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feit und gar nicht besser als da« Schlimmste schien, so erreichten wir ohne weiteren Zufall den Wald. Hier nahm man mir, z» meiner großen Zufriedenheit, meinen Sack ab; dann banden mich die Herren mit Hän den und Füßen fest an den Stamm einer großen Arsche, aber stall mich abjusaugen, wie den Hannes, sprachen sie ganz sansimülhig zu mir: „Lieber Herr! vicrundzwanzig Stunden müssen wir Sicherheit haben, und so lange müssen Sie hier bleiben. Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden. Morgen um die Stunde kommen wir wieder vorbei und Linden Sic los. Sie sehen, wir machen's gnädig mit Ihnen; sevcn Sie hübsch dankbar und schwatzen nicht« aus. Adjcs, aus Wiedersehen!" Und damit warfen sie ihre Säcke wieder auf den Nücke» und zogen fürbaß. Ich blieb allein. Zu meinen Füße» lag die Savohischc Landschaft mit Bergen und Thalern; nie in meinem Leben erschien mir die Natur fo herrlich, so freundlich, nie weckte sic solchen Jubel in meiner Seele, wie gerade in diesem Augenblick. Den Baumstamm spürte ich gar nicht, fo frei war mir zu Mulhe; die vieruudzwanzig Stunden sah ich an, als wenn'S nur eben so viel Minuten wären; den votrefflichcn Leuten, die eben von mir gegangen waren, wünschte ich von Hcrzcii alles mög- licheS Gute. Et» bischen ungestüm sind sie freilich, kurz und scharf; ober müssen sie nicht? wer kann cs den ehrlichen Männern verdenken, wenn sie für ihre Sicherheit sorgen? jedes Handwerk Hal seine Regel, und sie wissen sich doch zu dcncbmen. — Kurz, Allee erschien nrir in rosensarbencm Lichte; Alles, was ich fühlte, war Freude über mein gerci- leles Leben. Der Uebcrgang war zu plötzlich, binnen wenigen Minulcii von Betäubung und Todesangst zu einer Wonne ohne gleichen; er überwältigte mich, und ciuc Zeil lang verlor ich die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, strömte» meine Augen von Frcudcnlhräncn über. Wie manches Stoßgebet ich vorher in meiner bitteren Noth zum Him mel gesendet, davon hab' ich nichts gesagt, — denn ich weiß doch, jetzt werde ich für meine Angst vom Leser ausgelacht; aber sobald ich mich gerettet sah, — warum soll ich'S nicht gestehen — strömte mein Herz von Dank gegen Gott über, und meinc Thränen quollen aus einer un beschreiblich süßen, innigen Rührung: meine Brust hob sich und wurde war», in Liebe und Anbetung zu Ihm, in dessen Hand unser Leben ist. Mein erster Gedanke, nächst Goll, waren die Meinen daheim, und wie froh, wie glücklich ich nach ausgestandencr Gefahr mich am häuslichen Heerde wiedcrsinten würde nebelt Weib und Kind. Der Gedanke wuchs an zur unzeduldigrn Schnsuchl; von dannen Halle ich cilcn mögen in die Arme meiner Liebe», — und nun sing ich erst au zu spüren, wie un- Lcguem eS ist, einen Aesrhcnbaum an seine» Leib gebunden zu haben. ES mochte zwei Uhr nach Mittag sevn, — nur noch drciundzwan- zig Stunden. ES war ein recht wilder, öder Fleck, wo ich mich befand, ganz in der Nähe des SchneefcldeS; ein unbesuchler Weg — wer sollte da vorbei kommen? UcbrigcnS war in diesen ersten paar Stunden mein Respekt vor de» Herren, die mir den Poste» angewiesen, noch so groß — wer weiß, sie konnten ja noch ganz in der Nähe sehn — daß ich glaube, wenn Jemand gekommen wäre, mir zu Helsen, ich ihn gebeten haben würde,'davon zil bleiben und mich uichl loszubindeu. Dieser Respekt aber »ahnt zusehends, und zwar nach einem bekannten Natur gesetz im Verhältnisse de« Quadrates ter Zeilen ab; um vier Ubr spürle ich wenig mehr davon, desto empsindtichcr aber spürle mein Rückgral die barten Knoten und scharfen Vorsprünge an del» Acschcnstamm. WaS war aber zu lhun? ich war mit neuen und festen Stricken ge bunden und kein Simson. Erlöst zu werten halt' ich keine Aussicht, es hätte denn die Maus aus der Fabel kommen müssen. Statt ihrer kam eilt Mensch, ja — wirklich, cs war kein Irrlbum; ein zweibeiniges Landcskind, — aber der sah erst wunderlich und sabel- bafi au-. Er trug einen durchlöcherten Hut nebst Hosen von gleicher Beschaffenheit, dabei weder Slrümpse noch Schuh'; unter der Nase aber sah es ans wie ein dicker, schwarzer Wald von lauter Cchnnpf- eaback, — so unmäßig viel Contrcbante stopfte der Mann in seine Nasenlöcher. „Holla, heda!" rief ich, „mir zur Hülse, guter Freund, Landsmann, brave Seele!" Er kam aber nicht, sondern blieb wie cin- gewurzcli stehen und schob mit großem Bedacht eine gewaltige Prise ein. Der Savovische Bauer ist zwar nicht scig, oder furchtsam, oder nndienstscrtig, aber über die Maßen bedächtig nnd vorsichtig; er beeilt sich nicht und rührt'keine Hand, ehe er ganz klar weiß, woran er ist. Soll er sich aus eine Sache einlasscn, so muß er zuvor alle mögliche Sicherheit haben, daß es nicht etwa einen Streit mit den Nachbarn, oder einen Tanz mit ter Obrigkeit, vdcr gar ein „Krakeel" mit den Königlichen Karabinieren setzt. Ist er darüber beruhigt, so findet man in dem Savoyischcn Bauer den gutmülhigsten Menschen auf der Well; ich sag' es nicht so obenhin, sondern ich bab'S mehr als einmal an mir selbst erfahren. — Mein Bäuerlein also war mit seiner Prise zu Ende, stand noch immer und schüttclle den Kopf. Ein fremder Mensch, an «ine Aesche festgebunden, — das kam ibm nicht geheuer vor. Wer weiß, was dahinter steckt! Die Obrigkeit, oder Hans, oder Kunz, oder sonst waS, gewiß nicht« Eule«. Also hielt er'« sür klüger, nicht heran- zukommcn, sondern abzuwarten, ob ich vielleicht auf ihn loskämr; in- teffeir ries er mir von wcitrm zu: „Prächtig Wetter, nickt wahr?" und dabei machte er ein lachende«, halb einfältiges, halb pfiffiges Gesicht: „ein wunderschöner Tag"; — her Matz! als wenn ick Spazieren« we gen nnd zu meinem Vergnügen dastände. Darüber riß mir die Geduld: „Guter Freund!" ries ich, „laßt deä schlechten Spaß mit dem Weller, kommt lieber der und bindet mich los." — „Ha, keine Noth um« LoS- Lindin, zn rechter Zeit. Sehd Ihr denn schon lange hier?" — „Freilich, schon drei Slunden'; na, so kommt doch und faßt an!" — Zwei Schrill thal er vorwärts, dann bedachte er sich wieder: „He, lieber Herr, weil sie Euch so gewickell haben, — ist wobl schlecht Volk gewesen — scv» sie denn fort?" „Das «erde ich Euch Alle« erzählen; macht mich nur lös." -- Diesmal kam er drei Schrille aus mich zu, und ich hoffte, schon am Ende meiner Qnal zu seh», als ibm wieder ein Gedanke durch den Kopf fuhr. Ec blieb stehen, nahm eine sehr verdutzte, geheimbiß- vollc Miene an und sragte ganz lcisc: „Sagen mal, wollen sehen: Hal'« ihrer von der Conircbandc?" — „Ihr habi'S geralhen, gulcr Freund. Die schlechlen Kerle haben mich hier an den Baum gebunden, morgen um die Zeit wollen sic wieder vorbcikommen und scheu, ob mich nicht ter Geier geholt hat." — Die Worte machten eine erstaunliche Wir kung auf das Bäuerlein. Er fuhr zurück, machte ein unbeschreiblich dummes Gesteh! und ließ mich stehen, — wahrhaftig, er lief fort. Nun hielt ich meinen Zdr» nicht länger; ich rief ihm lausend Verwünschungen nach, ich sckalt ihn einen elenden Kerl, das dümmste Vieh, das je ein menschlich Gesicht zwischen den Schullern gclragcn. Ec ließ sich aber gar nichl rühren: „Wollen sehen", ries er zurück, „wird sich finden; der Herr wird loSgebunden werden zur rechlen Zeil." Dabei lief er immer schneller und verschwand endlich hinter einer Wendung des Pfades. Was halsen meine Verwünschungen! ich wußte mir nicht zu rachen, noch was ich von meiner Lage denken sollte. Ja, ich fürchtete, es schlimmer gemacht zu haben, indem ich dem Manne vorhin die Wahr heit sagte; er konnte mich ja bei bc» Schmugglern verralhcn, — viel leicht war er gar Einer von ihren Hclscrshelfern. Meine Phantasie malic mir schon die schwärzesten Vorstellungen ans, und ick würde meine Zeil sehr trübselig verbracht haben, wenn nicht zwei Eichhörnchen gewe sen wären, die mit cinandcr spielten und mich durch ihre Sprünge er götzten. Die niedlichen, scheue» Thircc glaubten allein im Walde zu sevn und überließen sich ganz ihrer Fröblichleit. Nur in ihrer Freiheit, wo nichts sie hemm! und nichts sie cinschücklert, kann man die Zierlich keit, die blitzschnelle Behendigkeit, die neckische Anmulb ihrer Bewegun gen und Sprünge recht kennen lernen. Sie jagten cinandcr baumauf, baumab, sie machten Männchen, sie schwenk»» sich ellcnwcil von Ast zu Ast; ja eines von ihnen kam an meiner Arsche hernnter gelaufen, und da ich mit dem Stamme nur Ein« ausmachte und mich nicht rüh ren konnte, so lief es mir gerade über den Leib, da« andere ihm nach, und beide wieder am nächsten Baume hinauf; im Nu saßen sic wieder in dem höchsten Wipfel. Auf einmal blieben sie still und rührten sich nichl, als hallen sie beide clwas Bcrdächliges gesehen; ich schloß daraus, daß Jemand von wcilcm herankäme, und fchloß richtig. Es kam ciu dicke? Mann von respektablem Ansehen zum Vorschein und hinter ihm her das Bäuerlein mit dem schwarzen Walde unler der Nase. Der Dicke batte ei» dreidoppelics Kinn, ein Vollmond-Gcstckl, zwei kleine verschmitzte Auge», trug einen dreieckigen Hut und ein schwarze«, latigzeschwänzlcs Habit. Sobald er mich gewahr wurde, stellte er sich in beobachtende Positur und musterte mick scharf. „Wer sind Sie?" rief ich ihm entgegen. — „Der Ratbsschrcibcr au« Sallenchc", kam die Antwort; aber er rührte sich nicht von der Stelle. — „Herr RalhS- schreiber", sagte ich, „ich fordere Sie hiermit auf, binden Sie mich lo«, oder lassen Sie mich von Ihrem Subalterne» da losbindcn, der sich neben Ihne» die Nasr voll Taback stopft." — „Der Herr soll loSge- bunden werden zur rechten Zeit", erwiedenen Beide wie an« einem Munde. „Erzählen Sie doch Ihren Casus", sprach der Herr Raihsschrci- bcr. Ich war jetzt au« Erfahrung klug geworden und nahm mir fest vor, kein Wort von Schmugglern'verlauten zu lassen. „Mein Casus?" sagte ick, „daran ist nichl viel zu erzählen. ES babcn mich Spitzbuben überfallen, geplündert und an den Baum gebunden; ich verlangt, auf der Stelle lo-gemacht zu werden." — „Ab, so ist dic Geschichte", sprach der dicke Mann, „also von Spitzbube» ist dic Rede." — „Aller dings, von Räubern. Ich zog mit einem Maulesel über den Birg, der meinen Mantelsack trug; sic haben mir da« Thier samml dem Sack sortgctrieben." — „So ist die Geschickte", sprach cr und wackelte mit seinem Kin». — „Ja freilich, so ist die Geschichte; nnd nun, lieber Herr, da Sie es wissen, kommen Sie geschwind her und machen mick io«. Allo»«, guter Freund, habt Ihr kein Messer?" — „So ist die Geschichte", rcstcktillc dec Bedächtige noch einmal; „sehen tcc Herr, das wird viel Schreibereien kosten." — „Aber, in de« Kuckucks Namen, binden Sic mich doch Io«, Sie Froschblut! WaS kümmern wich Ihre Schreibereien ? dazu ist unten Zeit." — „Z. behüte der liebe Herr, da« muß Alles in der rechten Fqrni gehen; erst muß ick Protokoll aus- ncbmrn." — „Das können Sie ja nachher, binden Sic mich nur erst los." — „Gebt unmöglich an, lieber Herr; da« wäre rin großer Schnitzer. Ich muß den Befund aufnebmen vor Zeugen, und bis da bin muß Alles bleibe», wie es ist. Nach dem Protokoll werden Sie gleich loSgebunden. Nun muß ich gleich nach Zeugen schicke», und zwar nach zweien, dic ihren Namen unterschreiben können; das halt ciu bische» schwer und wird wohl eine Weile dauern. Die Leute lassen sich auch nicht g-r» von ihrer Arbeit abrusen, aber wen» der Herr ihnen da« Tagewerk vergüte» will.... Geschwind, Anlon", wendete er sich zu dem Bauer, „geh' runter nach Maglan, zu Muller Pcrueticn; sic wird Dir sage», wo ihr Mann ist, der Notarin«; sag' ibm, cr soll berauskommcn. Dan» läufst Du hinüber nach Sl. Marlin, wo bei bbaiizcis beule Hochzeit ist; da findest Du unseren Herrn Küster Bendir, dcr die Glocke lanlet; sag' ihm, er soll auch berauskommcn. Und der NolariuS soll Stempel-Papier milbringen nnd sein Dintenfaß auch; meines ist am letzten Dienstag vergossen worden. Geh', guter Jungr, spute Dick: bei bonetle» Herren verliert man nickt«, wenn man her nach abrcchnel. Halt' mal! Du kommst ja durch Veluz, da kannst Du dem HanS Marx im Vorbeigehen sagen, sein Pferd bat die Mauke, sie haben « gebrannt, cs wird aber zum Herbst besser werden. Na, mach' fort." — ... „Ei, so hole dcr Teuscl den einsältigen Burschen", brock >ck „und de» Han« Marr samun seinem Pferde, und Euch dazu! Ihr sehd mir eine schöne MagistralSpcrfon: Ihr habt ja nickt Elnstckl, noch Barmherzigkeit. He, guter Freund!" rief ich dem Bauer nach; „Herr, laffcn Sic mich losbinden, ick gebe Jedem einen LomSd'or." Der Bauer, der schon ein Stück fort war, spitzle die Obrcn und riß ein Paar große begierige Augen aus. Aber der Herr Ratbssckreiber hob au: „Mein bester Herr, Sie werde» die Sckrcidcgcbührcn und die Kosten bezahlen, und dann keinen Sie dru Leuten ein Trinkgeld «eben