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Wö»lnttlch erscheinen drei Nummern. Pränumeration»- Prei« 22j Sgr. (j Tdlr.) vierntjährlich, 3 Thlr. für da» ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumeri« aui diescü Bcidlan der 2Ug. Pr. Staals Zeitung in Berlin in der Expedition (FriedrichS-Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Aurlande bei den Wodllödl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 12L Berlin, Mittwoch den 17. Oktober 1838 Süd-Amerika. Paraguay und der Diktator Francia. Troy aller Bücher, die über Süd-Amerika und seine end losen^ Revolutionen erschienen sind, bleibt noch Vieles zu erfah ren übrig, was wir entweder gar nicht oder nur unvollkommen wissen. Besonders muß die neuere Geschichte von Paraguay noch geschrieben werden. Der Diktator Francia, diese merkwürdige Persönlichkeit, ist seit seinem ersten Wirken immer nur wie ein Meteor, das keine Beobachtung zuläßi, an uns vorüber gegangen, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß man uns seinen Charakter in falschem Lichte dargestellt oder wenigstens mit Uebenreibung geschildert hat- Dem sei) aber, wie ihm wolle: jedenfalls entbehren wir des noihwcndigcn Stoffes, um eines der gründlichsten Systeme von Despotismus, die jemals existirt, recht würdigen und durch schauen zu können. Lin so eben erschienenes Werk, „Briese über Paraguay", der Brüder Robertson') liefert uns schon viele neue und interessante Thalsachen; mau kann aber den Wunsch nicht unterdrücken, daß die Verfasser ihren ursprünglichen Plan aus führen und den ganzen Schatz ihrer in Süd-Amerika gesammel ten Erfahrungen dem Publikum überliefern, statt einer bloßen Blumenlcse, wofür man das vorliegende Buch erklären kann. Im Jahre l80ü ging der ältere Robertson, damals »och ein vierzehnjähriger Knabe, mit vielen Anderen nach Süd-Amerika, wohin Viscount Beresford's Entdeckungen und Eroberungen sie Alle gelockt hallen. Beresford war den Plaia-Slrom hinan- gesegcu und Meister von Buenos-Ayres geworden. Diese Er oberung öffnete dem Britischen Unlernehmungsgeiste Peru'» Gold minen, und man träumte von lauier großartige» Handets-Specu- lationen- Unsere jungen Abenteurer hatten zchon die Mündung des Plata überschritten, als sie die entmuthigende Kunde vernah men, daß Buenos-Ayres wieder in die Hände der Spanier ge fallen und General Beresford mit seinem tapferen Heere in Ge fangenschaft geralhen sey. Unterließ belagerte aber eine zweite, von Sir Samuel Auchmuty kommandirle Expedition die Stadt Monlevldeo, und das Schiff steuerte dec Rhede dieses Ortes zu. Als Montevideo von den Briten eingenommen war, stieg Ro bertson mit seinen Gefährten ans Land. Sir Sam- Auchmuty behandelte die Einwohner mit weiser Milde, und bald gewannen Sieger und Besiegte das unbedingteste gegenseitige Zutrauen. Robertson, der in kurzer Zeil eine gewiße Fertigkeit im Spa nische» erlangte, knüpfte viele Bekamtlschafic» an: er fand die Bewohner gesellig, lebhafte» Geistes und gastfrei. Die Ter- tulla'S iAbend-Gesellschaften), denen er regelmäßig beiwohnte, eröffneten ihm eine neue Welt der Beobachtung. Ehe wir jedoch m der Erzählung fortfahrc», wollen wir auf den Zustand Sud-Amerika's vor dem Ausbruche der Revolutionen, welche die Spanische Macht in der Südhälfte dieses Welnheils vernichteten, einige Blicke werfen. Unter den Nachkommen der ältesten Ansiedler ihai sich — besonders in Chili (spr. Tschili) und Peru — eine Klasse hervor, die große Ansprüche auf Gebuns- Rechre machte. Viele Individuen dieser Klasse — die übrigens in Buenos-Ayres gar nickt cxistine — besaßen adelige Titel und konnten für eine Art Süd-Amerikanischer Hidalgo's gelten. Ihre Sitten und geistige Bildung waren jedoch von' denen der niederen Klaffen nicht verschieden. Sic lebten eben so wäge und gedankenlos in den Tag hinein, wie jene, und setzten sich sogar »der alle Regeln des Anstandes hinweg, so oft die Befol- gung derselbe» ihre Behaglichkeit nur im Mitidestc» gestört Hane. Der Marquis „nd der Graf waren nur an den vergoldeten Radern ihrer unbehülflichen Fuhrwerke und an dein aus Holz ge- schntöte» Wappx„ über den Eingänge» ihrer Häuser zu erkenne». „Wir Halle» die Ehre", so erzählt unser Verfasser, „mit einige» Cdelleuten dieses Schlages zu speisen. Bei dem Diner streiften ste die Acrmel ihrer Hemden bis zum Ellbogen auf; der Kragen de« Hemdes war offen imd zurückgeschlagen, damit er den Athem nicht behinderte. Die Damen saßen in ihrem Morgen- Neglige an der Tafel; und selbst die schwarze Dienerschaft war so lose und komfortabel als möglich bekleidet, ohne sich vor ihren «o l»»r>xu»x etc. cErpttNuna eines vienäliriaen Auientllatts In dieser Republik unter der Reaierunq de, Diktato-'s Lancia.) Von I. P. und W. P. Robertson, r Bande. »M. Herren oder den Gästen zu geniren. Nach dem Diner trugen zwei Sklavinnen, mit Handtüchern über den Schultern, große silberne Becken voll Wasser um den Tisch herum, damit die Ge sellschaft sich waschen und den Mund ausspülen konnte. Dann holte sich Jeder aus einem Glase einen hölzernen Zahnstocher, stemmie den Ellbogen auf den Tisch und stocherte in den Zähnen herum. Während dieses Geschäftes wurden Alle schläfrig; Meh rere nickten ein, und Viele zähmen nach Herzenslust. Endlich standen sämmiliche Tischgenoffen mühsam von ihren Sitzen auf, gähnten noch ein paar Mal, streckten sich etwas und schlenderten ihren Gemächern zu, um die Süßigkeit der Siesta recht ungestört zu genießen." Erblicher Rang und Titel sind in den Stürmen der Revo lution umergcgangen, und cs giebl Von keine bevorzugte Klaffe mehr. In Buenos-Ayres und ganz Paraguay Hane eine solche, wie schon oben bemerkt, nie existirt. Der einzige Grundbesitz von Werih waren die Estancia's oder Meiereien, von denen einige bis au IOO Quadrat - Lcguas deckten; aber auf einem Grundstücke solcher Art standen selten mehr als drei oder vier Lehmhütten für die Hirten und eine etwas bessere Baracke für den Eigemhümer. Mil seinem geringen Einkommen (der jährliche Ertrag war un bedeutend) und seinen bäuerischen Sitten spielte der Gutsherr eine «raurige Rolle in der Welt, und die handeltreibenden Klaffen betrachteten ihn sogar als eine Person von untergeordnetem Range, obschon es ihm gar nicht an Genüssen fehlte, die seiner Lebens weise analog waren. Wir entlehnen folgendes Bild des Estan- ciero's, wie er vor und nach der Revolution sich produzirle: „Ein schlichtes, aber massiv gebautes Haus in der Stadl, mil sehr spärlichem Hausraihe; ein großes, derbes und pralles Pferd, um darauf zu reiten; ein Poncho oder weiter Kittel aus Kamelot, mit einem Loch in der Mitte, um den Kopf hindurch- zustccken; große silberne Sporen, und das Kopfstück des Zaumes, mit demselben Metalle geschmückt; ein grober Hm, vermittelst schwarzer Riemen au« Leder unter dem Kinne befestigt; ein Feuer zeug, um den Cigarro anzustecken; ein Messer im Gürtel, und ein schmutziger Slalljungc hinterher, mit dem ungebralencn Rib- benstuck einer feilen Kuh, als Mundvorralh, umer seinem Sattel — diese Stücke bildeten den ganzen Comfort eines Estanciero's. Sein fettes Weideland und die zahlreichen Heerden, die sich dar auf herumtummellen, waren seine größte Lust, sein ganzer Swlz und Ehrgeiz." „Icyl jst der Land-Edelmann vom Rio de la Plata ein an deres Wesen. Sein Vermögen Hai bedeutend zugenommen; seine Sitten und Lebensweise habe» sich veredelt oder wenigstens ver feinert Ein Stück Wcidevich, das vor der Revolution nur zu vier Shilling angeschlagen war, ist jetzt 20 Shilling werih; und für diese 2» kann der Besitzer wenigstens doppelt so viele Be dürfnisse und Luxus-Artikel sich anschaffen, als früher. Comfort und Bequemlichkeit sind ihm und seiner Familie jetzt eben so noihs wendig, wie den übrigen Klaffen des Gemeinwesens. Er mischt sich freier in die Gesellschaft, nimmt an öffentlichen Aemiern und Geschäften Theil, giebl seinen Kindern eine liberalere Erziehung; und wenn auch die Estanciero's selber hin und wieder ihren alten Gewohnheiten noch treu bleiben, so sieht man wenigstens ihre Frauen und Töchter in eleganten neumodischen Equipagen, die ihr Eigenthum sind, herumfahrcn und Visiten abstaltcn öder Ver- gnügungs-One besuchen." Wenden wir ans nun wieder zu Herrn Robertson- Während seines Aufenthalts in Montevideo erfolgte die unglückliche Expe dition des Generals Whitelock, deren Resultate den meisten Lesern bekannt seyn werden. Whitelock rückte mit einer schönen Armee gegen Buenos-Ayres heran, und Alles verbürgte ihm den voll ständigsten Sieg; allein er hatte die Unvorsichtigkeit, eine Capi« lulation cinzugchcn, kraft welcher er auf alle errungene Vonheile verzichtete und sogar Montevideo räumen ließ. Diese unverhoffte Wendung vereitelte alle Pläne unseres Autors. Er mußte mit den übrigen Engländern Amerika verlaffen und nach Großbritanicn zurückkchren- Als aber bald darauf die Königliche Familie von Portugal nach Brasilien auswandcne, fühlte er große Lust, den Süden dieses Äonlineiites wieder zu besuchen. Er bestieg ein Schiff und gelangte im Oktober 1808 nach Rio-Janeiro, an welchem Orte er nur kurze Zeit verweilte. Das Klima und die Menschen waren ihm hier gleich zuwider; und so ergriff er die erste günstige Gelegenheit, die ihn nach Buenos-Ayres sühne.