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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«- Preis 22^ Sgr. (; Thlr.) vierteljährlich, Z Thir. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man vränumerirt auf dieses Bcidlait der Altg. Pr. Staat«- Zeitung m Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. Z4); in der Provinz so Ivie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemrern. Literatur des Auslandes. 107. Berlin, Mittwoch den 6. September 1837. Frankreich. Streifereien Napolcon's ü In Harun-al-Raschid. Bon einem Pagen des Kaiserlichen Hofes.") Eine Liebhaberei, welcher Napoleon häufig nachging, war die: nach dem Borbilde jenes berühmten, durch die Erzählungen der Tausend und eine Nacht unsterblich gewordenen Sultans, die Hauptstadt inkognito zu durchstreifen. Bon seinem Groß-Wesir Giasar, d. h. von dem Groß-Marschall des Palastes, oder, in dessen Ermangelung, vom diensthabenden General-Adjutanten begleitet, verließ der Kaiser deshalb zuweilen schon vor Tages-Anbruche die Tuileriecn. Derjenige, welchen er dabei zu seiner Begleitung mit sich nahm, mußte dann immer das Wer das der ring« um den Garten ausgestellten Posten mit „Der Kaiser!" beantworten. Hieraus kam der Kommandant des Postens selber, sich von dec Wahrheit zu überzeugen und, »ach dem Austausche von Losung und Feldgeschrci, das Gitter, durch welches Napoleon den Garten verlassen wollte, zu öffnen. So entwischte der Kaiser, wie er scherzweise zu sagen pflegte, seinem Tuileriecn-Gefängnisse. Bei dergleichen Ausflüchten in die Stadt trug er meist einen Ucberrock von grauer oder von dunkelblauer Farbe, wie in der letzten Zeit, bis oben hinaus zugeknöpft, und einen runden Hut mit breiter Krämpe. Natürlich hatte auch sei» Begleiter nicht das Mindeste an sich, woran sei» Rang zu erkennen gewejen wäre. Bisweilen, beson ders im Sommer und jo lange die Tuileriecn noch sür die Spazier gänger offen standen, ging Napoleon auch, anstatt den Palast durch eines der Gartenhäuser zu verlassen, über den Schloßbos und schlüpfte dann durch daS Psörtchen, der Rue de l'Echelle gegenüber. Nun gab ihm Duroc dcn Arm, und so traten sie in die Läden der Säraße St. Honorö und behandelten oder kauften auch wohl einige wcrtblose Kleinigkeiten. Manchmal geschah cs auch, daß er sich bis in die Gänge des PalaiS-Royal wagte, jcdoch nur, wenn er sah, daß nur wenige Leute darin waren. Gewöhnlich aber erstreckten sich die Abend-Ausflüge nicht viel weiter. Trat der Kaiser in einen Laden, so ließ der Groß-Marschall die Sachen, von denen etwa gelaust werden sollte- vorlegcn. Während dessen begann Napoleon seine Rolle als Aussrager; und dann war nichts lustiger anzuschen, als wie er, der sonst immer so ernst, so ein- sach und so natürlich war, sich bemühte, die Eeberdcn, die Sprache und dcn selbstgefälligen Ton eines Modehcrrn nachzuahmen. Wie lin kisch benahm er sich doch, wenn er dann sich fein machen wollte: wenn er, seine schwarze Halsbinde mit zierlich gespitzten Fingern in die Höbe zupfend, dabei auf den Zehen sich erhebend, im nächsten Augen blicke aber schon, die Knie-Gelenke zusammenknickend, sich wieder klein machend, mit einem Protektor-Tone sprach: „Nun, Madame, was hort man Neues, seit der Kaiser Frieden gemacht? Ist man wohl zufrieden? Geht Ihr Handel gut? Ihr Laden scheint mir ziemlich wohlverschen; es müssen wohl viele Käufer zu Ihnen kommen?" — Bei den Worten ziemlich wohl versehen, die dem Ohre von Madame eben nicht wohlgefällig klangen, sah diese dcn sonderbaren Frager etwas scheel an, verfinsterte sich ihr Gesicht und antwortete sie nur cinsylbig, oder sie gab auch wohl ganz und gar keine Antwort, weil sie nicht recht da- dinier kommen konnte, mit Wem sie zu thun habe. Manche ries selbst, aus Argwohn, wenigstens einen Revolntionnair vor sich zu haben, um hie zudringlichen Fragen deS Kunden, dessen Wese» durchaus nicht das eine« Mannes cnmiue il kaut war, kurz abzuschneiden, ihren Mann odcr einen Diener und machte sich dergestalt von diesem Lästigen los. Ja, eiiics Tages (kurz »ach der Krönung) begegnete cS dem Kaiser, als er mit leichtfertigem Tone einen Zuwelen-Händler in der Richelieu- Straße gefragt halte, was man denn von dem Hanswurste, dem Napoleon, dächte? — daß Jener, der einer seiner eifrigsten Bewunderer war, in der Meinung, eine» alten Jakobiner oder einen Polizei-Spion vor sich zu sehen, nach einem Besen, der hinter der Tbür lehnte, sprang und dem Menschen, der dreist genug gewesen, ihm so höchst unebrer- bietig von Sr. Majestät dem Kaiser und Könige zu sprechen, gar be deutsam mit demselben drohte, — so daß der Groß-Marschall eilen mußte, sich inS Mittel zu schlagen und, so gut es eben gehen wolle, *) Wir setzen die Mittheilunge» dieses ehemaligen Pagen fort, ohne je doch, wie wir twon trüber »ns verwahrt haben, sür deren historische W-Hr- bcit uns verbürgen -» wollen. Es lese» sich diese Geschichtchen ganz >or- trefflich, sic mögen nun wahr seun oder nicht. Besonders unwahrscheirlich aber ist diese Maske Napoleon s ä l» Harun-al-Raschid, wenn man dcmit dasjenige vergleicht, was verr Bornhagen von Ense in den, zweiten B>nde seiner vor kurzem erschienenen Deiitwürdlgteiten über das zurnckg-zoicne düstere Wc>en des Kaisers erzählt. seinen Freund zu entschuldigen, der gerade noch Zeit genug zum Rückzüge gesunden, um etwas »och Schlimmerem, als Drohungen, aus dem Wege zu gehen. Und darf man dem Kaiser hierin glauben, so ist der Augenblick, in welchem er dafüt, daß er in jenem Laden von sich selber schlecht gesprochen, beinahe Schläge mit dem Besenstiele davongeiragen hätte, einer der frohesten und glücklichsten seines Lebens gewesen. Aber wahrlich, in dem HarUn-al-Raschid-Kleide, wie Na poleon selber es nannte, Halle er das sonderbarste Ansehen und Beneh- mcii von der Welt. Dies kain von der Weise, wie er sich mit dem runden Hute herausputzte, indem er ihn, seiner ungewohnt, bald sehr weit nach hinten, bald ganz vorn, und, um nicht erkannt zu werden, tief in kie Augen gedrückt trug. Was seinen Ueberrock betrifft, so wa ren dessen Schnitt und Umfang wahrhaft possierlich: Napoleon litt es nicht, daß seine Kleidungsstücke ihn, wem, auch nur im Geringsten, genirten, geschweige denn zwängten. Michel, sein Schneider, machte ihm daher Fracks, besonders jedoch Uebcrröcke, die ihm so saßen, als ob ihm — um mich eines damaligen Mode-Bergleiches zu bediene» — an einem Schilderhausc Maaß genommen worden" wäre. Außer diesem Allen machte endlich auch noch die Sorgfalt, mit welcher "er seine ihm cigen- lhüinlichen Gcbcrden, Haltung und Gang unter dem Wesen und Gange der gewöhnlichen Leute verbarg, aus Napoleon ein ganz besonderes Wesen, das ma» nicht anders als lächelnd und sür die leibhaftige Originalität selber ansehen konnte. Fielen übrigens aber diese Inkognilo- Sireisereicn auch nicht immer zu Gunsten seiner Eigenliebe aus, so fuhren doch diejenigen, Lenen das Glück diese» Gast zusührle, dabei gewiß »jemals schlecht. Zu Ansange des Jahres I8IZ, nach dem Unsterne von Moskau, beschloß Napoleon, um sich selber von dem Geiste zu unterrichten, wel cher die Bevölkerung der Borstädle von Paris beseelte, diese der Reibe nach alle zu durchstreifen. Mil der Borstadt St. Antoine machte er den Anfang. Da setzt er sich eines Tages, nur von einem seiner Gene ral-Adjutanten begleitet (der Groß-Marschall befand sich gerade sehr unwohl), in einen Fiaker, läßt sich nach dem Bastille-Platze fahren, steigt dort aus und verfolgt die große Charonne-Straße. Am Ende derselben angckommen, bleibt er eine Zeit lang stehen und sieht einigen Maurern zu, die an einem ungewöhnlich großen Bau arbeiten. Da bemerkt er, wie Einer derselbe» plötzlich unbeweglich und wie im Aus- Halte vor ihm dasteht. „Erkennst Du mich wieder?" fragt er den Mau rer kurz und ihm allmälig nähcrtretend. — „O, mein Kaiser!.... Immer!" stottert der Ma»n hastig heraus, indem er die Kehrseite der rechten Hand militairisch an die Stirn legt, während seine Linke das Werkzeug, das sie gerade hielt, langsam zur Erde gleiten läßt. — „Ich erkenne Dich auch wieder", antwortet Napoleon. — „Du beißt Krögoire Boivin, warst Korporal im zweiten Garde-Iäger-Regimenl zu Fuß, biss bei Eßlingen zweimal verwundet worden. Auf Deines Hauptmanns Empseblung hab' ich Dir die Dekoration gegeben. Bald nachher habe ich Deine Zulassung in mein Invalidenbaus bewilligt. Und warum seh' ich Dich nun hier?" — Grögoire sicht wie eine Bildsäule, ohne eine Bewegung zu machen, ohne ein Wort hervorznbringen. — „Dil hast's eben so weil gebracht, daß man Dich aus dem Invalidenhause verwiesen hat! Nicht wahr? Was hast Du denn angesteUl?" — Die selbe Unbeweglichkeit, dasselbe Schweige» von Seiten Grügoire'S, der die Augen zu Boden schlägt. — „Du kannst Dich wohl nicht mehr darauf besinnen? . ... Nun, so will ich Dir'S sagen; Du weißt, daß ich ein gutes Gcdächlniß habe: Eines Morgens, nachdem Du Dumm heiten begangen hattest, hast Du Albernheiten geredet." — „O, mein Kaiser!" fällt Gregoire, den Kopf stolz erhebend, ein, „es waren keine Albernheiten, die ich geredet habe. Das wissen Sie auch wohl." — „Wie! Hast Du nicht wie ein Narr geschrieen: Es lebe die Republik! nachdem Du Dich mit den Schlingeln im Invalidenhause benebelt hat test? Dein Palhe hat Dir in der Taufe fchon den richtigen Namm gegeben." — „Was denken Sie denn, mein Kaiser, ich hatte wich ja nur wieder daran erinnert, daß ich Freiwilliger von VZ gewesen. Und weil ich am Abende vorher ein wenig über den Durst geschluckt Halle, habe ich am Morgen gerufen ...." — „ES lebe die Republik! sag' ich Dir. Nun sage Du mir aber doch einmal: Was sür ein Ding iss den» das, Deine Republik? Sicht denn das auch auS, wie irgend Etwas? — Man hat Dich also sortgejagi; man Hal Rcchl daran ge- lhan; Dir ist nur geschehen, wie Du'S verdient hattest." — „Das be streit' ich ja auch gar nicht, mein Kaiser; aber Sie werden mir doch auch zugeben, daß cs sehr hart iss, wenn ma» Sie liebt, wie ich, wenn man sich geschlagen bat, wie ich, wenn ma» Frau und Kinder hat, wie ich — sich ohne Brod auf der Straße zu sehen, bloß, weil Einem ein