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WSchmttich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22 s Sgr. ff Thtr.) vicrtelinhrttch, 3 THIr. sür das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man prcummerü! aus dieses Beiblatt der Allz. Pr. Staals- Zeitung in Berlin in der Expedition (FricdrichS-Ttrasle Nr. 72); in der Provinz so >vie im AuSlandc dei den Wohllödl. Posi-Aemtern. Lttcratur des Auslandes. 72 Berlin, Freitag den 13. Juni 1838. Frankreich. Die Schauspieler und Harlekine der alteren Jtaliänischen und Französischen Komödie. Le Sage wurde über das Leben der Französischen Harlekine ein hübsches Buch geschrieben haben; er haue die buntwechseln- den Abenteuer seiner Helden in eine vortreffliche Erzählung zu- sammengedrängt, für die Leute, die bloß Geschichten suchen, durch ihre kuriosen Begebenheiten anziehend, für den lieferen Forscher der Mcnschennaiur dagegen interessant durch die lausend feinen Charakterzügc, die scharfen Hiebe des Spottes und die ernste und lachende Philosophie, wie sie der Gegenstand unwillkürlich mit sich bringt. Er selbst hätte sich zum Harlekin gemacht, der die Geschichten aller Harlekine erzählt; er haue sich unter sie, nicht über sie gestellt; er hatte nicht vornehm von der IHr« 8t. tsormsiu herab seine Leute gemustert, sondern wäre selbst auf der Bühne ausgetreten, mil ihnen lachend und spottend, Scherz und Täuschung treibend. Unter den lebenden Französischen Schrift stellern jedoch gicbl cs Einen, der uns das,,Leben der Harlekine" mil all dem Gusto, all der mumeren Laune und hinreißenden Gemülhlichkcit seines eigenen Geistes erzählen könnte — das ist: Paul de Kock*). Wir geben hier aus dem Leben einiger älteren Französischen Schauspieler, unter denen die Harlekine nicht vergessen worden sind, ein paar kuriose Data, die aus einem Haufen Spreu hcr- ausgclesen sind, welcher, zwar iin Ganzen von geringem Werch, doch dem Leser nicht so leicht in die Hände fallen möchte, selbst wenn er Zeit und Lust haben sollte, ihn selbst durchzustöbern. Wir beginnen mil Angelo Constanlini. Angelo Constanlini ward geboren zu Verona und trat in sehr früher Jugend als Harlekin auf. Seine Gcschichle ist eben so kurios als tragisch. Er ging I68i nach Frankreich, schloß sich der Jtaliänischen Truppe an und spielte bis zur Aufhebung des Theaters im Jahre 1697. Hierauf besuchte er Braunschweig, wo er von August I-, König von Polen, eine Einladung bekam, in seinen Dienst zu ireicn. Angelo nahm das Anerbieten an und suchte sogleich eine vollständige Schauspieler-Truppe zusammen- zubringcn, die im Stande war, abwechselnd Komödien und Jlaliänischc kölnische Opern darzustellcn. In dieser Absicht be suchte er Frankreich aufs neue und entledigte sich seines Auftrags so geschickt, daß der König ihm zum Lohn einen Adelsbrief schenkte und ihn mit dem Amt eines Direktors der memv, pl»i.-är-> Seiner Majestät, eines Kammer-Juwelenbewahrers u. s. w. beehrte. Man schloß natürlich, daß Constamini'S Glück nun für immer begründet wäre. Seine Unklugheil jedoch und eine ungezügelie Leidenschafl für das weibliche Geschlecht stürzlen ihn ins Verder ben. Harlekin wagte es, seine Wünsche zu demselben Idol zu erheben, das sein Patron, der König, anbeteie. Die Dame, von der Frechheit ihres neuen Liebhabers erbittert, denunzirle ihn, indem sie den König bat, er selbst möchte, an einem paffenden Ort verborgen, ein Zeuge scyn von der Vermessenheit seines Dieners. Harlekin kam und erneuerte seine Bewerbungen, als der zornige Monarch mit gezücktem Säbel Hervorstürzle und sich nur mil Mühe zurückhalicn ließ, Constanlini wdl zu seinen Füßen Hinzustrecken. Welch grauser Abstand tritt jetzt ein zwischen dem armen Harlekin und den meims pls'uär« des Polnischen Hofes! Zwanzig Jahre laug mußte der Elende in einsamer Gefangen schaft auf der Festung Königstein schmachlcn. Später besuchte August die Festung, und hier that der arme Harlekin mit seinem zwanzigjährigen Bart einen Fußfall und bat um Gnade. Der König war unerbittlich; doch nach Verlauf eines zweiten Jahres wurde Constanlini aus seinem Kerker befrei! und ihm alle seine Habseligkeiten zugcsielll, mit dem Befehl, das Land zu verlassen. ') Den Namen dieses SLnstUellers finden wir jetzt hin und wieder von Deutschen Uebcrsetzern als Paul von Kock wiederaegeben. Das ist jedoch eine Adelsverleibung, Lu der Framöfische Schriftsteller nur der Ilnkunde zu verdanken hat. Herr Paul de Kock ist von Flamandischer loder Holländischer) Abkumt und das „st-" in seinem Namen ist nicht die Adels-Präposition, sondern der bestimmte Artikel, wie man ihn häufig in Niederländischen Na men findet, da ein Holländisches oder Flamandsiches Substantiv niemals obne den Artikel ausgesprochen wird- „Paul de Kock" — übersetzt, heißt ganz einfach „Paul Koch", eben so wie „de Potter" nicht in „von Potter", londcrn in „Töpfer", und „de Briend" ovorauS der Name Devrient entstan den ist) in „Freund" zu übersetzen sevn würde- Constanlini begab sich sogleich nach seinem Gebunsorl Verona; doch nach kurzem Aufenlhall in der Heimaih trieb ihn der Wunsch, Paris zu besuchen und auf dein Schauplatz seines früheren Ruhms wieder zu erscheinen, nach Frankreich, wo er unter gewissen Be dingungen in die Jtaliänische Truppe trat und sich verpflichtete, für die Summe von 1000 Kronen in fünf oder sechs Stücken zu spielen. Der.Mercuro <Ia h'innce" giebt von Constanlini's Wie- derauftrelen folgenden Bericht: — „Am Sonnabend, den 3. Fe bruar 1729, lrai Signor Angelo Constanlini, aus Verona gebür tig, in dem Hotel de Bourgognc in der Komödie „Im IHre 8t. kiormuiu" auf, wie sic ursprünglich im Jahre 1690 gegeben wurde. Diesem Slück ging ein Prolog vorher, in welchem sich Constan- tini als ein alter Mann produzirle, der nachher seine alierlhüm- liche Verkleidung abwirfl und in seinem gewöhnlichen Charakter erscheint." Der Kerourv giebt den Inhalt des Stückes und endet damit, seinen Lesern zu erzählen, daß der Schauspieler „vom Publikum günstig ausgenommen wurde." Man kann sich denken, daß das Wiederaufireten eines Schau spielers in Paris, der es gewagt Hane, der Geliebten eines Kö nigs seine Liebe zu erklären, und der diese Kühnheit durch eine einundzwanzigjährige Gefangenschaft gebüßt hatte, ein Ereigniß war von nicht gewöhnlicher Bedeutung. Dieser Umstand allein hätte ihn zu dem Ruf eines ausgezeichneten Schauspielers erhoben. Daher finden wir, daß Herzoginnen sich drängten, ihn zu sehen. Die Herzogin von Bourbon und die von Maine, mit vielen Herren und Damen, beehrte» die Darstellungen Constantini'e. Doch das Alter und der Kerker der Festung Königstein hatten den armen Harlekin zu Grunde gerichtet, und nach kurzer Zeil zog er sich wie der nach Verona zurück, wo er gegen das Ende des Jahres 1729, desselben Jahres, in welchem er der Well wiedergegebcn worden war, starb. Er hinterließ eine Tochter von seiner Frau Aurctia, eine arme und mittelmäßige Schauspielerin, wie unsere O.uelle sagt, die als Nonne in Chaumont starb, und einen Sohn, Gabriel, der als Harlekin auf der Jtaliänischen Bühne lebte und endigte- Francesco Materazzi wurde geboren zu Mailand und trat zuerst in Paris bei der Jtaliänischen Truppe >71« auf. Er fing als Harlekin an, gab aber hernach meist die Rolle des Dok tors. Er starb in Paris im Atter von 86 Jahren und scheint ein freundlicher, gulherziger Mann gewesen zu scyn, von dem west lichsten Charakler und dem ruhigsten Temperament. Er heiraiheie die Witwe des Pantalon Pietro Alborghetti, in der bloßen Ab sicht, wie er gestand, ihr Alle», was er in Frankreich besaß, zu vermachen. Seine Frau lebte in Italien und bekam eine jähr liche Pension von ihm. Tomaso Antonio Vicentini, allgemein bekannt umer dem Namen Thomassin, war aus Vicenza gebürtig und eines der ursprünglichen Mitglieder der Jlaliänijchcn Truppe, die Riccoboni der Aeltere umer den Auspizien des Regenten um 17>6 zusammenbrachte. In Thomassin's Händen gewann Harlekin einen viel größeren Ruf, als bei irgend einem seiner Vorgänger. Er war von Natur mit Fähigkeiten begabt, die ihn zum ersten Komiker machten. Seine Beweglichkeit, sein ungezügelter Hu mor, seine unwiderstehliche Anmuth, sein plötzlicher Pathos mitten in dem schallenden Gelächter, das er durch seine Possen erregt, ein einziger Zug, eine Anspielung, deren Wirkung er durch den Zau ber seines Genies zu einem positiven Gefühl steigerte, dies Alles konnte seinen Zuschauern Thränen entlocken, während der Dichter dadurch auf einmal zu einem nie geahnten, nie beabsichtigten Ruf kam; und alles dies wußte er trotz einer Larve zu bewirken, die eben so sehr dazn eingerichtet schien, Furcht als Lachen zu erregen. Oft, wenn er die Zuhörer durch den unvergleichlichen Humor seiner Klage» i» einen Taumel von Fröhlichkeit fortgeriffen, pflegte er plötzlich in seine» Posse» i»»e zu halte» u»d die zar teste Empfindung und Sympathie zu errege» durch die Gewalt und Tiefe seiner Leidenschafl. Signor Thomassin betrat zum erstenmal die Pariser Bühne im Jahre 1716 in dem Theater des Palais-Royal, in einer Äo- mödie, die betitelt war „I/lieurvu.-j» xurprl->e". Herr Gcreullettc erzählt bei der Erwähnung dieses Debms eine Anekdote, weiche uns von der Gewandtheit nnseres Helden einen Begriff giebt. Der berühmte Dominique, der dem Harlekin in Frankreich so viel An sehen verschaffte, hatte in seiner Stimme einen gewissen Fehler, a» den sich aber die Leute so lange gewöhnt, daß sie am Ende es für einen Vorzug hielten; daher galt jeder Harlekin, der nicht die