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Ein alter Schäfer jedoch, der sein Leben in einer der Höh len des Berges verbrachte, bemühte sich, uns durch seine Vorstel lungen von unserem Vorhaben abzubringcn. Er erzählte uns, vor fünfzig Jahren, in seiner Jugend habe er auch einmal das Gelüst gehabt, bis zum Gipfel des Berges empor zu klenern, er hätte aber, außer dem Verdruß dort gewesen zu seyn, nur noch eine große Müdigkeit und zerrissene Kleider davonaeiragcn. Vor mir,, setzte er hinzu, war noch Keiner hinauf gestiegen, und es Hai auch seitdem Niemand mein Beispiel nachgeahmi. Wenn man jung ist, giebl man wenig auf guten Rath; der des Greises erregte nur noch mehr unsere Neugierde. Als der Schäfer merkte, wie vergeblich alle seine Vorstellungen seyen, ging er mit uns nach den Felsen hin, zeigte uns einen sehr steilen Fußpfad, fügte noch einige Anweisungen über die zu verfolgenden Krüm mungen hinzu, und als wir ihn verlassen hallen, hönen wir ihn noch von weitem die Tollkühnheit unseres Unternehmens bescufzen. Nachdem wir unsere Gewänder aufgeschürzl und zusammen« geknüpft hauen, um uns das Schreiten zu erleichtern, fingen wir an zu steigen; aber unsere ersten zu lebhaften Anstrengun gen ermüdeten uns dergestalt, daß wir uns ausruhen mußten und unseren Weg dann viel langsamer fonsegien. Ich wählte mir einen minder steilen Pfad aus und schrill ganz gemächlich weiter, wogegen mein Bruder es versuchte, den Gipfel auf einem geraderen, aber unendlich beschwerlicheren Wege zu er reichen. Mehrmals rief er mir zu, um mich auf den rechten Pfad zu lenken, aber ich antwortete ihm steie, daß es mir auf einige Schrille mehr nicht ankämc, und daß ich lieber ein wenig später oben anlangen, als mir zu viel Beschwerde verursachen wolle. Auf solche Weise suchte ich meine Trägheit zu beschönigen, und als mein Gefährte schon dem Gipfel nahe war, irrte ich noch auf den unteren Theilen des Berges umher. Endlich bemerkte ich aber doch, daß ich mir große Umwege und viel unnütze Muhe mache, denn ich kam meinem Ziele durchaus nicht näher. Da sah ich meinen Jrrlhum ein, versuchte cs, den Berg gerade hin auf zu klimmen, und von Müdigkeit ganz zerschlagen, erreichte ich meinen Bruder, der sich niedergcsetz« und in seine Kleider eingehüllt haue, um sich vor der Kälie zu schützen. Als wir uns etwas ausgeruhl, machten wir uns wieder auf den Weg und gingen auf dem Plateau umher, aus welchem der Gipfel des Monl-Vemour ruht. Unverbesserlich, wie ich war, und in dem- felben Jrrihum befangen, gerielh ich, als wir unseren hohen Ruhepunkt verlassen Hanen, wieder in die unteren Thäler; von neuem trachtete ich danach, mir das Hinaufsteigen zu erleichtern, und verlängerte dadurch nur meine Anstrengungen. In Wahr heit, ich scheute aus angeborener Trägheit die Mühe und Lange weile des Erklimmens; doch die Natur der Dinge ist unverän derlich, und was man auch lhue oder wolle, nie wird man her absteigend hinaufklimmen; dreimal, ich muß es nur cingestchcn, wiederholte ich dieses Manöver und mußte manche Spöttelei von meinem Bruder dafür aushallen, denn ich verbrachte fast zwei Stunden mit solchem Umherirren. Während dieser unstälen Irrfahrten, als ich gar nicht mehr wußte, welchen Pfad ich eigentlich wählen oder verfolgen sollte, setzie ich mich in einem Thale nieder. Da schwang ich mich auf den Flügeln des Gedankens von der Wirklichkeit zu den übersinnlichen Dingen auf und sagte zu mir selbst: Vergiß nicht, wie oft Du Dick heute schon beim Ersteigen dieses Berges geirrt hast, und bedenke wohl, daß es Dir eben so gehen kann, wenn es darauf ankömmt, Dich zur ewigen Seligkeit aufzu schwingen! Dieses Beispiel diene Dir als Lehre und als Füh rer, um diese wichtige Wahrheit wohl zu fassen, denn Alles, was körperlich und sichtbar ist, begreift sich leicht, aber das Unsterb liche vermögen alle Anstrengungen unserer Einbildungskraft nicht zu durchdringen. Vergiß nicht, daß das ewige Leben hoch erha ben ist, daß man es nur sehr schwer erringen, nur stufenweise, indem man von Tugend zu Tugend sich erhebt, dahin gelangen kann, so wie man diesen Berggipfel nur erreicht, wenn man von Fels zu Fels klimmt. Das Hohe ist das Ziel von Allem; es ist der Zweck unserer Reise wie unseres ganzen Leben«; Jeder strengt sich an, dahin zu gelangen, aber nur Wenige erreichen es- Aber Du betrügst Dich selbst, sprach ich weiter zu mir. Du willst nicht bloß, Du wünschest auch sehnlich; was verhin dert Dich denn also am Hinaufsteigen? Es ist der verführerische Reiz eines minder schwierigen Weges, auf welchem Du mehr Vergnügen zu finden hoffst und der Dir kürzer scheint. Das ist die Täuschung, die Du Dir selbst bereitest. Aber wenn Du recht lange umhcrgeirn seyn, wenn Du Dich unnütz ermüdet haben wirst, in der Hoffnung» dadurch einer unvermeidlichen Anstrengung zu entgehen, dann mußt Du Dich zuletzt doch ent schließen, zum Gipfel des ewige» Lebens hinaufzuklimmen oder in der Tiefe des Thales der Sünder umherzuirrcn und endlich darin zu sterben. Diese Betrachtungen rüttelten all' meine Kräfte aus ihrem Schlummer auf. Der Himmel gebe, wenn ich die große Reise antrete, nach der ich mich sehne, daß ich in den Stunden der Ermattung fähig seyn möge, eben so den Ei fer meiner Seele zu beleben, wie cs mir heute mit dem meines Körpers gelang. Auf dem Gipfel des Moni-Venwux befindet sich eine Er höhung, die alle übrigen beherrscht, und welcher die Landleule den Namen des „Hügels der Kinder" gaben, wahrscheinlich weil ihre Stellung ihr das Ansehen der Mutter aller sie umrin genden gicbti auf ihr ist eine kleine Fläche, die wir zur Ruhe stätte benutzten. Da cs Dir gefallen ha«, o Colonna, mir bis jetzt zuzuhörcn, so schenke mir noch einig« Augenblicke Deine Aufmerksamkeit, damit ich Dir das Ende unseres Unternehmens berichten kann. (Schluß folgt.) Römische Berichte eines Deutschen. Hl. Wer wollte hier nicht gern von Musik schreiben! Nicht die Vögel, die um'» Funer stngen, sind es allein, die hier den Lenz wald machen. Durch Hof, Haus und Garten flöten den ganzen Tag die Hellen Weiberstimmen und haben eine Art dabei, daß Einem, der was auf Musik hält und im lieben Deutschland« sonst des Dinges nicht so gewohnt gewesen, recht das Herz lacht. Mit durchaus nichts Anderem als Vogelsang wüßt' ich dies Singen zu vergleichen und zu bezeichnen, so anstrengungslo«, so keck und schnell schlägt'« auf, so leicht und schmetternd schallt's, so flüch tige Passagen wirfl'S wie spielende Raketen aus, so plötzlich und launisch bnchl's ab. Ein Geiräller, ein Geschwätz, ein Geläch ter, husch! ein Lauf die Tonleiter hinauf, hinab, und ein langer lauter Triller und wieder ein Gelächter und Geschwätz. Oder eine halbe Melodie und ein Schelten dazwischen, und dann die andere melodische Hälfie und das Schellfinale hinterdrein. Dabei ein Stimmansay und ein Poriamenlo, ein Auschun des Mundes und ein Perlen der Töne, daß man schwören sollte, e« müßte die beste Schule dahinter seyn. Sic ist auch dahinter, die beste, die einzig wahre Schule, dieselbe eben, die im Lenzwald au« dem Ei gekommen. Und das steckt so im Volke, wie die satte Farbe in der Luft hier. Man begreift die Jialiänische Oper erst, wenn man diesen Vogelstimmen gehorcht Hai. Und man begreift mehr, wenn man dem Sanglcben der Jialiänischen Welt weiter nach gehl. Sang und Leben gehören in ihr zu einander. Und der erstere spukt nicht durch das letztere nur hindurch, wie Göthe'« rocher Faden durch unsere heutige Literatur, sondern beide scheinen so untrennbar mit einander verwachsen und verschlungen, wie das Rebgewinde mit der Ulmcnkrone oder dcm Laub der Pappel, um welche der Weinstock rankt. Man trifft in« Herz dieser Er scheinung, wenn man dem kirchlichen Ritual als dem eigentlichen Angelstern der ganzen Sphäre sogleich die Betrachtung zuwendei. Bei der Messe allerdings spielt das Volk eine stumme Rolle, bei anderen liturgischen Handlungen ist ihm ein ähnlicher Antheil gegönnt, wie unseren evangelischen Gemeinden im Choralgesang. Man darf nur jes« gegen Abend in eine der Parochial- Kirchcn treten und die dioven» singen hören. Nicht da« geheim nißvolle Dunkel der Kirchenschiffe, mit welchem die blendende Lichlersülle des Haupialiars komrastirt, nicht das feierliche Knieen einer zahlreichen Menge in dem weilen dämmernden Raume, oder wenigstens nichl dies für sich allein vermöchte so heilige Schauer auszugießen; aber des Gesanges ebenmäßiger leiser Wellenschlag, der den Raum nach allen Seilen durchflut«, trägt die Seele unwiderstehlich auf Flügeln der Andacht hin. Wenn man sich umschaui und das Volk sieht, das hier kniet und singt, so erstaunt man, daß diese gemeinen Leute eine solche Herrschaft über ihr Organ besitzen können, um jedes rohe Hervorschrcien, jede widrige Rauhheit zu verbannen und gemeinsam ihren Gesang zu einem einzigen Körper zusammenzuschmelzen, ohne doch die Töne im Munde zu zermalmen und die Worie zu vcrmurmeln- Will man dem Gewächs bis auf die Wurzel nachgehen, so muß man einer Kinderlehre Sonntag Nachmittag« in der Kirche beiwohnen. Besuche man etwa 8. Akaris sopra Uinery«. Auch hier liegt das kleine Gesindel auf den Knieen, von den Kleinsten bis zu den Erwachseneren, zahlreich genug, di« Jungen und die Mädchen durch Stellung der Bänke in zwei große Vierecke von einander gesondert, und singt sein kstei noswr her, und die ^tti äi loäe, äi speran^, (li csrits, aus Leibeskräften, au« tiefster vollster Brust, mit einer Lebendigkeit und Frische des Anfassen«; mit einer solchen Kinderlust, daß man daran seine eigene Lust hört, obschon das Trommelfell ein wenig in Gefahr geräih. Hat man sich zugleich an der Schärfe de« Dokalisirens und an der Deutlichkeit des Äussprechen« gefreut, so wird diese Freude nichl verringert, wenn nun Alle« ausspringt und Platz nimmt, weil die eigentliche Oottrina beginnt. Das deutliche, bestimmt« Spre chen des Jtaliänere wird ihm durch die Natur seiner Sprache selbst auferlegt, und wiederum in dieser selbst lieg« die größte Neigung zum Gesänge hin. In den liturgischen Stücken steht das Gesprochene auf der Gränze des Gesanges, Gesungenes schein, nur eine gesteigerte Reciiation zu seyn, während eigent liches Sprechen und eigentlicher Gesang ganz ungesucht und wie von selbst in einander überspringen und mit einander abwechseln. Dies gilt nicht bloß für Priester und Chor, auch für das Volk. Vor dem Marien-Bilde unicr meinem Fenster finden sich jeden Abend zwei Weiber aus dem Hause ein, die, als eine beson dere Devotion, die Litanei, ein Paternoster und ^ve für die Bencfailori, welche die Lampe mit Oel unterhalten, und ein Vivs VIsris wcchselsweise absingcn und zum Theil hcrsagen. Es sind dieselben leichtfertigen Vogelstimmen, es ist derselbe dreiste An satz, nur ist der Typus des Gesanges ganz ein anderer, der kirch lich hergebrachte. Das Eigenihümliche liegt in der Einschrän kung der Melodie auf wenige Töne, in wunderlichen Kadenzen auf der Sekunde der Tonari und, was den Vortrag angehl, in einem besondere» Kehlwn und einem gewissen Tremuliren der Endnoien. Die ganze Kinderschafl der Umgegend sammel« sich um die Sängerinnen und rcspondm in vollem Jubel mit- So