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Wöchemljch erscheinen drei Nummern. Pränumerationt- Preis 22j Sgr. (j Thlr.) vierteljährlich, Z Thtr. für La< ganze Jahr, »hne Er< HSHung. in allen Theilen Ler Preukischen Monarchie. für die Man prünumerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staats- Zeitung in Berlin in der Expedition (Zriedrichs-Ttraße Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. Posi - Aemtern. Literatur des Auslandes. IS. Berlin, Montag den 4. Februar 1839. England. Shakespeare's Katharina von Aragonien. Von Amedee Pichot.') Katholisch oder protestantisch, Shakespeare war der Einzige in seinem Jahrhundert, der die Unparteilichkeit besaß, welche ein Historiker oder Dichter nöihig Hane, der die fünf Akte dialogisir- ter Geschichte, die er König Heinrich VIII. betitelte, für die Nach welt zu schreiben unternahm. Vermuthlich war es ursprünglich bei diesem befohlenen Stück nur auf Entwerfung des Gemäldes im fünften Akte, auf die Taufe Elisabeth'« abgesehen. Um aber zu dieser seltsamen Ka tastrophe einer Tragödie zu gelangen, zu Anna Boleyn's glück licher Niederkunft, welche der König seinem Hofe und Volke kund lhut, mußte die Tochter Heinrich'« und Anua's, die stolze Elisabeth, die so eifersüchtig war auf die Rechte ihrer Geburt und also auch auf die Rechte ihrer Muner, es sich vier Akie hindurch gefallen lassen, mitten unter dem Pomp eines Spek takelstücks, wie mau es heutzutage »ennen würde, die geheimen Beweggründe der empörenden Ehescheidung, durch die das Beil der rechtmäßigen Königin an ein gewöhnliches Ehrenfräulein gekommen war, vor ihren Augen und Ohren enthüllt zu sehen. Doch in der Thai, das Gehäsgge der Rolle Anna Boleyn's ist auf eine wunderbare Weise ganz umgangen; Anna bezeigt das > innigste Mitgefühl für Katharina'« Schmach; sie lobt ihre Tugen den, sic nimmt da« goldene Geschick, welches eine Königliche Laune ihr bereiten will, mit einer gewissen Demuih hin; sie scheint nicht danach gestrebt zu haben; sie ist von einer geheimen Furcht erfüllt, die uns wie eine Ahnung von dem iraurigen Aus gange dieses unerwarteten Glückes berührt; und dann ist sic so schön oder vielmehr so allerliebst! Ja gewiß, schön, allerliebst, aber weiter auch nicht«. Wie meisterhaft versteht es Shakespeare, indem er Anna Boleyn mit keinem anderen Vorzug, als mit den Reizen ihrer Gestalt, au«stallel, diese Körperschönheil der sitt lichen Schönheit Katharina'« nur als Folie dienen zu lassen! Wie wahrhaft Königlich zeigt diese sich stets, sie mag klagen oder sich in ihr Schicksal ergeben, sie mag als Fürstin sprechen, die des Königs Gemahlin, nicht seine Umerchanin ist, oder als verschmähte, schutzlose Königin; wie erhaben erscheint sie, jenem jungen Mädchen gegenüber, die der Dichter auf dem Theater nur vorübcrspazieren läßt, zwar in herrlichem Glanze und bei der Feierlichkeit ihrer Krönung, aber ohne daß sie etwas König liches sagt oder thul. Wenn man diese Charaktere betrachtet, die uns mit Bewun derung für Shakespeare's Tiefe erfüllen, so muß man sich ge stehen, daß es mit dem Dichter gerade wie mit dem Maler ist: bei dem Einen wie bei dem Anderen ist das schönste Gemälde nur schön vermöge seiner Aehnlichkeii; Shakespeare ist nur des halb der größte Dichter der neueren Zeil, wie Raphael der größte Maler, weil sie Beide ihre Vorbilder fast knechtisch kopirien.") Man lese die Denkwürdigkeiten Cavendish's, Kammerherrn des .z In ähnlicher Weise, wie jetzt in Deutschland Shakespeares Fraum- bilder mit den Kommentaren eines deri,tunten Schriststeuerö erscheinen, wer den dieselben Stahlst lebe auch m Frankreich mit Erklärungen auSaegeben, die allerdings dort nne hier Manches entlialtc», woran der unsterbliche Dichter niemalsqeLaait har .in Frankreich Hal man gar bas unsinnige Verfahren beobachtet, jedes Shakewearesche Stuck einem anderen Autor zur Kommentirung zu übertragen. Man kann sich denken, welcher Misch masch von Kritik und leeren Phrasen dabei zusammengekommen ist. DaS nachfolgende von Amcd-e Piwot, einem alten Kenner der Englischen Litera tur, gezeichnete Charakterbild ist noch das Beste in der ganzen Sammlung. ", Das Knechtische in «hake,peare S und Raphael s Gemälden mochte wohl nur in der Einbildung des Herrn Pichot liegen. Den echten Dichter und Maler bezeichnet im Gegentheil die ireie Auswahl derjenigen Züge der Natur, die ihrem Urbild angehören, nicht der von den Mängeln und Flecken der schlechten Wirklichkeit getrübten Ericheinung. llcberdies ist gerade dem Englischen Dichter-Heros kürzlich von einem Kritikaster in CaikorucHUollttNr ««na-üu- mit breiter Selbstgefälligkeit wirklich »achgewiese» worden, daß seine historischen Stücke keineswegeS daS darbteten, was man insgemeinhin A"er historischer Treue zu verstehen pflegt und womui neulich von einem Deutschen dramatischen SLriststellcr so großer Werth gelegt worden, daß er dte Dich,,?, die in ihren historischen Schauspielen von dem Buchstaben Etlichen Dokumente abwichen und Lie Charaktere ihrer Dramen tssEtM'.eng na» ihrer gewissenhaften, durch genaue Forschung begründeten Uebeizeugung schilderten, sondern sie nach ihrer »»etlichen Auffassung und mit öinlicht aus den Ausdruck einer poetischen Zdee gestalteten, so ziemlich den Lugnern gleich achtet. Kardinal« Wolsey; da wird man ganze Scenen finden, die Shakespeare, wie es scheint, nur in Verse zu bringen brauchte. Der treu ergebene Diener des in Ungnade gefallenen Ministers faßt das Benehmen Katharina'« in wenige Worte zusammen, indem er daran erinnert, daß sie selbst sich mit Griseldis verglich, dieser Heldin des Boccaz, die der alte Chaucer in der Englischen Literatur eingebürgert hatte. Die unglückliche Königin konnte sich in ihrer Schmach wohl mil jenem Muster ehelicher Hinge bung vergleichen; aber Griseldis war keine Königstochter, und Katharina kann, all ihrer Geduld ungeachtet, doch ihr Königliches Blut nicht ganz vergessen, dieses Blut der stolzen Spanischen Prinzessin, die den Himmel zum Zeugen gegen die Ungerechtig keit anruft, indem sie sich ihr unterwirft, wogegen die rein dul dende Griseldis sich fast bis zu sklavischer Demülhigung ernie drigen läßt. Katharina von Aragonien war, wie Shakespeare sie darstelli, ein Muster von Würde und Sanfimulh zugleich, eben so schlicht als edel und lief empfindend, mit einem Wort, als Weib noch anziehender denn als Königin, ohne allen roman tischen Anflug, aber auch ohne die erkünstelten Tugenden unserer Roman - Heroinen. Ueberall während der Verhandlungen dieses langen Prozesses oder vielmehr in dieser Reihe von abgekarteten Beschimpfungen und hinterlistigen Rathschlägcn, gerichtlichen Verhören und ka nonischen Thesen, womit man die junge Königin umstrickt, fin det man den Kampf der Wahrheit und Lüge buchstäblich so wiedergegeben, wie Katharina'» wirkliches Leben ihn ihrem Jahrhundert darbot, und doch überall so dramatisch in seiner Naivetät, daß ich nicht weiß, ob in den Stücken, wo Shakespeare am originellsten und erfindungsreichsten erscheint, eine rührendere Situation, eine hinreißendere Beredsamkeit und ein bewunderns- und mitleidswürdigerer Charakter vorkömmt. Zwei Scenen besonders habe ich nie ohne Thränen lesen können: die, wo der Dichter uns mit den beiden Kardinälen in das Zimmer der Königin führt, und die, welche ihrem Tode vor angehl. In der ersteren finden wir Katharina, wie eine Fürstin des Allenhums, in der Mille ihrer Frauen mit Nadelarbeit bc- schäfligi; von Traurigkeit überwältigt, bittet sie eine von ihnen, zur Laute zu greifen und ihr zwei Strophen über die Macht der Musik vorzusingen. Es ist eine klassische Ode, Griechischer Dich ter würdig, und wunderbar bereitet sie uns vor auf die poe tischen, aber stets natürlichen Worte, die aus dem Munde Per Königin tönen, als die beiden Kardinäle ihre Niedergeschlagen heit mißbrauchen wollen, um von ihr eine feige Einwilligung in die Scheidung zu erlangen. ,,O hält' ich Englands Boden nie betreten", ruft sie, „die Schmeicheleien nie gehört, die hier auf jedem Schritt der Kön'ge keimen! Ja, Engelsmienen habt ihr, doch der Himmel kennt euer Herz. Was wird nun aus mir Acrmsten werden? Ein unglückseligeres Weib hat nie gelebt! (Zu ihren Frauen.) Ach, arme Kinder, welch' Geschick Harn eurer nun, schiffbrüchig in dem Reiche, wo für mich kein Mit leid, keine Hoffnung, kein Freund und kein Verwandler, um mit mir zu weinen; wo man vielleicht mir kaum ein Grab noch gäbe! Der Lilie gleich, die eben noch die Königin der Flur, senk' ich mein Haupt und sterbe!" Ist dies nicht Homerische, nicht Virgilische Poesie? Keusch und rein wie die Poesie des wahren Schmerze«. In der Scene des letzten Lebewohls führt uns Shakespeare ein echt katholische« Traumgesichl vor: sechs Engel kommen und setzen einen Kranz auf das Haupt der eingeschlafenen Königin; dann schweben sie wieder zum Himmel empor, wohin sie ihnen mit dem Auge folgt, ihre zitternden Arme nach ihnen ausbrci- tend. Diese Vision ist von großer Wirkung, wenn die Königin sie ihren Frauen erzählt, die an ihr, während sie von ihrer Him melshoffnung spricht, plötzlich eine Veränderung der Züge be merken und sich einander zuflüstern, wie ihre Farben erbleichen, ihr Auge erlischt und alle die Vorboten eines nahen Tode« sich zeigen, die für uns auf dem Antlitz einer geliebten Person so schmerzerregend sind. In diesem Augenblick bringt ein Bote des Königs der Sterbenden Worte des Beileids und des Trostes. Katharina lächelt ob dieses späten Gedenkens und verzeiht als Christin dem Gatten, der sie so schwer gekränkt; sie empfiehlt dem Könige ihre Tochter Maria und bittet ihn, ihre drei treuen Dienerinnen za vermählen. Auch hier Hal Shakespeare jenen historischen Brief, der, wie man sagt, dem grausamen Heinrich