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Wöchmtlich «scheinen drei Nummern. Pränumeratton«- Prci« 22j Sgr. (j THIr.) vierleljühriich, Z Thlr. sür La« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese« Beiblatt der Lüg. Pr. Staar«- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im AuSlande bei Len Wohllöbl. Posi < Leunern. Literatur des Auslandes. 37. «MM««« Berlin, Montag den 26. März 1838. England. Lie Newsmen oder die Colportcure Londons. Wer in der frühen Morgenstunde, noch ehe die Dämmerung — nicht dem leuchtenden Sirahl der Sonne, sondern dem Rauch der Feueressen gewichen ist, der mit Tagesanbruch über der City aufsteigl — eine Wanderung durchs die Straßen Londons amrclcn muß, wird von der schauerlichen Stille in diesen Labyrinthen, wo noch gestern am späten Abend das lauteste Treiben herrschte, auf das Unangenehmste überrascht. Der blaffe geisterhafte Schein der Gaslichter, die in Dammergrau gehüllten Häuser und der schallende Tritt der wenigen Menschen, die gleich Gespenstern in ihren Nebelmämeln, dem zu allen Jahreszeiten üblichen Früh- gcwande, vorübergleiten, find keinesweges geeignet, auf die ohne dies nüchternen Sinne erheiternd zu wirken. Wer zur Melancholie geneigt ist, meide diesen Spaziergang. Aber ein ganz anderes Bild zeigt sich uns, wenn wir von Chancery-Lane durch Fleet- Sweet die Richtung nach den mäandrischen Krümmungen des Strandes eingeschlagen und das Magazin des berühmten Buch händlers Ackermann, des Erfinders der Englischen Taschenbücher (Ko<!i>8-,Ico) wie der reizenden und eleganten Bijour-Almanachs, die bei der Damenwelt in hoher Gunst stehen, hinter uns haben. Ein dumpfes Brausen, wie das Murmeln der Wogen, dringt in unser Ohr; einzelne Züge geschäftiger Leute treten unter lautem Gespräch und lebhaften Geberden aus den nahen Seitengängen, und der bisher so Einsame, nun Ucberraschle, fragt erstaunt: Woher das Geräusch und die Menschen? Ein gefälliger Residenz- Bewohner antwortet: Hier ist die Offizin der vier großen Jour nale der Hauptstadt; das Geräusch, das wir schon von weitem hörten, kommt von der Dampfmaschine und ihrem künstlichen Getriebe, von welchem sechs Pressen in Bewegung gesetzt werden und — o Wunder! — zugleich die lärmende Scbaar von Zug vögeln, denen wir so eben begegneten. Sie bilden die chren- werlhe Zunft der Newsmen, auf Deutsch, der NcuigkeitSboten oder Colportcure. Das Brod, das diese gewcrbweibende Klasse der Residenz ißt, kann nur ein saueres genannt werden; denn noch ist nicht fünf Uhr Morgens und schon sind sie auf den Beinen, wie auch das Wewer und die Jahreszeit sey; aber auf ihren fröhlichen Gesichtern und ihren redseligen Lippen liest man nicht, daß sie den ganzen Tag über wie die Kabriolets-Pferde in Trab erhal ten werden. Sic sind lauter Leben oder, wie O'Connell sagt, Bewegung, von ihrem ersten Eintreffen bis zu dem Augenblick, wo sie, mit ihren Journalen beladen, nach allen vier Himmels gegenden auseinanderstieben. Ihre Unterhaltung trägt eine reiche Würze grobkörnigen Salzes, das, mit vollen Händen gestreut, selbst feineren Gaumen mehr durch seine Fülle als durch seine innere Gediegenheit zusagt. Die Minderbegabten und Neulinge, denen es an Geist und Talent fehlt, Pointen im Volksgeschmack zuzuspiycn, bringen in Ermangelung anderer Verdienste die er schütternde Kraft ihrer Lungen zu Markie. Vielen wird die geistige Sphäre zu eng, sie bedürfen auch des leiblichen Tum melns und Raufens, doch läßt ihr heilerer Sinn es in diesen Kampfspjelx,, nie zu ernstlichen Reibungen kommen. — Will man unsere ZcitungSlrägcr nicht bloß als friedliche Weltbürger, son dern m tragischen Momenten im Kampfe mit feindlichen Mächten "ys '""ii man sie "" einem Tage beobachten, wo die pünkt liche Ausgabe eines der gclcsencren Journale einen unerwarteten Verzug erfahr«. Die Alten brummen, die Jungen summen, Alles Ist >n Bewegung und Aufruhr, als hätten sic Quecksilber in den 'Adern. Ein solcher Verzug ist für sie eine Todespcin. Meistens bleibt es bei etlichen Injurien, die sie in den Bart werfen; oft aber, wenn die Zögerung das Maaß ihrer Geduld überschreitet, kommt cs z» Conspiration gegen Rcdacleur und Drucker. Wie in dem Hause Jsabel's von dem, der das Sccpicr führt, bis zu dem, der an die Wand pißt, ist keiner von ihren Bedrohungen ausgenommen. Die Scene, die sich dann vor den Blicken des Zuschauers auflhut, scy og außen in den Vorhallen der Expedition oder im Innern, wenn sie dasselbe stürmen, ist wahrhaft dramatisch. Die Eumenidcn des AcschyluS haben ihren infernalischen Chorus nicht gewaltiger anstimmen können, als ihren sublunarischcn die Newsmen; und stürmten auch alle neun Lite» Homer's aus dem Saale bittend entgegen, unerbittlich bliebe die stelzfußige A>e. Nur ein Rettungsmittcl giebt es für die Redaclion, die schleunigste Ausgabe des Blanes. Nu» heißt es: Noth bricht Eisen. Denn wenn die Stunde der Vercheilung ge schlagen hatte und die schrecklichen Mahner draußen pochten, in- deß noch eine Kolumne leer war, füllten sie dieselbe mit räthsel- haften Charakteren aus. Vergebens zerbrach sich das Publikum den Kopf darüber, ob es Persische Keilschrift oder Aegyptische Hieroglyphik wäre; erst die nächste Nummer brachte die Lösung des Rälhseis von Seilen der Redaction. Neulich gingen die Colporteure noch weiter; die zerschlagenen Fensterscheiben des saumseligen Bureaus gaben Zeugniß ihrer schnellen Vchme. — Doch um keinen Makel auf eine so nützliche Körperschaft zu werfen, muffen wir zur Ehre der Wahrheit sagen, daß nur die Minderzahl sich bis zu solchem Exzeß verirrt. Die Mehrzahl zeichnet sich durch große Geduld aus und verdient hohe Anerken nung ihrer Resignation wegen, mit der sic die gar nicht selten vor- kommendc verspätete AuStheiluNg der Blätter trägt- Resignation nannten wir es, und das Wort ist nicht zu stark. Das Publikum hat gar keine Ahnung von der Trübsal, die in solchen Fällen die Sendboten der Presse erwartet- Sobald sie von der Verzögerung eines Blattes notorisch unterrichtet sind, ist ihr Entschluß gefaßt: sie liefern die übrigen zur gewöhnlichen Stunde erschienenen Bläwer an ihre respektiven Leser ab und machen zum zweiten Mal die Runde, sobald das verspätete Journal ausgegeben ist, und zwar in möglichst großer Eile, damit ihnen die Abendblätter nicht über den Hals kommen. Ist nun mit dieser doppelten An strengung Alles gehoben? Keinesweges; sie ist nur das erste Glied einer ganzen Kette hon Mißgeschicken. Der Abonnent, durch das lange Harren gereizt, beschuldigt den Newsman der Trägheit oder Beyuemlichkeit und hält ihm das Schreckwort von Austritt aus dem Zirkel entgegen. Such« sich der so har« Mit genommene zu entschuldigen und das Debet an Zeil auf Rech nung der Expedition zu setzen, so macht er das Uebel nur ärger- Einen Leser, dem sein Morgenblatt nicht pünktlich ins Haus ge liefert worden, belehren zu wollen, hieße Oel ins Feuer gießen; denst eher könnte man einen schäumenden Bach in seinem Laufe hemmen, als den Abonnenten in seinem Zorn. Seine Journale unter dem Arm, beginnt der Colporteur die Verlheilung. Die Schnelligkeit, mit der diese Träger der Po litik — dürfen wir sagen, der Wissenschaft? — die Straßen Lon, dons durchziehen, gränzt ans Unglaubliche. Kaum ist eine Stunde seit der Ausgabe verflossen, und die Leser, selbst in den entlegen- sten Vierteln, find im Besitz der Blätter. Gewiß, nicht Jeder qualifiziri sich zu diesem Amte; denn nur der, welcher diese Fcucr- oder vielmehr Schweißprobe besteht, ist ein echter Newsman, dem eiserne, unverwüstliche Kniee das erste und unerläßliche Werk zeug seines Metiers sind. Unter diesen Umständen ist die Besor gung der Morgenblätter, wenn kein besonderes Hinderniß da zwischen tritt, um acht Uhr bewerkstelligt, aber damit ist das Ge-, schäft des Colporieurs nicht abgethan; dieses besteht in einem gewissen Sinne nur im Anfängen, ohne Ende. Eine kurze Pause, welche einem einfachen Morgen-Imbiß gegönnt worden, muß neuer Thätigkeit weichen; denn nun nimmt die Verlheilung der Blätter an nicht abvnnirte Leser ihren Anfang, die für die Stunde Lektüre einen Penny erlegen. Die Entfernung ihres Wonsitzes kommt dabei nicht in Anschlag; er selbst oder lein Gehülfe bringt dem Pcnnyzahler das Blatt ins Haus und hol« cs nach Verlauf einer Stunde ab, um es an den zweiten, dritten Leser u. s. s- nach den nämlichen Gesetzen gelangen zu lassen, und dies erhält den Colporteur beständig auf den Heinen- Man muß wissen, daß ein solcher Journalträger ZO bis 40 Blätter in Circulaiion setzt, um die Annahme nicht zu hoch zu finden, daß er selbst oder in der Person seines Stellvertreters an 60 bis 80 Häusern in einem Morgen die Glocke zieht, ja, ich habe einen jungen Menschen gekannt, der es bis auf 120 gebracht hatte; aber freilich wohnte seine Kundschaft nicht weit aus einander und machte ihm mög lich, was ohne diesen Umstand eine baare Unmöglichkeit gewesen seyn würde. Wir sagten oben, daß für die Stunde ein Penny gezahlt würde. Dies ist der übliche Say, doch kommt der Colporteur mit manchen Lesern auch für eine mehrstündige Lektüre überein,, und im Allgemeinen ist dieser Zweig ihres Erwerbes der ein träglichste und der einzige, welcher die Weilerversendung gestat tet. Nachdem nämlich die Morgenblätter den Tag über in Lon-