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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Priinumcrntions- Prcis 22^ Szr. (- Z^.) vierteljährlich, 3 Tblr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. M a g a z i n für die Man pränmnrrirt auf dieser Beiblatt der ALg. Pr.StaatS- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Ausland« bei den MobllSbl. Post - Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 137. Berlin, Mittwoch den 15. November 1837. Holland. Holländer und Deutsche. Die Holländer wollen leine Deutsche ftp». ES ist dies freilich «ine langst bekannte Sache; indessen wiederholen sie'S jetzt ausdrücklich, nachdem seit kurzem mancherlei kommerzieller und politischer Anlaß die Frage, ob Holland sich wohl an die Deutschen enger «»schließen soll, mehr in Anregung gebracht hat. Zn Deutschland, und zwar selbst an den Gränzen Hollands, ist an die Dculschheit der Holländer niemals «rustlich gedacht worden. Zhr Idiom steht unserer Sprache zwar viel näher, als etwa der an Kehllauten reiche Dialekt einiger Schweizer Kantone oder das Angelsächsische der Ostfriestschcn Landleute, und die Holländer selbst nennen darum auch sich und ihre Sprache iXeäer- äultseli"); gleichwohl aber sind Sitten und Gewohnheiten der Bata- vischen Wafferländer von jeher so verschieden von denen in Deutschland gewesen, daß eine Scheidung nicht erst durch die politischen Ereignisse hcrbeigefnhrt zu werden brauchte: die Natur selbst hatte dafür gesorgt. Da indessen unsere Zeit einmal das Eigenthümliche hat, daß sie das Eckige und Abstoßende der Nationalitäten immer mehr auSzugleichen sucht, so sind auch hier und dort Versuche gemacht worden, Deutsche und Hollander auf ihre nahe Verwandtschaft hinzuweisen und ihnen das Interesse einer gegenseitige» Annäherung als recht dringend dar zustellen. Namentlich hat ein in den Berliner „Zahrbüchern für wissenschaft liche Kritii" (1837 Nr. 36) erschienener Aufsatz des Herrn Professor Leo in Halle, ursprünglich über sieben akademische Abhandlungen der historisch-politischen Schule in Lehden, zunächst jedoch über die Isoli- rung Hollands von dem stammverwandten Deutschland, bei unseren Nachbarn großes Aussehen gemacht. Es sind dadurch im llourrml sie 1a liaz-e einige Gegenbemerkungen hervorgerufen worden, die wir, weil sie das Verhältnis; der beiden Nationen, wie es jetzt in Holland auf gefaßt wird, auf treffende Weise darlegeu, einer Ucberlragung nicht un- werlh halten. Seltsam erscheint cs freilich, daß in einer Sache, bei ter nur Deutsche und „Niederdeutsche" bethejiigl sind, gerade ein Fran zösisches Blatt zum Organ gemacht worden; wir wollen jedoch in diesem Falle nicht die gewöhnliche Vorliebe der Holländer für Französische Sprachformen, sonder» nur die Meinung voraussetzcn, daß das.lournal ä« la Ilaz-o in Deutschland mehr gelesen seh, als die in Holländischer Sprache erscheinenden Blätter. Zunächst wird von unserem Holländer aus den Vorwurs geantwor tet, den Herr Leo den vereinigten Provinzen darüber macht) daß sie sich im sechzehnten Jahrhundert sowohl politisch als literarisch von Deutschland getrennt. Herr Leo, heißt cs bci dieser Gelegenheit, habe zwar richtig erkannt, was Holland damals gewesen, aber dabei ganz außer Acht gelassen, in weicher Lage sich sein Deutsches Vaterland zu jener Zeit besunden. „Herr Leo selbst", so fährt sein Gegner fort, „giebt zu, daß die Niederländer im 16ten, 17len und 18lcn Jahrhundert Herrliches gebaut, gemalt, gedichtet, geredet und sonst noch dargcstellt haben; wie stand cs nun damals um Wissenschaft und Kunst in Deutschland? Der Verfasser vergißt, daß in dieser Beziehung gar nichts vorhanden war, was uns an die Deutschen fesseln oder ihnen wieder zuführcn konnte."") „Herr Leo frage sich nur selbst, welches noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Geist war, der in Deutschland über Wissen schaft und Kunst verbreitet war, und er sage uns dann, ob wir wohl davon irgend einen Nutzen hätten ziehen können?"") Die Dämme rung, die seit Thomasius am Horizont auflauchle und sich kaum in den Tag zu verwandelt, anfing, war doch wohl kein Licht, dessen Holland In England werden mit dem Worte Deutsch (vuwd) ausschließlich die Holländer bezeichnet, während die Deutschen selbst mit ihrer Römischen Benennung skor,»»».,) vorlieb nehmen müllen. vergißt aber unser Hollander wieder, daß gerade derjenige qroße Gedanke, der sein Vaterland vom Svann-Ven Joche loSriß und die Niederdeutschen zu einer selbstständigen Nation machte, von Deutschland auS- gegangen war, wo er, eben so wie seinen Heerd, auch seine kräftigste Stutze hatte. Ohne die Ktrchen-Refvrmation, ohne LutheMS und Melanck- thon'S großes Werk, Ware auch Holland mit den Belgischen Provinzen ver einigt geblieben. Allerdings überstrahlten Männer, wie EraSmus, Hugo de Groot u. A. ihr Zeitalter; aber wer kennt und erkennt nicht auch in ihnen den Einfluß Deutschir GcisteS-Richtung, wie sie in Luther so entschieden lick auSsvrach? Und waren nicht auch die Sranier, dieses TageSgcstirn in oer Spanischen Nackt, ein Deutsches Furstengeschleckt? Gerade in der Mitte des vorigen Jahrhunderts lebte und lehrte Christian Wölfin Halle. Wir glauben, daß sich auch die Holländer seiner nicht hätten zu schämen brauchen. Bor ihm aber schon Halle Leibnitz, der Deutsche Leibnik, gelebt — und „WaS Ein Mann kann wcrth se»n, habt Ihr wohl erfahre»." zu seiner Erleuchtung bedurfte? Oder bätte uns vielleicht Herr Leo gern zu Gottsched m die Schule geschickt?" „Möge sich doch Herr Leo die Wahrheit nicht verhehlen. Unter den neueren Nationen hat die Deutsche langsamer und später als wir und andere Völker Europa'S ihren Rang eingenommen. Bis zu den letzten dreißig Jahren des I8ten Jahrhunderts waren wir den Deulschen ui Allem, was Sprache, Geschichte, Wissenschaft und Poesie betrifft, vorangeeilt. Bis zu diesem Augenblicke konnten wir uns ihnen nicht «»schließen, ohne cincn Rückschritt zu lhun. Wir wogten schon stit langer Zeit auf offenem Meere, als die Deutschen noch an der Küste wir tomrären Winden zu kämpfen hatten." „Seitdem haben Deutsche Sprache und Literatur allerdings einen wunderbaren Aufschwung genommen, und das wissenschaftlich gebildete Deutschland hat alle andere Länder eingcbolt. Seitdem sind wir dage gen zurückgeblieben. Wir mögen uns hier nicht zu unserer Entschuldi gung auf politische und sonstige Umstände berufen, die darauf eingc- wirkt — genug, wir blieben zurück, und das war unrecht. Ja, wir muffe» sogar zugeben, daß wir von den Vorwürfen, die uns Herr Leo bci dieser Gelegenheit macht, manche verdient haben. In gewissem Sinne, wenn auch nicht in so allgemeinem Verstände, wie es dieser Autor zu glauben scheint, haben wir von unserem Kapital und von unserem allen Ruhme gelebt. Wir lassen durch die Beispiele des klassi schen Allerthums, durch die Formen der Englischen Literatur, besonders aber der Französischen von ehemals, durch unsere eigene Vergangenheit und endlich durch Vorurtheilc die Entwickelung unserer ursprünglichen Kräfte aufhaltcn. Die Mittelmäßigkeit nimmt einen großen Platz bci uns ein. Man liest hier Bücher mit vieler Erbauung, die anderwärts nur die Wirkung haben würden, daß Jedermann von der kompletten Unfähigkeit ihrer'Verfasser sich überzeugte. Persönliche Rücksichten und Kleinigkeitskrämerei aller Art sind einer gesunden Kritik im Wege. Viele Namen ohne irgend einen wirklichen Werth haben Cours bei uns, bloß weil sie gedruckt sind. In Holland kann cs sich zutragen, daß ein Mann, der sein ganzes Leben hindurch für einen achttmgswcrlhen Ge lehrten gilt, vom Schauplatze dieser Welt abtrilt, ohne jemals etwas für die Wissenschaft gcthan oder auch nur eine eigene Idee gehabt -zu haben. Statt für die Zukunft zu bauen, beschränken wir uns in der Regel darauf, einen übertriebenen Werlb aus dasjenige zu legen, was früher gebaut worden und seine Zeit gehabt bat. Wir wählen uns Muster aus älteren Werken, statt sie durch eigene Arbeit zu liefern. Nur theilwcise haben wir uns mit dem neuen geistigen Leben des be nachbarten Deutschland in Verbindung gesetzt." „Es ist endlich Zeit, daß wir nicht mcbr bloß unsere Vorfahren für uns rede» lassen, und daß wir unseren Platz in dec neue» Weit einnehmen! Wir sehen ein, daß wir jetzt mehr, als es bisher geschehen, versuchen müssen, mit Deutschland gleichen Schritt zu halten. Aber folgt daraus, daß wir ihm nur die'Hand zu reichen haben und uns von ihm leiten lassen? Wäre uns keine andere Aufgabe vorbchalicn, als Variationen auf Deutsche Themata zu liefern? Weil wir eine Zeit lang siillgestanden, soll darum unsere Laufbahn ganz beendigt scvn?" „Wir sind Holländer und keine Deutsche. Wir erkennen darum nicht weniger, und sogar mit Stolz, unsere moralische Verwandt schaft mit diesen. Wir bilden ein Glied des Germanischen Europa, ohne aber darum aufzuhörcn, wir selbst zu ftvn; ein Glied, dessen Functionen sich nicht bloß darauf beschränken, den Impuls zu cmpsan- gen, sondern das diesen auch seinerseits erthcili; ein Organ, auf welches viele fremde Elemente in anderer Weise als aus Deutschland einwirkcn. Wir nehmen einen Platz in der Mille zwischen Deulschland und Eng land ein. Wir erblicken in Deutschland eine abstrakte, subjektive, spekulative Thätigkeit, die sich selbst genügen und ihre Befriedigung in der von ihr geschaffenen Welt finden kann. Holland dagegen be findet sich stets, vermöge seiner physischen, moralischen und politischen Organisation, direkt oder indirekt unter dem Einflüsse der sinnlichen, äußeren und objektiven Welt, der Gesellschaft endlich und der PrariS." „Unsere Ausgabe bleibt, eben so wie cs mit unscrcr politischen Un abhängigkeit der Fall ist, auch für Wissenschaften und Künste das Ecnie, gleichviel in welchem Grade es uns vom Himmel verliehen worden, autonomisch zu entwickeln. Es giebt kein Land, mit welchem wir in polilnchcm Sinne eine größere Gemeinschaft der Interessen hätten, als mit Deulschland. Folgt aber daraus, daß wir mchts Besseres zu lbun baden, als uns in den Deulschen Körper einvcrleiben zu lassen, oder ein Mitglied des Deutschen Bundes zu werden? Gerade das Gegcn- tbeil ist das Richtige. Unabhängig und an der Seite von Deutschland können wir mit ihm im Vereine und in seinem Interesse wirken; aber wir können uns ihm nicht unlcrordnen, ohne die Macht und die Slcl-