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560 Jahres, als Mitglied des Instituts und Professor am Konservatorium, im TLstcn Jahre seines AlierS mit Tode abging, theilt einer seiner Kuustgenossc», H. Berlioz, in Französischen Blättern einige artistische Notizen mit, aus denen wir dasjenige hervorheben, was nicht schon in dem von vr. Schilling rcdigirlen Universa!-Lexikon der Tonkunst zu finden ist: „Lesueur halte sich anfangs nur mit Kirchen-Kompositionen be schäftigt; als er aber die Werke des Ritter Gluck näher kennen lernte und die Bewunderung sah, welche dieselben in Paris erregten, da ergriff ihn die Lust, sich auch in der dramatischen Sphäre zu versuchen, und er komponirte, 3V Jahr alt, 1793 seine Oper: „Die Höhle", durch welche er seinen Rus zuerst degiiincele. Die Oper machte außerordent liches Glück; sie wurde zu Paris in silnfviertel Jahren Uber hundert mal gegeben und ging auf alle Provinzial-Theater über, aus denen sie noch jetzt aufgcführt wird. Ein Jahr später erschien die Oper „Paul und Virginie", die aber nicht solchen Beifall sand. Es hat sich von ihr nur der Introduktion« - Chor: „Divin mrjeil" erhalten, den man bis zum Jahre 1830 häufig in öffentlichen Konzerten in den Tuilenecn Hörle, — ein herrliches Tonstück, dem wir nichlS Aehnliches von irgend einem anderen Komponisten an die Seile zu stellen wüßlen, so sehr verschieden find die darin angewandlen Effeklmillel von denen, die man bei Anderen findet. Im „Telemach" wollte Lesueur den melodischen und rhythmischen Styl der alten Griechen nachahmen und auf diese Weise ein gelehrtes Mustkproblem lösen, dessen Schwierigkeit er allein zu würdigen wußte; auch verdankte die Oper ihre günstige Ausnahme nicht der Lösung diese« Problem«, sondern nur dem allgemeinen inneren Werth vieler seüriger und höchst origineller Musikstücke. Im Jahre 1804 wurden in der Kaiserlichen musikalischen Akademie Lesueur'S „Varden" ausgeführl, und dieses großartige Werk machte fast noch mehr Aufsehen, als eilf Jahre früher die Oavorne. Die cigen- ihümlichrn Melodicen und das antike Kolorit der Harmonie wnren hier von außerordentlicher Wirkung. Erhabener und treffender konnte die Osstanische Poesie durch die Musik nicht wicdcrgcgeben werden. Napo leon'« Vorliebe für die Gesänge Ossian'« ist bekannt; der Tondichter, der ihnen ein neues Leben verliehen hatte, konnte daher seiner Auf merksamkeit nicht entgehen; bei einer der ersten Vorstellungen ließ der entzückte Kaiser ihn nach dem dritten Akt in seine Loge rufen und sagte zu ihm: „„Eine solche Musik habe ich noch nie gehört; der zweite Akt namentlich ist unerreichbar."" Tief bewegt von dieser An erkennung und von dem Beifallssturm, der von allen Seilen ausbrach, wollte Lesueur sich zurückziehen; da nahm ihn Napoleon bei der Hand, führte ihn vorn an die Brüstung der Loge und trat an seine Seite, indem er sagte: „„Nein, nein, bleiben Sie, lieber Lesueur; genießen Sie Ihren Triumph; dergleichen kömmt nicht ost vor."" Die religiöse lyrische"Tragödie „der Tod Adam's" erlebte dagegen nur wenig Vorstellungen. Die vielen erhabenen Schönheiten dieser Komposition konnten den Mangel an Handlung und die traurige Mo notonie de« Gedichts nicht aufwiegen. In musikalischer Hinsicht aber setzte Lesueur diese« Werk über alle seine anderen Tondichtungen. Der Charakter Kain« ist auch in der That eine der großartigsten Erfindun gen in der dramatischen Musik. In einer Arie desselben sind die Ge wissensbisse, die Verzweislnng und die Wulh des Mörders aus« erha benste gemalt. Lcsueur's letztes Werk, „Alexander zu Babylon", eine große Oper in drei Akten, ist nicht aufgesührt worden. Es wurden daraus nur einige orienlalisch prächtig gehaltene Chöre öffentlich be kannt, denen der Komponist Lateinische Worte unterlegte, um sie bei der Eröffnung der Kammern im Jahre 1828 in Notre-Dame exekutircn zu lassen. Messen, Oratorien, Motetten und andere Kirchen-Compositioncn hat Lesueur in Menge geliefert. Unter diesen zeichnen sich besonder« „Nacmi" und „Ruth und BoaS" durch ihre naive pastorale Haltung au«; die patriarchalischen Sitten konnlcn nicht anmnlhigcr ansgcdrückt werden. In den letzten Jahren erschienen noch die Oratorien „Rahel" und „Deborah", die Kirchenmusik, welche bei der Krönung Karl s X. zn Rheim« antgeführl wurde, ein Tedcum und mehrere Messen. Ein Werk Lesueur'S, der auch als Schriftsteller auflrat, ist noch gar nicht bekannt, seine ,'allgemeine Geschichte der Musik", die sich in seinem Nachlaß befindet, und woran er dreißig Jahre gearbeitet hat. Man kann sich keinen Begriff davon machen, welche Mühe er. c« sich kosten ließ, um so genau, als möglich zu ermitteln, wie e« mit der Musik bei den allen Griechen, bei den Hebräern und bei de» Aegypiern stand. Das Ergeb,liß so scharfsinniger Untersuchungen wird gewiß bei Gelehrten und Künstlern das größte Interesse erregen. Viele Vor- urtheile werde» verschwinden, sobald diese« Buch erscheint; viele allge mein angenommene „„d für Wahrheit geltende Meinungen werden von Grund aus erschüttert werden. Die Notenzeichen der Griechen kannte man scheu vor ibm; Niemand wird ihm also die Möglichkeit abstreiten wollen, Bruchstücke ihrer Musik in unsere jetzigen Nolcn umzuschreiben. Aus diesen Bruchstücken nun, deren er eine große Menge gesammelt bat, beweist er unwiderleglich, daß in der antike» Mnstk Akkorde Vor kommen. Ich habe mit ihm nach seinem Manuskript eine zweistimmige Sapphosche Ode von schöner Melodie gesungen; ich habe ferner bei ihm verschiedene antike Vokalstücke gesehen, die von mehrere» Instrumenten begleitet waren, deren Akkorde zwar nur au« Konsonanzen und einigen diffonirenden Hemmungen bestanden, die aber dennoch eine sehr reine und ziemlich reiche harmonische Verbindung bildeten. Von so wohlwollendem Charakter Lesueur auch war, so hatte er doch einige bittere Feinde, unter denen besonder« Mebus hervorragte, der zweimal einen unglücklichen Versuch gemacht hatte, mit ihm zu welt- eisern. Dessenungeachtet schätzte und bewunderte Lesueur die Meisterwerke seine« Nebenbuhler«, besonders dessen „Luphrosync" und „Slratonicc". Mozart galt ihm al« der Erste aller Tonkünfiler, und Gluck erschien ihm größer al« die Musik selbst. Für Weber empfand cr wenig Sym pathie, doch nahm cr denselben sehr zuvorkommend auf, als dieser ihn bei seiner Durchreise durch Paris im Jahre 1826 besuchte. Was Beet hoven anbclangt, so fürchtete er ihn wie den Antichrist dec Kunst. Zwar konnte cr bci seiner Gerechtigkeit und bei seinem musikalischen und poetischen Sinn einen solchen Genius nicht verkennen, aber er sah von dieser Seile her gewisse Ideen hereindäwmern, die er nichl zulaffen wollle, und es schmerzte ihn, daß er dieselben nichtsdestoweniger so um sich greifen sehen mußte. Da ich ihn einst dringend bat, mit mir nach dem Konservatorium zu kommen, um Beethovens O-inoll-Symphonie zu hören, gab er nach. Dieses Meisterwerk, von dem er keine Ahnung halte, erschütterte ihn furchtbar, so daß er noch eine Stunde darauf zitterte. Aber dessenungeachtet bedauerte er einige Monate später das Streben der neueren Generation, dem Riesen der Symphonie nachzu- eifern. Lesueur'S Styl gleicht kaum einem anderen, am meisten noch dem Style Pacsiello'S und Hasse'«; auch mit Sacchini hat er einige Verwandtschaft. Im Ganzen aber, in der harmonischen und melodischen Erfindung und in dem cigenlbllmlichen Charakter seiner Ideen, war Lesueur unbestreitbar ein eben so origineller als geistreicher und gelehr ter Komponist." Bibliographie. Lssai «ar Io sievelopzr. moral ot intrll. siu 8ourä-muet, avant qu'il ait acczuis la crmna!88anco sie I'öcrituro. — Bon Th. Perrin. Lyon. Uail« mobile«, na chemina sie ier mouvan«, sie Iloene äVrormIci. 4. Xvenlure« sie Vaz-aze. Pabieaux, recit« et «ouvenir« siu Levant. — Bon A. Royer. 2 Bde. Oommcnlaire 8ur I'epitre sie l'apütre ?aal aux 6alate8, «uivr si un ermai sie zsiiiloaoxilne sie I'bistoire sie I'Iiumanite si'aprö» , 8t. ?aul. — Bon P. A. Sardinoux. Valence. Liemen« si'hmtoiro naturelle, sian« »ne 8uite sie talsieaux «zmoziligue«, sccomzaagne« sie llgure«. — Von C. Sauccrolte. Llironiczne« sie« T'uilerie« et siu LuxembourA. ph^aialoAie sie« eours mosierne«. — Von Touchard-Lafosse. Thl. I u. 2. bi, Fr. Umtniro siu nape LreLoire VII. — Bon Voigt, übersetzt von Jager. 2 Bdc. 12 Fr. Mannigfaltiges. — Belgische National - Literatur. Endlich scheinen die Belgier einen Wcg aufgefunden zu haben, auf dem sie zu eigenen Lei stungen in der Literatur gelangen könne». An Versuchen Hal cs seit vielen Jahren nicht gefehlt, doch jede rein literarische Zeilschrist mit Belgischen Original-Bcilrägen ging bald wieder ei», und an den Schrif ten der einheimischen Autoren wurde so viel Schaden gemacht, daß dio Brüsseler, Lütticher und andere Belgische Verleger, wie einst dcr Edle von Trallner in Wien, sich bald daraus beschränkten, nur Gedrucktes zu drucken. Allerdings war das, was hier nur al« Wirkung erscheint, die eigentliche Ursache de« Uebel«. Dcr Nachdruck wird allezeit dcr Krebsschaden bleiben, an dem die National-Lileraluren Belgiens, der Schweiz, Nord-Amerika'« und aller'derjenigen Länder leiden werden, wo man die gebildete Sprache eines anderen Volkes redet, dessen Werke man nur nachzudrucken braucht, um jedes Bedürfnis geistiger Art leich ter und wohlfeiler zu befriedigen, al« e« da geschehen kann, wo man rine eigene Literatur besitzt. Indessen trat in Belgien noch ein anderer Umstand hinzu, der sogar solche vereinzelte Erscheinungen nichl auskom- mcn ließ, die au« dem Nalionalleben selbst hervorgeben, — die Nach ahmungssucht nämlich, die diesem Lande in Bezug auf alle« Franzöflschc apklcbt. Wo irgend ein Schriftsteller in Versen oder in Prosa austtat, knüpfte er nicht bloß an Französische Beispiele an, sondern Pari« und die Pariser Gesellschaft waren auch immer die Mittelpunkte, um die alle Dar stellungen sich bewegten. Natürlich aber blieb die Kopie immer weit hinter dem Originale zurück, und am Ende schlief die Nachabmerei vor lauter einschläfernden Erzeugnissen selbst ein. Hinter dieses Geheimniß ist man nun seit kurzem in Belgien gekommen, und wo jetzt einheimische Eclehrie mit einer Schrift auflrcten, behandelt sie immer Belgische Ge schichte, Belgische Natur und Belgische Charaktere. An der Spitze dieser freilich nicht sehr zahlreichen Männer steht Herr Luetelet, dcr in Brüssel schon mehrere Institute wissenschaftlicher Art bervorgcrusen bat und dessen Leistungen namentlich auf dem Gebiete der Geographie und Statistik denen der geachtelsten Schriftsteller anderer Länder sich an- reibcn dürfen. Demnächst nennen wir Herrn von Reiffenberg, dessen Quellenforschungen freilich vor einiger Zeit etwa« verdächtig gemacht worden. Indessen sind seine historischen Darstellungen de« Mittelalter«, abgesehen von dem Quellen-Studium, nicht ohne eigenen positiven Werth. Mehrere Abhandlungen dieser Art waren i» der lievue IZolgo abgedrnckt, einer seil kurzem entstandenen Zeitschrift, die überhaupt alle Talente, welche die Nochwendigkrit der Bearbeitung einheimischer Gegenstände erkannten, um sich versammelt hat. Es gehören dazu noch vornehmlich die Herren van Hülst, der sich das biographisch-kritische Fach erwählt Hal, Polain, der die Geschichten de« Bistbum« Lüttich bearbeitet, Wensienraad, Grandgagnagc, Ticlcman«, Faidcr, van der Vuylcn und Altmeyer, welcher Letztere eine nicht uninteressante Ge schichte dcr Dcutschcn Hanse in ihre» Beziehungen zu Belgien geliefert hat. Fahren die Belgier so fort, ihren eigener, Boden und ihrc Geschichte gründlich zu bearbeite», so wird dies gewiß, trotz der an scheinenden Absonderung von den Centralpunkleir Europäischer Literatur- Tbätigkeit, doch der beste Weg sepn, um sich auch anderen Ländern bekannt und interessant zu machen. Herau-gegeben von dcr Redaktion der Nllg. Preuß. Staals-Zeitung. Redigirt von I, Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.