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586 ungünstig reden zu müssen"). Allmälig aber wurde jeiie Unterhandlung auch Andere» bekannt, an dem Hose ruchbar. Zwischen Medici und Este bestand eine uralte, eingewurzelte Eifersucht; Alsonso, der von einem Angehörigen unbedingte Lerehrung forderte, war davon betroffen, daß ein so namhafter Mann zu seinen Feinden übergehen wolle. So wie da« Vertrauen schwand, das der Hof bisher dem Dichter bewiesen, regten sich seine Feinde, seine Neider. Za Lasso selbst batte Augen blicke, wo er sich wegen seines Vorhabens vrrdamune; er fürchtete, man werde es ihm als einen Lreubruch auslegen, der ihn beschimpfe. Alle diese Dinge setzten ihn in eine innere Auslegung, die ihn, wenn ich nicht irre, auch deshalb um so mehr beherrschte, da sein Gedicht, das bisher seine Phantasie beschäftigt, sie in einem bestimmten Kreise der Tätigkeit sestgchatten, damals im Ganzen vollendet war und er sich ungestört seinen düsteren Imaginationen, seinem menschenscheuen, egoistischen Mißtrauen überlassen konnte. Und dazu kamen peinliche Gedanken von einer noch schlimmeren Art. Lasso fühlte sich, der entschieden religiösen Richtung, die er hatte zum Trotz, in Lem christlichen Glauben nicht fest. Er hatte den ersten Unterricht in einer Jesuiten-Schule zu Neapel bekommen; er erzählt selbst, daß er von den Jesuiten bereits in seinem neunten Iabrc zum Abendmahl gelassen worben sey, ehe er noch von der Bedeutung dessel ben etwas verstanden. „Aber die Umgebung", sagt er, „die Würde des Ortes, der Apparat, das Murmeln und sich an die Brust schlagen der Umstehenden brachten in mir eine geheime Devotion hervor" °°). Die Frömmigkeit, welche die Jesuiten bc,weckten, beruhte überhaupt mehr aus der Erregung eine« dunkeln Gefühles als aus Einsicht, auf Unter, richt. Ehe Lasso diesen empfangen tonnte, ward er in die Irrfahrten seines Vaters verflochten. Da war er nun wohl übrigens ein guter Katholik geworden, d. h. er haßte, wie er sagt, den Namen eines Lutheraners, eine« Ketzers, als etwas Verpestendes, — er wünschte von Herzen, „wiewohl", nach seinem eigenen Ausdruck, „mehr mit weltlichem als mit geistlichem Eiser", daß der Sitz des Glaubens, daß das Papst- thum sich bis ans Ende der Tage erhallen möchte, — cs war in ihm der allgemeine Umschwung der Italiänischen öffentlichen Meinung von einer Abneigung gegen das Pastlhum zu einer Hinneigung zu demselben vorgegangen; aber dies binderte nicht, daß ihm nicht gegen die Grund- lehren des Glaubens Zweifel ausgestiegen wären. Er konnte die Mei nungen der Philosophie, denen er Beifall gab, mit diesen Lehren nicht vereinigen. Er hielt Gott für ein ewiges Prinzip, für die erhaltende Wellseele; aber ob er die Well geschaffen, ob er dem Menschen eine unsterbliche Seele verliebe», ob er sich selbst mit der Menschheit be kleidet habe, alles dies mar ihm zweifelhaft, und daraus folgte den», daß er an die Wirksamkeit der Sakramente, an Himmel und Hölle, endlich auch an die Autorität des Römischen Stuhles nicht vollkommen glauben konnle. Was ihn noch in Schranken hielt, war, wie er sagt, nur eine knechtische Furcht vor den ewige» Höllenstrasen, die ihm eben auch in erster Jugend eingeprägt worden scpn wird. Nicht immer batte er nun mit diese» Meinungen zurückgebalten; da er sich jetzt von Feinde» umgeben und verfolgt glaubte, da er Jeder mann in Verbackt hatte, so fing er an zu fürchten, man habe ibn bei dem geistlichen Gericht angegeben. E« kam hinzu, daß viele Einwen dungen, die gegen sein Gedicht gemacht wurden, diese» Punkt betrafen. Nicht alle seine poetischen Phantasie«» ballen das Gepräge der Rccht- gläubigkeit"""), und ohnehin gab eö manchen ebrenwerlbcn Mann, dem olle uud jede Dichtung in einem so kirchliche» Stoff unzulässig vvrkam. Anfangs balle sich Lasso darüber hinweggesetzl; allmälig machte cs doch einen gewisse» Eindruck auf ihn, da cs mit seinen übrige» Befürch tungen zusammtiifiel. Jedoch das Schlimmste war, daß in ihm selbst Skrupel erwachten. War ihm heute ein religiöser Zweifel ausgesiicgcn, so verdammte er sich morgen darüber; es bedrängte ihn selbst, daß er «in schlechter Christ sep. Von äußerer Furcht und von innerer Be- kümmerniß zugleich getrieben, faßte er endlich den Gedanken, sich selbst der Inquisition anzügrbcn. Zuerst stellte er sich vor dem Inquisitor von ^Bologna, der ihn mit einigen guten Lehre» entließ. Bald darauf erschien er vor dem Inquisitor in Ferrara; auch dieser absolvirle ibnf). Jedoch Lasso war damit nicht zufrieden. ES schien ihm, die Unter suchung seh nicht gründlich genug gewesen, die Absolutio» habe keine volle Gültigkeit; er faßte Briese'an da« Tribunal der Inquisition zu Rom, an den Groß-Inquisitor selbst ab, um eine vollständige Absolution zu erlangen. Er gerielb in eine furchtbare Agitation. Eine ungünstige, za drückende äußere Lage, — ergriffene, wieder verworfene Aussichten, — Mißtrauen gegen Jedermann, linerschüllerliche Gesiuuung zu keinem Mensche» auf der Welt, — ein durch srin Verdienst, das ihm jetzt so gar verderblich ward, gesteigerter Ehrgeiz, den man um so unbarmher ziger zurückwieS, — und dazu nun religiöse Zwrisel, die er verdammt, indem er sie hegt, so daß er mißbilligt, wa« er lhut, und cS doch thut, seine Gedanken verwirft und sie doch nicht ändern kann; alle- da« quält ihn um so mehr, arbeitet und wüblt um so tiefer in ihm, da ec in sich selbst nicht mit Heuchelei umgeht, da er es mit Treue und Religio» ehrlich meint: — so wird die Harmonie feines DasrvnS zer stört; er hat weder die Kraft noch den Willen, seine aufgeregten, ent flammten Lebensgeister von dem verderblichen Wege zurückzurusen, in Schranken zu hallen. Er giebt Anlaß, daß man ihn für wahnwitzig hält. (Schluß folgt.) Bibliographie. Ixilü» äi licivia. — Geschichte ans dem 1Slen Jahrhundert. Von Bassano Finoli. 4 Bdchen. Mailand. Centn Novelle. — Hundert Novellen, von Schriftstellern des INtn Jahrhunderts. Bologna. ') t.lNer- a; 'N»»»« Oo«r« Lom. IX » 412 "l I.«n«e» Ui Lorqooto L-»»o 1L!N 17 bei Serassi Vie, Ui L«»-o o. 48. »") Man sehe unter anderen den Bries Tasto'« an Silvio Antoniani »per« Lom. X. p. 147 bi Serassi p rrr, p. 24«, p, 252 Spanien. Cervantes und Don Qairote. (Fortsetzung.) Lope de Vega und der Verfasser des Don Quixote waren Zeit genossen. Jener beherrschte damals das Spanische Theater säst aus schließlich; sein Ruhm, sei» Name galt über Alles, — ec war der Lieb ling, der Abgott des Spanischen Publikums. CervanleS nannte ihn ein Naturwunder, ein Monstrum, um seiner ungeheuren poetischen Frucht barkeit willen. In der Thal übersteigt die Leichtigkeit und Schnelligkeit, womit er die Unzahl seiner lbeil« dramatischen, theils lyrischen Produkte hiuwars, alle» Glaube». Die Summe seiner litcrarifche» Productionen läßt sich, man mag es anfangcn wie man will, gar nicht ander- als in ganz erstaunlichen Zahlen ausdrücken. Z. B. er hat 21,300,000 Verse — sage einundzwanzig Millionen und dreimalbunderttauscnd Verse — im Druck hinterlassen, dabei noch eine Masse Manuskripte. Sein ver trauter Freund, Montalvo», versichert u»s, daß Lope der Spanischen Bühne 1800 regelrechte Schauspiele und nebenbei 400 aulns oder religiöse Dramen geliefert bat, die sämmtlich zur Ausführung gekommen. Er selbst rühme sich, über >00 Komödien geschrieben und zu keiner mehr al« vierundzwanzig Stunde» Zeit gebraucht zu haben, wobei der Leser bedenken mag, daß jede Komödie zu zwei- bi« dreitausend Versen ge rechnet werden muß, und daß an vielen Stelle» nicht bloß Assonanz und Reim, sondern oft auch die fchwierigste und vcrschlungenste metrische Form, z. B. Sonett, Ottavc, Terzine herrscht. Lope de Vega ist 72 Jahre alt geworden; rechnen wir nun die Zeil seiner dichterischen Thätigkeit aus SV Jahre, so kommt im Durchschnitt auf jede Woche ein Drama; nicht zu vergesse», daß er nebeubci auch Armier bekleidet und ziemlich zeitraubenden Beruf«geschSsien abgelegen hat; nicht zu vergessen, daß außerdem noch 21 Quarlbände vermischter Schriften von ihm übrig sind, darunter fünf epische Gedichte, woran er in „freien Augenblicken" gearbeitet hat. Wir sehe» uns vergeblich unter älteren und neueren Autoren nach Beispielen einer ähnliche» extensiven Fruchtbarkeit um. Am nächsten, doch immer »och in ungeheurem Abstande, kommt viel leicht Walter Scott. Die neueste, von Murnav angekündigte voll ständige Ausgabe feiner Werke wird 90 Lände in kl. Oktav betrage». Davon sind 21 ihrem theils poetischen, theils prosaischen Inhalte nach älter als das Jahr 1814; hingegen die Romane, welche 48 Bände, und die historisch-biographischen Schriften, welche 21 Bände fülle», sind sämmtlich in de» 17 Jahren 1814 — 1831 entstanden; das giebt auf je drei Monate einen Oklavband. Man sollte denken, die Zeil hätte kaum zum bloßr» Niederschrcibcn hingcreichi. Dabei war Scott gleich falls durch mancherlei anderweitige Geschäfte von seinem literarischen Be rus abgezogen und führte ein gastliches, vielgefcllige« Lebe», welches manche Stunde und manchen Tag in Anspruch nahm. — Der Leser verzeibc uns die Abschweifung. Wir wissen, da« Genie läßt sich nicht »ach der Elle oder »ach der Ubr messen. ES war einmal in Gegenwart de« bekannten Capilain Basil Hall davon die Rede, wie erstaunlich viel Scott täglich schreibe. „Das ist nicht gar so wunderbar", bemerkte unser literarischer Argonaut; „ich bringe, wenn ich just will, täglich vor dem Frühstück eben so viel zu Stande." Einrr au« der Gesellschaft war unhöflich genug, zu fragen: „Ob aber die Qualität dieselbe seyn mag?" Da« ist der Punkt, worauf es ankommt, uud in diesem Be tracht verliert hie Erscheinung Lope de Vcga's viel von ihrem Außer ordentliche». Von seine» uiizähligcn Dramen finden die allerwenigsten heute noch Leser, kaum zwei haben sich auf der Bühne erhalte». Man kennt die Italiänischcii Improvisatoren, die, von der Geschmeidigkeit und dem Woblklang ihrer Landessvrache und von dem Reichthume derselben a» vokalische», in Reime «»«tönenden Endungen unterstützt, die flüchtigen Eingebungen ihrer Phantasie augenblicklich in Verse entkleide» und Vor trägen. Ein solcher Improvisator war.Lope de Vega, und die Castilische Spracht giebt sich zu solcher Handhabung noch leichter als selbst, die Ztaliänische her. Auf solchem Wege wußten seine Dichtungen höchst nachlässig und fehlerhaft gerathen, aber ihre unglaublich rasche Auf- eiuandcrsvlge ließ da- Publikum gar nicht zur Besinnung kommen, und jede- neue Stück überraschte die Zuschauer durch eine Erfindung, spannte sic durch eine Jutriguc ganz neuer Art und bezauberte durch den leichten, raschen, lcbcndiz sprühenden Dialog. Mil einem Wort, Lope de Vega Halle das Spanische Publikum ganz und gar in Beschlag ge nommen, er war, wie Cervantes sich ausdrückt, „Alleinherrscher der Bühne". Aber nicht bloß die Ebre, auch der goldene Dank wurde ihm rcichlichcr zu Theil, als je vielleicht dem Lieblings-Dichter ei»e« Volke«. Lope ging äußerst sorglos mit dem Gelbe um und brachte es doch zu einem Vermögen vou 100,000 Dukaten, was so viel sagen will, als bei uns 7 — 800,000 Dollar. Nun wohl, in einer Straße'mit diesem ver zogene» Glückskind — denn Lope de Vega, von den Große» und dem Volke um die Wette geliebkost und bereichert, beklagte sich »och, daß man sein Verdienst nicht genug anerkenne — >» derselben Straße wohnte Cerva»««, im Kampfe iuil Dürftigkeit und Widerwärtigkeiten aller Art, und erwarb sich mit der Feder, welche für die Unsterblichkeit schrieb, mühsam seinen Unterhalt. Welcher Kontrast! und wie richtet die Nachwrlt so ganz ander«, als die Mitwelt' Love de Vega, dessen Name damals ganz Spanien erfüllte, ist jetzt bei seinen eigenen Lands leuten mißachtet und vergessrn; der Rubin de« Cervantes ist mit der Zeil erstarkt, — er ist »n» für alle Zeilen der Slolz Spanien-, und seine Werke erfreuen die ganze gebildete Welt. Indeß hat Cervantes sich schon bei Lebzeiten einer gerechten An erkennung und eine« bi« i» fremde Länder verbreiteten Ruhme« erfreut. Al« eines Tage« der Erzbischof von Toledo einen Besuch bei dem Frau- zöstschen Gesandten zu Madrid abstattcle, kam zwischen den Begleitern de« Erzbischofs und de» Französische» Herren da« Gespräch aus Cer vantes. Die Lrtzieren sprachen in Ausdrücke» der Bewunderung »»d be» Enlzücken- über die Galatea, den Lon Quixote und die Novellen