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WocheuUich «ciweinen drei Nummern. Pränumcrations- PrelS 22j Sxr. lz Lblr.) vicrteiiährlich, 3 Tblr. für da» ganze Jahr, ohne Er- bShung, in allen Tbeilen der PrenSischen Monarchie. Magazin für die Man pränumeriet auf dies.'« Beifall der Illg. Pr. Staars- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mehren Llrase Nr. 34); in der Provinz jo wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 132. Berlin, Freitag den 3. November 1837. Frankreich. Slndentculebcn in einer Französischen Provinzialsiadt. Die Schuljahre am Evmnasiuiu zu Sorröze waren beendet, und Eduard Reynier besuchlc seinen Oheim, der auf einem Landgule bei Avignon lebte, um bei ibm die Fellen zuznbringcn. Seit dem glück« lichcn Tage, wo er dem Gymnasium für immer Lebewohl gesagt, hatte er sich ganz den ländlichen Vergnügungen bingegeben, ohne sich irgend um die Zukunft zu kümmern; eines Tages jedoch nahm ibn der Oheim bei Seile und sprach: „Es sind jetzl bereits drei volle Monate, mein lieber Eduard, daß Du Dich hier zersircust und jagst und das lustige Leben eines Landjunkcr« führst; das ist nun zwar recht schon, denn die Ferien sind dazu bestimmt, und ich habe Dich in Deinen Erholungen nicht stören wollen; jedoch nähern wir uns der Mille November, und es ist wohl Zeit, auch an ernste Linge zu denken. Du weißt, daß Lu nicht hinlängliche Mittel besitzest, um von den Ziilscn Deines Kapitals lebe» zu können; ja, Lein geringes Vermögen, bas ich als Vormund nach bester Einsicht verwaltet und worüber ich Dir genaue Rechnung ablcgen werde, möchte wohl nicht einmal ausrcichen, um davon bei einem müßigen Leben selbst nur in unserem schlichten Lorke zu vcgc- tircn. Lu mußt also einen Stand wählen und zu diesem Behuf Deine Studien an der Rcchisschule zu Aiy oder an der medizinischen Schule zu Montpellier sorlsetzcn, da die Mccizin und der Gerichtshof die beiden einzigen Earrimen sind, die einem jungen Maune, der nur aus sich angewiesen ist, offen stehen. Ich lasse Dir vollkommen freie Wahl; doch drängt die Zeit, da übermorgen der fünfzehnte November ist, d. h. der äußerste Jmmatriculalious-Termin der Hochschulen. Fasse daher einen raschen "Entschluß und mache Dich reiseserlig; denn morgen bk« ziehst Du Dich nach Avignon, und von dort, ganz wie es Dir beliebt, entweder nach Aix oder nach Montpellier." Am folgende» Tage ging Eduard sorglos und unentschlossen in den Straßen Avignon's umher, denn noch wußte er nicht, ob er ein Schüler der Themis oder des Aeskulap werden sollte. Er Halle zwar einen ehemaligen, einige Jahre alleren Schulkameraden, Namens Laurent, getroffen; jedoch war Laurent zurückballend und nicht Willens, die Veraittworllichkeit eines RalheS zu übernehmen. „Wenn Du keine» bestimmte» Berus in Dir fühlst", sagte er, „so überlasse die Entschei dung dem Zusalle; die Aussichten sind aus beiden Seilen gleich, und beide Wege können Dich zu Ehre und Reichlhum führen. Jedenfalls aber hast Lu die drei schönsten Jahre Deines Lebens vor Dir; denn glaube mir, lieber Eduard, man deukl seiner Studrmcnzeit steis mit großem Vergnügen." — „Das Nämliche sagte man mir in Betreff der Schuljahre", crwiedene Eduard, „und gleichwohl denke ich derselbe» eben nicht mit sonderlichem Vergnügen." „Das ist ein himmelweiter Unterschied! Denn auf der Schule ist man ja ein Sklave, zwischen vier Mauern eingesperrl, und muß die Nase immer in die Bücher stecken; aber als Student bist Du frei und genießest zu gleicher Zeit dir beiden größten Güler des Lebens, nämlich Unabhängigkeit und Jugend. Die Well dielet Dir alle ihre angenehmen Seilen dar, ohne dafür irgend eine Gegenforderung an Dich zu machen; Du wirst vermöge Deines Aller« und Deines Standes der Vonheile der Gesellschaft theilhast, ohne ihre Lasten zu tragen, und bist mit einem Wort Mann den Vergnügungen nach und Schüler in den Pflichten. Einst wirst Lu Dich i» diese Zeit zurücksehne», wie ich c« schon heute thue, denn ich habe jetzt meine juristischen Studien absol- virl und bin im Begriff, mir ein Notariat zu kaufen; mit den Ge schäften sind die Sorgen aber auch schon da! Warum bi» ich doch nicht mehr Student in Aijk! Wem: Du dorthin gehst, so findest Lu daselbst unseren Freund Grambois, ter Dir mit seinem Rath beistkhen wird; gehst Du nach Montpellier, so wird Mignardct Dich in den blühenden Pfaden der medizinischen Schule leiten." Als Eduard da« Post-Bürcau betrat, Halle er noch keinen Ein schluß gcfaßl. — „Kann ich für heule Abend noch einen Platz bekom- nien?" — „Wohin?" — „Nach Aix oder Monlpellier—" — „Nach beiden Orten ist noch ein Platz leer." — Eduard wurde verdrießlich und wachte eine unwillige Geberde; er hätte ger» keine Wahl gehabt. „Sie können noch", sagte der Beamte, „den Platz Nr. 6 im inneren Wagen nach Montpellier und Nr. 2 im Kabriolet nach Aix bekommen." Dies löste mit einemmalt die Schwierigkeit und zog den Reisenden au« der Verlegenheit. Zwischen Nr. 6 ini inneren Wage» und Nr. 2 im Kabriolet war nicht lange zu wählen, und Eduard beschloß, Rechte zu studireu. Die Unentschlossenheit de« jungen Musensohns würbe früher geendet haben, und zwar au« einem triftigeren Grunde, hülle er gewußt, welche reizende Rcsiegefäbrlin er in der Diligence finden würde; denn was ist natürlicher, als daß ein junger Mensch von 18 Jahren sich in Betreff seiner Zukunft durch das Vergnügen bestimme» laßt, mit einer jungen Dame von enljückendcr Schönheit, AnmUth und Geist zu reifem Wie oft während der leider gar zu kurzen Stunden dieser Reise wünschte sich Eduard Eiück, die Medizin dec Gcrichlsstubc geopfert zu haben! Als er i» Aix anlangle, war er in Fräulein Aurelie von la Müie sterblich verliebt. Laurent halte Recht, sagle Eduard aus dem Wege »ach Grambois' Wohnung zu sich selbst, Laurent Halle vollkommen Rech,; ich habe da drei herrliche Jahre vor mir. Wie schön ist doch da« Sludenlenlebcn! Wie göttlich war das Lächeln, mil dem sie von mir Abschied nahm! Weich' ein Gedanke, mit ihr in einer Sladt wohnen, sie alle Tage sehe» zu können! Ich begreife gar nicht, wie ich auch nur einen Augenblick habe an Monlpellier denken können; ich habe auch nichl die geringste Neigung, Arzt zu werden. Aber Advokat! das ist etwas ganz Ändere«; der Weg fuhrt hcmzuiage überall bin! „Was!" rief Grambois, als er Eduarff sab, „das ist ja der kleine Reynier au« Sorröze! Bist Lu ciwa auch schon 8lu,ii»8iiu jnri8? Wie doch die jungen Burschen uns cinholen! Nun gut, ich siudire hier, seitdem ich vom Gymnasium abgegangcn bin; Lu kannst Dir da her leicht denken, daß ich das Terrain kenne, und daß Dir Niemand besser als Leiter und Mentor zu dienen vermag " EramboiS war ein bemooste« Haupl; den» da« gewöhnliche stilistische Triennium hatte sich bei ihm nun scho» in ein Sc'plcnnium ausgcdehnl. Und er war nicht der Einzige seiner Art; denn in allen Fakultäten in "Paris »»d den Provinzen findet man dergleichen Säumlinge, dergleichen ewige Sludcnlen, die ihre Studien ins Unendliche verlängern. In Pari« sieht man doch aber wenigsten« einen Grund dafür! denn da« Leben in der Hauptstadt hat für junge Leule allerdings einen großen Reiz; aber in der Provinz und besonder« in Aiy ist die« unbegreiflich. „Ja mein Freund", fuhr Grambvi« fort, „seit sieben Jahren siudire ich die Rechte und eile eben nichl sehr, damil zu Ende zu kommen. Ich habe schon mehrere Studenten-Gencralioiien an mir vor- überziehe» sehen und werde auch Lich vielleicht a» der Hochschule zu Aiz überleben. Stelle Dir deshalb nicht etwa vor, daß die Sladt viele Annehmlichkeiten besitzt und ich hier, wie Rinaldo in den Gärten Armidas, durch unbezwinglichen Zauber sestgeballe» werde; eine solche irrige Vorstellung möchtest Du gar bald verlieren. Aiy hat vielmehr gar nicht« Anziehendes, und wenn ich dennoch hier bleibe, so kommt die« daher, daß ich gewisse Gewohnheiten, aber keine .Kollegin, ange nommen habe. Gewohnheit wird zur zweiten Natur »nd giebt nn« auch eine zweite Heimalh. Ich finde Gefallen an einem Sludenleniedcn ohne Studien; denn cs ist ein Leben, da« keine Sorge und keine Unruhe kennt. Der Wechsel, den ich von Hause beziehe, gewährt mir hier ein bequeme« Auskommen und würde anderswo und in einer anderen Lage nichl ausrcichen. Deswegen also bleibe ich hier, wo ich schon lange bin und ganz nach meinem Gefallen leben kann. Ich mag diesen Zu stand der Behaglichkeit nicht fahren lassen, der sich durch die Zeit gleich sam heraugcbildct Hai. Ich habe meinen Stuhl auf der Sonnimseite de« öffentlichen Spaziergänge« vor dem Kaffeehause: zum Apollo; im .Kaffcchause selbst habe ich meinen besonderen Schrank, um darin mein Billardqueue, meine Pfeife und meinen Code NapolLon cinzuschlicßen; im Theater reservirl man mir meinen eigenen Platz, von wo au« ich Publikum und Bühne beherrsche. Meine lange Sludirzcit verschafft mir ungewöhnliches Ansehen; man befragt mich über Alle« und mtter- wirst alle schwierige Angelegenheiten meiner Entscheidung; bei allen Duellen bin ich unparteiischer Zeuge; mit einem Wort, ich übe über die Studirenden einen sehr großen Einstuß, eine Art Alters-Präsidentschaft aus. Aber auch die Professoren respekliren mich, denn sie kennen meine Macht; und um mich nur loszuwerden, möchten sic mich ger», wenn ich nur wollte, bei allen Eramen ohne irgend eine Einwendung durch- kommcn lassen; aber ich will noch nichl; den» wie gesagl, ich befinde mich hier rcchl wohl... aber genug von mir gesprochen; wir müsse» jctzl an Dich denken und Dir zuvörderst ein Quartier in der besten Gegend verschaffen." „Wäre es nicht vorlheilbast, wenn ich in der Nähe der Nechts- schuic wohnte?" fragte Eduard ganz naiv. „In der Nähe der Rcchisschule? Du beabsichtigst also, sie zu be suchen?.... Glaube aber nur meiner Erfahrung, dec Fleiß kehrt sich nichl an die Entfernung, und die Nechissänile befindet sich in einem gai, abgelegenen Sladltbeil. Außerdem müssen Juristen sich Bewegung machen, und daher wohnen die Justiz-Beamten immer weit vom Ge--