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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PranumerationS- Prei« 22s Sgr. (i Tklr.) »ierteliährlich, 3 THIr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prönumerirt aus diese« Beiblatt der Sitz. Pr. Staa'.s- Zeiiung in Berlin in der Expedition sFnernchö-Stro?« Rr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 134. Berlin, Mittwoch den 7. November 1838. Algier. Religiöses und geselliges Leben in Algier. Von einem Engländer. Der eingefleischteste Skeptiker mußte die tiefe Macht und Wirkung der Religion anerkennen, wenn er Gelegenheit hätte, die Anhänger des Islam zu beobachten, bei welchen die Wunder noch nicht verschwunden sind, weil noch der Glaube unter ihnen lebendig ist. Welche irdische Macht wäre sonst im Stande, diese barbarischen Horden zu lenken, Lie keinen Herrn und kein Gesetz kennen und so frei sind, wie der Löwe ihrer Wüsten? Der Ma rabu! spricht zu ihnen von den Geboten des Koran, und das Schlachtgcschrci schweigt; der rachsüchtige Araber versöhnt sich mit seinem Todfeind, wenn er denselben Glauben bekennt; er gicbl das Eigcmhum zurück, dessen er ihn beraubt, und bringt die Silbermünzen, die er wie seine Augen liebt, der Moschee. Er, der rohe, wilde Barbar, wird schwermüthiq und poetisch, wenn die Rede des Priesters seine Gedanken aus den Propheten und die von demselben versprochene überirdische Welt leitet. Ich habe in diesem sonderbaren Lande eine sonderbare Zeit zugebracht — ich meine die dreißig Tage des Ramadan, jener religiösen Feierlichkeit, wahrend deren der rechtgläubige Mos lem andächtiger als sonst betet und von Aufgang bis Untergang der Sonne weder ißt noch trinkt. Der Anfang desselben wird hier durch lOl Kanonenschüsse verkündigt. Sofort wird aus den Minarcls der Mosche: eine große Menge Lampen angczüudc,; Alles wird still in der Siadi; Mauren und Araber murmeln leise ihren Lobgesang, während die Franzosen, die nicht fähig sind, ein Gefühl zu verstehen, das ihnen lange fremd geblieben, mit Neugier und Staunen die frommen Gbuppen begaffen- Dreißig Tage Himer einander erneuerte sich jeden Abend dasselbe Schau spiel. Sobald die Sonne Himer den Atta gesunken war, wurde eine Kugel abgefeuen, worauf die Mahren gierig über ihre Speisen hcrficlcn, die schon lange für sie bcre gestanden, aber vor diesem Signal nicht berührt werden durften. Auf meinen Streifereien ins Innere des Landes haue ich einmal tinen Biskari für einige Tage in Dienst genommen. Durch einen unglücklichen Zufall verloren wir unsere Vorräthe und mußten 24 Stunden ohne die geringste Nahrung zubringeu im Osten der Ebene Meiid- schad. Als wir wieder Algier erreichten, war cs früh am Morgen. Ich bezahlte meinen Biskari und ei'ie zuin Frühstück. Line Stunde später sah ich ihn wieder in einem Winkel des Hafens. Ich frag/c ihn, ob er etwa« zu essen gehabt; er schüttelte ernst seinen Kopf und sagte: ^>l»Ii umolirxali» -r- „Gott befiehlt mir, zu fasten." Er wartete mit leerem Magen und Brod in der Kappe seines Bernus bis zum Abend. Er litt gewiß sehr stark Hunger, aber nichts hätte ihn verführen können, die Forderungen seines Appe-' mS zu befriedigen. In dem Moment, wo die Kugel abgefeuert wird, riß er das Brod aus der Kappe und verschlang es mit der Gier einer gefräßigen Bestie. Wenn die Mauren ihr frugales Mahl gegessen und eine Tasse Kaffee getrunken, begeben sie sich schaarenweise in die Moscheen, die auf den Minareis und im Innern die ganze Nacht erleuchtet sind. Ich lobe die Mauren, daß sic den Christen den Zutritt in ihre Moscheen nicht versagen; imr müssen sie sich der allgemeinen Sine beauemen, an der Pforie ihre Schuhe abzulegen und den heiligen Boden barfuß zu betreten. Als der Herzog von Nemours h>e Mosche besuche, erinnerte der Mufti den jungen Prinzen an diese unerläßliche Ccremouie, die der Dey selbst nie gewagt hätte, Zu verletzen; aber mochte nun der Prinz den Mufti nicht ver stehen oder dünkte cr sich als des Königs Sohn über diesen Ge brauch erhaben, er und sein kriegerische« Gefolge schrill gestiefelt und gc,p^„, durch den muhammcdanischen Tempel, ohne auf die finsterem Blicke der Mauren Rücksicht zu nehmen. Das Innere der großen Moschee imponin durch Umfang und Einfachhnl. Ihr einziger Schmuck sind die rochen Sammelbecken, die den Boden in der Nähe des Allcrheiligsten bedecken. Die Höhe des Gebäudes ist nicht bedeutend, desto mehr die Ausdeh nung im Inner»!. Es umschließt zwei geräumige Höfe, wo schöne Marmor-Fonlainen heiliges Wasser von sich geben und Granatbäume und gigantische Trauerweiden den Schauen ihrer dichten Zweige über sie breiien. Das Allerheiligste, das von einer halbkreisförmigen Kuppel bedeck, ist, neunen die Mauren Mara bu», weil der Priester daselbst seine Gebete hcrsagt. Stellen aus dem Koran stehen auf der Mauer über dem Allcrheiligsten, in dessen Nahe einige Mosaiks zu sehen sind, welche von den Ruinen der Römischen Stadt Rusgenia herslammen sollen. Ich brachte oft ganze Abende in den Moscheen zu während der Ramadan-Gcbeie- Gewöhnlich saßen drei Reihen von From men, die ^Gesichter dem Marabm zngcwandl, mit gekreuzten Beinen umer den Kolonnaden. Ich bemerkte darunter Türken, Mauren, Äuluglis, Araber, Kabylen, Mosabiicn, Biskaris und Neger; der Türke in prächtigem Schmuck hockie neben dem schmutzigen, halbnackten Biskari, der blasse Maure inii cdlcr Miene neben dem häßlichen Neger mit Oranguiang-Gesichl, Alic mit gleich frommer Andacht zu dem Wesen cmporblickend, das keinen Unterschied in Farbe oder Gestalt kenm. Der Mufti, oder in seiner Abwesenheit ein Marabul, beginnt das Gebet mil einer Ari Geschrei, das mich betäubte und stutzig machte. E« war der gewöhnliche Ausruf zum Lobe Gottes aus den Suren des Koran. Bald war die Stimme des Marabut scharf und gellend, bald sank sic zu cincm leisen Murmeln herab. Die Tone waren so schmerzlich und herzzerreißend, daß man die Klagen der Verdammte» auf ihren Maricrplätzcn zu vernehmen glaubte. Auf mich machte dieser Gottekdienst einen höchst erschüt ternden Eindruck, besonders wenn ich die Reihen der beicndcn Gestalten in ihren verschiedenen Kostümen überschaute. Dicse Manner fielen in die außerordcutlichsten Zuckungen; sie warfen sich Alle in einem Moment nieder mit dem Gesicht auf den Boden, blieben eine Weile bewegungslos und sprangen dann krampfhaft aus, sich krümmend wie Würmer. Es ist ein merk würdiger Anblick, zu sehen, wie der stolze Muselmann mit der zitternden Demuth eines schuldigen Sklaven sich nicderwirfl vor seinem Allah. Ist cr zu Ende mit dem Gebet, so erhebt cr sich, kugel, seinen Rosenkranz zum letzten Mal, neig, das Haup, auf die Brust und murmel! dem heilige» Orie die Abschiedewonc. Im Hofe wäscht er seine Hände und Füße im heiligen Wasser, legi seine Sandale» an und verläßt die Moschee nu, seiner ge wöhnlichen Würde- Jedes Individuum der verschiedenen Stämme kehrt aus diesem allgemeinen Versammlungsort, wo alle Standcs- vcrschicdenhci, aushön, zurück zu seinen gewöhnliche» Beschäf tigungen: der Maure zu seiner steinernen Wohnung, wo fein Wcib auf der prächtigen Gallerte ihn mit Küssen empfang,; der Araber in seine Wüste, der Kabyle auf seine Berge. Auf ihrem Wege machen sich diese frommen Beier kein Gewissen daraus, ihre muselmännischen Brüder auszuplündcru oder dem ersten Christen, den sie einsam treffen, die Kehle abzuschncidcn. - Der Marabut übt auf dieses Volk einen großen Einfluß. Sein Morl macht den Fehden kriegführender Stämme ein Ende und verwandelt ihren Haß in brüderliche Einwacht. Der gelehnt Maurische Schriftsteller, Sidi Hamdan den Othman Chodscha, ein Mann, der mit den Sitten der Bcrberei, seines Geburtslandes, gründlich bekannt ist, erzählt eine Menge ausfallender Beispiele von der Gewalt der Marabuis über die Araber und Berbern. Raft sie der Marabul zu den Waffen im Namen der Religion, so kennt ihr Fanatismus keine Gränzcn; daun verachten sie Dajon- nene und Kanonenkugeln, die ihnen in Kämpfen, wo dieses Motiv fehlt, solchen Schrecke»» cinstößcn. So oft die Kabylc» am un erschrockensten kämpften, war gewiß das Grab eines dieser hei ligen Männer in der Nähe oder es begeisterte sie ein lebender Marabut mit seinem grauen Bart an der Spitze einer ihrer Horden. Selbst die Schecks und Aeliesteu haben, mit den Ma- rabiitS vergliche», nur wenig Einfluß auf ihre Stämme. Dem dreißigste»» Tage des Ramadan folg» ein dreitägiges Freuden- und Versöhnungsfcst, Bciram genannt, wo sich der Moslem für die langen Fasten reichlich entschädigt. Wiewohl ge wöhnlich dies Fest auf die Regenzeit im Januar fällt, war es doch diesmal ausnahmsweise vom glänzendsten Weiler begünstig,. Es war nicht unimeressam, zu sehen, wie so viele Tausende von Eiugebornen sich vor dem Thore Bab-el-Ued im Sonnenschein lummelien. Alle Mauren waren im besten Putz, besonders die Knaben, die in reichen, goldgestickten Jacken und seidenen Pump hosen und mit ihren frischen Gesichiern wie die schönsten oriema< lischen Dandies aussaheu. Ein al,er Turke lenkie cinc große von kleinen Maure» besetzic Schaukel; andere Kinder höherer Klaffen wurden in großen Karren von Negern und Biskari« hin und her gcrolll. Die sonst so ernsten Männer sahen mir großem