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„Ick muß Ihre Aufmerksamkeit", heißt es am Schluß der ersten Vorlesung, „nur vorübergehend auf eine andere Doktrin der Phrenologie lenken, die man kennen muß, wenn man die praktische Anwendung der Wissenschaft gehörig beunheilen will. Ich meine das, was sie die natürliche Sprache der Organe nennen. Sie behaupten nämlich, daß die phrenologischen Organe die Wirkung haben, die Stellungen und Bewegungen des Kör pers zu beherrschen und zu modisiziren, und daß diese Bewegun gen in der Lüngenrichtung der Organe staltfinden. So z. B- wenn die Acußcrung der Verliebtheit m stärkerem Grade hervor- gcrufen wird und das Organ dafür groß ist, dann wird sich der Kopf rückwärts werfen, weil dieses Organ seine Grundlage in dem niederen und Hinteren Theil des Gehirns Hal; daher kommt es auch, daß Liebende geneigt sind, den Hinteren Theil ihrer Köpfe in Berührung zu bringen, sobald sic sich einander nähern." (k!) „Folgende Beispiele mögen zeigen, wie leicht es den Phre- nologen wird, Alles, was in der Wirklichkeit ihren Theoriecn wi derspricht, mit denselben in Einklang zu bringen. Ein Indivi duum, das einen großen Kopf und zugleich einen ungewöhnlich großen Geist Hal, dient ihnen zum Beweis für die Wahrheit der Phrenologie; ist aber der Kopf groß und der Geist schwach, dann heißt cs, daß der große Umfang des Gehirns von Krankheit her rührt, oder daß die innere Organisation des Gehirns mangelhaft ist, oder daß andere Umstände seine ursprüngliche Kraft geschwächt haben. Ist dagegen ein kleiner Kopf mit einem mächtigen Ver stand verbunden, so beweist dies bloß, daß das Gehirn zwar klein, aber gut organisirt ist und mit ungewöhnlicher Energie wirkt. Hal ein Individuum eine vorherrschende Neigung und kein ent sprechendes Organ dafür im Gehirn, dann heißt es, daß das Or gan sich nicht ausgeprägt ha« durch die Befriedigung jener Nei gung; ist dagegen für ein besonders entwickeltes Organ keine ent sprechende Richtung im Charakter de» Individuums vorhanden, dann wird behauptet, daß der Keim zu dieser Neigung da ist, aber daß er entweder durch die Erziehung unterdrückt ist, oder daß «in entgegengesetztes Organ sich ausgebildet, wodurch die Thäiig- keil des ersteren nemralisirt ist. Wenn z. B- ein Mensch das Or gan der Habsucht stark ausgeprägt Hal und sich nick« durch unge wöhnliche Liebe zum Gewinn auszcichnei, daneben aber das Organ des Wohlwollens ebenfalls sehr groß ist, dann heißt es, daß die Wirkung des einen die des anderen neuiralisirt Hal. Auck das Temperament, wird angenommen, übt auf die Aeuße- rung der verschiedenen Organe einen großen Einfluß, und wenn man mit allen diesen Hülssmitteln keine genügende Erklärung zu Stande bringt, dann nimmt man zu einer anderen, noch ergötz licheren Methode die Zuflucht, um die Phrenologie aus der Verlegenheit zu ziehen. In Schottland lebt ein berühmter Geist licher, von liebenswürdigem Charakter und mächtigem Geist, der zugleich einen weitverbreiteten moralischen Einfluß auf die christ liche Weh ausübi. Dieses Individuum, heißt es, Hal das Organ der Zerstörung besonder» stark entwickelt, aber kein Organ von entgegengesetzter Natur daneben, und um nun diesen Widerspruch zwischen seinem Schädel und seinem wirklichen Charakter auszu gleichen, behaupten die Phrenologen, denen die Thaisache bekannt ist, die Neigung zum Mord und Blutvergießen sey ursprünglich vorhanden, und er manifestirc dieselbe dadurch, daß er überall, wo er kann, das Laster zerstört und irrige Ansichten und Systeme umstößt. Man hat neulich den Sckädel des Antichristen Voltaire untersucht und gefunden, daß das Organ der Verehrung bei ihm in außerordentlichem Grade ausgebildet war. Bei ihm heißt es, seine Verehrung für die Golchen sey so groß und sein Sinn für Frömmigkeit so stark gewesen, daß ihm selbst die frömmsten Christen noch nicht gottesfürchtig genug schienen, und daß er aus reiner Verehrung gegen die Gonheit die christliche Religion von der Erde zu vertilgen suchte. Solcher der Wahrheit und dem gesunden Menschenverstand widersprechender Erklärungen werden noch viele zur Ehrenrettung des Systems gebraucht." „Wenn die Phrenologen behaupten, däß die geistigen Fähig keilen eines Menschen und der Umfang seines Gehirns in einem bestimmten Vcrhälmiß zu einander stehen, so kann man fragen, ob der absolute oder der relative Umfang des Gehirns gemeint ist, d. h- ob die Größe de» Gehirns an sich, ohne Vergleich mit anderen Theilen des Leibes, den Umfang der geistigen Kräfte bedingt, oder ob es darauf ankommt, wie sich die übrigen Theile des Körpers ihrer Größe nach zu der des Gehirns verhalten. Im ersteren Fall wurden Menschen mit kleinem Kopf ein für alle Mal weniger Venkand haben als die mit großem Kopf, und doch haben der Wallstick, der Elepham und andere Thiere niede rer Stufe ein viel größeres Gehirn als der Mensch, während ihr Verstand kleiner ist- Kommt es aber auf das Vcrhälmiß des Gehirns zu anderen körperlichen Dimensionen an, dann fragt es sich wieder, ob bloß der Umfang eine» bestimmten Theils in Betracht kommt, etwa des Gepchis, oder des Halses, oder de» Rückenmark«, oder der Gchirnnerven, oder die Maßverhälmissc des ganzen Körpers, und hierüber geben die Phrenologen keine Aufklärung." „Es ist wahr, daß die naturlicken Anlagen der Menschen ursprünglich vct schieden sind, aber diese Verschiedenheit, dieses Ursprüngliche wird durch das Leben selbst durch und durch modir sizirt. Klima, Beschäftigung, Literatur, Wissenschaft und Künste, Handel und Krieg, bürgcrlicke und religiöse Institute, die ge sellschaftlichen Zustände und die Lebensweisen könnest auf den Geist den mächtigsten Einfluß ausübcn; vor Allem aber wichtig ist die Zucht und Gewöhnung de» Geiste» selbst. Durch Uebung erstarken die geistigen Kräfte eben so wohl als die physischen, und ohne anhaltendes Studium, tiefes, systematisches Denken und gründliches Forschen kann keiner etwas Ausgezeichnetes erreichen. Durch solche Anstrengungen bekommt der Geist oft eine Kraft, welche die Natur nie miigicbt. Doch gesetzt, cs fände wirklich ein bestimmtes Vcrhälmiß statt zwischen den intellektuellen Fähig keiten und dem Umfang des Gehirns, so würde dies dem Phre nologen für das Leben gar nichts helfen, da die Masse des Ge hirns in dem lebenden Individuum ihm verborge» bleibt." "(Schluß folgt.) Bibliographie. I.ove> rxcioniro. — Roman von E. I. Vo»le. z Vde. Zit Sb. rxcors* <>r u,c Mma, xrmv. — Historische Erinnerungen des Ersten oder Konigl. Regiment« ;u Fuß. 12 Sl>. KU« lU'tor-, «r Lgvpl uuiler ldx I-tostu-ie-i. — Von Saniutl Sharpe, 4. 8j Sh. Bl,e tute ok KUnma« kevoota-i, dv ist« «ov. — 2 Bde. Ast Sh. toxlSeiU» »t trnvel iu Ku»«!-- üu« polauS. — NvN 3- G- Stephen«. 7t Sh- , wl>0 ort ok a,'oe-xt»lpiog. — Voit W. Scrove. 42 Sh. AVUS «reue« I» u,r korest »nü pr»irjk. — Non §. K. Hoffmann 2 Bde. 16 Sh. 1U,c »ui,die» nf < — Nom Vers, de« „Mn,Smoler". 12 Sh. a„ Nie con»lr„clioll af »etipcinl touniotiallz. — 12 Sb- Biir di'tuev »t tiic vi,»enter» srnin 181« tu 18Z8. — Von dem Prediger Ur. Bennett. KUc ^ntcaUurmu». — Gedicht von I. M'Henrn- 8 Sh. Spanien. Die Spanischen Theater. (Schluß.) Es ist oben gesagt worden, das Schauspiel sey eine Lebens bedingung bei den Spaniern. Man weiß, mit welcher Leiden schaft sie an den Sliergefechicn theilnehmcn; jetzt wollen wir sie bei den theatralischen Vorstellungen beobachten, wo Scenen auf- gcführt werden, die sic mit dein größten Beifall aufnchmen, weil darin ihre eigenen Neigungen, ihre Leidenschaften, ihre Sitten, ihre Laster und Eigenschaften vorgcstellt werden. Geher in das Theaicr del Priuzipe oder de la Cruz, wenn man Lucrezia Borgia, den Thurm von Ncsle, Maria Tudor oder An tony giebt. Der Saal ist dunkel und wird durch den grauen Anstrich der Balkone und Logen noch mehr verfinstert. Die Zuschauer sind gebräunte, in Mäntel gehüllte, ernste, leidenschaft liche Gestalten, die weniger aussehen, als suchten sie hier Ver gnügen, denn als erfüllten sie eine religiöse Pflicht. Das Par terre ist mit Levien vom düstersten Aussehen angefüllt, und cs gehör« wahrlich eine große Anstrengung der Phantasie dazu, um diese Räume für eine» Schauspiclsaal zu halten. Die Zuschauer, die man vor wenigen Stunden auf der Puena del Sol Hai plaudern und rauchen sehen, sind hier ganz stumm; das Drama auf der Straße ist zu Ende, und sie suchen nun im Theater Er schütterungen und Vorbilder» Wenn dem Drama ein politischer Sloff zum Grunde liegt, wenn Verschwörung, Aufruhr und Mord die Emwickelung desselben sind, so schöpfen sie daraus Pläne und Hoffnungen für den nächsten Tag. Die Zuschauer von heule werden morgen zu Schauspielern, der Marktplatz wird zum Theater, und die Minister oder Generale sind die Opfer. Ist es ein bürgerliches Drama, so entnehmen die Zuschauer dar aus, wie man ein Weib zärtlich liebt und cs erdolch«, wie man sich durch Gift von seinem gehaßten Nebenbuhler befreit, mit einem Won, wie man seine Rache stillt. O! diese Zuschauer lassen sich auch nicht den leisesten Gedanken des Dichters em, gehen, und noch denselben Abend wird vielleicht irgend eine blutige Scene, unter dem Schein einer Straßen-Lawrne und unter den Augen eines Multergonesbildes, den Beweis führen, welch' ein gelehriges Publikum die romantische Sckule in Madrid habe- Die gebräunten Gestalten sangen jedoch an, sich zu erhei tern; die Scene hat sich verändert; das ernste Genre Hal volks- thümlicheren Vorstellungen Platz gemacht, deren einzige» Ver dienst ihre Rohheil ist. Während der ganzen Dauer des Drama'« crtönlen im Saale weder Beifallsbezeugungcn noch Murmeln; ein Jeder Hörle zu, sah, beobachlele und suchte Vonhcil daraus zu ziehen; jeyl aber wird der versteinerte Zuschauer wieder zum Mensche», seine Passivität Höri mit dem Drama auf. Die Kasti- lianischcn Verse emlockcn ihm Lächeln und Beifallklatschen; die derben Worte, die schlüpfrigen Scenen schmeichel» seinem Ge schmack und feinen Gelüsten; durch Gebcrdcn und Ausrufungen giebt cr seinen Beifall zu erkennen und fordert die rohesten Lazzi's da Capo. Dann folgt der Tanz, der National-Bolero und Fandango, welche die Vorstellung beschließen. Mit Ent zücken sieht man den Bcinschwenkungen und üppigen Stellungen der Tänzer und Tänzerinnen zu, die in knapper Andalusischer Tracht, mil Flitter» bedeckt, erscheinen; mau schreit, brüll,, ap> plaudiri mil Händen und Füße», und «penn der Vorhang fäll', ruft man nichl den, Darsteller des Anwny, wohl aber de» Har lekin oder das Paar, welches den Bolero lanzic. Nickl zu ver gessen, daß das Publikum nur dann völlig befriedigt das Theaicr vcrläßi, wenn das Orchester die .p-ymne Riego's, eine Art Spa nischer Marseillaise, und die eben so belicble Tragala gespielt hat. Der Schauspieler Lawrre, der vor einigen Monaten von Paris »ach Spanien gekommen, ist jctz, zu Madrid der bestc Schauspicler im Drama: ihm steht eine junge niedliche Franzö sin würdig zur Seite, die Gattin eines ehemalige» Direkter» lind Verwalters der Madrider Theaicr und wegen ihrer reine» Aussprache des Kastilianiscken allgemein bewundert. In Madrid und den übrigen Spanische» Stadien sühn man