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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeratton«- Prei« 22j S«r. (j Air.) vierreljShrÜch, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumeriri aus diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staal«- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in der Provinz so >vie im Außlandc bei de« Wohllobl. Post < Äemteru. Literatur des Auslandes. 42. Berlin, Freitag den ü. April 1838. Schweiz. Cap. Marryat in der Schweiz"). Straßburg ist voller Militair und Kriegegeräusch. Als einer der Schlüssclpunkie Frankreichs, hat cs eine Garnison von 10,000 Mann, und Tambour und Hautboistcn lassen sich zum großen Vergnügen der Kinder von Morgen bis Abend vernehmen. Die Stadl ist gut gebaut, obgleich die Häuser alt sind, drei Stock werke nebst Mansarden und hohe spitze Dächer haben. Ich liebe den Charakter der Elsasser; er ist eine Zusammensetzung des Fran zösischen, Schweizerischen und Deutschen, was eine gute Mischung giebt. Da ich keine Eile hatte, blieb ich zehn Tage hier, und ich kann Straßburg in vieler Beziehung empfehlen- Es ist leb haft und geräuschvoll, die Promenade um den Wall ist schön und Alles ist vernünftig eingerichtet; es hat jedoch den Ruf eines sehr ungesunden Ones, und ich fürchte, mit Recht. Es ist sonder bar, daß man dem herrlichen Münster, obgleich er so oft schon durch die Blitze beschädigt worden, noch keine» Blitzableiter ge geben hat. Vor einigen Jahren hielte» die geistliche» Herren eine Berathung über diesen Gegenstand; einige waren dafür, andere dawider, — man »rennte sich, ohne daß die eine Partei die andere besiegt Hane, und es äcschah nichtö. Ich traf hier einen Engländer, dem man mit Recht die Frage: „Was, zum Teufel, macht Ihr hier?" zurufen konnte, einen alten Ehren mann von beinah siebzig Jahren, der, nachdem er sein ganzes Leben höchst glücklich im Vaterlande zpaebrachi, doch auch den Rhein hinauf ziehen wollte, ohne indcß ein Wort Französisch oder irgend eine andere als seine Muttersprache zu verstehen. Er sagte mir sehr richtig, er habe gerade zu einer Zeit angcfangcn, die Welt zu sehen, wo Andere sich anschicken, sic zu verlassen. Er beehrte mich, so lange er in Straßburg blieb, mn dem Amie eines Dolmetschers, und cs lhat mir cbcn nicht leid, als ich ihn endlich für die ganze Tour von hier bis zu den Stufen des Lon doner Custom-House im Dampfschiff-Bureau eingeschrieben wußte- Ein merkwürdiger Umstand findet sich besonders in Straß burg, der nämlich, daß die Protestanten und Katholiken, wie ich glaube, stets in Freundschaft mit einander lebten und es noch ihun, was Andere sich zum Beispiel nehmen sollte». Bei Durch- laufuttg der Geschichte dieser Stadt finde ich nicht, daß sie sich jemals verfolgt hätten; doch thaicn sie dies auch nicht unter einander, so geschah es doch leider gegen die Juden- Zur Zeil der Pest klagten sic diese an, die Brunnen vergiftet und die Seuche dadurch verursacht zu haben, und verbrannten allein 2000 derselben auf einmal. Mich wundert, daß sie nicht »och 2000 im Rhein ersäuften, als der Blitz in die Kathedrale schlug. Sonder bares Christcmhum! wenn die Hand Gottes sich fühlbar mach«, dies an seinen Mitmenschen zu räche»! Ich mußte eine» hiesigen Professor in einer Geschäfts-Angelegenheit besuchen; er ergötzte mich höchlichst. Er bildete sich nämlich ein, Englisch sprechen zu könne». Vielleicht hatte es früher einmal eine Zeit gegeben, wo dies wirklich der Fall gewesen; wenn dem so war, so Hane er die Sprache jetzt jedoch völlig verlernt; aber die« fiel ihm nicht ein. Ich trug ihm auf Französisch meine Angelegenheit vor. „Sie sprechen Englisch, Sirk" — „Ja", versetzte ich. — „Dann sag' ich Ihnen, Sir, daß —" er blieb stecken und dachte einige Minuten verlegen nach, ohne eine Sylbe hcrvorzubringen. „Sprechen Sic Französisch, mein Herr", sagte ich; „Sic haben ein Wort m unserer Sprache vergeßen, wie ich bemerke", — und hierauf legie ich ihm eine andere Frage vor, worauf er erwiedene: „Ja, »ch erinnere mich dessen sehr wohl, und ich —" abermals entstand eine Pause des fehlenden Zeitworts halber. Ich wartete schweigend eine volle Minute, aber sein Gc- dächtniß war so schwach, wie seine Begierde, Englisch zu sprechen, stark war; dann redete ich ihn nochmals an und erhielt zur Ant wort: „Es isi richtig, daß Sie —" und wieder hatte sein Eng lisch ein Ende. Da ich nicht Zeil halte, so lange zu warten, bis ihm die Englischen Wörter entfallen würden,'sah ich mich genölhigt, die Konferenz abzubrcchcn, den» er schien durchaus entschlossen, in keiner anderen Sprache mit mir reden zu wollen. Zum Glück betraf das Geschäft nicht mich, sondern es war nur eine Kom- *) Aus donjll'uvke»»»»» »oü opioloo-, «s kiUpll Mission von einem Anderen; es wurde daher eine Omission daraus, was wohl eben so gu« gewesen seyn wird. Diesen Morgen schlenderte ich in einen kleinen Tabacksladen, um meine Dose zu füllen, und da cs sehr warm war, kam es mir nicht darauf an, mich nicderzuseyen und eine Unterhaltung mit der jungen Frau anzuknüpfen, welche die Kunde» abferligte. Unter Anderem fragte ich sie auch, ob der Laden ihr gehöre. Sie antwortete mir, „sic habe nur die Licenz gcmicthcl." Diese Antwort wunderte mich, und ich fragte, ob sic eine Liccnz für ihre Person erhalten könne. „Nein", versetzte sie lachend, „ich mußte denn einen alten Krüppel heirathen, der nicht mehr dienen kann." Hierauf sctzic sic mich von dem in Kcnmniß, was ich nicht wußte, daß man nämlich alten Militaire, anstatt einer Pension, die Erlaubniß giebt, Taback zu verkaufen. Sie können alsdann selbst den Handel führen, oder ihre Licenz an Andere für so viel jährlich vermieihen, als man ihnen dafür geben will- Dieses scheint mir eine ganz vortreffliche Einrichtung, die sich vielleicht auch in England mit großem Vortheil einführen ließe. Wenn wir in diesen ökonomischen Zeiten unseren verwun deten Soldaten und Seeleuten statt der Pensionen die Erlaubniß zum Halten von Branmwcinlädcn und Bicrhäusern enheilten, so würden wir die ganze Pcnsionsliste löschen können; und legre man eine solche Taxe auf dies Gewerbe — dürfte man diese Einrichtung überhaupt Taxe nennen — so träfe sic nur den Be trug und das Laster, welche eigentlich die gesetzmäßigsten Gegen stände der Besteuerung bilden. Daß jene Licenzen in England sehr einträglich sind, ist wohl bekannt. Einer Hal so viel Recht dazu, wie der Andere, und sie werden nach Gutdünken von de» Magistraten ertheilt. Da nun diese Licenzen schätzbar sind und dem Publikum gehören, so wäre es nicht mehr wie billig, wenn dies auch dc» Vonheil davon genösse; und würden sie auf die von mir angegebene Weise verwendet, so würde dem Siaaie eine große Ersparniß daraus erwachsen. Ich bemerke, daß der Gallische Hahn anstatt des Napo leonischen Adlers gegenwärtig auf den Stangen der Regiments- Fahnen sitzt. Sie haben zwar den Hahn zu einem höchst impo santen Vogel gemacht, doch ist ein Hahn immer noch kein Adler. In dieser Nacht schlief ich nicht besonders; wir waren un serer zu viele im Bett und lauter angehende Philosophen. Ich bin selbst ein Stückchen von einem Philosophen, und Fliegen können nur als sehr kleine Stückchen betrachtet werden. Alle Französische Fliegen sind Philosophen, da ei» Französischer Witz bold hcrausgebrachi Hal, daß sie zur ,,r>«cte ä'Lpieure" (äe.« pi- gue»r!>) gehören. Die Engländer, welche den Rhein hinauf nach der Schweiz reisen, wählen gewöhnlich die Deulsche Seite. Wenige gehen durch den Elsaß oder das Deutsche Frankreich, und die cs lhuw nehmen den kürzesten Weg, der Colmar vermeidet. Da ich dem längeren den Vorzug gab, will ich mit wenigen Strichen ein Bild der Gegend zeichnen. Man kommt durch das Rhcimhal, das cbcn und äußerst fruchtbar ist; die einzige Unterbrechung der cmlonigen Fläche bilden die, acht Engl. Mellen zur Rcchlcn lie genden Höhcnzüge von Borges und gelegentliche Passagen über ausgetrockncie Flußbetten, die im Wimer von Gebirgswaffern über strömen. Die Kalhcdraie von Colmar ist sehenswenh. Ihr Aeußeres ist eben nichl sehr merkwürdig, ihre gemallen Fenster sind jedoch eben so schön wie die in Straßburg, und in einem Punkt übertrifft sie alle Kathedralen, die mir bisher vorgekom- men, dies ist der reich in Eichenholz geschnitzte und mit Bildern auegelcgie Chor. Er ist geschmackvoller, solider und reiner in seinen Verzierungen als irgend einer, den ich kenne. Die Kirche hat auch eine schöne Kanzel, die mit der hinaufführcnden Trcppc und ihrem Geländer ganz aus schönem Marmor besteht. Das Auge wird in Colmar durch die sonderbare Architektur einiger alten Gebäude überrascht, die oft ganz Sarazenisch ist- Da die Straßen gut sind, kamen wir noch bei guter Zeit nach Basel. Abermals in der Schweiz! Der Wiedcrbcsuch einer Gegend, die angenehme Erinnerungen in meinem Gemülh zurückließ, mach« mir jetzt mehr Vergnügen, als die Reise durch ein mir noch unbekanntes Land. In einem solchen erleb' ich gewöhnlich Täuschungen. Wenn wir die Orte wieder aufsuchcn, wo wir unsere Kindheit verlebten, wie erstaunen wir dann über die Treue, mit denen unser Gedächtniß das Bild derselben aufbe-