blin den Rache bisweilen die Frau oder Tochter dessen, der ihm ver haßt ist, raubt und schände« — allerdings eine Handlung empö render Barbarei! Und doch ist es nicht minder gewiß, daß die Irländer im Ganzen eine sehr keusche Nation sind: uneheliche Kinder gehören zu den größten Seltenheiten, und Beispiele ehe licher Untreue sollen kaum jemals vorgekommen seyn. Woher nun dieser merkwürdige Widerspruch ? Wenn der Irländer eine unzüchtige Handlung begeht, so ißt fie ihm Nur ein Mittel der Rache an seinen Feinden; sie entstammt nie einem bloßen sinn lichen Bedürfnisse. Fast jedes seiner Verbrechen Hal mehr oder-weniger das Ge präge der Leidenschaft und des Parieigeistes. Selbst bei Räube reien, zu denen ihn bloße Habsucht amrcibt, spielt die R^che in der Ausführung eine Rolle. Ungleich dem Spanischen Banditen, der, wenn er seine Opfer auswckhlt, immer den Reisenden und Fremden vorzieht, hält sich der Irländische Bandit gewöhnlich an bekannte Individuen. In keinem Lande der Well kann ein Aus länder mit größerer Sicherheit reisen, als in Irland. Aus aliem Vorangehenden ersehen wir, daß der Irländer eine komplizine Namr ist; er besteht aus zwei unterschiedlichen Elementen, die man nicht unbeachtet lassen darf, wenn man einen richtigen Begriff von seinem Charakter erhalten will. In ihm finden wir einen Menschen, an dessen Verberbniß die Ty rannei sieben Jahrhunderte gearbeitet, und einen zweiten Menschen, den die Religion in diesem ganzen Zeitraum unbefleckt zu erhal len gestrebt Hai. Alle Regionen seiner Seele, die der Hauch des Despotismus anwehle, sind verwelkt; hier ist die Wunde groß und lief; hier ist Alles Laster, welchen Namen man diesem Lasier auch geben möge. In dem Irländer finden wir die Hälfle eines Sklaven. Aber es giebl noch einen Winkel seiner Seele, wo die Tyrannei vergebens einzudringen versuch«, der also immer von jeder Befleckung rein geblieben ist: dieser Winkel beherberg« seinen religiösen Glauben. In allen seinen Rechlen angegriffen, ha« er sie alle der Mach« hingeopfer«, ein einziges ausgenommen, wel ches darin befiehl, daß er Gvil seinem Glauben gemäß anbeicn därf. Selbst in der Zeil, als er sich ganz der Willkür seiner Beherrscher preisgab, bewahrte er noch in seiner Seele ein Asyl für die Tugend. Sein Gewissen Hal sich aufgelehnl und ist Jahrhunderte lang In einem Zustande beständiger Empörung geblieben. Diese Empörung des Sklaven ist die Freiheit selbst; um ihretwillen Hai er die Verfolgung mit ihrer ganzen Schleppe von Leiden erdulden müssen; daher seine hochherzige Hingebung, seine Opfer, die Quelle jeder sittlichen Größe, seine Resignation, diese ewige Macht des materiell Ohnmächtigen. Die Religion ist nie aus seinem Herzen gewichen, Hai nie aufgehön, die ge sunden Theile dieses Herzens gegen die Angriffe de« Feinde« zu velcheidigen. Durch seine Religion ist der "Irländer im Schoße der ärgsten Umerdrückung ein freier Mensch geblieben. Bibliographie. «u<i Oommentsri»-« an Tke I »Hv nk ve^ltorv 'rt.nasykt. anck N^er^tian».. — Von der Graft« von BleMngis«. MalF tkv l'im«'» »s Vevrx« I V. -^Dritter ^nd Vierter Band. Vdevnlte« ok from NoUo to Kiuss /oim.—Von I. Dnnean. liiEmentk os prarti«'« — Von den Dvtkoren Bright und Addison- Theil I». vex-uiu«' — HtrauLzegeben von Rohinson- Viktor) vf td« ^»inpLieo in !u 1814. — Rach dem Russischen des General Danilewski. 1^« Uktor? os ti.e dlavv ofltw vnitdä 8t»te« ok^wvneL. — V»N I.' Fe«iMSre Coover. 2 Bde. Leke»rc»>e«i on tk«, — Von I. Nasmyth. 8!eep auö it» pUenomeua. — Von Pinkerton. Kn^pieiusnt ot tk« Viktor? ok Uriti«ti biiiie«. — Von Parrett- 1'do ^Vi-Lrä vf WiutlkKsM. — Eine Erjählung. 3 Bde- Belgien. Lüttich und seine Denkmäler.") Unter den Nachfolgern Noiger'« vergrößerte sich Lüttich immer mehr; Baldrik legte, wie die Chronik erzählt, den Grund stein zur Kirche des heiligen Iakob an einem wüsten und unbe bauten One, der so voll wilder Thiere und so gefährlich war, daß die Arbeiter sich gar nicht an den Bau de« neuen Gottes hauses wagten; Reginard ließ eine steinerne Brücke über die Maas erbauen, die den Namen Pont,de«-Ärche» erhielt; auch die Kirche St. Barihelemy stammt aus demselben Jahrhun dert her. Die Herrschaft ausgezeichneter Bischöfe, von welchen meh rere der Nachwelt sehr merkwürdige literarische Produkte hinter ließen, war für Lüttich in jener Zeil von großem Voriheil, weil seine Schulen dadurch sehr gehoben wurden. Von diesen vor züglichen Männern wollen wir nur Wazon nennen, der für die Stadt fast eben so viel wie Noiger ihai, weil er, wie dieser, sich ohne Umerlaß mil Lüttichs Verschönerung und Vergrößerung be- schäfiigie. Haupisächlich trug er Sorge für die Errichiung guier Schulen, denn bevor er zur bischöflichen Würde gelangie, hatte er selbst mit so großem Erfolg Unterricht ertheilt, daß aus den umliegenden Gegenden Alles zu seinen Stunden herbeifirömte. Seine Uneigennützigkeit ging so weit, daß er nicht allein das zurückwies, was ihm die Dankbarkeit der S«udirenden darbot, sondern auch die Bedürftigen noch mit dem Nöihjgen unterstützte. Alcfian,, Francon, der Papst Stephan IX., Adelman und Alger, die berühmten Gegner des Äetzerhaupies Berengar, und Gau- zcchin sind einige der Zierden der Lütticher Schulen im Mittel- alter- Aus dem Briefwechsel des Letzteren schöpfen wir eine inter essante Beschreibung des Anblicks, den Lüttich im eilsien Jahr hunderi darboi: „Die Stadl", sagt er, „erhebt sich an der Abcndsciie, auf dem sanften Abhang mehrerer Hügel, die wie vereinzelt dastehcn und unter einander keine Verbindung zu haben scheinen. Auf dem aus zwei Absätzen bestehenden und leicht zu ersteigenden Berg, welcher den Namen Publemoni (der St- Mar< linsbcrg) führt, befinden sich vier Häuser oder Gesellschaften von Ordcnsgeistlichen des heiligen Peier, des heiligen Kreuzes, de« heiligen Marlin und des heiligen Lorenz. Die ganze Höhe Hal zwölf Absätze, und die Siad« Lüttich gleich! der Henne, die ihre Küchlein um sich versammelt; so wie diese, schützt, wärm« und ernährt sie ihre Bürger. Von weicher Sette man auch unsere Vorstädte betrachte, immer blickt man mit Vergnügen auf die Menge von Gärten, deren Gewächse einen gesunden und ange nehmen Duft verbreiten. Die mit Fruchibäumen angefüllicn Gärten find wahre Lustgehölze, die der Weinstock noch mehr verschön«." Die Einrichtung des berühmten Friedens - Tribunales im Jahre 1088, dem die Herzoge von Bouillon, von den Ardennen und von Limburg, die Grafen von Luxemburg, Looz, Löwen, Viane, Salm, Jüliers, Geldern, Namur, vom Hennegau, von Moniaigu, Moha und Clermont und andere mächtige Herren unterworfen waren, ist eine Probe des gewaltigen Einflusses, de» die Fürsten von Lüttich damals ausübtcn- In der Thal wa ren die Lütticher Bischöfe die Obcrrichier dieses höchsten Gerichts hofes. Auf ihren Stühlen im Ornate sitzend, umgeben von dem Obek-Bürgermeifier und einigen Vasallen, hielten sie ihre Sitzun gen, mit Ausnahme des Sonnabends, in der Kirche unserer Frauen vom Quell. Sie sprächen hier besonders Recht in Kla gen über Raub, Gewalt, Mord, öffentlichen Diebstahl, Feuers brünste, Bruch des Waffenstillstandes und dergleichen mehr. Alle Einwohner des Kirchsprengels, mit Ausnahme der Geist lichkeit von Lüttich und der Fürsten, die zur Errichtung dieses Tribunale» Mttgewirkt hatten, waren demselben unterworfen und mußten die Richlersprüche desselben besorgen. Wer'sich nicht auf die siebente Vorladung stellte, wurde beim Klang der Glocke für ehrlos erklärt, verbannt nnd cxkommunizirt. Man gestäneie jedoch dem Angeklagten nach der damaligen Sitte die Wahl de« Zweikampfes; wer seinen Gegner besiegle, wurde für unschuldig erklärt. In Lüttich fand 1>er unglückliche Heinrich IV. eine Zuflucht gegen die Bannstrahlen des Vatikan« und die Verfolgungen seine« unwürdigen Sohnes. Dieser Käiser ließ den Umkreis der Stadt vergrößern und den Grund zu den Wällen nach der Seile von St. Walburge und St. Barchelemi legen; fie wulchen jedoch erst I2IZ, kurze Zeit vor der berühmten Schlacht von Sieppe«, vollendet. Im Jahre 1124 bestand, wie die Chronik erzählt, In Lüttich ein Gesetz unter dem Namen des Gesetzes der «odien Haüd, kraft dessen sich der Grundherr beim.Tode eine» Familienhaupie« de« besten Hausgeräihs bemächtigte- Als nun der Bischof Albe- ron I., seiner Gewohnheit gemäß, eines Nachts an den Thülen einer Kirche sein Gebe, verrichten wollte, Hörle er ein arme« Weib, das trostlos weinie und murr Thränen mit erstickter SttNmte ausrief: „Ist e« denn noch nicht Unglücks genug, daß ich mei nen Mann verloren habe, muß auch noch der Bischof kommen und mir da» einzige Bett rauben, das ich für meine Kinder besitze !" Tages darauf ließ sich Aiberon den Grund jener Klage erklären, und da er die Ungerechtigkeit eine» solche» Verfahren» einsah, so befrei«« er Sead« und Land davon. Bon daher schreibt ') E Nr- 75 de» Mazarin».