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Wöchentlich erscheinen drei Nummer». Pränümerneion»- P»'« 22^ Sgr. (j Th!r.) nierteliichrlich, Z Th>r. für dos ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prönunicrirt auf diese« Beiblatt der Mg. Pr. SttattS- Zettung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. 34); in der Provinz so wie in> Auslande bei de» Wohilöbl. Poft-Acmtcrn. Literatur des Auslandes. 19. Berlin, Montag den 12. Februar 1838. Frankreich. Cäsar Birotteau, von Balzen Wäre uns nie früher der Name des Herrn von Balzac zu Ohren gekommen, Hanen wir auch nicht eine einzige Zeile aus dcm „Baier Goriol" gelesen, so wurden wir doch dem Meister, der die Sccncn und Charaktere in diesem Buche gezeichnet, unsere Bewunderung nicht versagen können. Hier, wie in allen seinen Werken, entwickelt der Verfasser eine gründlich vertraute Be kanntschaft mit jedem Winkel und Pünktchen auf dem großen Theater, das ivir Leben nennen; er durchforscht und analystn die geheimsten Falten und Tiefen in der materiellen wie in der Gcmuthswclt, und kein Spinncnwcb bleibt ihm verborgen. Frei lich kommt cs dabei vor, daß er, ivic ein Anatom, seinen Stoff mitunter etwas zu roh behandelt, daß er sich hier und da ge wisser Ausdrucke bedient, die ins Wunderliche und Verkehrte hin- übcrstrciscn, und daß seine Bilder und Vergleichungen oft ganz ,änderbar und gezerrt aueschc»; dagegen weiß er seiner Leser Herz und Phantasie im Innersten zu ergreifen, und in Allem, was er sagt, herrscht eine Fülle von Kraft und Gediegenheit, die den sichersten Stempel abgict» für einen begabten Autor. Der Held der neuen Erzählung ist, wie der Titel besagt, Cäsar Birotteau, d^r jüngste von den drei Sühncn des Wein gärtners Jacguce Birotteau, welcher die Kammerfrau einer Edel dame vom Lande gchcirathcl. Cäsars Geburt brachte seiner Mutier den Tod, welcher bald den des Baiers nach sich zog. Sein ältester Bruder Francois wurde von der genannten Dame für die Kirche erzogen, empfing die priesterlichen Weihen, und nachdem er unzählige Male um ein Haar der Rcvolunons- Guillonnc entronnen war, lebte er zur Zeit, wo der Versager schrieb, als Unter-Pfarrer in der Kathedrale zu Tours, eben so wenig von der Welt gekannt, als er sic selbst kannte. Der zweite Sohn von Cäsar s Batcr, Jean Birotteau, Hane sich schnell zum Rang eines Capilains cmporgcsckwungen und wurde bei der Er stürmung einer Batterie gelobtet. Nachdem so der Versager die älteren Zweige der Birotteaus abgcfcrtigi, kehn er zu Cäsar, dein Jüngsten, zurück, welcher in einem Alter von vierzehn Jahren, nachdem er sich die noihwcndigc Fertigkeit im Lesen und Schreiben ungeeignet, nach Paris wänden mit einem Louis in der Tasche und einem stämnngcu Knittel auf der Schulter, von welchem der Rest seiner beweglichen Habe hcrabhmg. Auf die Empfehlung eines Apothekers aus Tours wird unser Heid in der Parfümerie-Fabrik Herrn und Madame Ragon's eingestellt, die ihn mit einem Gehalt von sechs Franken monatlich nebst freier Wohnung cngagircn. Die Anstalt der Ragous führte den Namen „die Rofen-Ävnigiu", aber Dornen waren Casares einziges Loos, bis die Sympathie der guten Ursula, einer Kuchenmagd von dreißig Jahren, ihm sein Schicksal erleichterte, und da in solchem Falle Mitleid nahe verwandt ist mit Liebe, so lebten Beide, die Be schützerin und ihr Kliem, zwei Jahre mit einander auf dem besten Fuße; aus einmal wurde Ursula unserem Cäsar untreu und hei- ratheic sich einen Anderen. Im Jahre 1792 wurden sämmiliche Handlungs- und Compwir- Dicner durch ein schreckliches Aufgebot der Republik für den Militairdicnst in Beschlag genommen; jetzt rückte Cäsar eine Stufe hoher in das Ann des zweiten Buchhalters mn bi» Franken monatlich, und im Jahre 1794 besaß er schon IW Louisd'or. Von dieser Zeit an begann er seine Spcculaiioncn in Assignaten und vffemlichcu Fonds. Herr Ragon, vormals Parfümeur der Königin Maria Antoinette, vertraut unserem Birotteau seine An hänglichkeit an die Bourbonen. Dies ist der Hauptpunkt, um den sich die ganze Zukunft unseres Helden bewegt. Er ward treuer Anhänger und erster Sccrclair seines Herrn, sowohl in politischen wie in Parfümerie-Angelegenheiten; wie konmc man auch eine Revolution liebgewiniien, welche den Haarpudcr aus der Gesellschaft verbannte und jeden Kopf, dessen Locken nicht ü la Titits gestutzt waren, guillotininck Jetzt wird auch Cäsar m ein großes Geheimniß cingcweihl, daß nämlich die „Roscn- Königin" als geheimes Hauptguarucr dicmc für die eifrigsten IUxlnifp «ie I2 xranttenr et »le !» iteesiieui-e «i«; (,'aexar llikokteäi«, 1um<?ur, (»,evLU«" «le l.» !>^ioo , «uljoiut «ru ,!u 2me urron- «""erneut lie lu ville «!e l'arix. Par ?! «le ttül/ac. I'arl«, 1838 Emiffairc der Bourbonen, und daß von dort aus die ganze Kor respondenz zwilchen Paris und dein Westen geleitet wurde. Er nimmt Theil an dein Komplott vom 13. Vendömiaire, wird in seinem Widerstand gegen Bonaparte auf den Stufen von Saim- Roch verwundet und von einigen Freunden fongetragen; nur seine Obskurität rettet ihn. Nach und nach wird Birotteau alleiniger Eigenthümcr der Parfümerie-Fabrik, hcirachcl Con stance Pillcrault, eine recht hübsche und bescheidene Französische Putzhändlerin aus dein Magazin des „Petit Matclot" auf der Insel St. Louis und verlegt seinen Handel in ein stattliches Haus in der Nähe des Vcndümc-Platzes. Eme Reihe von zwanzig Jahren hinter einander genießt nun der würdige Parfümeur alle Arien häuslichen und kommerziellen Glücks. Von seiner Frau mit einem einzigen Kinde beschenkt, einer Tochter, Namens Cäsarinc, reich an Geld, Freunden und Kredit, Eigenthümcr der „Rosen-Königin" und einer Manufaktur von sclbstcrfundcncn Essenzen, wird er in der Rcstaurationszeit zum Maire des zweiten Viertels vorgeschlagcn, ist aber so bescheiden, nur das Amt eines Adjunkten anzunchmcn. Jetzt Hal unser Held den Culminationspunkl seines Glücks erreicht, und von da an nimmt sein Schicksal eine andere Wendung. Das erste Unglück für ihn war, zum Ritter der Ehrenlegion ernannt zu werden in jener Zeil, wo die Jagd nach reihen Bändern so allgcinein war. Die Sünde, welche die Engel gestürzt, ergreift auch ihn: ohne auf die weisen Vorstellungen seiner Frau zu hören, entschließt cr sich, seinem Kreuz und dem Erihcilcr desselben zu Ehren einen großen Ball zu geben und sein Haus zu diesem Zweck zu er weitern, was ihm einen Kosten-Aufwand von W,WO Franken verursacht. Doch das ist jetzt nur eine Bagatelle für unseren Cäsar; statt seine neue Erfindung zur Erhaltung des Haars durch sein wcilbcrühmtcs Lampcnsnuß-Ocl auSzubciucn, stürzt cr sich in cincn Abgrund von Bau-Spcculaiionen und wird die Beute eines sauberen Kleeblatts, bestehend aus Roguin, einem ruininen lüdcrlichcn Notar, einem gewissen Ferdinand de Tillci, den er wegen Kaffcn-Dicbstahls aus seinen Diensten entlassen, und einem nichtsnutzigen, trunkenen l'ummis-Vozageur, Namens Claparin, der dic Rölle eines Banguicrs spielt. Der Notar macht sich mit Biroucan's Vermögen aus dem Staube nach Brüssel und läßt ihm cincn Haufen Papiere und Wechsel auf dem Halse. Die Rechnungen für den Ball laufen ein, Cäsar ist Han daran und seine Gläubiger sind hartherzig; die alten Freunde nehmen ganz neue Gesichter an; cr versucht, dic Leute durch seinen „guten Namen" zu bestechen, aber darauf gchcn die Kapitalisten nichts, da sie ihn rein ausgcplünden finden. Die wenigen Personen, die ihm noch hätten helfen können, sind selbst mehr oder weniger in dic Klauen des Notars gefallen. Inzwischen macht Popinot mit der neuen Erfindung seines Herrn die besten Geschäfte; cr liebt Cäsarinc und wird wieder geliebt, ist aber noch nicht im Stande, seinen zukünftigen Schwiegervater aus den Händen der Gläubiger zu befreien. Jetzt ist Cäsar gezwungen, seine Lage seiner Frau zu entdecken, welche sich früher seinen wahnsinnigen Spcculationcn widersetzt. Birotteau erklärt sich für bankerott und versinkt in den tiefsten Gram; seine Frau findet in der Familie Popinot ein Unterkommen, und Cäsarine vermicihcl sich in einem Laden; Birotteau wird von der Regierung angestclli mu BW Fran ken jährlich und wohnt beim Onkel Piilcraült. Während dessen bringt cs Popinot mit Hülfe der neuen Essenz zu einem bedeu tenden Vermögen; cr ist im Begriff, Cäsarine zu hciralhcn, und durch die Bemühungen seines Bruders, eines wackeren Richters im Handels-Tribunal, und einiger anderen Freunde, wozu noch eine Menge glücklicher Umstände kommen, das unvergleichliche Lampcnsnuß-Oel nicht zu vergessen, kommt cs endlich dahin, daß dic Schulden des Parfümeurs bezahlt und seine Ehre öffentlich vor dem ganzen Gerichtshof auf dic glänzendste Weise gereuet wird. Doch diese letzte Scene.ist für Cäsar zu viel; noch an demselben Tage, dem Hochzeitstage seiner Tochter, springt ihm ein Blutgefäß, und er stirbt den Tod des Gerechten! Bei dieser leichten Skizze waren wir gcnöihigt, eine Menge interessanter Charaktere und Scencn in diesem Buche ganz zu übergehen; doch ehe wir schließen, können wir nicht umhin, noch besonders aufmerksam zu machen auf die „Allgemeine Geschichte der Fai Nisse mens", die der Verfasser im zwei ten Bande der Annalen dieses Cäsar Birotteau im lftcn Kapitel cingcflochicn Hal-