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166 Erinnerungen hatten. Im Allgemeinen sind sie sanft, und ihre kleinen Listen vcrralhen, mii wenigen Ausnahmen, keine sehr arge Bösartigkeit. Nach einiger Ucbung ist es sehr leicht, sic zu durch schauen; eine große Einförmigkeit in ihrer Handlungsweise, in ihren Gedanken, Geberden und Stellungen, wenig oder gar kein Thä,igkcits,rieb und eine fast unbesiegbare Apathie, das sind ihre gewöhnlichen, charakteristischen Kennzeichen. Diejenigen, welche arbeiten, folgen dabei weniger einem inneren Aniriebe, als einer ihnen ingeimpftcn Gewohnheit. Sie sind Auiomaie, deren Rä derwerk man aufziehl und die dann ihre Aufgabe vollziehen. Ucbrigens nehmen die von ihnen verrichteten Arbeiten keinen großen Aufwand von Klugheit und Aufmerksamkeit in Anspruch; man will dadurch bei ihnen nur den schlimmen Folgen des Müßigganges Vorbeugen. Viele unter ihnen weigern sich hari- näckig zu arbeiten, sie bleiben entweder auf ihren Beilen oder um die Ocfcn herum scheu, hangen den Kopf und geben fast kein Lebenszeichen von sich; auf alle an sie gerichtete Fragen antwor ten sie mit Ja oder Nein, und nur selten lasten sie sich durch das Geräusch der Schrine, durch die Bewegungen und Gespräche der Hin- und Hcrgehenden aus ihrer Ruhe und Unbeweglichkeit auf- schrecken. Die Wahnsinnigen in der Salpeiriöre gehören mcistemhcils der niedrigen Äolksklaffe an. Der Preis einer Pension betragt jährlich 40N Franken; die, welche außerdem noch Geld besitzen, erhalten für das Uebnge Taback, Leckereien oder andere ihnen angenehme Dinge, denn größiemheils gleichen die Irren in ihren Launen und Wünschen den Kindern. Das ihnen zugehörige Geld gehl durch die Hände der Wällerinnen, welche ihnen nur ge ringe Summen zustclien und so dem schlcchie» Gebrauch Vorbeu gen, den sie davon machen könmc». Oie größte Zahl der Wahnsinnigen sind bejahric oder we nigstens in Jahren vorgerückte Personen, man sindcl sehr wenig junge darunter, und fast nie ist eine derselben hübsch zu nennen, wett das gewöhnliche Einfällen der Zuge und die Muskel-Ver zerrungen, die fast immer mii dem Wahnsinn verbunden sind, der Gcsichisbildung alles Angenehme rauben. Uebcrhaupl sind die Frauen in Frankreich mehr hübsch und angenehm, als wirklich schön ; fetten lriffi man hier aus den ausgesprochenen, bestimm ten Schönheits-Typus, wodurch sich die Frauen in Italien, Spa nien und selbst in England auszcichne». Die Französinnen sind vielleicht nur deshalb anmulhiger, als die Frauen anderer Völ ker, weil sie cs scyn wollen, weil sie sich auf die Kunst, anziehend zu scyn, so gut verstehen; ihr Reiz entspringt mehr aus dem Willen, zu gefallen, und aus der Aufmerksamkeit, die sic bestän dig auf sich selbst haben, als aus der natürlichen Korrektheit und Makellosigkeit der Schönheiislinicn ihres Gesichtes. Nun kann man sich leicht denken, daß die Wahnsinnigen, welche keinen Be- griss mehr von Reiz und Anmuth in sich tragen, diese Eigen schaften auch äußerlich nicht wicdcrspicgeln können. Die Mehr zahl derselben Hai düstere oder wilde Züge, einen starren oder wachenden Blick und keinen bestimmten Ausdruck. Dsc Gefall- lacht, die doch im Herzen der Frauen so fest eingewurzelt ist, scheint sich bei den Irren in das Gcgencheil verkehrt zu haben. Sia« eines Blumenstraußes stecken sie sich einen Strohwisch vor, stau eines Kranzes flechten sie Grashalme in ihrHaar, sic wissen nichi mehr, was sie kleide«, und gewöhnlich wählen sie lächerliche oder gemeine Gegenstände zu ihrem Schmuck. Die meisten sind beinahe ganz gicichgüttig in Betreff ihres Anzuges; sic sind darin den Blinden ähnlich, die ebenfalls in gänzlicher Nichibcachwug und Vernachlässigung ihres Acußeren leben; aber diese Gleichgültigkeit entspringt aus einer anderen Quelle; ihnen sind die Augen des Körpere, jenen die Augen des Geistes ge schloffen. Wenn inan so durch die Schlafsälc wanden, kann man an dem veränderten Gesichtsausdruck der Wahnsinnigen die vsrschie- d neu Arien ihrer Geisteszerrütlung studiren- Hier hefte« eine Wachende ihre bluiigroihen Augen aus uns, die sic mit crschrek- keudcr Lebhaftigkeit in ihren Höhlen umherroll«; don stimmt uns der Anblick einer Tiefsinnigen, die man an ihrer Niedergeschla genheit, ihrer fast unbeweglichen Haltung, ihrem stieren Blick, ihrer schlaff hcrabhängcnden Lippe erkennt, zur Traurigkeit; hier murmelt eine Blödsinnige beständig vor sich hin und ver- schliugi mit echt ihierischer Gierigkeit die ihr vorgesetzten Spei sen. Außer diesen von der Ar« des Wahnsinne hergenommenen Eias'sficauonen umcrschcidet sich eine Irre von der anderen auch noch durch gcwijic Eharakierzüge. Die Stolze zum Beispiel wic» deihokl sich unendlich oft in allen Irrenanstalten; denn der Stolz -st eiiier der Hauprzüge des Wahnsinns und oft selbst eine der Ursachen, die ;u seiner Unheilbarkeit beiiragcn. Die Siolze cr- kem: man an der Selbstgefälligkeit, die über ihr ganzes Wese» verbreitet ist, und an der Ziererei, mii welcher sie sich ausbläht mW tu die Brust wirft, wenn man an ihr vorübergcht. Die Aer,w empfehlen allen Besucher", so wie den Aufwäricrn, solche Kranke steis nur mit Gleichgültigkeit, ja, selbst mit Verachtung -r- l "rächten. ' ... .'ludere zeigen sich abwechselnd mürrisch oder redselig: sic IN ist rn die Fremden cmwcdcr mit Mißtrauen und Zorn, oder sic n h -rn dieselben l ei dcr Hand, umarmen, liebkosen sic, empfanden pe kni' Freodcngcsckrei und einem unerklärlichen Entzücke». Sie bei.:. . aber eitlen Sinn, ein' Vorliebe, die ihnen immer bleibt, d- /le zu» Gewe z beim 'Anblick irgend etwa Münze eninern ic öhn'iä vor Wohlbehagen. Das -wort Geld wiederholt sich .i'ndlick ost in allen ihren Klagen und Reds» , und sie bc- ki . sich ..netten der settsimsten Wendungen, um nur -.nieder darauf zuruck zu kommen. Line Wahnsinnige fragie unter An derem die Personen, welche sie sah, ob sie nicht den Dokior Richecand kennte»? Fragte man sie nach der Ursache dieser Er kundigung, welche sie unaufhörlich und bei jedem Anlaß wieder holte, so antwortete sie: „Er ist mein Landsmann, und ich habe schon sehr oft an ihn geschrieben, er solle mir doch Geld schicken, weil ich gar keines besitze und cs mir selbst am Noihwen- digsten fchtt." Man Hai leider die schmerzliche Bemerkung gemacht, daß die Wahnsinnigen eigentlich keiner Empfindung, keiner Zuneigung mehr fähig sind. Zuweilen springen sie beim Erblicken eines Ver wandle», eines Bruders, eines Mannes hoch auf vor Freude, als fahtten sic sich darüber ganz glücklich, aber ein anderes Mal bleiben sic dabei in sich versunken, ichwcigen harmäckig still und bezeugen weder Freude noch Verdruß über ihren Besuch. Das beste Mil- icl, ihre Zuneigung zu gewinnen, ist, wenn man ihnen zuweilen kleine Geschenke macht. Einer der Oberbcamicn zum Beispiel haue die Gewohnheit, täglich einer Irren einen oder zwei Sous zu geben, und dafür hing sic mii so lebhafter Dankbarkeit an ihm, daß sie jedes Mal, wenn derselbe durch die Höfe ging, wo sie mit Kehren beschäftigt war, ihm mit ihrem Besen Platz machte, vor ihm her schrill und die anderen Irren zu Ehrenbe zeugungen gegen ihn veranlaßte. Oft wird man auch durch die Gefühle, welche diese Unglück lichen ausdrücken, und die nur eigentlich das Resultat ihres Wahnwitzes sind, irre geführt. So sprach unter anderen eine Wahnsinnige beständig von ihren Kindern, beklagte sich, daß man dieselben vor Hunger sterben laste, und verlangte von Jedem Brod, Milch und Früchte, um sie ernähren zu können. Ihre Klagen waren nm so unbegreiflicher, weil man von ihrem Manne wnßic, daß sie nie Kinder gehabt haue. Wellte man ihr Bell machen, so widersctzke sic sich lebhaft, drohte mit den Fäusten und rang voll Verzweiflung die Hände. Nach einem Monale endlich cmseriuc man sie mii Gewalt von ihrer Mamaze und kam da durch endlich Himer diese vorgeblichen Kinder, für die sie so viel Angst und Zärtlichkeit bewies; man fand nämlich in ihrem Siroh- fack acht bis zehn Puppen, die sie sich aus allerhand Leinenzeug verfertigt haue und für deren Ernährung sie so ängstlich Sorge trug. Um ihre Aufregung nur etwas zu dämpfen, ließ man der Wahnsinnigen ihre geliebten Puppen, die sic mit wahrhaft mül- tcrlichcr Sorgfalt und Anhänglichkeit pflegte- Die Fälle aber, wo der Wahnsinn an einem Gegenstände haftet, sind settener, als man gewöhnlich glaubt? man Hal die Irren sehr gut bezeichnet, indem man von ihnen sagte, sie be säßen alle ihre Fähigkeiten bis auf eine; oft könnte es aber auch von ihnen heißen, daß sie mit allen Fähigkeiten begabt seyen, doch eine zu viel besaßen, was hinreichi, um die anderen alle zu irübcn und zu stören. Die Personen, denen man in den Schlaf- salcn der Salpeirwre begegnet, sehe» häufig sehr gesund aus, denn der Wahnsinn, der auf den Geist so zerstörend einwirkl, verschont fast immer den Körper, der dabei oft an Fülle zunimmi, was doch ein Zeichen vortrefflicher Gesundheit ist. Traurige Ent schädigung, die das Schicksal den Wahnsinnigen als Ersatz für die geraubten geistigen Vorzüge zu vielen schcim! Die Unheilbaren und die in der Kur befindlichen Wahn sinnigen bilden die beiden größten Abtheilungcn der Salpeiriöre. Sic bewohnen entweder die Schlafsälc oder abgesonderte Zellen, je nachdem sie ruhig oder heftig sind. Uebrigens trifft man bei den Unheilbaren keiueswcgcs auf wüihendcrc oder nur aufgereg tere Wahnsinnige, als in den anderen Abihcilungen. Die Un- Heilbarkeit einer Wahnsinnigen zeigt sich durch Symptome, die mi« ihrem äußeren Betragen oft in gar keiner Verbindung sichen. Hinfälligkeit, Michl und Blödsinn machen den Wahnsinn fast immer unheilbar; doch irägi die Gichl, welche mit dem Wahn sinn verbunden ist, einen ganz eigenen Charakter. Sie bekundet sich gewöhnlich durch eine zu Anfang fast unmerkliche Lähmung der Sprache, durch eine gcwistc Schwere der Zunge, die oft schwer zu erkennen ist. Sie verbreitet sich dann immer weiter und crstrccki sich nach und nach über den ganzen Körper. Beob achtet man die gichlbrüchigcn Wahnsinnigen genau, so kann man ofl keines der Zeichen oder Symptome bei ihnen entdecken, woran man die gewöhnliche Gicht erkenn,. Es ist in der Tha« ein schr trauriger Anblick, wenn man die doppelte Reihe dieser Kranket, der Salpeiribrc übersieht, welche sowohl der Denk- wie der Bewegungefähigkeii beraubt sind; sie gleichen den Mumien, Lie nur noch die menschliche Form be- wahn haben und stumme Zeugen einer Welt sind, der sic »ich, mehr angehörcn. Geht man durch dicsc mi, unbcweglichen Gästen bevölkerten Säle, so glaubt man irgend eine Vclsteine rungsscene zu überschauen. Welche traurige Beirachlungen floßen diese noch lebenden und alhmendcn Slawen ein, diese in starre Körper cingcschlostcncn erloschenen Seelen, welche ein so ircncn- dce Bild des Todes und der Vernichtung darbieicn Aus den Schlafsälc» begicbl man sich m die Hofe, wo sich die Zellen für die rasenden Irren befinden, »"b hier übersieht man endlich jene Ari von Wahnsinn, welche die EuibUdungskraft sich gewöhnlich bei diesem Woric vorspicgcli. Die Rasenden, welche sich in der freien Luft befinden, lind gewöhnlich lärmen der, als die cingcschlostcncn; sic laufen, singe» und stoßen ein wildes Geschrei aus; doch wie die freie Luzi ihre Aufgercgthcit zu vergrößern schein,, so verleiht ne auch ihren Fähigkeiten mehr Lebensfrische, und sotten geh' man in den Höfe» jene starren, niedergeschlagenen Wcscn, u:e man sic in den Schlafsälc» aw tiifft. Es ist übrigens b-'kamu, daß der von Wmhausbrüchm