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454 Spanien. Spanische Zustände. ll. Katalonien. (Fortsetzung und Schluß.) Am Börse ESparaguerra beginnt der Mont-Serrat, hincingeworsen niillen in die trockene und kahle Ebene wie eine ungeheure Klippe willen im Ocean. Wenn man ihn von fern durch die dicken Nebel sich erheben sicht, so möchte man an irgend ein mysteriöses Babylon denken, das die vorwelllichen Tilanen errichteten, um den Himmel zu ersteigen; aber die Nebel klären sich auf, die Morgenrölhe erschein!, und die rau ben und kühnen Formen der riesenhaften Ciladelle zeichnen sich immer reiner auf den rosigen Grund des Horizonts. Der einsame Berg ist nur ein ungeheurer in Gipfel und Spitzen gelheiller Kalkfels, wie der Berg Pellegrino bei Palermo, welchem er auch ziemlich gleicht. Er liegt einzeln und kahl wie dieser da und ist in jeder Richtung von liefen und pittoresken Abgründen durchschnitten. In dem elenden Dorfe Bruch stieg ich ab und ging zu Fuß nach dem jetzt aufgehobenen Benediktiner-Kloster, das oben auf dem Berge liegt und dem er seine Berühmtheit zu verdanken hat. Das Hinauf- stcigen ist von dieser Seile sehr leicht; man gelang! bequem auf einem mi! großen Kosten durch die Mönche zur Zeil ihre« Wohlstandes ge bauten Wege hinauf, welcher sich aber immer mehr verschlechtert, seitdem er nicht mehr durch die Pilger betreten und durch ihre Gaben unterhalten wird. Rechts mit großen bald nackten bald zerrissenen Felsen besetzt, bald mit Moos tapeziert und mit Fichten bedeckt, steigt er an einem Abgrunde bis zur Höhr hinauf und beschreibt lange Krümmungen. Je nachdem man sich erbebt, erweitert sich der Blick, über die traurige und öde Landschaft; ein Herbst-Nebel verhüllte die Seite von Manrosa und erhöhte das Melancholische der Landschaft. DaS Kloster kündigt sich von fern durch eine große Statue von Stein an, welche mitten auf den Weg hingestellt zu feyn scheint, um den Pilger zu empfangen. Als ich inS Kloster cinireten wollte, stürzte sich eine Schaar Barcelonischer Urbanos auf mich und versperrte mir den Durchgang. Diese Leute befinden sich hier, um die Mönche zu bewachen, die stark in Verdacht waren, Verbindungen mil Don Carlos zu unterhalten. Meine Erscheinung war verdächtig, ich war ein Kund schafter, wie konnte man daran zweifeln? Ich zeigte meinen Paß vor, aber waS galten da Pässe, wo man sich so viel falsche, als man will, verschaffen kann; indcß wollte das Geschick, daß einer der Urbanos einige Französische Worte radebrechte, es war ein aller Soldat, der mit den Kriegszügen untrr Napoleon bis nach Genf gekommen war. Die Bekanntschaft war bald gemacht, und er nahm mich unter seinen Schutz. Indessen fuhr der Anführer des Postens fort, mich mit ver dächtigen Augen zu betrachten. Während der ganzen Dauer meines Aufenthalts im Kloster wurde ich als ein Gegenstand leidenschaftlichen Argwohns bewacht und nicht aus den Augen gelassen, während die Mönche ihrerseits, weil sie sich verdächtig zu machen fürchteten, sich von mir entfernt hielten und jede Verbindung mit mir vermieden. Kaum sah ich Einige mitten in den Felsen mil ihren schwarzen Gewändern hcrumirren. Sie verschwanden wie Schallen bei meiner Annäherung. Die alte Kirche ist in Flammen aufgegangen und die neue in un edlem Style erbaut. Alles bedeckt der gelbliche Mörtel; auch das Kloster selbst ist ohne Werth für die Baukunst. Welche Baukunst von Men schenhänden, und wäre dieser Mensch auch Michael Angelo, könnte aber auch den Vergleich mit der prächtigen Baukunst dieses durch die Hand Gottes errichteten und behauenen Berges auehalien? Die Lage ist bewundcrnSwerth; prächtige grüne Büsche durchschneiden die graue Dürre des nackten Felsens. Das Kloster liegt am Eingänge einer engen Schlucht, die den Berg thcilt, woher er den Namen des Mont Scrrar erhalten bat, eine Verdrehung von fflnntc scrrast» (der durchschnittene Berg). Alle Bergspitzen sind mit Einsiedeleien gekrönt, die wie Adler- Nester an den Felsen hängen. Diese Zufiuchtsöner ascelischer Gedanken und ewiger Beschauung sind seil langer Zeil verlassen. Der Glaube unseres Zeitalters ist nicht mehr stark" genug,, um den Menschen in so strenger Einsamkeit zu unterstützen. Diese Heiligthümer der Wildniß sind nur noch eine Zierde der Landschaft. Ringsherum öffnen sich ungeheure Abgründe. Der Llobregat schlängelt sich unten durch die dürre und einförmige Ebene von Monestrol. Ein Haufen Bettler aus dem Dorfe war an der Thür des Klosters ausgestellt und erwartete eine Gabe. Ich ging den Berg nicht auf derselben Seite, von der ich ibn erstiegen hatte, wieder hinab; der Weg ist hier kürzer, aber er ist fürch terlich starrend von spitzen Felsen und am Boden binziehendcr Wurzeln. Bei jedem Schrille crstaunle ich über die liefen Abgründe, die schauer lichen Schluchlen und die ungeheuren jähen Felscnwände. Ich begeg nete auf diesen Engpässen mehreren Kaeavanen Barceloner beider Ge- scdlechler, die zur Erfüllung der in den Schrecknissen der Cholera der Madonna gelbanen Gelübde hierher kamen. Als Pilger, die jedoch für ihre Bequemlichkeit ganz gehörig sorgen, zogen sie auf guten Maul- thicren an mir vorüber und gaben mir alle den Friedensgruß: Vava Estock cnn t)i»8! Ich kehrte mit dem Ave Maria nach Bruch zurück, nachdem ich den ganzen Berg umgangen hatte, und am anderen Tag bestieg ich den Ettwagrn nach Saragossa. Ich war nun der Cholera und den UrbanoS entwischt, um in die Hände der — doch hier folge die gaüze Begebenheit, wie sie sich zu- trug. Ich hatte also in Bruch den Eilwagen nach Saragossa genom men. Der erste Tag war ohne Interesse, Das Land ist uneben, wild, bergig, uüd der Nebel oder Regen verwischte noch obcnein alle Farben dir Natur. Igualada ist eine kleine unbedeutende Stadt, wo man frühstück!, außerdem aber kaum Zei: ha!, sie zu besehen. Die No vember-Tage sind kurz, und es war finstere Nackt, als wir in Cervera aukamen. Dies ist bekanntlich eine Universitäts-Stadt, und wir kamen mitten unter einen Hausen Studenten mit Barrets und kurzen schwarzen Mänteln, wie sie die Spanischen Studenten tragen. Drei nahmen im Eilwagcn Platz, lieber Nacht blieben wir in Tarrcga, einer anderen kleinen Stadt, einer Zwillings-Schwester von Igualada. Die Posada war schlecht, die Suppe selbst für den Heißhunger des Reifenden un genießbar, die wenigen Betten nicht sonderlich zum Schlaf einladend, sie starrten von Schmutz. Zum Essen schon fehlte der Platz, um so mehr zum Schlafen; man machte sich die Matratzen und Strohsäcke streitig, und wer sie zuerst faßte, erklärte sich für ihren Besitzer. Ich zog mich behutsam aus dem Handgemenge, den» der Kampsprcis war des Kampfes nicht werlh. In meinen Mantel gehüllt, bemächtigte ich mich eines Tisches, dessen Besitz Niemand versucht war, mir streitig zu machen. Es war ein Lärm, eine Konfusion, um den Kopf zu verlieren. Die Maulthiertreibcr fluchten, die Hunde heulten, die Posadera miß handelte ihre Mägde, die Reisenden lachten, sangen, schrieen, die Un ordnung wuchs, der Lärm verdoppelte sich, es war eine wahrhaft Babylonische Verwirrung. Millen unler diesem beläubenden Lärm bemerklc ich einen Mann von verdächligem Ansehen, der von einem Zimmer in das andere ging und Alles mit tückischem Ange beobachtete. Als ich ihn meinen Neisk- gesährten bemerklich machte, verschwand er. War es ein Spion der Polizei, der Karlisten oder der Banditen? Ich weiß es nicht! Indessen ward die Ruhe nach und nach her,gestellt, und man böric bald in den vier Winkeln des unsauberen Karavanscrai in allen Tönen schnarchen. Diese glückliche Ruhe sollte aber nicht von langer Dauer sehn. Um zwei Uhr Morgens war schon Jedermann aus den Beinen; um drei Uhr rollte der Eilwagen wieder auf der Landstraße, und der Zagal plauderte freundschaftlich mit seinen Maultbicrcn. ES war noch finstere Nacht. Der Wagen war ganz gefüllt. Der Hintere Raum gehörte der Gräfin von M., einer jungen Andalusischen Witwe, welche mit Eskorte reiste, indem auf der einen Seite ein Kammermädchen, auf der anderen ein junger Italiäner, der bei ihr den Dienst eines Oavalmro ««rventc versah, sie bewachten. Ich befand mich mil den drei Studenten von Cervera, einem amnestirlen Emigranten von 1823, der von England znrückkam, und einem jungen Barceloner, der sich auf sein Landgut be gab und ziemlich gut Französisch sprach, im Innern des Wagens. Die Rötende war von einem Diener der Gräfin, zwei ehrsamen Frauen, deren jede ein kleines Mädchen von vier bis sechs Jahren bei sich halte und die von einem eben so ehrsamen Bürger begleitet wurden, besetzt. Der verdächtige Landstreicher vom vorigen Abend machte den Schluß der Gesellschaft. Ich sagte bereits, daß es Nacht war, und die Nacht war dunkel, denn cs regnete. Wir waren in der Eben: von Urgel, aber man sah nichts, man hörte nur den Nachklang der tausend Glöckchen dcrMaul- thiere und die zankende Stimme des Zagal. Alles schlies, und ich schlief wie Alle in meinem Winkel. Plötzlich hielt der Wagen an. Aufgeschrcckt vom Schlafe und mißmüthig über die ungehörige Störung, schickte ich mich an, wieder einzuschlafe,i, indem ich mir dachte, ein Maulthier scy gestürzt, denn dies war uns schon einmal begegnet, und der Weg war glatt. Aber das Hallen verlängerte sich, und ich Hörle gewallsam eine Scheibe des Wagens zerbrechen; ich ließ mein Fenster herunter, steckte den Kopf aus dem Kutschenschlagc, um zu scben, was vorging, und blickte in die Mündungen zweier ans mich angeschlagener Karabiner. — Waren es Aufrührer? waren cS Räuber? — In allen Fällen versprach das Zusammentreffen nichts Gutes, und während ich mich wieder in meine Ecke drückte, ließ ich auf gut Glück einige zwanzig Louisd'or in eine meiner Kämascbcn schlüpfen und meine Uhr in die andere. Nachdem ich dies gelhan, erwartete ich, was da kommen würde. Man ließ nicht lange auf sich warten. Der Kutschenschlag öffnete sich, wir erhielten Befehl, auszusteigcu, und ich befand mich mitten unler einem Dutzend Menschen, die mit Säbeln, Pistolen und Stutz- büchsen bewaffnet waren. Ein Säbelhieb hatte den Postillon vom Pferde gestürzt, ein Kolbenstoß den Zagal in den Graben geschleudert, und der' Mayoral lag auf dem Bauch, den Kopf unter dem Rade, das ihn bei dem ersten Schritt der Maullhiere gerädert haben würde. Die junge Gräfin wurde gleich aus dem Wagen gerissen; der Regen tropfte auf ihre schönen schwarzen Locken, und ihr Andalusischer Fus; berührte den Straßen-Schmutz. Die Dame war sehr erschrocken, und ihr Oavaliern servcntc half ihr zu nichts, denn er war noch mehr er schrocken, als sie selbst, und spielte eine ziemlich traurige Rolle. Alle klebrige waren stumm und bestürzt. Was den unbekannten Landstreicher aus der Posada betrifft, so weiß ich nicht, was aus ihm geworden war, denn ich sah ihn nicht mehr. Die beiden Frauen der Rolonde zer flossen ganz in Thräncn; die eine vorzüglich drückte ihr Kind mit lei denschaftlicher Angst an ihre Brust, indem sie ein vcrzwctteltes Geschrei ausstieß. Einer der Banditen, ich glaube, es war der Anführer, näherte sich ihr mit der Flinte in der Hand; die arme Mutter glaubte, daß er ihr Kind tödten wolle, und ihr Geschrei verdoppelte sich; aber der Bandit tröstete sic: cr nahm das Kind und wiegte eS väterlich in seinen Armen. Während dieser Zeit war die Bande Ibatig und ging dabei eben nicht sehr sanst zu Werke. — „Vaca slmjo!" riesen sie uns zu, indem sie auf gut Glück Säbelhiebe und Kolbenstoße ausiheilien und Jeden zu gehorchen und sich ohne weiteren Widerstand mit dem Bauche aus die Erde zu legen zwangen. Ich allein opponirte mich gegen diese schändliche Formalität, und trotz der wiederholten Befehle, trotz ter Drohungen und Schläge, ölieb ich eigensinnig auf dem Fußtritt des EilwagcnS sitzrn. Der Posten war gefahrvoll, denn die Banditen fingen an, den Wagen abzuladen, und warfen die Koffer oben aus der Imperiale, unbekümmert, ob diese beim Niederfallen einen der auf den Weg ausgestrecklen armen