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Der erste Rausch der Begeisterung komite indeß nicht beständig in gleicher Stärke forldanern, und so kam unser junger Dichter, nachdem er Alles gesehen, was für ihn zu sehen, Alles gehört, was zu hören, Alles bestanden Halle, was zu bestehen war, mit abgekühlter Phantasie von mancher Täuschung wieder zurück. Um so eifriger und ernster ver tiefte ec sich in den Jdeenkreis, worin er mit seinen Ueberzeugungen gebannt war; er pruste sich und ging sorgfältig mit sich zu Rathe, ob er auch wirklich die Kraft besitze, diese Lehren zu verkündigen und zu gestalten, cd er fähig und berufen scy, die grausamen Wahrheiten, die unbarmherzigen Paradoxen, von denen sein Gcmülh durchdrungen war, vor der Weil zu behaupten und durchzufechtcn, Wie sollte er Anderen Lie Leidenschaften, die Seclencrfahrungcn begreiflich machen,-die er, der Neniing, auf seinem ersten Gange durch eine unbekannte Welt, inmit- tc» einer erschütternden Revolution, an sich selbst erprobt hatte! Doch blieb er nicht lange in Zweifel, was für ihn zu lhun oder zu lassen ftp. An Jahren noch fast ein Kind, faßte er seinen Beruf ins Auge und ging daran, wie ein Mann. Er setzte sich hin und schrieb, schrieb in einem Äthern fort, dis er einen Roman von vier Duodez-Bänden fertig hatte, den ersten Stein zu dem ungeheuren und mißlichen Le- benSwerke, daß er sich vorgesetzt. Die Feder in der Hand, indem er die Gluth und Fülle seiner Gedanken auf das Papier ausströmle, fühlte er sich stack und jung, nutthig und glücklich. Gott weiß, was für Ideen und Meinungen, wahre und saliche, edle und schlechte, natürliche und überspannte in diesem Produkte durch einander geworfen sehn mochten. Als vS fertig war, galt es ein Experiment, nämlich einen Verleger zu sinden. Unser Freund nahm einen Stock und einen Hut, steckte sein langes schwarzes Haar darunter, so gut cs gehen wollte, und ging hinaus ins Freie. Aber wie hätte er an die Buchhändler denken sollen. Am Strome schlenderte er aus und nieder, hing seinen Träumereien nach, ließ sich vom Abendwinde anfächcln, und manche schöne junge Spaziergängerin wars sreundliche Blicke aus de» einsamen Lustwandler. — Dec Zufall jedoch führte ihn eines Tages mit einem Verleger zusammen, und da das Suchen ihn je länger, je mehr ver droß, so bot er dem Manne sein Buch an: „Da habe ich", sagte er in lachendem, unbefangenem Tone, „einen ganz schlechten Roman, worüber ich nicht volle vierzehn Tage geschrieben habe." Der Buch händler ließ sich die Sache gefallen und erbot sich, an dieses Werk eines Unbekannten, der sich selbst darüber lustig machte, 400 Franken zu wage». „Was", sagte George Sand, „400 Franken für vicr Bändchen von mir! das ist ein vortrefflicher Handel." Sprach's, schob das Geld des „unglücklichen Verlegers" in die Tasche und warf cs dann in cinen Winkel seines Kämmerleins, von wo cr's aber allgemach wieder hervor- holtc, um ein Zwanzigsrankcnstück nach dem anderen „springen zu lassen". (Fortsetzung folgt.) Bibliographie. Uöseuse sie I'orclr« rmcl.il cnnkre h» Oarhonarismv mostarne. — Von Boyer. Zweite Abtheilung. Sx Fr. PouitL thnoiigue et pratstjue sie» controsayonn en tou» zence?, nu sie la zrroziriclü cn luatier« sie iittöraturo, tüeütis ete. — Lon Eastambidc. 6 Fr. wirres et vanude. — Reisen in der Schweiz, i» Steiermark, Ungarn tc., von dem Ex-Minister Baron v. Hausscz. 2 Bdc. lSFr. Harte sur Icuckonzwittt ou uhesite. — Von Lapanouse. 2^ Fr. Rußland. Die Aufführung der ersten Russischen Oper. (Schluß.) Der 27. November war der Jahrestag des Todes Sussanin« und der Wiederherstellung Rußlands. Es geschah also aus einem eben so patriotischen, als poetischen Grunde, daß gerade dieser Tag zur ersten Ausführung der neuen Oper gewählt wurde; die Liebe für die Kunst vereinigte sich mit der Anbetung des Vaterlandes, um jedes Russische Herz freudiger zu stimmen; und so war es denn nicht bloß cin Musik- fest — eS war cin großcS dec Erinnerung geweihtes Volksfest, welches an jcnem denkwürdigen Abend gefeiert wurde. Die Sinne, das Gefühl, die Seele, das Gcdächtniß sogar athmeicn in einer Atmosphäre himm lischer Harmonier»; Alles war betäubt- craltirt und entzückt, vibrirte in und um uns Hec; es war ein doppelte«'Drama, eine doppelte Musik, und zweimal wiederholte Akkorde, die man auf der Bühne und in der Tiefe des Herzens wiederbällen Hörle. Auch batte dieses Schauspirl etwas Feierliches, Religiöses, das an die Jonischen Feste, an die Höfe der Troubadour- «nd Minnesänger erinnerte. Laßt uns letzt aus Michael Glinka zurückkommeu. Dieser junge Komponist bat also aus immer cin Problcm gelöst, dessen Bedeutung man wob! ähnle, aber weder auffinden, noch begreifen konnte; er hat uns mit einer neuen National-Musik, die die Probe der Wissenschaft wohl bestanden hat, bereichert; er eröffnete der musikalischen Wclt eine neue Aera und führte die Kunst in eine fremde unbegränzte Region. Das b'hck lux! ist für die Russische Musik ausgesprochen worden. Es gicbt Leute, welche die Nationalität der Musik ganz leugnen. WaS schön ist, wird überall, zu allen Zeiten und an allen Orten schön blei ben, sagen sie; wir geben zu, daß cS verschiedene Schulen, aber keine NationahEigcnlbümlichkcit in den Künsten gicbt. Ehe wir also zu den Details der Oper übergeben, wollen wir cS versuchen, diese Meinung zu widerlegen. Ganz gewiß ist daS, was schön ist, auch überall schön; aber wir fassen es koch nur nach dem Gefühl für das Schöne, das wir in uns trag«». nicht etwa nach dem Werth des Schönen selbst auf. In de» Künsten ist es der Nester desjenigen, was wir Ideal nennen: es ist die Offenbarung, die Darstellung der uncndlichcn Schönheit, die nur in Go» und feinen Werken ist. Und eben diesen weit umfassenden Charakter des Jkeellcn bestätigt cic reiche Mannigfaltigkeit des Schö nen, das wir in der Zeil und im Raume wahrnchmen. In der ganzen Natur erblicken wir ja Schönheiten, die in Form und Gestalt so un endlich verschieden und doch in ihren Modifikationen herrlich sind. Welcher Unterschied ist zwischen dem ruhigen Meere, in welchem der Himmel sich spiegelt, und dem tobenden Ocean, dessen tausend Arme die Wolkcn zerreißen — zwischen dem Vesuv, der seine Feucrströme über Oliven- und Orangcnhaine ausschütlel, und dem Hekla, der kochendes Wasser über seine mit Schnee bedeckten Gipset und seine wüsten Felder ergießt — zwischen den dunkeln melancholischen Waldungen Norwegens, die aus graucn nackten Fclscn liegen; und den schlanken, von der Sonne des Orients vergoldeten Paünbäumen, die den azurnen Himmel, die fri schen grünen Mais- und Reisfelder anznlächcln schein!» — bewegen alle diese Natur-Schönheiten unsere Serie aus gleiche Art, bringen'sie auf unsere Gemüthsstimmung dieselbe Wirkung hervor? Bewundern wir in der Poesie Ossian und Homer, oder Dante und Shakespeare aus den selben Gründen? Wenn es nicht auch eine Individualität des Schöne» in den Künsten giebt, warum sagen wir denn die Griechische Skulptur, die Römische, Byzantinische und Golhische Architektur, oder die Nieder ländische, Deutsche und Jtaliänische Malerei? Jedes Volk faßt daS Schöne nach seiner Weise aus und sucht es nach seinen Gesühlen auS- zudrücken. Diese individuelle Art, das Schöne in sich auszunchmen und darzustellcn, ist der National-Charakter der Kunst; denn jeder Nalio- nal-Cbarakter ist ja eigentlich nichts als die Individualität eines Volkes. Wenn wir nun daS Gebiet der Theorie verlassen und nnS an die Praxis wenden, so werden wir, glaube ich, noch mehr Beweisgründe für die Wahrheit unserer Behauptung finden. — Jedermann wird zum Beispiel wissen, daß in keinem Lande der Walzer populairer und allge meiner ist, als in Deutschland, daß vielleicht auch nirgends mehr Wal zer komponire werden, als dort; aber dennoch kann cs wohl keinem musikalisch gebildeten Obr entgehen, wie sehr sich cin Deutscher Walzer von einem Russischen, Jtaliänischcn oder Französischen unterscheidet; sie gleichen sich zwar alle i» Takt und Tonart, sind aber doch, ihrem Cha rakter nach, unendlich verschieden. Diejenigen, welche zugcben, daß e« in der Musik verschiedene Schulen giebt, und dabei jede National-Ein- schränkung leugnen wollen, vergehen sich in ihrem Urtheile gegen die Logik. Im Grunde sind sie auch gar nicht im Widerspruch mit uns, sondern nur mit sich selbst; denn Schulen und Methoden sind nichts al« die äußere» Forme» der Kunst. Und sind nicht Methoden auch überdies da« Resultat der Art und Weist, wie die Musik in diesem oder jenem Lande aufgesaßt, empfunden und behandelt wird? Da ich jetzt mein Möglichstes getban habe, um eine im Ganzen auch wenig bestrittene Wahrheit zu beweisen, so scy cs mir nun erlaubt, von der großen Russischen National-Musik zu reden, die von Michael Glinka geschaffen worden. Die Oper ist das Werk hoher musikalischer Ausbildung. Der Künstler bat sein Talent, das bei den Tönen Russi scher Melodieen gewiegt wurde, unter Italiens und Deutschlands harmo nischem Himmel erzogen und auSgcbildct. Wen» auch selbst sei» Talent nicht so eminent wäre, als es ist, so würde er es doch bei seinen ernsten, angestrengten Studien gewiß zu etwas Großem gebracht haben. Aber alle wahre Kunstverständige, welche in die Geheimnisse und Schwierig keiten heroischer Composilioncn eingewciht sind, haben einstimmig er klärt, daß diese Opcr ein, für Rußland wenigsten«, ausgezcichncles Werk sey und wirklich großartig schöne Momente enthielte. Das Publikum hat auch wie sie geurlheilt, denn seit der Ausführung der Wcberschen und Meyerbeersche» Oper» halte die Theaterkasse sich keiner so reiche» Einnahme zu erfreuen. Der erste Akt der Opcr wird durch Chöre, die einen »cucn und glückliche» Effekt bervorbringcn, eröffnet. Dem ernsten Gesang der Landleute folgen die heilere» Refrains dec Bäuerinnen, dann die dc- lrblcn, muntere» Lieder der Fischer, bi« endlich diese drei Chöre in einen großen, allgemeinen verschmelzen, in welchem man jeden einzelnen Ge sang mit seinem cigcntbümlichen Charaklcr bcrausbörk, ohne daß e« dem herrlichen Ensemble schadete. Die Instrumental-Begleitung geschieht in einem glücklich gelungenen Pizziccato, in welchem unsere Balalaika, dieses so bescheidene, zum erstenmal j» da« Gebiet der Kunst erhobene Instrument, sich vortrefflich auSuimmt. Man kann sich nicht« Lieb lichere« und Frischere«, al« da« Thema der Sopran-Aric, die diese» Chören folgt, denke»; sie verrälh auf eine graziöse Art ihre Russische Abkunst und könnte uns doch, glaube ich, von den besten Jtaliänischcn Meistern beneidet werden. Da« ganze Gewebe der Oper ist übrigens mit solchen leichten und aumulhigcn Melodicen wie mit Goldsiittcrn über säet. Ein Trio für Baß, Tcnoc und Sopran, da« sich dieser Arie an- fchließt, ist ebcn so ergreifend, wie gehaltreich und großartig. — Der zweite Theil de« erste» Aktes ist der Polnischen Musik, dieser lebhaften, wilden Schwester der Russischen, gewidmet. Die Melodie de« soge nannte» „Polnischen Tanzes" ist ei» Meisterstück in ihrer Art; sic ist im allen Styl komponirt nnd dabei mit aller Eleganz des modernen Geschmacks ausgcardeitcl und behandelt, auch dtr Mazurek bat kein geringeres Verdienst. Die dramatische Handlung mischt sich in die Töne des Tanze«; während wildes Wuih- und Rachcgeschrei grelle Disso- uanzen veranlaßt, die sich wie düstcrc Wolken über den heiteren Ec, sang, dcr dc» Mazurck bcglcitet, lagern, gebt dieser ununterbrochen weiter fort; dann, als endlich Alles wieder ruhig wird, verwandelt er sich in ein Crescendo, voll der reichsten Harmonie. Diese wunderbar auSgearbeilele Scene wird noch durch Cbörc, rcren doppellcr Kontra punkt den herrlichen Effekt de« Ganze» erhöbt, verschönert! — Die Musikstücke dc« zweitcn Aktc« wcrdc» munes bewundernswürdiger. Die erste Scene bildet ein entzückendes Duell für Baß und Alt; dann folgt ein liebliche«, graziöse« Quartett, i» welchem die Musik da« Glück und die Hoffnungen Sussanin'«, dcr eben seine Tochter vcrbciralhc» will, au«drückt; aber in dem Augenblick, wo der glückliche Greis alle seine Wünsche gekrönt sicht, verbreitet sich cin Icjfcr Hauck, ein zartcr Anflug von Traurigkcit über dir Musik, den» schreckliche Dinge bereite» fick für ibn vor. Diese« musikalische Vorgcsiibl, da« der Künstler so sinnig in die Melodie zu legen wußle, vcrrälh nicht nur die Genialität