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262 handle- Was konnte Monseigneur wollen? erlauben oder ver bieten? spornen oder mißbilligen? Der junge Mann erschöpfte sich in Vermuihungen. Er wußte auch selbst nicht einmal, was er wünschen oder was er fürchten solle? Bald wäre cs ihm lieb gewesen, wenn ein direktes Verbot seiner Angst auf ehrenvolle Weise ein Ende gemacht, und bald sah er mit Schmerz und Verzweiflung ein solche« Verbot voraus: „Man hätte mich nicht rufen lasten", sagte er, „um mir eine Autorisation zu geben, die ich nicht verlangte; dann wäre es ja genug gewesen, mir nichts in den Weg zu legen." Mit Mühe hielt er einige heiße Thräncn zurück. Als er dem Erzbischof vorgcstellt ward, athmcie er kaum. „Seyen Sie willkommen, mein Herr", jagte der Prä lat, und er winkte ihm, daß er Platz nehme. Dann fuhr er fori, ohne ihn anzusehen, indem er bei jedem Theil seines Sages inne hielt: „Ich habe gehört, daß Sie heute bei Frau von Rambouillet eine Predigt aus dem Stegreif halten solle». Ich gestehe, die Sache schien mir etwas seltsam. Ich habe gerade nicht die Absicht, es zu verhindern. Aber dachten Sie auch wohl darüber nach, was Sie lhun wollen? Eine Predigt in einem Salon! Eine Predigt an der Stelle der Sonneile und Madrigale, die es alle Abend im Hoiel de Rambouillet regnet! Sie müssen befürchten, den Einen ein Aergerniß zu geben und die Anderen auf Ihre Kosten und, was noch schlimmer ist, auf Kosten der Religion zu belustigen." — „Monseigneur...." — „Ja, ich verstehe, Sie wollen sagen, daß Sie nicht der Urheber dieser Idee sind; aber sie ist Ihnen doch nicht unangenehm." Der junge Mann errvihcle. „Judcß", fuhr der Bischof fori, „dies ist ein Punkt, den Sie mit Ihrem Gewissen abzumachcn haben. Ich wiederhole nur, was ich vor hin gesagt: die Sache ist eine so ungewöhnliche, daß man Ihnen nie verzeihen wird, dergleichen versucht zu haben, sobald Sie nicht mit Ehren bestehen. Man macht bei Frau von Rambouillet viele mittelmäßige Verse, die aber doch gut ausgenommen wer den; bei Ihrer Predigt aber gicbt cs keine Mine: entweder cs ist ein Triumph oder eine Niederlage. Haben Sie auch dies Alles bedacht?" — „Vielleicht nicht genug, Monseigneur; jedoch .... wenn ich wagen darf, es zu sagen.... ich glaube nicht, daß diese Rücksicht mich abgeschreckl hätte- Ich habe nie die Ehre gehabt, die Kanzel zu besteigen, und vor sechs oder sieben Jahren kann ich daran nicht denken; aber. -. ich habe mich viel geübt...." — „Und mit Erfolg, wie man sagt", unterbrach der Prälat. Der junge Mann Hane schon fast seine ganze Sicherheit wiedergefundcn; dieses kleine Lob gab sie ihm vollends zurück. Allmälig ward die Unterhaltung immer lebendiger. Der Erz bischof fragte ihn über eine Menge Gegenstände aus; cs kam sogar zu einem kleinen Disput über eine Stelle des heiligen Augustin. Nicht umsonst hatte Herr von Gondi in seinen alten Büchern geblättert: er ziiirie Stellen, mehr als nöthig war, um zu dem Schluß zu berechtigen, daß er sich noch mit Theologie beschäftige, aber nicht genug, um seinen Gegner zu verwirren: denn so unvorbereitet dieser auch war, wußte er doch mit bc- wundernswenher Kunst Sah mit Sah und Schriftsteller mit Schriftsteller zu widerlegen. Bei jeder neuen Antwort mußte man die Schärfe seines Geistes und die Lebendigkeit seiner Phantasie bewundern: er sprach vom menschlichen Herzen wie cm Greis, von der Beredsamkeit wie ein vollendeter Redner, vom Seelcnhinenamt wie ein in den geistlichen Functionen ergrauter Priester. Herr von Gondi hatte bemerkt, ein wahrer Prediger müsse weniger zu gefallen^ als zu rühren suchen. „Seyen Sie unbesorgt, Monseigneur", erwiederie er; „seyen Sie unbesorgt. Ich will diesen Abend daran denken. Gon gebe mir nur seinen Beistand, und cs sollen in dem Salou der Frau von Rambouillet Thränen fließen." Und sein Gesicht nahm bei diesen Worten einen so würdigen und erhabenen Ausdruck an, daß der gute Erzbischof, der die Augen fest auf ihn gerichtet Hane, keine Worte mehr fand. Der Abbe bemerkte dies und erröiheie noch mehr, als das erste Mal: „Verzeihen Sie mir", sagte er, die Augen niederschlagend; „ich vergesse, zu wem ich rede.... Jie finden mich gewiß sehr kühn...." — „Muth, mein John; Muth!" sagte Herr von Gondi; „ich liebe dieses Feuer bei einem jungen Menschen, kn nomine Ucmoxrhenm et 6ie«rmnx exo tv alvwlvy!" Und bei diesen Worten machte er das Zeichen, womit die Priester die Abfolutionsformel zu begleiten pflegen. Der junge Mensch beugte ein Knie, küßte ihm die Hand und zog sich zurück. Sie waren Beide mit einander ganz zufrieden. Der Leser verzeihe uns diese beiden Abschweifungen vom Hoiel de Rambouillet. Sie waren noihwendig, um ein Bild von dem Helden unserer Soiree zu geben. Madame de Rambouillet, eine Frau von echter, aber etwas skrupulöser Frömmigkeit, billigte nicht ganz, was in ihrem Hause vorgehen sollte: wenig fehlte, daß sie einen Skandal darin sah. Doch da sie es nicht wagte, sich dem fast einstimmigen Wunsch der Gesellschaft zu widersetzen, so wollte sic wenigstens den Schein rette». Es wurde bestimmt, daß die Damen sich einfach kleiden, daß die Violinen, die alle Abend da waren, abbestelli werden, und daß man den ganzen übrigen Abend weder Verse noch Prosa lesen solle. Man ließ aus der benachbarten Kirche hundert Sirohstühle bringen, und zwei Arbeiter zimmerten de» ganzen Tag an ciwas, das einer Kanzel nickt unähnlich war. Recht« erhob sich ein großes Kruzifix, und in einem zur Sa kristei benutztet, Kabine, erwartete den Redtier ein weißer Chorrok. Die Versammlung war früh vollständig. Die Freunde des Hauses hüteten fick, ein so neues Schauspiel zu versäumen, und die, welche am Abend ^vorher »ich, da gewesen, haue Herr von Feuguiöres von der rühmlichen Prüfung, die sein Schützling be stehen sollte, in Kcnntniß gesetzt. Der Prinz von Conde hau« alle seine Freunde milgebrachi, und der Vicomte de Lurenne war, obgleich Protestant, einer der Ersten, die sich einstellicn, nachdem er gehört, daß keine Messe seyn würde. Die feine Gesellschaft jener Zeit ging leicht und ohne Skru pel von den Freude» der 'Welt zu der Erfüllung religiöser Pflich ten über; man verstand es, dem Sprüchwon zum Troy, Goll und der Welt zugleich zu dienen. Ob Go» immer den besseren Theil Hane, ist sehr zweifelhaft; doch man ging immer erst zur Messe, ehe man sich zum Ball ankleideie; man nahm von einem Fest zum anderen de» äußere» Schein eines Klosterlebens an. Viele begnügten sich nicht einmal mit dem Schein, sonder» wa ren, wenn auch nur für eine oder zwei Stunden, echt und innig fromm. Doch diese Klasse von Menschen hatte in unserer Ver sammlung nicht die Majorität. Man sprach nicht so laut als ge wöhnlich; die Veränderungen am Mobiliar des Salons hauen das Ihre dazu beigetragen, eine gewisse Gravität in der Gesell schaft zu erhalten. Da Frau von Rambouillet die Sache so ernst »ahm, so fürchtete man, ihr zu mißfallen. Aber die Gewohnheit trug den Sieg davon; man erinnerte sich an das gewöhnliche Möbel, und diese Vergleichung, statt das Auditorium religio« zu stimmen, erregte nur die heimliche Heiterkeit aller jungen Leme, die anwesend waren- Der Redner selbst sah diese sonderbaren Zurüstungen nicht ohne Befremden und war nicht sehr damit zu frieden. Das war kein Salon mehr, aber noch weniger eine Kirche. Nie ward eine Predigt in so ungünstiger Stimmung erwartet. Herr von Momausier durchlief die Reihen mit einem Hut in der Hand, in welchen etwa zwanzig Zenel geworfen wurden. Das war wieder Stoff zum Lachen: cs sah aus, als wenn ein Kirchendiener Almosen sammle, und der edle Sammler selbst, der dies eben so gut merkte, wie die Anderen, halte Mähe, sei nen Ernst zu bewahren. „Für die Armen!" sagte er leise zu einer Dame, der er den Hut hinhieli. „Für die Armen an Geist!" fügte ein schlechter Spaßmacher hinzu, und ein halb ersticktes La chen durchlief diese ganze Seile des Salons. Uebrigens verrie- lhen gewisse Blicke, die man sich während derKollekte zuwarf, daß man gegen den armpn Redner eine Verschwörung gebildet, daß man sich gegenseitig das Wort gegeben, ihn durch dunkele, schwere Themaia in Verlegenheit zu bringen. Daher die ge täuschte Hoffnung, die sich auf mehr als einem Gesicht blicken ließ, als eine Dame die schönen, einfachen Worte aus dem Pre diger Salomonis: „Eitelkeit der Eitelkeiten, Allee ist Eitelkeit", aus dem Hut zog. Der Redner war hinausgegange»; man ries ihn zurück. Er nahm den Zettel; seine Hand zitierte.... Aber kaum haue er cincii Blick darauf geworfen, als eine lebendige Röthe seine Wan gen färbte und er die Augen hack zum Himmel erhob. Die Boshaftesten in der Gesellschaft unterließen nicht, dies als ein Zeichen seiner Angst auszulcgen; aber die ihm zunächst Stehen den konnten in seinen Zügen leicht einen Ausdruck der Freude und der Hoffnung lese». Er schöpfte Aihem; eine ungeheure Last war von seiner Brust genommen. Von Furcht war keine Rede mehr: er war seiner sicher. Er hatte im Nu den ganzen Rcichihum seines Gegenstandes übersehen, er Hane berechnet, welche Fülle von Lehren, Bildern und Gedanken jeder Art in den furchtbaren und erhabenen Gegensätzen zwischen Ruhm und Nicht«, Ucbermiilh und Fall, de» Lüsten der Welt und den Schrecken des Grabes lag. Dies Alles schickte cr sich jetzt an, mit dem ganzen Freimuth de« Genies vor einem Publikum von Wollüstlingen und Reichen zu entwickeln. Er selbst hätte zu seinen Gunsten nicht besser wählen können. Auch benutzte er nicht die Viertelstunde, die man ihm zur Vorbereitung bewilligt, sondern schritt sofort auf die Kanzel zu und stieg mit, sicherem Tritt hinauf. Man iah sich schweigend an, das war schon mehr, als man erwartete: die Lacher hörte» auf, zu lachen, die Anderen fühlten ihr Herz klopfen. (Fortsetzung folgt.) Der Pariser Gewürzkrämer sl^jüvier). (Schluß.) Ein Spieler Hai Alles verloren und will seinem Lebe» ein Ende machen; cr muß sich an de» Gewürzkrämer wenden, der ihm Pulver, Äugeln, Arsenik verkauft; der lasterhafte Mensch will sein Glück wiederum versuchen, und der Gewürzkrämer liefert ihm Karlen. Es kömmt eine Frau, Eure Frau, «nd -Ü)r könnt Ihr ohne Beihülfe de« Gewürzkrämers kein Frühstuck ver setzen; macht sie sich einen Fleck in das Kleid, so muß man ihn wieder mit Seife und Pottasche zu Hülfe rufen- Rufst Du in einer schmerzbewegic» Nacht nach Licht, so reicht Dir der Gc- würzkrämer das roihe Bündel des wunderbaren, berühmten Fu- madc, welches weder der Deutsche Feuerstahl noch die Platina- Maschine» verdrängen können. Ohne ihn kann man keinen Ball besuche», er verkauft die Masken und der schönsten Hälfte des menschlichen Geschlecht« das ean sie Loloxne. Bist Du Inva lide, so findest Du bei ihm den ewigen Taback, welcher au« der Dose in die Nase, au« der Nase ins Taschentuch und aus dem Taschentuch in die Dose übergeht. Die Nase, der Taback und die Dose des Invaliden sind em Bild der Nnendlichkeii, wie die Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Der Gewürzkrämer verkauft die Substanzen, welche den Tod, und die, welche da« Leben geben- Er selbst hat sich dem Publikum verkauft, wie sich