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436 Erweiterungen und Veränderungen angeführt worden, die selbst der ursprünglichen Erdauer dieser Kirche keine«wrge« unwürdig erscheinen dürften. In einem anderen Siadttheilc ist kürzlich auch eine neue protestantische Kirche, in großartigem Maaßstabe, begonnen worden, deren breite Rundbögen, Byzantinische Fronten und viereckiger Thurm, in mancher Hinsicht Len kleineren Kölner Kirchen nicht unähnlich, einen angemessenen Gegensatz zn dir ehrwürdigen Anmuih und zu dem kunst reich gearbeiteten Glanze ihrer kdtholischen Schwester bilden. Auch bei dem Eintritt in die Schweiz sind jene allgemeinen Merk male von öffentlichem Forlschreitcn überall sichtbar: An Zürich sind Lie Wällt, von denen Massen» im Revolutionkkrieze beschirmt wurde, allmälig verschwunden, um steinernen Häusern, Brücken, Weinstöcken und den Wohnungen wohlhabender Bürger Platz zu machen. An Bern ist ein Entwurf zu Vereinigung de« oberen Stodttbeil« mit den Höhen jenseits der Aar, mittelst einer unabsehbar großen Hängebrücke, im Werke. Und eine ähnliche Brücke ist bei Freiburg, gurr über da« ab schüssige Thal, da« die Annäherung an die Stadl von Bern her so schwierig machte, schon errichtet worden. Zndeß, weder der Wohlstand de« kaufmännischen Zürich, noch der Glanz de« palrizischen Bern oder des katholischen Freiburg« Eifer haben so merkwurdtzze Beweise von öffentlichem Forlschreilen gegeben, wie die Stadl, au« welcher diese Zeilen Latin sind. Lie politische Geschichte Europa'«, oder vielmehr der ganzen Erde, kann nn« kaum eine anzie hendere und seltsamere Lhatsacye ausweisen, als die lange und geschickte Bebauplnng der Nalional-Unabbängigkeit de« kleinen Genfer Gemeinde- Wesen«, im Angesichte von Gefahren und Umwälzungen, die ganze Königreiche verschlungen, Fürstliche Häuser vernichtet und Nationen aus- einandergeriffen haben. Ohne Waffenschutz, den Einbrüchen gleich civili- sirter und dabei viel mächtigerer Nachbarn ausgesetzt, beständig vo» Fremden aller Rayen, Sitten und Glaubenslehren heimgcsucht, Hal Genf dennoch seinen zwar nur bescheidenen, aber zugleich auch angemessenen Platz in der Familie der Europäischen Staaten behalten. Zn den Per sonen Calvin « nnd Rousseau « üble c« einen nicht unbedeutenden Ein fluß ans die beiden großen Epochen der Umwälzung, die den ganzen Erdball erschüttert habe». Zu verschiedenen Zeilen sind seine Bürger berufen worden, bald, mit Peltr dem Großen, das Emporstreben eines mächtigen Reiche« zu leiten, bald, von Stecker bi« Marat, die vcrbäug- nißvollen Lehren Frankreichs zu beherrschen. Seine Kaufleute haben die Fnndgrnben jede« Landstriches auf dem Lrdballe erforscht. Doch weder Macht noch Wohlstand vermögen die ursprüngliche Anbänglichkeil seiner Kinder ihm zu entfremden: Haben wir cs nicht gesehen, wie Männer, die ihre schönsten kräftigsten Zabre rückballslos der höchsten Lbäligtrit, in ihren Laufbahnen als Europäische Staaismäiiner, in der Wiffcnichaft und In der Literatur, gewidmet, nachher rubig zurückgekchrt sind, ihre Tage in dem beschränkten Kreise ihrer Vaterstadt zu beschließen? Diese Besonderheiten und noch manche andere, zu deren Aufzählung e« hier an Zeit gebricht, können Ibeil« ter geschickten Leriheilnug der Gewalt zugeschrieben werden, wie sie in einem kleinen Staate so schwierig, in einem großen aber ganz und gar nickt durchzitsübren — vermöge deren jeder Bürger gerade so vielen Einflüsse« sich erfreut, al« er, nach Maß gabe seiner Fähigkeiten, heilsam zu üben im Stande ist; — tbcil« dem Sinne für Häuslichkeit, der de« öffentlichen Lebens Bitterkeiten versüßt und dessen Bürden tragen Hilst; — thcils der Leichtigkeit, mit welcher unternehmende und ehrgeizige Geister auswärts ciile Laufbahn sich suchen, während die verbarrlichcren Bürger das Multcrncst hüten; — Ibeil« endlich dem gewaltigen Einflüsse, den religiöser Sinn nnd einfache Sit ten, durch die gefällig leichten Gewohnheiten geselliger Heiterkeit ihrer altaScetischen Strenge entkleidet, auf den Genfer üben. Zn den lctzlverflossenen vier Zahlen sind die Veränderungen in der äußeren Erscheinung der Stadt sehr beträchtlich gewesen. Lie Ufer de« Rbone waren da, wo seine blauen und reißenden Fluiden aus der ruhigen Fläche de« See« herabrauschcn, mit schlechten Hüllen, Woh nungen der niedrigsten Klassen dec Bevölkerung: der Schlächter au« den Fleischbänken und der Booisknechte vom Hasen, belastet gewesen. Ein kleine« und unbesuchie« Znselchen, mitten im Strome, bot etlichen pkumpcn Kähnen cinigc unsichere Ankerplätze; und nur weiter unten konnte der Fluß, auf zwei kleinen Brücken, überschritten werden. — Die« ganze Stadtviertel nun ist jetzt rein wcggefegt worden, um zwei schönen Ufer-Straßen und Reihen stattlicher und bequemer Häuser Platz zu machen. Eine lange Brücke, mit der kleinen Zsle des Larque« zu sammenhängend, kreuzt nun de» Strom; und da» Eiland selbst, einge faßt mit einer Umgüriung von iLuadersteiuen und bepflanzt mit Bäumen, ist Rousseau, dessen Standbild man daselbst errichtet bat, geweiht wor den. Zum Lobe diese« Standbilde« aber, da« ein Werk de« berühmten Genfer Künstler« Pradier ist, läßt sich nur wenig sagen. Man wird sich vielleicht vorstellen, der Bildhauer bade seinen unsterblichen und unglücklichen Landsmann aufrecht dargestellt, sortgeriffen zn eifrigem Nachdenken, und, mit der beredten Gcberdc eine« Kinde« und Freunde« der Natur, den Blick auf diese schönen und schrecklichen Berge gerich tet, zwischen denen er in lridrnschastlichcr Jugend umhcrgrschwärmt. Oder man denkt sich ihn wöbl auch, mit einer Hand, zum Zeichen liebe vollen Vorwurf«, aus seine Gcburlsstadt deutend, und in der anderen Lie Rolle mit feurigen Gedanken, wie er sic auf seinen einsamen Gängen mit sich umberzutragen pflegte. Anstalt dessen aber haben sic ibn z» einem starrblickendcn Weisen gemacht, iu einer Römischen Loga dasitzcnd auf einem Stuhl, über ccnluerschweren Folianten, i» der Tracht und Haltung clnes Stoiker«. Einem Fremden muß wahrlich erst gesagt werden — denn da« Fnßgcstcll führt keine Zuschrift — daß der Mann da Rousseau srvn soll. Auch in der Gemälde-Ausstellung, die so eben eröffnet worden, ist Verleibe Mangel an Phantasie bei den Genfer-Künstlern ganz unver kennbar. Herr Hornung, dessen Tod Calvi»'« vor einigen Zähren einen so Hohen Rang unter den neueren historischen Gemälden mit Recht einnahm, ist von seiner früheren Bahn gänzlich abgewichen, und hat die kleinliche Behandlung und die durchsichtige Ausführung dcr Niederländischen Waler nachgrahml, freilich aber, ohne deren Färben- Harmonie und Geschicklichkeit im Relief zu besitzen. Und sei» Einfluß hat nun auch den Styl mancher sonst vielversprechender Künstler ver dorben, so daß ihre Arbeiten größientheile pure Kopieen von der Prosa de« täglichen Leben« sind, nur gelegentlich durch einen Anstrich von Empfindung gemildert, von dcr Kunst aber, die in der Hochschule ter Leidenschaft, Beschauung und Poesie gebildet wird, keine Spur tra gen. — Zn der Landschaft jedoch sind mehr Fortschritte gemacht wor, den; und die Arbeiten der Herren Diday und Guignon sind äußerst gefällig und gelungen. Wer aber möchte eigentlich in der Schweiz Landschaftsmaler fern ? Zu der Schweiz, wo die Natur, verschwenderisch groß, das Auge mit unzähligen Eindrücken überrascht, so erhöht durch den prachtvollen Glanz einer südlichen Sonne, so erweitert durch die Entfernungen und Größen, baß jede Leistung des Künstler« beschämt, er seiber zur Ucbertreibunz unaufhaltsam fvrigcrissen, die Einheit und Absicht bei seinen Merken aber durchaus vernichtet werden muß! Zst ja doch mitten unter diesen staunencrrcgcndeu Scenen — mit denen, wie mau freilich cingcsteheu muß, die Gemüthsarl ihrer Bewohner platter dings in geradem Widerspruche steht — auch noch nicht ein großer Dichter oder Maler ;cmals weder geboren nock gebildet worden! — Die Fortschritte der Genfer finden sich in den Künsten ter verfeinerten Bil dung und de« gesteigerten Aufwande«; und sie verdanken auch ihrer Erfindungsgabe weit weniger, al« ihrem praktischen Scharfsinne. Doch habe ich bei ihnen nicht ctwa Unempfindlichkeit für die herrlichen Schauspiele ihrer Umgebung, sondern vielmehr ein Gesühl beständiger Heiterkeit, erhöht eben durch die Gewohnheit und angeregt durch den beständigen Wechsel von Licht und Schallen, Sturm und Ruhe, ge funden. Zn den letzten vier oder fünf Zähren ist dcr See auch mit einer kleinen Flotte von Zachlcn und Lustböleu bevölkert worden, die man an luftigen Abenden scheu kann, wie sic, glcrch munteren Wasscrvögcln, mil Musik an Bord, über ihn hinflicgeu und die, von den Wälle» au«, ihrer Fahrt mit cmsmerksamen Blicken folgenden Slädler-Haufcn be grüße». Und auch den Lesern weiß ich keine bessere Ruhe und Erholung jetzt zu wünschen, al« diesen Süßwasscr-Seglern gefälligst sich anzu- schlicßcn. Sie würden gewiß einen guten Ruheplatz >n der AdmiralS- Zackt L'Epcrvicr finden, und neben der BünLner-Fabne kic Einlracht«- Flagge hissen! (l^uafi. Eliten««»»!:) Mannigfaltiges. — Zeichen unserer Zeit in Ostindien. Ein Enkel des bc- rühmtcu Hyder Aly und ein Sohu des tapferen aber »»glücklichen Tippu Sahib, der Muhaminebanischc Prinz Zamh-ud-Din, der, seitdem seine Familie aufgchört Hal, in Indien ein ansehnliches Reich zu beherrschen, von dcr Britische» Regierung eine bedettteudc Pension bezieht, war im vorigen Zähre in England, um sich dort mit eigenen Augen von den Wunder» Europäischer Civilisalion und von dem Ursprünge der Plackt zu überzeugen, die, über ganze Weittheilc hinaus reichend, da« große Ostindien bezwungen hat. Bis jetzt batten die unabhängigen und reichen Znbicr, vom Brahmanischen wie vom Mubammedanlschen Glauben, ei» Vvrurtbeil gegen das Reisen nach Europa; seitdem ihnen jedoch der gelehrte und Inder zu früh verstorbene Ram-Mohun-Roy mit gutem Beispiele »erangegangen, scheint auch ihrer eine größere Rüst!»,! sich bemächtigt zu haben, und wer weiß, ob diese nicht noch dazu beitragt, den Orient allmälig ans dem LioilisationS-Schlummer zu wecken, in welchem er sich »nn schon seit Zahrhunderten befindet. Dcr Prinz Zamh-ud-Din, der nicht mehr, wie sein Vater und sein Großvater, mit dem Schwerte über Zndien herrschen kann, bat sich eine« anderen Mit tel« bemeistert. um zu derselben Gewalt zu gelangen. Zn England hat er nämlich sein große« Vermögen auf den Ankauf Ostindischcr Stock« verwandt, die ihm ein dedeiilende« Stimmrecht bei der Britischen Ver waltung seine« Vaterlandes sichern. Hier wird uns also ein recht schla gender Beweis, daß das Geld, oder vielmehr dessen intelligente Anwen dung, in unseren Lagen denselben Einfluß gewonnen Hai, den früher die rohe Gewalt gehabt. Zamb-ud-Din herrscht jetzt in Ostindien eben so gut, wie Hyder Aly und Tiypu Sahib; doch mit dem Unterschiede, daß die blutige Herrschaft feines Vater» und seine» Großvaters nur Lurch Verwüstungen sich erhalten konnte, während L>c friedliche Geld-Herr schaft der Ostindischen Compagnie Häuser baut, Menschen erzieht und den Scgcu Ler Europäischen Gesittung auch über ferne Weittheilc ver- breitct. — Hinduflanischc Literatur. Da» gelehrte Europa ist bis her von Ler klassischen Literal,ir de« alten Sanskrit so eingenommen gewesen, daß eS darüber von Ler neuere» Hindustamscken gar keine Notiz genommen hat. Selbst Sir William Zone« hatte Lat Hindnstanischc einen „vulL»r jarxnn" genannt, und obwohl er später von diesem Uribeilc znrückkamso blieb e« doch nicht ohne Einfluß auf die An sichten anderer Europäischer Philologen. Gegenwärtig such, nun Französischer Gelehrter, Herr Garcin Le Taffy, das Unrecht wieder gut zu machen, da« dem Hindustanischcn bisher gelhan worden. Derfctbe hält sich jetzt in England auf und bat dort, so wie au« den Schätzen der König!. Bibliothek in Paris, Notizen über nicht weniger al» sieben hundert Hindustai,ische Schriftsteller und zahlreiche Auszüge au« ihren Werken gesammelt. Nächsten« wird »nn seine „Gesckichlc Ler HindU' stanischen Literatur" erscheinen, mit der wir das Resultat aller seiner Forschungen auf dtcfem neuen Gebiete geistigen Leben« crhatten werden HerauSzegeben von dcr Rcdactlon der Asig. Preuß. Staat«-Zeitung. Skedigirt von Z. Lehmqnn. Gedruckt bei A. W. Hayn.