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Wöchentlich mchtmen drei Nummern. PrSnumermion«- Preis 22j Sgr. (j THIx.) vierteljährlich, 3 THIr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man »ranunnrirt auf diese- BeiblaU der Mg. Pr. Staal«. Zeitung in Berlin in der Expedition (ZriedrichS-Slrake Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllödl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Mittwoch den 2. Januar 1839. Frankreich. Kulttw und Literatur in ihrer Wechselbeziehung. (Nach der Revue Rrao^aise.) Die Literatur ist der Prüfstein der Kultur. Die eine ist der Maßstab der anderen; beide sind mit dem Baume und der Frucht zu vergleichen. Wenn wir den Sagen des Allenhums glauben wollen, so waren die Führer der ersten Völker Helden, ihre Gex setzgeber aber gollbegeistene Menschen und Dichter. Die Dichu kunst löste ihre Aufgabe; ihre Orakelspräche, ihre begeisterte Stimme wirkten auf den Geist und das Herz und brachten die wandernden Familien zum Stillstände. Ursprünglich wurde da her auch der Dichter Seher und Prophet genannt, und cs kann in der Thal keine göttlichere Eingebung geben, als diejenige, welche den Menschen über seine Bestimmung und sein Ziel auf klart. Das heilige Feuer, welches die Dichter anzündeien, er losch niemals. Der Dichter streute den Samen aus, der später seine Früchte trug. Die Menge sehnt sich nach dem Wunder baren, nach überraschenden und starken Bewegungen, und der einfache Mensch ist für jeden poetischen Eindruck empfänglich. Er übersetzt seine Gedanken in Gefühle, seine Worte in Bilder und weilt am liebsten in den Gegenden, wo der Hinblick auf das Irdische verloren geht und wo die Seele gleichsam zwischen Himmel und Erde schwebt. So bildeten sich also die Völker durch die Dichtkunst. Noch waren indeß die Bedürfnisse be schrankt, das ganze Leben einförmig. In einer Gesellschaft, in welche das sittliche Verderben noch nicht eingedrungen ist, wo der Mensch noch mit dem Boden zusammenhangt und wo der Gedanke nicht über den engen Kreis der Familie Hinausschweif», muß auch die Literatur, als Abbild der Sincn eines Volkes, einen naiven und kindlichen Charakter haben. Die Gesellschaft bleibt indeß nicht auf demselben Punkte stehen. Die moralische Welwrdnung ist, wie die physische, in be ständiger Umgestaltung und Erneuerung begriffen, obgleich nicht« umcrgeht. Die Gesellschaft hat das mit dem Individuum ge mein, daß sie sich bewegt, meistens, um forlzuschrcilen. Zuweilen tritt freilich scheinbar ein Rückschritt ein, aber dieser ist nur ein Mittel, desto sicherer und rascher zum Ziele zu gelangen. Die Thaisachen häufen sich, die Ideen reifen, die Gesichtspunkte wer den verändert, das Geschick erfüllt sich, und cs tritt ein Umschwung der allgemeinen Verhältnisse cin. Alles ist freilich nicht Gewinn, und gerade in der Zeil der höchsten Blüthe entwickeln sich die Keime des Verderbens. Auch die zersetzenden und zerstörenden Elemente durchströmen den Körper der Gesellschaft; die Ehrsucht verdrängt das Pflichtgefühl, der Stolz das Wohlwollen; die Leidenschaften wuchern üppig empor, und das Herz zieht sich zu sammen. Jetzt reicht auch das natürliche Gesetz nicht mehr aus, sondern cs muß das bürgerliche Gesetz, dieser kalte Zusatz einer selbstsüchtigen Bildung, hinzulreten. Aber die Krankheit führt auch das Heilmittel schon mit sich, und wenn dieses die Krank heit nicht gänzlich heilt, so lindert es sie wenigstens. Vergangen heit und Gegenwart sind durch einen unendlichen Zwischenraum geschieden; zwischen ihnen gähnt ein weiter Abgrund auf. In den ersten Zeilen der Gesellschaft ruhte das Gesetz im Herzen, jetzt wird cs in Erz gegraben. Das erste Gescy begeisterte zu Opfern, welche nicht schwer fielen; das zweite, ein todier Buch stabe, forderte sic und wurde drückend. Das neue Gesetz bedarf der Unterstützung der Gewalt, denn der Gehorsam wird nicht mehr freiwillig geleistet, und die Gebote sind Hari; in jedem Winkel lauern Mißtrauen und Furch,. Aus der Umwandlung der Gesellschaft geht auch eine neue Literatur hervor. Die kindliche Unbefangenheit, die Einfachheit sind entschwunden; die Kunst «rill an die Stelle der Natur. Es treten jetzt neue Neigungen, neue Triebe hervor. Zuerst erkrankt der Geist, dann das Herz. Das Gesetz ist nur noch eine Schlinge, in die man sich zu fallen hütet. Man macht feine Unterschei dungen und kämpft gegen den Buchstaben und den Geist de« Gesetzes. In diesem Widerstreite entgegengesetzter Interessen tritt der Redner auf. Der Redner ist der Mann der gebildeten Ge sellschaft, die sich im Guten und im Bösen vervollkommne« ha«. Seine Stätte ist der Gerichtsplatz; er hat nicht« Prophetische« und beweg, sich nicht mehr auf dem Gebiete der Poesie. Er muß eine großartige Gesinnung, eine hohe Geistesbildung be sitzen; er soll ein rechtlicher, redegewandter Mann scyn, der das sittliche Gefühl immer lebendig in sich erhalten muß. Die Lite ratur einer alternden und übermäßig verfeinerten Nation, umer welcher Laster und Leidenschaften aller Ari einen freien Tummel platz gefunden haben, und welche Alles mit dem Erfolge ent schuldigt, muß nolhwendig das Abbild diese« Zustandes scyn- In einer Zeil, in welcher Alles zusammenzustürzcn scheint, in einer Epoche der Gährnng und des Uebergangs, wo man auf Ent deckungsreisen auszicht, ohne zu wissen, wo inan anlandcn wird, muß auch der Künstler von, Zweifel augestcckl werden. Oer au« dem Himmel ausgestoßene Künstler wendet sich dec Erde zu. Da» Resultat von dem Allen ist, daß es eben so eine jungfräu liche und kindliche Literatur 'wie eine jungfräuliche und kindliche Gesellschaft giebt. Beide unterliegen demselben Einflüsse; sie gleichet« harmlosen Kindern, welche in derselben Wiege ruhen. Wenn dann die Gesellschaft erstarkt und sich mit glänzenden Far ben schmückt, so folgt auch die Literatur ihrer Spur und ver schmäht ihre ursprüngliche Einfachheit. Wenn nun gar die Gesellschaft in ihren Grundfesten er schüttert ist, wenn der menschliche Geist in kühnem Aufschwünge nach einem Ziele strebt, das er nicht kennt, wie soll dann die Literatur in einer Zeil der großartigsten Anstrengungen und der unersättlichsten Bedürfnisse, der Kraft und der Ohnmacht, de« Enthusiasmus und der kalten Berechnung, des Glauben» und des Zweifels sich gestalten? Dann erhält auch die Literatur einen leidenschaftlichen, unruhigen, fieberhaften, ausschweifenden Cha rakter. Sie hat alle Vorzüge, aber auch alle Fehler; sie miß braucht ihre Kraft und wird niedrig, wenn sie naiv seyn will. Es ist cin Streit aller Elemente, aber wenn dieser beendigt ist, erscheint das Licht. Dieses Ueberspringen von einem Gegensätze zuin anderen, diese wilden Phantasier» sind das Zeichen einer heftigen Krankheit, die indeß keine Furcht einflößen darf, denn sie fuhrt zu einer Krise; es ist eine Uebergangs-Epoche, welche zwischen einer ablaufcndcn Vergangenheit und einer noch unge wissen, gestaltlosen Zukunft eintritt. Auf der Erde thun sich dem Menschen zwei Wege auf; der eine sühn über die Erde hin, der an dere schwing« sich zum Himmel auf. Wenn der Mensch die ideale Welt verlassen Hal und in die der Wirklichkeit cingeireten ist, so ist die Umkehr schwer und der Ariadnenfaden nicht immer zur ädand. Die kalte verständige Untersuchung Hal an Allem gerüttelt. Man fragt schon nicht mehr, wie einst ein berühmter Mathematiker: „Was beweist da«?" sondern: „Was bringt da» ein?" Die Industrie ist die Gottheit unserer Tage; hicr'ist das Glück. Das Glück! hört e« und beugt Euch! Wären denn also der Literatur alle Hoffnungen abgeschnitten? Gewiß nicht! Die Menschheit hat manche Irrpfade betreten, aber der Fortschritt ist immer das Ziel der Geschichte geblieben. Es giebt eine Frucht, welche die Zeit und die Erfahrung reifen und deren Süße erst in einer gebilde ten Zeil empfunden werden kann. Diese Frucht ist die Wissen schaft, das Erblhcil eines reiferen Alters der Menschheit, wie die Dichtkunst das glückbringende Geschenk der Kindheit des Menschengeschlechts war. Unsere Zeil ist die Zeit der Wissenschaft. Ein Sonntag in der Normandie. Von Mistreß Hall. Der Sonntag ist, wie Jeder weiß, der Frankreich besucht ha«, der große Festtag des Landes, den Jung und Alt, Reich und Arm feien. Dies soll uns keinen Stoff geben, uns über die Weis heit des Gebots: „Erinnere dich, daß du den Sabbalh heilig halten sollst", zu ergehen; aber wiewohl ich weit entfernt bin, die Ari zu loben, in der dieser Tag mir zu allgemein verbracht wird, so kann ich doch nicht umhin, meine Uebcrzeugung auszu sprechen, daß der Gott, der seine Sonne über Gerechte und Un gerechte scheinen läßt, cs gewiß dem eingcspcrrlen Handwerker nicht zum Verbrechen anrechnen wird, wenn er am Sabbalh sein enges Zimmer verläßt und mit Weib und Kind hinaus wandert in grüne Baumhcckcn und blühende Felder. Daher kann ich's anch unseren Nachbarn auf dem Festlande nicht verdenken, wenn sie sich an ihrem Sonntag srcucn und guicr Dinge sind, aber wohl verdenke ich's den Gesetzen, daß sie erlauben, an cincm so