Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«. Prei« 22j Sgr. (j Thlr.) »ierteijährlich, 3 Tblr. für da« ganze Jahr, ohne Ec. HSHung, in alten Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prlnumerirt «uf diese« Beiblatt der AUg. Pr. Staat«. Zeitung in Berlin in der Expedition (Mohren - Straße Nr. 34); in der Provinz so wie im Lu«lande bei de« Wohllibl. Post < Aemtern. Literatur des Auslandes. 96. Berlin, Freitag den II. August 18S7. Frankreich. Die Reise nach Paris. Am I. Januar 1837 sah zum Coup« der Lafille-Caillardschen Diligence, die über den Iloulovarsi «los Italiens in Pari« einfuhr, der Kops eine« Reisenden heran«, der sich durch eine unmäßig breite über Lie Ohren gestülpte graue Mütze, durch die silberne Brtlle auf der Nase und durch sein neugieriges Umhersehen mit weil aufgerissenen Auge» al« ein zum ersten Mal nach Paris kommender Provinzler zu erkennen gab. Dec Mann war in seiner Heimalh, dem Städtchen Carpentra« in der Provence, vierzig Jahre alt geworden, genoß von seinem be scheidenen Vermögen ein reichliche« Auskommen, führte ei» ruhiges, gemächliches Junggescllenleben und war noch mit keinem Fuhr über de» Ort und feine Umgegend hinaus gewesen. Wem war auch wohler, als ihm? Das ganze Städtchen kannte ihn, war ihm gut und halte Respekt vor ihm, sogar die Honoratioren, der Unter-Präfekt, der Pro- kuraior und seine Substituten; denn uusec Freund. Herr Godard, war auch zugleich Wähler, eines der hunderlundachtziglausend bewegende» Räder in unserer repräsentativen Staats-Maschine, somit von Rechts wege» ein Gast bei allen Bälle» u»L Diner« dec Herre» vo» der Re gierung, und je näher die Zeil dec Wahle», desto öslcr wurde er rin- geladen. Er war ein Patriot und guter Bürger vom Scheitel bis zur Zehe, cnlrichtcle seine Steuern mit ercmplarischrr Pünkilichkeit und ver säumte keinen Wachdienst bei der Nalioiialgarde. Auch die geselligen Talente halte er nicht ohne Glück kullivirt; ec war musikalisch und übernahm bei Liebhaber-Konzerten die Solo-Partiecn de« KlarimlS; seine literarischen Erzeugnisse, Svlbcnräthsel und witzig ersonnene Jm- promplü'S sanden ihren Weg in die halb-offizielle Zeitung de« Depar tement« und prangten »eben gründlichen Acukcln über de» Bau der Runkelrüben oder über den Eingangs-Zoll auf da« Bich. Mit einem Wort, Herr Godard war im Städtchen der Slimmangeber i» Sachen de« Geschmacks, der Kunstrichter in höchster Instanz, da« Orakel in politische» Dingen; das Sprüchwort, „kein Prophet gilt j„ seiner Vater stadt", ward an ihm zu Schande». — Aber der Mensch weiß sein Glück nicht zu schätzen, bi« er's einbüßt. Wenn in Carpentra«, einer Stadt von zehnlanscnd Seelen, so schön zu leben ist, wie herrlich, dachte er, muß e« erst in Paris seyn, da« eine Million Einwohner hat. Gewiß, ein bündige« Rechen-Exempcl, und das Facit davon war eine Reise nach Pari«. Brauchen wir erst zu sagen, was für eine Betrübniß im Städtchen war, wa« für eine Webmulh, wa« für ein Abschiednehmen, al« nun Herr Godard in der Meffagerie auf den Wage» stieg, — wie man ihn umarmte, ihm die Hände drückte, ihn beschwor, sich j» Acht zu nehmen, und ihm Grüße nachsendele, bi« er aus dem Gesichte war? So viel Beweise der Liebe rührten den guten Man», und mit lbränen- den Augen fuhr er zur Stadt hinaus; bald aber zerstreute ibn die Ab wechselung der Reise und gab ihm alle seine Fröhlichkeit wieder. Bon Station zu Station berechnete er mil sreudiger Ungeduld, um wie viel er dem großen Pari«, dem Paradiese Frankreich« und dec Welt, »Sher gekommen seh. Am l. Januar 1837, wie schon gesagt, hielt er seinen Einzng in besagtes Paradies, und zwar durch die Ijuniöre UHler. Das Weiter war regnichl; der Wagen wand sich durch lange, schlechtgepstasterte, kolhige Straßen und setzte unseren Freund im Hofe der Messagerie ab. Ein Schwarm von Lohnbedienten und Packlrägern fiel über ibn brr, vackte ihn an allen Schößen lind Krage» seines weiten Schottischen Mantel«, und Jeder wollte ihn in ein andere« Hotel führe». Nach langwierigem Zerren und Schreien entledigte sich Herr Godard ihrer brutalen Dieustsertigkeit durch die Erklärung, er ziehe in Privatlogis. Die« war wirklich seine Absicht; er gedachte einen Schul- und Jugend freund, Rigaud, der jetzt als reicher Banquiec in Paris lebte, durch seine Ankunst zu überraschen, hatte deshalb mich nicht« davon gemeldet, um ihm und sich die Freude de« unverbosslen Wiedersehens nicht zu verderben. Er »ah,u einen alten grauköpfigen Lvhiibedienten und ließ sich den Weg »ach der Obauzs«« si'^nti» zeige», wo Herr Rigaud wohnte, -t er Führer machte sich da« boshafte Vergnügen, ihn im stärksten Regenguß auf Umwegen durch ein rechtes Labyrinth von Sack gassen und Durchgänge» hinter sich hcrzuschleppen, nm dann eine» recht hohen Lohn zu verlange»; damit noch nicht zufrieden, bat er sich am Ende auch etwa« fürs neue Jahr aus Es war überhaupt schlimm für Herrn Godard, daß ec gerate am l. Januar in Pari« rinlraf; an diesem und den nächstfolgenden Tagen mußte er in Kaffeehäusern, Theater», an olltii öffentliche» Orten großmüihige Geschenke austbeilen für Dienste, die er das ganze Jahr über — nicht cmpfaiigen hatte. So geht e« wohl öfter in Pari«: der Eine giebt das Geld, der Andere hat den Kaus in der Tasche und geht still davon. Ais der Portier bei Herrn Rigaud einen ganz durchnäßten, vom Fuße bis znm Kopfe mit Koth bespritzten Unbekannten aukommrn sah, wollte er ibn anfangs gar nicht emlaffen. Einen ähnlichen Kampf halte Herr Godard gegen alle Domestiken des Hause« zu bestehe»; aber er drang herzhaft durch bi« in den Salon. Herr Rigaud hatte eben Be such und war sichtlich überrascht und verlegen; das nngenirle Eindrin gen und der groteske Aufzug des Reisenden aus Carpentra« verletzte den Stolz und die Eitelkeit des seinen Pariser Banquiers. Godard machte dem Hausherrn zuerst große Komplimente über die Schönheit und die Talente seiner „Fran Gemahl n", über die Anmulh der „Demoiselle Tochter", und rückte dann mit der Erklärung heraus, er komme »ans >a?on, sich bei feinem allen Freunde rinzuquarlieren. Herr Rigaud, der sich solcher Freimdschast gar nicht versehen balle, enlschuldigie sich mit herzlichstem Bedauern, daß er ihm kein Logis in seinem Haufe anweiscii könne, empfahl ihm aber ein sehr schön cingerichleles hütet A.rrni. ES Heeß Hüte! sie In Lnleee und schien den Namen zu verdienen. Stall eine« Zimmers im ersten Slock bekam Herr Godard bloß ein Käm merlein im sünflk», so eng, daß er mil jedem Schrille vorwärl«, rückwäcl«, recht« oder links an die Ecken de« Kamin« oder eine« Möbel stücke« stieß; ei» wahrer Kerker für den gmen, Bequemlichkeit liebenden Herrn, der daheim ei» ganzes Hans für sich allein bewohnte. Um halb sechs Uhr lrieb ihn der Hunger herunter zur tabl« si'bSte. Hier hatte er als jüngster und srembrr Ankömmling das Mißvergnügen, zu sehe», wie die korpulente blonde Dame, welche die Honneurs machte, ihre» bekannten Gästen die größten und delikatesten Stücke zukchanzie; an ihn erinnerte sie sich erst im Augenblicke der Bezahlung. Die abon, nirten Gäste vollends schmausten um da« Doppelte reichlicher und zahl ten um die Hülste weniger; unser Freund aber balle nur ein Quast- Diner zu sich genommen. Müde und schläfrig zum Umstnken, stieg er die fünf Treppen wieder hinauf zu seiner Klause; aber da« einzige Fenster ging auf eine der alleilebendigsten Slraßen i» der Nähe de« PalaiS-Royal hinaus; das Rollen der Wagen, das lärmende Rufen der Lobilkutscher, da« verwirrle GelLse von Pari« zermarlcrle den Abend und die ganze Nacht hindurch die Ohren unseres an die Ruhe und Stille seine« Landstädtchen« gewöhnten Godard. Spät schlief er ein, und in aller Frühe weckte ibn schon wieder da« Geschrei der Händler, die, ihre Waare feilbietend, durch die Straßen zogen. Kaum au« den Federn, lief er schon wieder zu Freund Rigaud und erwartete nicht« Geringere«, al« dieser werde mit ihm umbergehen und bei den Pariser Merkwürdigkeiten den Cicerone machen. Der Banquier entschuldigte sich mit seinen Geschäften und gab unserem Freunde den Oonsiuctour si«s «tiangor« in die Hände; Godard ging in getäuschter Erwartung kleinlaut mit dem Büchlein von dannen. Freilich standen die hauptsächlichsten Merkwürdigkeiten von Paris darin verzeichnet, aber wie man aus leichte Wehe und ohne großen Zeitverlust dazu gelangen könne, sie zu sehen, davon kein Wort. Der arme Godard gerielb in lausend Irrungen, machte tausend Gänge umsonst. Er getraute sich kaum, Vorübergehende nach dem Wege zu fragen, au« Furcht, man möchte sich ein schadenfrohe« Vergnügen machen, ihn irre zu weisen. Für Pari« ein ungeübter, wenig behender Fußgänger, hatte er Angst, im Gedränge niedergetrete» oder von den raschen Cabriolet« übersahren zu werden; sogar den Fiaker» wich er auf viele Schritte au«. (Schluß folgt.) England. Eine Sommer-Nacht in London. Die Nacht ist der Tag des Sommer«; die Peripatetiker haben c« vor mir bewiesen, sie, welche die Kunst, unter den Sterne» zu leben, erfanden. Im Sommer kannten sie keinen anderen Mittag, al« die Mitternacht; die Hitze eMirt nicht, sagten sie, es ist die« ein leere« Wort. Diese großen Philosophen saben von der Sonne nur den Auf« und Untergang; sie wollten lieber 1022 Sonnen als eine einzige über ihrem Haupte sehen; das war glänzender und kostbarer. Bei ihnen frühstückte man um drei Uhr Abend« unter den Platanen der Akademie oder aus den Stufen einer Säulenhalle, die zu der Statue eine« Gottes führte, trockene Feigen, Trauben an« Korinth, Honig au« Hvbla, Wein aus Kreta. Um drei Uhr Morgens wurde zu Mittag ge speist; da gab es Braten und blühenden mit Oel zubereileten Geißklee. Bor und nach dem Essen gingen sie spazieren, wobei sie sich über alle Gegenstände de« Himmel« und der Erde unterhielten, Räthsel aufzabeu