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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration?- Preis 22 j Sgr. (- Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, m allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prinumerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. Staat«. Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 13S. Berlin, Freitag den 10. November 1837. Dänemark. Andersen, nach ik. Marmier. Der Dänische Dichter, dessen Leben ich hier erzählen will, ist einer Von den Menschen, deren Geist von Kindheit an, je Häher er hinanf- strebl, desto härter gegen das Leben zu kämpfen hat, ein Mensch wie Burn« und Hogg, die anfangs vom Schicksal verurthcilt schienen, in tiefer Verborgenheit in einem Dorfe zu leben, bis das Bcwußlsevn ihres höheren literarischen Berufs i» ihnen erwachte und sie wie instinktmäßig trieb, in der Welt der großen Städte aufzutrcten und sich einen an gemesseneren Schauplatz für ihre Geist eslhäligkeil zu suchen. Eines Morgens trat in Kopenhagen ein großer junger Mensch zu mir ins Limmer, an dessen schüchternen, etwas unbeholfenen Manieren eine feine Kokelte nur wenig Wohlgefallen finden mochte, aber dessen liebesu»- kelndrr Blick und dessen offenes, ehrliches Gesicht gleich bei der ersten Bekanntschaft Vertrauen und Svmpalhic einflößlcn: es war Andersen. Ich batte einen Band von seinen Werken auf dem Tische liegen. Die Bekanntschaft war schnell gemacht. Die Poesie ist eine Freimaurerei, deren Jünger von einem Ende ter Welt zum anderen sich verstehe» und nur ein Wort auszusprechen, nur ein Zeichen zu machen brauchen, um zu wissen, daß sic Bruder sind. Nachdem wir eines Abend« mehrere Stunden in jener gemüthlichen Weise verplaudere, wo das Herz sich öffnet und seinen ganzen inneren Sieichlhum ausschültcl, sprach Andersen unter Anderem auch von den Kämpfen und Erfahrungen, die er durch gemacht, und als ich ihn nun bat, mir die Ereignisse feine« Lebens mit- zutheilen, fing er an zu erzählen: „Ich ward im Jahre 1808 zu Odcnsce auf Fünen geboren. Meine Vorfahren waren resch gewesen; aber durch eine lange Reihe von Un- glücksfällcn und falschen Spekulationen verloren sic Alle«, was sic be sessen hatten, und cs blieb ihnen nichts übrig, als das traurige An denken an ihren ehemaligen Wohlstand. Wie ost habe ich meine Großmutter von ihren Aeltcrn in Deutschland und von ihrem reichen Leden daselbst erzählen hören, wobei nicht« schmerzlicher war, als der Kontrast dieser Erinnerungen mit der armen Hülle, in der sie laut wurden. Mein Vater, der noch bei seiner Geburt die Aussicht batte, dereinst ein stattliche« Vermögen zu erben, war genöchigt, in die Lehre zu gehen und Schuhmacher zu werden. Als er sich verheirathete, war er fo arm, daß er sich sein Bett nicht kaufen konnte. Ein reicher Edel mann war so eben gestorben; man hatte seinen Körpcr ans einem Katafalk ausgestellt, und einige Zeit nachher ließen seine Erben Alles, wa« zu dem Leichenbegängniß "gedient hatte, versteigern. Meili Vater nahm die Früchte seiner Ersparnisse zusammen und kaufte einen Theil des Katafalks zum Hochzeilsbelt. Noch erinnere ich mich, jene großen schwarzen Draperieen gesehen zu haben, die schon so alt und abgenutzt und voller Wachsflcckcn waren und wo ich selbst zur Welt kam. Mein Vater trieb sein Gewerbe weiter, da« bald gut, bald schlecht ging, je »ach den verschiedenen Zeiten und der Kundenzahl. Wir lebten in einem höchst gedrückten Zustande, aber wir lebten doch; und des Abend«, wenn die Stunde der Rube gekommen war und meine Muller unser frugales Mahl auf den Tisch fehle, verlebten wir milunlcr noch manche fröhliche Stunde, an die ich nicht ohne Rührung zurückdenke. Als ich so alt war, arbeiten zu können, brachte man mich in eine Fabrik, wo ich den größten Tbeil de« Tage« blieb; die übrige Zeit besuchte ich die Schult, wo ich lesen, schreiben und rechnen lernte. Einer von unseren Nachbarn, der eine besondere Vorliebe zu mir gefaßt, borgte mir einige Bücher, und ich la« mit Begierde alle Komödien, die ich in die Hände bekam, und eine Menge LtbenSbefchreibungen berühmter Männer. Diese Lektüre rief ganz neue Gedanken in mir hervor: ich fing a», über die enge Sphäre des Handwerkstande«, an den ich gebunden »ar, binaus zugehen und mich zu fragen, ob ich nicht auch ein berühmter Mann werden könnte. AI« ich zwölf Jahre alt war, starb mein Vater; ich blieb mit meiner Muller allein, indem ich nach wie vor weiter arbeilele und mich meinen früheren Träumen bingab. Ich hatte eine ausge zeichnet reine und belle Stimme, so daß, wenn ich in der Schule sang, hie Vorübergehenden ost stehen blieben, um mich zu hören. Auch hatte ich wich darin geübt, einige von den schönsten Stellen, die ich in den Komödien fand, herzusazen, und die Nachbarn, die meinen schönen Gesten und Deklamationen zusahcn, versicherten, ich hätte vortreffliche Anlagen zu einem Schauspieler. Ich beschloß, Schauspieler zu werden, und nachdem ich mir durch lange Ersparnisse einen Schatz von IZ Rir- baler (gegen S Thaler) gesammelt, dachte ich sofort an die Abreist. Vergebens stichle meine Muller mich sestzuhallen. Sie balle mir eine vortreffliche Lehrlnigssttlle bei einem Schneider verschafft: in kurzer Zeit, meinte sie, könnte ich mir so viel Lohn verdienen, um davon zu lcbcn; in einigen Jahren würde ich erster Geselle und in der Folge vielleicht gar Meister werden. All' diese lachenden Aussichten konnlen mich nicht bestechen. Ich war vierzehn Jahre alt, ich war allein, ich kannte Nicmanden auf dcr Well, der im Stande gewesen wäre, mich zu unterstützen; aber eine innere Stimme sagte mir, baß ich fort müßte. Ehe meine Muller mir die verlangte Erlaubniß dazu gab, wollte sie noch eine letzte Probe machen. ES befand sich in der Stadt, wo wir lebte», eine alle Frau, die wegen ihrer Zauber künste mehrere Meile» in der Runde berühmt" war. Sie war unsere Sibylle, unsere Meg-Merrilics, und obgleich sie bei den gute» Christen in Odcnsee im Verdacht der Hexerei stand, so nahmen doch alle Leute zu ihr die Zuflucht, und überall sprach man von ihr mit der größten Verehrung; denn sie wußte aus de» Karlen und ver- miltelst gcheimnißvoller Beschwörungen, die man nicbl verstand, die Zukunft zu deuten. Den jungen Mädchen sagte sie, wann sie sich ver- heirathen müßten, und den alten Leuten, wie lange dcr Winlcr dauern und wie die Acrndte aussallcn würde. Meine Mutter ging zu dieser Wahrsagerin und bat sie, ihr die Ehre ihres Besuchs zu geben; nach dem sie ihr meine Lage auseinandergesetzl und sie um Rath gefragt, setzte die Alte ihre Brille auf die Nase, nahm meine linke Hand und betrachlelc sie aufmerksam; dann sprach sic mit feierlicher Stimme, man werde einst, mlr zu Ehren, die Stadl Odcnsee illuminiren. Diese Worlc der Sibplle beruhigten meine Blutter vollkommen; sie gab mir ihren Segen, und ich machte mich auf den Weg. Mit den dreizehn Thalern im Beutel und meinem ganzen Gepäck in einem Taschentuch zog ich in Kopenhagen ein. Ich kehrte sogleich in das erste beste Wirlhsbäu« ein, das ich zu Gesicht bekam, und bei meiner gänz lichen Unerfahrenheit ließ ich mir alles Mögliche gebrn, waS mir einfiel. In wenige» Tagen war ich auSgebeutelt; nur ein Thaler blieb mir noch übrig. Ich ging zu einem Theater-Direktor, der, da er meine Jugend und Einfalt bemerkte, sich nicht erst die Mühe gab, mich auS- zusragen, sondern mich gleich unter dem Vorwande abwies, „ich wäre zu mager für das Theiler." Es war Zeit, für meine Subsistenz zu sorgen, und ich dachte langt darüber nach. Eine« Morgen« erfuhr ich zufällig, daß ein Schneider einen Lehrling suche: ich ging zu ihm hin. Er nahm mich auf die Probe und gab mir Arbeit. Aber kaum Halle ich es einige Stunden ausgchalten, als ich ungemein traurig und nie dergeschlagen wurde. Alle meine Pbantasicen von Künstlcrlcben, welche die Noth für einen Augenblick verscheuch», kehrten eine nach dcr anderen wieder. Ich gab dem Schneider die Nadel zurück und sprang auf die Straße wie ein Gesangcncr, dcr seine Freiheit wicdercrlangt. Doch bald sah ich ein, daß ich mit all diesen Träumereien auch nicht da« kleinste Plätzchen in den Kopenhagener Hotel« bekommen würde, und daß ich also, um ein Unterkommen zu finden, Beschäftigung und Arbeit suchen müßte. Während ich so voller Sorgen über meine Zukunft längs de« Amagertoro spazieren ging, erinnerte ich mich, daß man in Obensee sehr oft ineme Stimme getobt, und daß vielleicht diese Gabe der Natur jetzt mein Glück machen könnte. Alls der Stelle klopfte ich an die Thür unseres berühmten Musik-Professors Siboni. Ich erzählte dec Magd, die mir öffnete, meine ganze Geschichte, und al« diese ihrem Herrn Alles treu wiedcrberichiet, hörte ich von innen lallte« Gelächter. Siboni halte gerade an jenem Tage mehrere Personen bei sich zu Tische, unter anderen auch den Komponisten Wcvse und den Dichter Baggescn. Alle« wollte de» seltsamen Reisenden sehen, der so auf gut Glück in die Welt binauSging; man rief mich herein. Weyse nahm mich bei der Hand, Baggesen klopfte mir lachend auf die Wange und nannte mich eine» kleine,i Abenteurer. Siboni beschloß, nachdem cr mich singen gehört, mich Musik zu lehren und mich in die Oper aufnehmen zu lassen. Ich war ganz außer mir vor Entzücke», als ich da« Hau« verließ; meine kühnsten Träume schienen ihrer Verwirklichung nahe, und den anderen Morgen brachte mir Wevse, der bei seinen Freunden eine Kollekte ver anstaltet, 70 Thaler. Er ezab mir den Rath, hübsch fleißig zu sevn und mir eine Wohnung bei einer anständigen Familie zu suchen: die« lhat ich und kam bei meiner Unschuld zu einer von den Frauen, die in Victor Hugo « „Vrivre z>aur tau»" Vorkommen, einer von jenen lockeren Dirnen Hui vonstent le cioux nom el'amour. Lange blieb ich nicht in diesem Hause. Eine« Tage« verlor ich meine Stimme und mit ihr alle meine Hoffnungen. Siboni meinte, ich sollte nach Odense« zurückkebreii, während ich bleiben und Schauspieler wer den wollte. Ich ließ mich in die Tanzschule de« Theaters ausnehme» und figurirle in mehrere» Ballets. Ich spielte meine Rolle sehr unzc«