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Wichemlich erscheinen drei Nummern. PränumerattonS- Prei« 22; Sgr. (j Lhlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für da- ganze Jahr, ohne Er tz Shu ng, In allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerict aus diese- Beiblatt der Allg. Pr. Stao!«- Zeitung in Berlin in dec Expedincn (Fnedrichi-Ttraße Rr. 72); in der Provinz so wie im Au-lande bei den Wohllöbl. Post-Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 117. Berlin, Freitag den 28. September 1838. England. Birmingham, ein Bild Englischer Betriebsamkeit. Von einem Franzosen. Als noch kein Netz von Eisenbahnen sich von London aus über Großbrilanien erstreckte und nach einigen der wichtigsten Punkle nur wenige schmale Streifen führten, war es noch der Mühe werih, eine Reise nach England zu unternehmen. Allein heute, wo man mit Blitzesschnelle nach allen Hauptstädten des Landes getragen wird, fühlt man keinen Trieb mehr, sich den Gefahren einer Seereise auszuseyen und sich am Roastbeef den Magen zu verderben, Schnupfen und Spleen umer dem dicken Himmel Albions zu holen, bloß damii man die St. Pauls-Kirche, Westminster oder den Tunnel gesehen habe. Das kann man viel beguemer ohne Mühe und Kosten aus einer Fluch von Beschrei bungen und Abbildungen kennen lernen. Ist das aber Alles, was England aufzuweisen Hai, oder giebl cs noch andere Dinge, welche die Aufmerksamkeit des Fremden verdienen? Allerdings; daß sie aber bisher noch nicht beschrieben worden sind, macht sie um so bcachtcnswcrcher, und Frankreich namentlich kann von seinen Nachbarn jcnseil des Kanals noch Besseres holen als Hahnenkümpfe und Stutzer, als Vorretter und Wichse, nämlich das Wunder einer Wellindustrie, deren einzelne Zweige allein den Entschluß zu einer Reise Hervor rufen könnten- Fast jede Grafschaft scheint ihr eigemhümliches Gepräge, ihren besonderen Erwerbszweig erhalten zu haben, dem es mit gewissenhafter Treue vorsteht und welchen es zu der höchsten Vollkommenheit, deren jeder fähig ist, ausbildet. So ist Nottingham die Mutter der Lemenweberei, Manchester die Königin der Baumwollen-Manufaktur, Birmingham die der Metall- und Gußwaaren, Staffordshire der Töpfer - Waaren, Wallis die der großartigsten Maschinen, die eine Legion von Hochöfen zu Tage fördert. In Wallis scheint die Werkstätte der Zyklopen zu seyn; mit Staunen wandert der Fremde durch meilen lange Rußstädie wie in der Schweiz durch Schneewändc, dort die Macht der Natur, hier die der Kunst bewundernd. Die,, welche am meisten dabei auszusegen hätten, das wären die Theo- rieen- und Projektenmacher des Kontinents, welche über die Verschwendung so vielen Gases und so vieler Hitze in dieser großartigen Koke-Fabricatton, die den Hochöfen ihre Nahrung liefern, in laute Klagen ausbrechen und eine himmelschreiende Sunde darin erblicken würden. Hier findet man auch die Wun derwerke des Hochmeisters der Vulkanisten, d. h. aller derer, die in Eisen und Stahl arbeiten, jenes berühmten Erawshay, dessen Kunsterzeugnisse alle Meere durchschneiden, alle Thorwcge mit Bändern und Riegeln versehen, alle Schmelzhütten besch-sfligen, jenes Mannes, dessen Geschicklichkeit nur von seiner Geistesbil dung übertroffen werden soll. Was die Alten in Fabeln von dem Gotte der Esse geträumt, siel» man verwirklicht; die Sinne werden geblendet, der Mensch fühlt sich gedrückt und doch zur Bewunderung seiner eigenen Kraft hingerissen. Aber, höre ich fragen, wie sieht Birmingham au«? Hat cs nicht etwa« Fremdartiges, macht es einen angenehmen Eindruck auf die Sinne? Nein; es regen sich vielmehr beim Anblick der Fabrikgebäude, dieser frisch hingeworfenen Steinmassen, die keine Geschichte haben, Gedanken nicht der freudigsten Ari. Politische Krisen können in jedem Augenblick 200,000 produzirende Menschen brodloe machen, in das tiefste Elend stürzen- Und fühlt man ganz den Schauder beim Anblick der unermeßlichen Gefahr, dann Hai man sich vielleicht, in Betracht der gegenwärtigen Lage der Dmgc, Mi, der Armemare, die dem Armen wenigstens einen Brocken von dem Tische des Reichen erzwingt, ich möchte fagen, versöhnt.^ Aber auch die Oenlichkeil selbst, schon der erste Eintritt überrascht unangenehm; der gänzliche Mangel an An bau auf mehrere Stunden in der Umgegend der Stadt; kein Baum, kein Strauch, kein Rasen für die Spiele der Kinder; bis in das Thal des Lea muß man seine Blicke schweifen laffen, um die erste Spur von Vegetation zu entdecken. Die Industrie hat sich des ganzen Terrains bemächtigt, als Allein- Herrscherin auf diesem Boden sich geltend gemacht, keine Ulmen oder Pappeln, aber lhurmhohe Feueressen ragen in die Wolken; kein Frühlingsvufi von graSrcichen Wiesen, aber dicker Qualm, das Zeugniß von der Unwissenheit des Architekten oder vielmehr der Sorglosigkeit des Fabrikanten für das immer kostbarer wer dende Brennmaterial, verdunkelt die Luft und beängstigt die Lungen; keine prachtvolle Villen, aber langgedehnie Fabrik-Ge bäude mit zahllosen, russigen Fenster-Luken bilden den Bezirk der ländlichen Stadt. Denkt man sich noch hinzu anstatt des blauen Himmels der Südländer eine mit Feuchtigkeit erfüllte Atmosphäre, kaltes und nebliges Weller, die schweigende Geschäfligkcil der von Oel und Lisen geschwärzten Arbeiter, die zu Tausenden in den Werkstätten ein- und ausgchcn; dann übcrschleichl die Seele eine unsägliche Traurigkeit, die Wunder Ler Industrie sind ent zaubert, man legt sich da» Geständniß ab, daß dieser Zuwachs an irdischer Glückseligkeit, dieser Fortschritt der Eivilisanon zu theuer auf Kosten der eigenen und Anderer Lebensfreuden er kauft ist. Vielleicht aber täuscht uns der erste Anblick. Wir warten, bis eine Woche verlaufen ist und die Feierstunde des sechsten Ta ges hcrankvmml. Ungewohnte Helligkeit erfüllt die Straßen, lebhafteres Gcwi'chl die öffentlichen Plätze; was bedeutet die wo gende Menge? Mil Recht sind an diesem Abende die Gesichter fröhlich, drücken begegnende Freunde sich die Hand, bilden und lösen sich Gruppen von Männern und Kindern, durchdringt hun dertfacher Ruf die Straßen und macht die geräuschvolle Scene noch lauter, denn die Arbeit der Woche ist abgeihan, morgen zieht der stille Sonntag ein und lehrt Kräfte sammeln für die nächste Arbeitswoche; morgen verlangt kein eigennütziger Fabrikherr die Fortsetzung der sechsiagigcn Mühen, sondern läßt dem Handwer ker gern einen Tag, an dem er sich selbst und seiner Familie an- gehore, ohne an dein Joche zu ziehen, um den Äcker seines Herrn noch mit einem Tage zu bereichern. Und beherzigens- wcnh genug, sechs Tage Arbeit verschaffen dein Tagelöhner eben so genügend seinen ttmerhalt, als cs sieben Tage thun würden, die nur um ein Siebentel seinen Lohn herumerbrächlcn. Aber diese so wohl erkaufte, diese moralisch gerechtfertigte Ruhe, so oft von Heuchelei oder Engherzigkeit angegriffen, ist allen Ge- wcrdireibcndcn willkommen, und morgen werden die Läden ge schlossen seyn. Darum beeilt sich Alles, seine Einkäufe zu machen; die Lichter, die Ströme von Gas, welche das Auge blenden, kommen aus den Buden der Schlächter, der Obsthändler, der -Galanterie-, Buch- und Leinwand-Händler, mit denen sie ihre Schaufenster erhellen, aber unter Allen behaupten an diesem Abende die Schlächter den Vorrang. Unaufhörlich erschallt ihr zum Kauf einladender Ruf „Imv! Kuv! bn;-!" und schaarenwcise drängen sich die Frauen, heran, um ein juinc ok weur als Er höhung des Sonniags-Genusses ciuzukaufen. An einem solchen Abende werden wenigstens loo,ooo Pfd. Fleisch gehackt und ver kauft; in Gesellschaft von 100,000 Pfd. Kartoffeln werden sie in den Brawscu des Bäckers, des einzigen Handwerkers, der am Sonntag lhäiig ist, geschoben werden und 200,000 Flaschen Parier das Geschäft der Verdauung besorgen. Wer aber sind die Hunderte, welche sich an dem Eingang der Bank drängen? Diese Menschen beeilen sich, ihre Ersparnisse in der Bank niederzulegcn, und dadurch ist schon mancher von ihnen ein wohlhabender Mann geworden. Der Sonntag-Morgen ist da; tiefe Stille herrscht in den Straßen, die Luft ist rein, da die Rauchfänge nicht mehr Qualm und Flamme speien; die Bevölkerung hat ihr Aussehen geändert. Verschwunden ist die geschäftige Eile von gestern; der behagliche Gang der Zufriedenheit, die faltenlosen, fröhlichen Gesichter, die reinliche Kleidung, das blendende Linnen veranschaulichen auf eine würdige Weise den heiligen Tag; denn die arbeitende Klasse in Birnnngyam ist fromm, die Mehrzahl besteht aus Dosidemen, die im Kampfe mit der herrschenden Kirche und dem Siaaie zu strengen Hütern ihrer Glaubens-Regeln werden. Bei den Produkten Birminghams muß man nicht sowohl auf die Güte als die Menge der angefenigicu Waaren sehen; in Bezug auf Eleganz und Geschmack behauptet z. B. Paris den Vorzug. Was Birmingham groß macht, ist sein Gebrauch der Maschinen. Ohne sie gesehen zu haben, kann man sich keinen Begriff bilden von den Werkzeugen, welche hier Menschenhände vertreten- Die Drehbank, das Kncifcisen sind die Intelligenz der Fabrikanten, eine mächtige Intelligenz, wen» sie von der des Menschen geleitet wird. Nägel, Knöpfe, Schrauben, Schlösser, Lampen, Alles ist Erzcugniß der Maschine. England zählt zwei