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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration»- Preil 22j Cgr. (r THIr.) vierteljährlich, 3 Thir. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theile« der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man «ränumerirt auf diese« Beiblatt der Allg. Pr. Staati- Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllibl. Post - Aemtern. Literatur des Auslandes. 130. Berlin, Montag den 30. Oktober 1837. England. Ernst Maltravers, von E. 8. Bulmer.") Der Verfasser verwahrt sich in der Vorrede zu diesem neuen Ro man ausdrücklich gegen die Vermuthung, al« bade er bei der Person de« Mallraver« sich selbst auch nur entfernter Weise im Sinne gehabt, ja er weist jede Aehnlichkcit mit seinem Helden entschieden von sich. Die Ablehnung dars un« nicht irre machen. Ist es denn etwa« so Seltenes, daß ein Autor, ohne es zu wissen und zu wollen, in seinen Roman-Personen sich selbst produzirl? Freilich bat Bulwer mehr als zur Genüge dafür gesorgt, daß Niemand sagen kann, er habe sich im Maltravcrs geschildert. Er hat in de» Eharakter, in die Handlungen, in die Lebensgeschichtc desselben so viel Excenttisches, Unzusammcnhän- gendes, so viel Unwahrscheinlichkeiten und Widerspruche gelegt, daß dem Leser der Gedanke gar nicht einkomml, hier könne etwas aus dem Leben gegriffen sehn. Hingegen unterliegt es keinem Zweisel, daß Bulwer sich mit allerhand Gedanken und Sentenzen, mit seiner Art und Weise, die socialen Verhältnisse auszusaffen und zu analvsiren, in der Person des Romanhclden abspiegclt. Wir wissen seit längst, daß der flüchtig ge webte Romanstoff ihm nur als Vehikel dient, um seine didaktischen Tendenzen und den glänzenden Luxus seines Geistes auszubringen. Ernst Maltravrrs ist ei» junger Mann, den alle Umstände bei dem Anttitte seiner Laufbahn begünstigen: er ist von gutem Hause, er besitzt großes Vermögen, er hat Feuer und Genie, er strebt nach dem Edeln; er ist ein beliebter Schriftsteller; er sitzt im Parlament und läßt sich die Vertretung der zurückgesctzleii literarischen Interessen angelegen sehn. Ich dächte doch, hier hätten wir Jemand, der dem Verfasser des Pelham ziemlich ähnlich steht, eine Figur mindesten«, durch deren Mund der Autor recht bequem zu uns sprechen kann. Die Vorzüge und Mängel dieses neuen Roman« dürften sich so ziemlich die Waage hallen; die leytercn liegen mehr in der Anlage des Ganze», die erstere» in der Ausführung einzelner Parlier». Vieles ist unwahrscheinlich, gesucht, bei den Haaren herbeigezogen; viele Schilde rungen und Siluälionen enthalten Wahrheit, aber eine peinliche Wahr heit, die mehr verletzt, al« erbaut, die einschneidet, aber nicht wohlihut. Die Umgebungen, in welchen sich der Held bewegt, sind mit glücklicher Beobachtung nach dem Leben geschildert; es scheint uns aber doch in dem Blicke, womit Bulwer die Dinge ausfaßt, mehr Schärfe al« Treue zu liegen. Welchen Zweck er sich mit diesem Buche vorgesetzt habe, ist un«, wir gestehen es, dunkel geblieben; wir wagen nur eine Ver- wuihung. Er hat vielleicht darthun wollen, wie leicht sich Unreinheit der Gesinnung und Verworfenheit des Thun« mit den glänzendsten Eigenschaften des Geistes, mit der rasfimnestc» Bildung, ja mit einem eingebildeten Streben nach der höchsten Vervollkommnung und mit der lautesten Begeisterung für da« Gute und Schöne verträgt. Wie vielen Leuten begegnet man, die beide« beständig im Munde führen, ohne von dem wahren und heiligen Sinne dieser Worte, vou der ewigen Idee de« Guten und Schönen nur eine Ahnung zu Haden, ohne in ihrem Gemütbe davon berührt zu sehn. Dieser Glaube, der sich so über schwänglich und prahlend verkündet, schützt seine Bekenner vor keinerlei Gebrechlichkeit. ^Das sehe» wir an Ernst Mallraver«, einem der Be gabtesten dieser Sekte; wir sehen, daß die Anbetung de« Ideal« in den Handlungen des Helden so gut wie gar keine Frückte trägt und nur dazu gereicht, sein Leben zu verwirren. Er hat entweder die rechte Liebe oder dir rechte Kraft nicht: er wird ein Spielwerk äußerer An regungen, er sündigt, er bleibt weder sich noch Anderen treu. Das sehen «st; aber ob es wirklich Bulwer « Absicht war, uns das zu zeigen? Schlage» wir das Buch auf. Gleich ,» Anfänge finden wir den Helden eben aus der Rückreise von Deutschland begriffen, wo ec studirt hat. Er verirrt sich, wird in der Wildniß von der Nacht überrascht und findet in einer einsamen ländlichen Wohnung Obdach. Der Herr de« Hause« heiß! Daroil, ist «in Bösewicht und bat eine schöne, aber gänzlich ohne Erziehung aus gewachsene Tochter Alice. Nun kommt ein Stück Melodram. Darvil will seinen Gast berauben und ermorden; das Mädchen rettet ibn, wird deshalb von ihrem Vater gemißbandelt und entflieht. Der Zu fall führt sie in dasselbe Dorf, wo auch Ernst eingekehn ist; er beweist sich dankbar und nimmt da« Mädchen unter seinen Schutz. Sie ist völlig roh und unwissend; sie weiß von dem Laseyn Gotte« nichts sie bat ihn im Hause ihres Vater« nie nennen hören. Unserem empfind. ') Pgl Nr. 121 des Maqaztn«, wo wir bereit» unter „Mannigfaltige«" ein« »urje Notiz über diese- den Deutschen gewidmeten Neman gegeben habe«. samen überspannten Helden ist das ganz recht: er entwirft für da arme Geschöpf, das doch gewiß nur die einfachsten sinnliche» Eindrücke aufnehmen kann, einen glänzenden pvesiercichen Erziehungsplan. Er wiclhel ein Landhaus, wo er mehrere Monate unter falschem Namen mit ihr zusammenlebt. Nun bekommen wir zu hören, wie erstaunlich rasche Fortschritte sie in ihrer Ausbildung macht. Die Ueberlreibung und Unnatur gehl hierbei wirklich bis ins Lächerliche, so daß wir auf den Gedanken kamen, es stecke ein Schalk dahinter und der Autor wolle eine gewisse Schule von Reformatoren der Pädagogik pcrsifliren. Das ganze Vorhaben de« jungen Gelehrten mit dem jungen Mädchen ist so abgeschmackt phantastisch, so lhörichl und hirnvcrrückt, daß man gar nicht dazu kommt, an seiner unzweifelhaften Immoralität Anstoß zu nehmen. Ls versteht sich von selbst, daß bei dem Experimente nichts Gutes herauskomml: zwei junge Leute können so nicht zusam- menleden, — er vornehm gebildet, leidenschaftlich und ein Philosoph obendrein, sie in kindlicher Unwissenheit, voll hingehenden Vertrauens und fröhlicher Hoffnung, — sie müsse» an einander unglücklich werden. Aber der Verfasser weiß sich herauszubelfen. Ernst bekommt Nachricht, daß sein Vater gefährlich krank liegt; er verreist, Alice bleibt allein und geräth in die Gewalt ihre« Vaters, der ihren Aufenthalt auSgespürt hat, zur Nachtzeit mit Gewalt iu da« Häuschen eindringt und die Tochter davon führt. Wir verlieren sie nun aus den Augen und folgen dem Helden auf mancherlei anderen Fahrten. Er geht aus Reise» und ver liebt sich unterwegeS in eine vcrheirathctc Frau, eine Französin. Die Leidenschaft läßt sich tragisch an, aber zum Glück bat die Dame mehr echte Zärtlichkeit, al« der Liebhaber; sie bekennt ihm ihre Neigung und nimmt in demselben Augenblick für immer Abschied; sie will ihn nicht Wiedersehen. Von der Trennung erschüttert, reist Mallravers zu seiner Zerstreuung nach der Schweiz. Hier lernt er eine andere Familie kennen, die ihm große Zuneigung cmfloßl, und wir sehen ihn cmc Zeit lang in diesem sreundschastlichcn Verhältnisse sich bewegen. Aus ein mal kehrt er wieder nach England zurück; er geht nach London, er macht Aufsehen, er kommt in die Mode; er wird, was man in der Sprache der Fashionabeln und Exklusiven einen „Löwen" nennt. Dazu Hilst ihm theil« sein großes Vermögen, «Heils sein ausgezeichnetes Talent. Er traut sich geistige Kraft und Fähigkeit genug zu, auch al« Schriftsteller auszutrelen, und siehe da, es glückt; er sendet mehrere Bücher rasch hinter einander in die Welt, und sie werden mit steigendem Beisalle ausgenommen. Die nächst folgenden Kapitel schildern nun mir vieler Wahrheit und treffendem Witz das Leben und den Standpunkt eine« Mode-Schriftstellers in der großen Welt: den launenhaften Ehr geiz, der sich bald da« Publikum zu verachten, bald ihm zu schmeicheln getrieben fühlt; die Eitelkeit, welche Ibut, als ob sie auf Lob und Be wunderung stolz verzichte, und doch beide« nicht missen, ohne beides nicht leben kann. Nur befaßt sich Maltravers zu sehr mit spitzfindig abstrak ten Speculationen und philosophischen Grübeleien, die sich eigentlich mit dem Leben, das er in allerhand fashionabeln Gesellschaften und li terarischen Kotericen führt, mit der beständigen Zerstreuung und müßi ge» Geschäftigkeit eine« Schöngeistes von Profession nicht vertragen. Nichtsdestoweniger empfehlen wir diese Schilderung dem Leser: sie ist ernst gemeint, nicht ohne Nachdruck und Wirkung und wohl zu beher zige». Nebenbei versteht cs sich von selbst, daß ei» Mann wie Mal- traverS nicht leben kann, ohne verliebt zu sehn: er braucht das so nLibig, wie die Luft zum Athmen. Wir sehe» ibn einer geistreichen Schönheit nach der anderen zu Füßen liegen, während die unglückliche Alice Mutter geworden ist und in Gotte« weiter Welt verlassen nmhcr- irrt. Der Autor nimmt sich ihrer an, eine freundliche Ladv und ein überaus freundlicher Gentleman, — Letzterer eine etwa« verdächtige Person, über welche man im ganzen Buche nicht ins Reine kommt, — interessire» sich für das Mädchen. Sie ist nun wohl aufgehoben und verfchwindcl ganz und gar von dec Scene. Der Verfasser scheint auch gar nicht mehr an sic zu denkcn. Etliche Dutzend Kapitel später be gegnet uns eine Lady, die Gemahlin eines vornehmen und angesehenen Manne«, welche Witwc und zuletzt gar Gräfin wird, indem sic einen Pair des Königreiches heirathel. Ucher der Herkunft und den früheren Schicksalen diejer Dame liegt ein geheimnißvolle« Dunkel: cs wird nicht gesagt, aber e« scheint, wir solle» au« mehreren Andeutungen erralbcn, daß sie Niemand ander« ist, als die von Ernst längst vergessene Alice. Hätten wir dem Autor etwa« vorzuschreiben, wir würden uns diese will kürliche und gar zu bequeme Manier, die Leute glücklich zu machen, durchaus verbitten. Daß uns zugemulbel wird, un« dcii Inhalt der früheren Kapitel gewissermaßen ganz au« dem Sinne zu schlagen, un« über die größten Unwahrscheinlichkeiten hinwegzusctzen, einen so äuffallcn- dcn Schicksal«wrchsel im Leben einer Hauptperson gelten zu lassen, ohne