Volltext Seite (XML)
224 ihrer Fassung gebracht worden wären. Die Geschäfte wurden nicht eingestellt, und es fanden weder Ermordungen, noch Aus wanderungen, noch Aufstände stat«.^ Ich wohnte damals in Pera. Eines Morgens kam ein junger Türke zu mir, welcher mich bat, ihm schleunigst nach dem Landhause seines Herrn zu folgen, um meine Kunst an dessen Tochter zu versuchen. Ich kam bald in Olakchilar an, wo der Vaier meiner Ankunft mit Ungeduld eno gcgensah und mich sogleich in das Harem einfährte. Die Kranke, ein junges siebzehnjähriges Mädchen, war unverschleiert. Ich sah bald, daß sie an der Brust litt, und befahl, ihr Blutegel anzu- setzen. Aber das ging nicht so leicht, wie ich glaubte. Die Familie gab viel auf die Astrologie, und bevor sie meiner Ver ordnung nachkam, wollte sie erst wissen, ob der Dienstag günstig zum Bluilaffen sey. Man schickte daher zu einem Scheich, und ich mußte die Ankunft desselben abwarten. Als der Boie nach ziemlich langer Zeit eine günstige Antwort zurückbrachte, konnte ich zum Werke schreiten. Ich war noch im Harem, als ich die Stimme des öffentlichen Ausrufers vernahm, der „Lax Oglu äa xongiun var" (in Pera brenm's) schrie. Da ich wußte, mit welcher Schnelligkeit die Feuersbrünste in Konstantinopel um sich greifen, so entfernte ich mich rasch. Die Feuersbrunst halte um neun Uhr Morgens begonnen; als ich in Pera ankam, war cs drei Uhr Nachmittags, und dennoch hatten sich die Flammen schon in einer Ausdehnung von mehr als einer Quadraimeile verbreitet. An diesem Tage wehte aber auch der Wind so stark, daß es unmöglich war, dem Feuer Einhalt zu ihun. Man hat nachher behauptet, die Türken hätten, um sich für die Verbren nung ihrer Flotte bei Navarjn zu rächen, den vom Feuer Be drohten keine Hülfe gele-stei; aber das ist gänzlich falsch. Auch die Türken gingen nicht leer aus. Das Tcke, oder Kloster der tanzenden Derwische, blieb nur deshalb verschont, weil der Wind sich änderte; nichtsdestoweniger branme ein großer Palast des Sultans, Galata-Serai, gänzlich ab. Vergeblich suchte ich mein Haus; es war keine Spur mehr von demselben zu finden. Da ich für mich selbst nichts mehr »Hun konnte, suchte ich Anderen nützlich zu werden. Nur der jenige, der schon eine Feuersbrunst in einer Türkischen Siad! ge sehen Hai, kann sich eine Vorstellung von einer ähnlichen Ver wirrung machen. Da hört man Geheul, Verwünschungen, Dro hungen in allen Sprachen. Ein Jeder handelt für sich, denn von Polizei oder einer geordneien Hülfslcistung ist keine Rede. Ich werde nie diesen schrecklichen Tag vergessen. Die Straßen waren mit Trümmern von Kasten und werihvollen Gegenständen be deckt; die Cholera-Kranken irrten wie Gespenster umher; die kränksten wurden indeß von den Verwandten getragen, bei denen die Stimme der Natur über die eigene Noch gesiegt halte- Zer schlagen und zerstoßen zog ich mich nach dem kleinen Todten- Gefilve, welches zwischen Pera und Kassim-Pascha liegt, zurück und ließ mich dort unter einer Cypreffe nieder. Das Feuer breitete sich immer weiter aus und verwüstete Alles auf seinem Zuge; nur ein kleines, niedliches Häuschen schien wie durch ein Wunder verschont zu bleiben. Nm mir diese sonderbare Erschei nung zu erklären, trat ich näher und sah nun, daß das Haus mit Teppichen behängt war, welche eine Frau, die auf dem Dache stand, unaufhörlich mit Wasser begoß. Ein starker Mann schöpfte unausgesetzt Wasser aus der Cisterne des Hofes. Lange kämpften sie mit Muth, aber endlich nöthigtc sie die Hitze und die Er schöpfung, abzulaffen. Als sie wieder ans Werk gehen wollten, umzingelten die Flammen schon ihre Wohnung, und nun warfen sie sich, bitterlich weinend, einander in die Arme. Ein Polizei- Soldat entfernte sie mit Gewalt; es war auch die höchste Zeil, denn einen Augenblick späler stürzte das Haus zusammen. Einer der Zuschauer kannte den jungen Mann und erklärte uns die Ursache seine« Schmerzes. Es war ein Grieche aus Lesbos, der in Konstantinopel bei einein Tischler in die Lehre gegangen war. Hier verliebte er sich in die Tochter seines Lehrherrn. Dieser bewilligte sie ihm auch unter der Bedingung, daß er so viel Geld zusammenbrächie, um ein Haus zu bauen. Nachdem der junge Mann von seiner Braut den Verlobungsring empfangen, begab er sich nach Smyrna, wo er nach vierjährigen Anstren gungen und Entbehrungen ein Vermögen von 10,UW Piastern erspart hatte. Erst seil drei Monaien bewohmen die jungen Ehe leute das Haus, und nun haue ein einziger Augenblick ihrem Glucke ein Ende gemacht. Die Feuersbrunst wütheie noch mehrere Stunden; endlich legte sich gegen Abend der Wind, und man konnte die Ver wüstungen übersehen. Die Zahl der eingeäschenen Häuser und Buden wurde auf 18,OW angeschlagen. Während der Nacht flackerten die Flammen ^noch auf der ausgebrannten Stätte auf und verbreiteten eine dustere Helle. Mehr als 40,000 Personen jedes Geschlecht» und jedes Alters waren auf den Kirchhöfen bum durch einander unter den Cypreffen gelagert. Am folgenden Tage ließ der Sultan den Armen W,ooo Piaster ausiheilen. Er befahl, alle Obdachlosen in einer Kaserne unterzubringen, und er- erlaubic auch den Muselmännern, Christen aufzunehmen. Ich hoffte, daß ein Theil meiner Effekten gereuet worden sey. In meinen Diensten stand ein junger Grieche von der In sel Tino, der mein Haus während meiner Abwesenheit bewachte, und ich vermulheie, daß er wenigstens meine Manuskripte und Gegenstände von Werth gereitet haben würde. Am folgenden Tage traf ich ihn, und er erzählte mir nun mit allen Zeichen äußerer Traurigkeit, daß er meine Sachen zwar in ein steinernes Haus gebracht habe, daß aber auch dieses abgebrannt sey. Ich mußte seinen Worten glauben. Vier Monate später eröffnete indeß der junge Mann einen Laden mit einem Kapital von 80,000 Piastern- Leider ist die Polizei so schlecht, daß man von ihr keine Hülfe erwarten darf. Als ich zu meiner Kranken zurückkehric, erwartete mich ihr Vater schon mit Ungeduld. Nachdem er von meinem Verlust in Kennmiß gesetzt worden war, drückte er mich in die Arme- „Mein Sohn", sagte Hassan-Effendi zu mir, „ergieb Dich in den Willen Gottes; da ich die Ursache Deines Unglücks war, so erlaube mir auch, Dir zu Hülfe zu kommen. Wärst Du nicht in meinem Harem gewesen, so hättest Du vielleicht Dein Ver mögen reuen können. Nimm daher meine Gastfreundschaft an, bis Du Deine Angelegenheiten wieder geordnet hast." Ich konnte einem so herzlichen Anerbieten nicht widerstehen. Hassan gab mir ein kleines Haus, welches an das seinige gränzic. Hier wohme ich zwei Monate lang mit meinem Dolmetscher, und mein Gastsreund schickte mir Morgens und Abends meine Mahl zeit aus seiner Küche. Nach drei Tagen kam Hassan-Effendi am Abend zu mir, um den Kaffee bei mir einzunehmen. „Mein Gast", sagte er zu mir, „ich weiß, daß Ihr Europäer nicht gut der Gesellschaft der Frauen entbehren könnt, und Du wohnst jetzt so entfernt vom Quartier der Franken, daß Du Dich nicht mehr gut dahin begeben kannst. Obgleich unsere Sitten den Eintritt der Männer in die Harems verbieten, will ich doch Dir zu Liebe diesen Gebrauch übertreten, und ich fordere Dich auf, Deine Abende in meiner Familie zuzubringen." Man kann sich leicht denken, daß ich diese Aufforderung, welche mir eine so er wünschte Gelegenheit bot, die Türkischen Sitten zu studiren, mit der größten Bereitwilligkeit annahm. Nichts ist in der That schwieriger, als eine solche Kennmiß zu erlangen, denn das Le ben der Lürken beschränkt sich rein auf das Innere des Hauses, und an der Thür des Harems erhebt sich eine unübcrschreiibare Scheidewand. In der Familie Hassan-Lffendi'S war es mir nun endlich vergönn«, sichere Nachrichten über das Privatleben der Türken cinzuziehen. Seine Familie bestand aus neun Personen: er und seine Frau, zwei Töchter, zwei Negerinnen, eine Cir- kassierin, welche im Hause erzogen worden war und welche am Hochzeitstage der ältesten Tochter ihre Freiheit und eine Mitgift erhallen sollte, ei» junger Griechischer Sklave und die Mauer Hassan-Effendi'e, welche niemals bei ihrem Namen, sondern nach der ehrfurchtsvollen Sitte des Orients bloß Falide-Hanum (Frau Valide) genannt wurde. Eine Griechin, welche im Garien be schäftigt war, gehörte zwar nicht zur Familie, war aber die Ver traute der alten Dame. Von dieser, die eine alte Schwätzerin war, erfuhr ich, daß man die schöne Cirkassierin zu mir senden wolle, um meine Tugend auf die Probe zu stellen- Ich ließ mir das gesagt scyn. Ihr Herr, dem man vorgeworfen haue, daß er einem Dschiaur ein zu großes Vertrauen geschenkt habe, haue sich zu die sem Schritte enochlossen, um den Vorwürfen seiner Nachbarn zu entgehen. Am folgenden Tage cmfernle man in der Thai meinen Dolmelscher unter irgend einem Vorwande, und die junge Cirkassie- rin kam unverschleicrt und in einem sehr verführerischen Anzuge zu mir, wie sie sagte, um zu sehen, ob ich irgend etwas bedürfe. Ich verabschiedete sie sehr würdevoll- Als sie sich umer lautem Lachen entfernt hatte, folgt« ich ihr, und sah ihren Herrn, der sie unten an der Treppe «rwarietc. Die Schlinge, die man mir gestellt hatte, verdroß mich, und ich sprach mich gegen meinen Wirth darüber aus, der mir sagte, daß er nur dem Rache seiner Nachbar» gefolgt sey. Seitdem verdoppelten sich seine Achtung«» beweise gegen mich, und ich ivurde selbst in seiner Abwesenheit in« Harem eingelassen. Wenn ich jetzt das Kaffeehaus besuchte, so weltciferleii die Muselmänner, die sonst sehr gering von der Sitt lichkeit der Europäer denken, an Zuvorkommenheiten gegen mich. In eine so günstige Stellung gebracht, mußie ich bald wahr nehmen, wie ungerecht die Voruriheile gegen die Muselmänner im Allgemeinen sind. Alle unsere Ansichten über den Charakter der Türken, die Sklaverei der Frauen sind ganz irrig, und da« Türkische Volk ist nichts weniger als grausam oder wollüstig. Besonders sind über das Loos der Frauen in der Türkei die falschesten Vorstellungen im Umlaufe, und dennoch haben die Ge setzgeber, weit entfernt, das schwache Geschlecht zu unterdrücken, dasselbe vielmehr unter ihren Schutz genommen. Der Koran, welcher die Vielweiberei gestatte«, ist darauf bedacht gewesen, den glühenden Leidenschaften der Orientalen einen Zügel anzule- gen. Er Hal durch geheiligte Formeln das Wechselverhälmiß der Geschlechter geregelt und die Rechte der Männer und der Frauen fest bestimmt. Muhammed hat den Männern drei Frauen ge stattet, aber jenen auch zugleich solche Verpflichtungen auferlcgt, baß die Zahl derer, welche die Begünstigung diese« Gesetzes ge nießen, sehr gering ist. Er muß jeder Frau ei» Witwengeld ausseyen und ihr besondere Wohnung, Bedienung und Alles, was zur Lebensbchaglichkeit gehört, emräumen. Verstößt er ge gen eines dieser Gebote, so kann die Frau auf Scheidung an tragen,« und der Mann muß nicht nur darauf eingehen, sondern auch die im Kontrakt stipuline Summe auszahlen. Man könnte somit glauben, wen» die ärmere Klasse von der Polygamie au«- geschlossc» sey, so würde» jedenfalls die Reichen von dieser Ver günstigung Nutze» ziehe»; aber dem ist »ich, so, und die Viel weiberei bilde« immer nur eine Ausnahme. .serausgegeben von der Redaction der Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Redigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Havn.