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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumeralionS Prei« 22z Sgr. (; THIr) vierteljährlich, Z THIr. sür daß ganze Jahr, ahne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prinumerirt ans diese» Beiblatt ter Allg. Pr. Staat«» Zeitung in Berlin in der Expedition (FriedrichS-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllödl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 69. Berlin, Montag den 10. Juni 1839. Rußland. Die Deutschen in Rußland. Von I. G- Kohl. Zn keinem Lande Europa'« erfreuen sich die Deutschen eines größeren Ansehens, in keinem finden sie ein leichteres Fortkommen und' gelangen sie zn so bedeutenden Stellungen im Siaaie und in der Gesellschaft, als in Rußland. Zhr Einfluß daun hier — wenn wir von dem absehen, was schon in uralten Zeiten Warägisch-Germanische Stämme und später hanseatische Kauf leute lhaten — von den Regierungen der Iwan Wassiliewitsche, die nicht nur viele Deutsche aus Licvlaiid ins Innere von Ruß land versetzten, sondern auch schon die Einwanderungen aus Deutschlanv selbst be^unstiglen. Seil diesen Zeilen gab cs in Moskau ein eigenes für die Njemtzi (die Slummen — so nennen uns die Russen, weil sie unsere Sprache nicht verstehen") be stimmtes Stadtguanier, die Deutsche Slobode, unter dem ge meinen Russischen Volk auch „Gukguk" genannt, weil, wenn ein langbärtiger Russe durch die Häuserreihen der Deutschen hindurch- schrm, die Mädchen, ans Fenster tretend, immer „Guck! guck!" schrieen. — Auch in den anderen bedeutenderen Städten des Landes bildeten sich bald ähnliche Koloniecn fleißiger und kunst reicher Deutschen. Ze mehr sich das Reich der Moskowiter nach Außen verbreitete und nach Innen entwickelte, desto mehr Deutsche Elemente nahm cs in sich ans; es verband endlich ganze von Deutschen bevölkerte Provinzen mit seinem Gebiete, bevölkerte wüste Landstriche mit Deutschen Kolonieen und berief Deutsche als Lehrer, Feldherren und Staatsmänner. Ja, man kann sagen, daß, trotz vielfachen Gcgenstrebens der Alt-Russischen Partei gegen den Einfluß der Njemtzi und trotz mancher dann und wann von der gesetzgebenden Gewalt versuchten Beschränkungen dieses Ein flusses, derselbe doch bis in die allerneucste Zeit immer mehr ge stiegen ist. Es mögen sich jetzt nahe an 400,000 Deutsches» Rußland befinden, die aus den verschiedensten Stämmen und Ständen der Deutschen zusammengesetzt sind, größiemheils aber ihren Ursprung aus Nord-Deutschland, aus Preußen, Sachsen, den Hansestädtcii, Westphalen u. s. w- herleiien. Von diesen 400,000 mögen ciwa 100,MO auf die Ostsee-Provinzen fallen, 230,000 auf die in Rußland zerstreuten Deutschen ackerbautreibenden Kolonieen und 30,000 auf die in allcn.Russischen Städten ansässigen Deutschen Künstler, Handwerker u. s. w. — Betrachten wir diese Zahlen und ihrs Veriheilung etwas näher, so mögen sich Lie IW,000 in den Ostsee-Provinzen etwa so vcnhcilcn: Kurland zählt 20,000 Deutsche, wovon 2000 dem Adel an- gchören, die übrigen der Kaufmannschaft und Bürgerschaft der Städte. Lievland zähl, Z5,000 Deutsche, wovon 4000 Adelige, die übrigen Prediger, Gelehric, Kaüflemc, Künstler. Esthland Hai 13,000 Deutsche, wovon 1300 zum Adel zu rechnen. Ingermanland, Karelien (das jetzige Gouvernement Petersburg) zählt etwa 30,000 Deutsche, von denen die meisten in der Stadt Petersburg leben. Alt-Finnland"), d h. das Gouvernement Wiburg und St. Michel, Hal ciwa 8000 Deutsche, die ebenfalls hier, wie in Lievland und Kurland, als Herren des Bodens, als Prediger und Städiebcwohner leben. Der ganze für Rußland so äußerst merkwürdige und so nm gemein einflußreiche Adel der Ostsee-Provinzen bildet demnach nur eine kleine Bevölkerung von etwa 8000 Seelen. Von den 250,WO Deutschen Kolonisten — Mennoniten (aus Preußen), Schwaben, Elsasser, Rheinländer, Hessen u. s w. — sitzt die Hauptmasse, über 100,000, an der mittleren Wolga im Sarawffscben. Eine zweite bedeutende Partie, über 80,000, ist in Neu-Rußland, Bessarabien und der Krim. Die übrigen sind "> Sonderbar j-r eg, Laß von allen den verschiedenen Nationen, mit denen die Nunc» in Berührung kamen, gerade bloß bei den Deutschen dieser Titel zum Bolksnamen wurde, uebriaeus heißen wir bei allen Slawncheu Stammen „die Stummen", s^bst auch bei den Moldauern und Bulgaren- Unser Vaterland heißt „Niemmkaia Semsia" Idas Land der Slummen) oder auch Germanija. "> Man nennt diesen Theil von Finnland, der scholl seit längerer Zeit, d- h. früher als das westliche Finnland, Nusstsch ist, auch „Deutsch-Finnland". in kleineren Panieen in Kaukasischen Provinzen, in Polen, in nordischen Gouvernements (z. B. bei Petersburg) zerstreu!. Im inneren Kern Rußlands, im eigentlichen stark bevölkerten Mos- kvwiler-Lande, giebt es gar keine Deutschen dieser Klaffe. Von den 30,000, weiche wir als in den verschiedenen Russi schen Städten zerstreut annehmcn, hat natürlich Moskau die be deutendste Anzahl, nahe an VOW. Uebrigens hat auch jede Russische Stadl, bis an die Chinesische Gränze und Kamtschatka hin, ihr Anhängsel von Deutschen Kolonieen zu 400, 500, WO Seelen u. s. w.') Die Deutschen sind wohl ohne Zweifel dasjenige Europäische Volk, das sich der allgemeinsten Bildung erfreut, und das, ohne sich einer Richtung des menschlichen Strebens entschieden hinzu geben, in allen Zweigen des Könnens und Wissens tüchtige Männer liefern kann. Als Ackerbauer übertreffen sie vielleicht alle übrige Nationen, als Künstler, Handwerker und Fabrikanten sind sie fleißig und erfindungsreich, als Gelehrte und Staats männer sind sie ausgezeichnet, zum Kriegsdienst haben sie ent schiedene Neigung und als Kaufleute erfreuen sie sich des soli desten Kredits. — Während daher andere Nationen in dem alles Fremde sich leicht asflmilirenden Rußland nur vorzugsweise in gewissen Branchen menschlicher Thätigkeil gefunden werden, — Engländer in der Marine und unter den Kaufleuten und Fabri kanten des Nordens, — Griechen in der Marine und der Kauf mannschaft des Südens, — Franzosen in dem Landhccre und im Corps der Hofmeister und Erzieher, — Spanier im Landhecre, — Zialiäner unter den Künstlern u. s. w., ist fast keine Prival- Beschäsiigung und kein öffentlicher Dienst zu nennen, in welchem nicht Deutsche thätig wären und eine bedeutende Rolle spielten. — Sie fügen sich in Alles, sie schicken sich zu Allem, verschmähen Nicht« und sind Jedermann willkommen. Wollen wir diese von unseren lieben Siammesgenoffen in jenem großen Reiche gespielte Rolle etwa« näher in Erwägung ziehen, so wird es daher passend seyn, dabei die verschiedenen Branchen der Beschäftigungen einigermaßen zu sondern, und wir werden daher zunächst l) die Deutschen im Russischen Staatsdienste, alsdann 2) die Deutschen alsKausleute, Handwerker und Künstler, 3) als Gelehrte, Lehrer, Aerzre u. s. w. und 4) al« Ackerbauer, Arbeiter u. s. w. betrachten. I) Die Deutschen im Russischen Staatsdienste. Man kann sagen, daß Rußlands Entwickelung als Euro päischer Siaat, wie dieselbe seil Pelcr's des Großen Zeit fortge schritten ist, sich eigentlich hauptsächlich von Deutschland aus und unter Deutschen Auspizien gemacht habe. Die Organisirung des Russischen Heeres, die Ausbildung der Gesetzgebung, die Zoll- und Steuer-Einrichtung, die Rangordnung der Stände, ja die Regeln für die Hof-Etikette, dies Alles wurde aus Deutschland übertragen, oder es wurden Deutsche Verhältnisse dabei zu Mustern genommen. Die Russischen Herrscher reisten häufig nach Deutsch land, um die Institutionen seiner Slaaicn an Ort und Stelle kennen zu lernen. Deutsche Fürsten sogar bestiegen den Russischen Thron und seit Hunden Zähren vermählten sich alle Prinzen de« Russischen Kaiserhauses nur mit Deutschen Prinzessinnen, die in ihren weiten Wirkungskreisen vielfach einen schönen Deutschen Geist walien ließen. — So geschah es, daß im Militair- wie im Civil-Dienste Deutsche die an der Spitze stehenden Reformatoren und Leiter wurden und noch in diesem Augenblick cs sind. Nach dem Petersburger Staais-Kalender vom Zahre I8Z7 befinden sich unter de» WO höchsten Chargen de« Reichs, von den Ministern und Feidmarschällcn an, nicht weniger al« 130 Deutsche Namen"), >0 daß also hier das Deutsche zum Russischen Ele mente in einem Verhältnisse von 1:4^ stehi. Es geben mithin jene 400,000 j» Rußland lebenden Deutschen, wenn man die Bc- ") Lenau lassen sich diese Zahlen gar nicht angebe», weil die Rnslifchen Gouvernements-Berichte alle Russische Untcrthanen als Russen aufsübren, ohne auf ihre Nationalität Rücksicht zu nehme», »nd die Zählungen der Deutschen Kirchen nur ihre Pfarrkinder in Anschlag bringen, ohne die vielen Nichtcinaevsarrten zu berücksichtigen. Alle die von uns angegebenen Zablen sind natürlich nur runde Zahlen, wie sic uns hier nöthig waren. Die Gründe, warum wir sie etwas höher stellten, als sie in den Russischen Be richten erscheinen, könnten wir nöthigenfalls näher auSeinandersevcn. "j Unter den übrigen 470 sind nur wenige Engländer, Franzosen, Jta- liäner und Spanier.